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RVG Entscheidungen

Nr. 6102 VV

Auslieferungsverfahren, Terminsgebühr

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamburg, Beschl. v. 16.02.2021 – Ausl 35/20

Leitsatz: In Auslieferungsverfahren löst die Teilnahme des Rechtsbeistands an Terminen zur Vernehmung des Verfolgten vor dem Amtsgericht nach den §§ 21, 22 oder 28 IRG auch nach Einführung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128) keine Terminsgebühr nach Nr. 6102 VV-RVG aus.


In pp.

Die Erinnerung des Rechtsbeistands vom 25. Januar 2021 gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 13. Januar 2021 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der ehemalige Verfolgte wurde aufgrund eines Ersuchens der Republik Polen um Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung am 15. Mai 2020 festgenommen und am 16. Mai 2020 dem Ermittlungsrichter am Amtsgericht Hamburg vorgeführt. Der Ermittlungsrichter bestellte dem Verfolgten den Erinnerungsführer gemäß § 40 Abs. 1 und Abs. 2 IRG als Rechtsbeistand und vernahm und belehrte den Verfolgten nach §§ 22 Abs. 2, 28 Abs. 2 IRG. In diesem Termin, in dem der Verfolgte weder zu seinen persönlichen Verhältnissen noch zum Tatvorwurf Angaben machte sowie keine Erklärung abgab, ob Einwendungen gegen seine Auslieferung erhoben werden, wurde eine Festhalteanordnung gegen den Verfolgten verkündet.

Am 19. Mai 2020 erließ der Senat aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts Gdansk vom 1. Juli 2019 (XIV Kop 83/19) einen Auslieferungshaftbefehl, der dem Verfolgten am 20. Mai 2020 im Beisein seines Rechtsbeistands vor dem Amtsgerichts Hamburg verkündet wurde. In diesem Termin machte der Verfolgte kurze Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und erklärte, die Tatvorwürfe seien falsch, er wolle nicht nach Polen ausgeliefert werden.

Mit Beschluss vom 8. Juni 2020 hat der Senat die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen für zulässig erklärt. Das Auslieferungsverfahren ist erledigt, nachdem der Verfolgte am 24. Juni 2020 an die polnischen Behörden übergeben worden ist.

Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2020 beantragte der Rechtsbeistand für seine Tätigkeit u.a. die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Nr. 6102 VV-RVG.

Mit Festsetzungsbeschluss vom 13. Januar 2021 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Gebühr nach Nr. 6201 VV-RVG als nicht erstattungsfähig angesehen.

Hiergegen wendet sich der Rechtsbeistand mit seiner Erinnerung vom 25. Januar 2021, mit der er geltend macht, dass der Gesetzgeber in Umsetzung der Europäischen Richtlinie 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 verpflichtend vorschreibt, dass bei jeder Maßnahme, die zur Inhaftierung einer Person führt, ein Verteidiger anwesend zu sein hat. Er sei benachrichtigt und gebeten worden, an den Terminen als notwendiger Rechtsbeistand teilzunehmen.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung mit Beschluss vom 27. Januar 2021 nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß § 56 Abs. 1 RVG statthafte und auch sonst zulässige Erinnerung des Rechtsbeistands gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 13. Januar 2021 ist zulässig (§ 56 Abs. 1, S. 1 RVG), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 RVG entscheidet über die Erinnerung das Gericht grundsätzlich durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter. Die zuständige Einzelrichterin hat die Sache wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 2 RVG).

2. Die Erinnerung ist unbegründet. Dem Erinnerungsführer steht kein Vergütungsanspruch nach Nr. 6102 VV-RVG für seine Tätigkeit in diesem Verfahren zu.

a) Im Rahmen des Auslieferungsverfahrens löst die Teilnahme des Rechtsbeistands an Terminen zur Vernehmung des Verfolgten vor dem Amtsgericht nach den §§ 21, 22 oder 28 IRG auch nach Einführung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128) keine Terminsgebühr nach Nr. 6102 VV-RVG aus.

aa) Nach der nahezu einhelligen Auffassung der Oberlandesgerichte zur bisherigen Rechtslage ist anerkannt, dass im Auslieferungsverfahren ein Termin vor dem Richter beim Amtsgericht – sei es zur Entscheidung über eine Festhalteanordnung, sei es zur Verkündung eines Haftbefehls – eine Terminsgebühr nicht auslöst (Senatsbeschl. v. 21.02.2006 – Ausl 24/05, juris; Hans. OLG Bremen, Beschl. v. 12.09.2018 – 1 Ausl A 2/18, juris; OLG Dresden, Beschl. v. 18.06.2018 – 1 (S) AR 48/17, juris; OLG Köln, Beschl. v. 10.01.2018 – 6 AuslA 195/17-110, juris; OLG Hamm, Beschl. v. 25.10.2016 – 1 Ws 241/16 und v. 30.03.2006 - 2 (s) Sbd IX 43/06, jeweils bei juris; OLG Stuttgart; Beschl. v. 01.10.2009 – 1 Ausl 1110/09, juris; OLG Celle, Beschl. v. 14.12.2009 – 1 Ars 86/09, juris; OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.07.2009 – 2 Ausl (A) 30/08, juris; OLG Oldenburg, Beschl. v. 16.03.2009 – Ausl 56/08, juris; OLG Rostock, Beschl. v. 12.03.2009 – Ausl 14/08 I 7/08, juris; OLG Koblenz Beschl. v. 29.02.2008 – (1) Ausl -III-20/07, juris; KG Berlin, Beschl. v. 13.08.2007 – 1 Ws 109/07, juris; OLG Bamberg, Beschl. v. 07.05.2007 – 5 Ausl 12/07, juris; s. auch Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 49. Aufl., VV-RVG 6102 Rn. 7; Kroiß in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., Nrn. 6100-6102 VV, Rn. 4; a. A. Thüringer Oberlandesgerichts, Beschl. v. 14.05.2007 – 1 Ws 122/07, juris).

(1) Hierfür spricht bereits der Wortlaut der einschlägigen Norm. Die Terminsgebühr Nr. 6102 VV-RVG entsteht für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen „je Verhandlungstag“. Das IRG spricht von einer „Verhandlung“ ausschließlich in §§ 30 Abs. 3, 31 sowie § 33 Abs. 3 IRG, nicht aber bei den Terminen vor dem Amtsgericht nach den §§ 21, 22 oder 28 IRG. In diesen Terminen steht dem Amtsrichter nur eine sehr begrenzte Entscheidungsbefugnis zu. Er ist im Wesentlichen auf die Prüfung formeller Aspekte sowie auf die Bekanntgabe des Auslieferungshaftbefehls sowie die Vornahme von Belehrungen und Protokollierungen beschränkt (§§ 21 Abs. 2 u. 6, 22 Abs. 2, 28 Abs. 2, 3 IRG). Die von dem Verfolgten in diesen Terminen vorgebrachten Einwendungen werden lediglich zu Protokoll genommen. Darüber zu befinden hat nicht der Amtsrichter, sondern das Oberlandesgericht gemäß § 23 IRG (vgl. auch § 21 Abs. 5 IRG). Anders als im Haftbefehlsverfahren nach §§ 112 ff. StPO, in dem der Verteidiger gehalten ist, den dringenden Tatverdacht auszuräumen, findet eine Tatverdachtsprüfung im Auslieferungsverfahren nach § 10 Abs. 2 IRG nur in ganz begrenztem Umfang statt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung im Sinne einer Verhandlung erfolgt daher vor dem Amtsgericht nicht (statt aller: Senatsbeschl., a.a.O. Rn. 5)

(2) Das Ergebnis der Wortlautauslegung wird durch eine systematische Betrachtung in Gestalt eines Vergleichs mit der Regelung der Vergütung eines Verteidigers für dessen Teilnahme an einem Termin zur Verkündung eines die Untersuchungshaft anordnenden Haftbefehls gestützt.

Die Gebühren für gerichtliche Termine zur Anordnung der Untersuchungshaft und Haftprüfungstermine bestimmen sich nach der Regelung in Nr. 4102 VV-RVG. Nach Nr. 4102 Nr. 3 VV-RVG erhält der Verteidiger für eine Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft verhandelt wird, eine Terminsgebühr. Voraussetzung ist allerdings, dass in diesem Termin auch tatsächlich über die Haftfortdauer „verhandelt“ wird (OLG Köln, Beschl. v. 10.01.2018 – 6 AuslA 195/17-110, juris Rn. 11; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., RVG VV 4102 Rn. 13). Sinn und Zweck dieser einschränkenden Regelung ist es, die häufig nur sehr kurzen Termine der Haftbefehlsverkündung nicht mit einer Gebühr nach Ziffer 3 zu honorieren (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 223 li. Sp.).

Das Fehlen einer Nr. 4102 Nr. 1 VV-RVG entsprechenden Regelung für die Teilnahme an „richterlichen Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen“ in den Regelungen für das Verfahren nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen zeigt, dass der Gesetzgeber hier gerade kein generelles Anfallen einer Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen außerhalb von Verhandlungsterminen anordnen wollte (s. nur Hans. OLG Bremen, a.a.O. Rn. 15; OLG Köln, a.a.O. Rn. 11; OLG Hamm, Beschl. v. 30.03.2006, a.a.O. Rn. 13; OLG Brandenburg, a.a.O. Rn. 9; OLG Rostock, a.a.O. Rn. 3).

(3) Die Gegenansicht (Thüringer Oberlandesgerichts, Beschl. v. 14.05.2007 – 1 Ws 122/07, juris; Mayer in Gerold/Schmidt, a.a.O. VV 6100-6102 Rn. 7; Schneider in Riedel-Sußbauer, RVG, 10. Aufl, VV 6100 6102 Rn. 8; Volpert in Burhoff, RVG, 4. Aufl., Nr. 6102 VV-RVG Rn. 7; v. Seltmann, BeckOK RVG, 50. Ed., VV 6101-6102 Rn. 13 ff.), nach der auch Termine vor dem Amtsgericht nach §§ 21, 22, 28 IRG die Terminsgebühr nach Nr. 6102 VV-RVG auslösen, vermag nicht zu überzeugen.

(a) Insbesondere kann sie nicht auf den Wortlaut der Vorbemerkung 6 Abs. 3 VV-RVG gestützt werden. Hiernach entsteht „die Terminsgebühr ... für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, soweit nichts anderes bestimmt ist“. Hinsichtlich des Verfahrens nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Abschnitt 1) wird durch die Regelung in Nr. 6102 VV-RVG dadurch etwas anderes bestimmt, dass Terminsgebühren nur für Verhandlungstage anfallen. Diese Formulierung ist nicht als Klarstellung dahingehend zu verstehen, dass abweichend von dem in § 15 Abs. 2 RVG aufgestellten Grundsatz die Terminsgebühr durch die Teilnahme an jedem Termin erneut entsteht (so Volpert in Burhoff, a.a.O.). Ein solches Verständnis ist systemwidrig. Der Rechtsbeistand im Auslieferungsverfahren wäre gegenüber dem Verteidiger in allgemeinen Strafsachen ohne sachlichen Grund in doppelter Hinsicht bessergestellt: Die Terminsgebühr über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft nach Nr. 4102 Nr. 3 VV-RVG in Höhe von 166 € ist nicht nur wesentlich geringer als diejenige nach Nr. 6102 VV-RVG (424 €), sie entsteht im vorbereitenden Verfahren und in jedem Rechtszug für die Teilnahme an jeweils bis zu 3 Terminen zudem auch nur einmal. Eine Besserstellung des Rechtsbeistands im Auslieferungsverfahren dergestalt, dass er für jede Teilnahme an einer Vernehmung des Verfolgten nach §§ 21, 22, 28 IRG angesichts der nur eingeschränkten Entscheidungskompetenz des Amtsgerichts die wesentlich höhere Gebühr nach Nr. 6101 VV-RVG verdienen sollte, ist sachlich nicht begründbar (vgl. nur Hans. OLG Bremen, a.a.O. Rn. 16; OLG Köln, a.a.O. Rn. 11; OLG Brandenburg, a.a.O. juris Rn. 9; OLG Hamm, a.a.O. juris Rn. 14; OLG Brandenburg, a.a.O. Rn. 9).

(b) Soweit diese Ansicht auf die Bedeutung abstellt, die der Entscheidung des Verfolgten in diesen Terminen über eine Erklärung des Einverständnisses mit einer vereinfachten Auslieferung (§ 41 IRG) gemäß §§ 21 Abs. 6, 22 Abs. 3 S. 3, 28 Abs. 3 IRG mit weitreichenden Folgen zukommt (OLG Jena, a.a.O. Rn. 18; Oehmichen, FD-StrafR 2018, 400418), ist diese seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 24. November 2020 (C-510/19) entscheidend gemindert.

Zwar kann die Auslieferung eines Verfolgten, der sich mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat, ohne Durchführung des förmlichen Auslieferungsverfahrens bewilligt werden (§ 41 Abs. 1 IRG). Bei Auslieferungsersuchen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls setzt die Bewilligung allerdings die Zulässigkeit der Auslieferung nach §§ 80 ff. IRG voraus (vgl. § 79 Abs.1 IRG; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.12.2020 – Ausl 301 AR 173/20, juris Rn. 13 ff.). Die Bewilligungsbehörde ist daher verpflichtet, zu prüfen, ob die Auslieferung zulässig ist (vgl. hierzu Böse in: Grützner/Pötz/Kress/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., 26. Lieferung 2012, IRG, § 79 Rn. 12).

Nachdem der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 24. November 2020 (C-510/19) entschieden hat, dass der Begriff der "vollstreckenden Justizbehörde" im Sinne von Art. 6 Abs. 2 RB-EuHB eine Staatsanwaltschaft, die unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen der Exekutive unterworfen werden kann, nicht umfasst, unterliegt die von der Generalstaatsanwaltschaft vorzunehmende Bewilligungsentschließung nach §§ 79, 83a IRG einer gerichtlichen Überprüfung (OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Bamberg, Beschl. v. 18.12.2020 – 1 Ausl AR 55/20, juris Rn. 4). Vor diesem Hintergrund ist die Tragweite der Einverständniserklärung mit der vereinfachten Auslieferung überschaubar, da – auch ohne Durchführung des förmlichen Auslieferungsverfahrens (vgl. § 41 Abs. 1 IRG) – nunmehr in jedem Fall eine oberlandesgerichtlichen Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung und der Bewilligungsentscheidung erfolgt.

(4) Im Übrigen wird nach der gesetzgeberischen Grundkonzeption der Gebührentatbestände nach dem VV-RVG die Tätigkeit des Rechtsanwalts grundsätzlich durch die Verfahrens- und Grundgebühren abgegolten, weitere Gebührentatbestände treten bei Vorliegen von deren besonderen Voraussetzungen hinzu. Im Auslieferungsverfahren ist die Teilnahme an amtsgerichtlichen Terminen daher bereits durch die Verfahrensgebühr nach Nr. 6101 VV-RVG mitvergütet anzusehen (Hans. OLG Bremen, a.a.O. Rn. 16; OLG Celle, Beschl. v. 14.12. 2009 – 1 Ars 86/09, juris Rn. 7). Einem besonderen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit kann im Einzelfall gegebenenfalls durch Festsetzung einer Pauschalgebühr nach §§ 42 bzw. 51 Abs. 1 RVG begegnet werden (vgl. nur Hans. OLG Bremen, a.a.O. Rn. 16, 19; OLG Köln, a.a.O. Rn 14 m.w.N.).

bb) Das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128) gibt keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Dieses Gesetz diente der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen im Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls. Zentraler Aspekt war die Stärkung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand, indem zur Gewährleistung von dessen Effektivität Beschuldigen und gesuchten Personen die Unterstützung eines – jedenfalls vorläufig – durch die Mitgliedsstaaten finanzierten Rechtsbeistands zur Verfügung gestellt wird (BT-Drs. 19/13829 S. 1). Kostenrechtliche Aspekte der Rechtsbeistandschaft waren hingegen nicht Regelungsgegenstand.

(1) Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung zahlreiche Änderungen u.a. in der StPO, der BRAO, dem IRG, dem OWiG und auch dem RVG vorgenommen. Die Gesetzesänderung des RVG hat die anwaltliche Vergütung selbst indes nicht berührt. Durch die Erweiterung des § 59a RVG um den neuen Absatz 1

„Für den durch die Staatsanwaltschaft bestellten Rechtsanwalt gelten die Vorschriften über den gerichtlich bestellten Rechtsanwalt entsprechend. Ist das Verfahren nicht gerichtlich anhängig geworden, tritt an die Stelle des Gerichts des ersten Rechtszugs das Gericht, das für die gerichtliche Bestätigung der Bestellung zuständig ist.“

wurde vor dem Hintergrund, dass die Bestimmungen des Abschnitts 8 des RVG „Beigeordneter oder bestellter Rechtsanwalt, Beratungshilfe“ auf eine gerichtliche Bestellung abstellen, nur dem Umstand Rechnung getragen, dass nun auch der Staatsanwaltschaft eine Eilzuständigkeit für die Beiordnung zusteht (§ 142 Abs. 4 StPO). Zudem war die Zuständigkeit für Anträge zu regeln, wenn das Verfahren nicht gerichtlich anhängig wird (vgl. BT-Drs. 19/13829, S. 63-64).

Trotz der Neuregelung des § 59a Abs. 1 RVG hat der Reformgesetzgeber die Formulierung des Gebührentatbestandes für die Terminsgebühr in Auslieferungssachen unverändert gelassen. Die in der Literatur (Volpert in Burhoff, a.a.O.; Oehmichen, a.a.O.) nach der bisherigen Rechtslage thematisierte und für geboten gehaltene gesetzliche Klarstellung, dass Nr. 6012 VV-RVG auch Termine nach § 21, 22, 28 IRG erfasst, ist weder im Rahmen des 2. KostRMoG vom 23. Juli 2013 (BGBl. I, S. 2586) noch nunmehr im Rahmen der Umsetzung der „PKH-Richtlinie“ (Richtlinie 2016/1919) erfolgt. Insbesondere wurde keine Nr. 4102 Nr. 1 VV-RVG entsprechende Regelung für die Teilnahme an „richterlichen Vernehmungen“ in Nr. 6102 VV-RVG aufgenommen. Der Gesetzgeber wollte trotz der nunmehr statuierten notwendigen Rechtsbeistandschaft bei einer Festnahme der verfolgten Person (§ 40 Abs. 2 IRG) offensichtlich keine entsprechende kostenrechtliche Regelung in Nr. 6102 VV-RVG – ein generelles Anfallen einer Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen außerhalb von Verhandlungsterminen – schaffen. Die Nrn. 6101 und 6102 VV-RVG wurden in Kenntnis der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zum Anwendungsbereich der Nr. 6102 VV-RVG, vielmehr unverändert belassen.

(2) Soweit die Gesetzesänderung auch inhaltliche Änderungen der §§ 40, 53 IRG und die Neueinführung des § 83j IRG bewirkt hat, haben diese keine Auswirkungen auf das Kostenrecht. Maßgeblich war auch hier der Grundgedanke der PKH-Richtlinie, dem Verfolgten frühzeitig einen Rechtsbeistand zu gewähren.

(a) Nach § 40 Abs. 2 IRG liegt nunmehr bei einer Festnahme der verfolgten Person zwingend ein Fall der notwendigen Rechtsbeistandschaft vor; die bisher dort geregelten einschränkenden Voraussetzungen für die Beiordnung gelten nach § 40 Abs. 3 IRG nur noch für die Fälle, in denen der Verfolgte nicht festgenommen wird. Zu dem Zeitpunkt und der Zuständigkeit für die Beiordnung verhalten sich § 40 Abs. 5 und 6 IRG. Kostenrechtliche Aspekte der Tätigkeit des Rechtsbeistands wurden hierdurch jedoch nicht verändert (s. vorstehend (1)).

(b) Die Änderung des § 53 IRG im Bereich der Vollstreckungshilfe erfolgte lediglich aus Gründen der Kohärenz und Systematik (BT-Drs. 19/13829, S. 58).

(c) Auch der neu eingeführte § 83j IRG hat auf die hiesige Fragestellung keine Auswirkung. In Umsetzung der PKH-Richtlinie wurde hiermit lediglich eine Grundlage für die Beiordnung eines Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat zur Unterstützung eines Rechtsbeistands im Vollstreckungsmitgliedstaat geschaffen.

(3) Schließlich geben auch die Gesetzgebungsmaterialien hinsichtlich der Gesetzesfolgen keinen Anlass, von der bisherigen rechtlichen Einschätzung abzurücken. Im Rahmen der Gesetzesfolgen wurden unter dem Aspekt der weiteren Kosten (BT-Drs. 19/13829, S. 28-30) auch die Mehrkosten dieses Gesetzes untersucht und im Ergebnis festgestellt, dass „zusätzliche Kosten dadurch entstehen, dass künftig häufiger Pflichtverteidigerbestellungen erfolgen, bei denen sich die zunächst von der Landeskasse zu verauslagende Verteidigervergütung als uneinbringlich erweist“ (BT-Drs., a.a.O. S. 29). Im Hinblick auf die für die hiesige Fragestellung maßgebliche Terminsgebühr sind drei Fallkonstellationen für etwaige Mehrkosten genannt. Aus diesen lassen sich jedoch keine Rückschlüsse in der Weise ziehen, dass künftig Terminsgebühren für die Teilnahme des Rechtsbeistands an Terminen nach §§ 21, 22 oder 28 IRG anfallen. Im Einzelnen:

(a) Durch die Erstreckung der notwendigen Verteidigung auch auf Fälle der Vorführung (§§ 115, 115 a, 128 Abs. 1, 129 StPO) in § 140 Absatz 1 Nummer 4 StPO sei mit einem geringfügigen Anstieg der Pflichtverteidigerbestellungen und mit entsprechenden Mehrkosten in den Fällen zu rechnen, in denen der Beschuldigte nach der Vernehmung auf freien Fuß gesetzt wird und auch im weiteren Verfahren keine notwendige Verteidigung vorliegt. Der Umfang der Mehrkosten dürfte nach Einschätzung des Gesetzgebers dabei gering sein, da die Pflichtverteidigerbestellung in diesen Fällen enden soll, sobald der Beschuldigte auf freiem Fuß ist, so dass lediglich die Grund-, die Verfahrens- und die Terminsgebühr, jeweils mit Zuschlag, in Höhe von insgesamt 519 Euro anfielen (BT-Drs. 19/13829, S. 29). Zwar bestimmt § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO die Vorführung zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung als einen Fall der notwendigen Verteidigung, die Regelung, dass eine Terminsgebühr nur anfällt, wenn tatsächlich über die Haftfortdauer verhandelt wird, wird hierdurch jedoch nicht berührt (s.o. 2a) aa) (1)).

(b) Mit der Regelung des § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO wurde lediglich zur Stärkung der Verfahrensrechte des schutzbedürftigen Beschuldigten der Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung vorverlagert (vgl. BT-Drs. 19/13829, S. 36 ff.).

(c) Mehrkosten können nach den Gesetzgebungsmaterialen in den Fällen des Pflichtverteidigerwechsels nach einer Vorführung vor den zuständigen Richter gemäß § 115a StPO (§ 143 StPO) entstehen; diese dürften aber nur in geringem Umfang anfallen, da nur wenige Gebühren – Grund-, Verfahrens- und gegebenenfalls Terminsgebühr, gegebenenfalls mit Zuschlag – möglicherweise doppelt anfallen (BT-Drs. 19/13829, S. 29f). Auch diese Mehrkosten entstehen somit nicht durch ein verändertes Verständnis der Terminsgebühr und spielen im Rahmen der Vernehmungen nach dem IRG keine Rolle.

b) Nach diesen Maßstäben fand eine Verhandlung im Sinne des gebührenrechtlichen Tatbestandes Nr. 6102 VV-RVG in den Terminen vor dem Amtsgericht Hamburg am 16. Mai 2020, in dem dem Verfolgten lediglich das Auslieferungsersuchen der polnischen Behörden bekannt gegeben und eine Festhalteanordnung gemäß § 22 Abs. 3 IRG erlassen worden ist, sowie am 20. Mai 2020, in dem der Ermittlungsrichter am Amtsgericht dem Verfolgten den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 19. Mai 2020 bekanntgegeben hat, nicht statt.

Ein Antrag auf Festsetzung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG wurde nicht gestellt. Ein besonderer Umfang oder eine besondere Schwierigkeit der Sache ist für den Senat auch nicht erkennbar.

III.

Eine Entscheidung über die Kosten ist gemäß § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG nicht veranlasst.


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