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aus StraFo 2021, 8

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "StraFo" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "StraFo" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Änderungen bei der Vergütung der Verteidiger/Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen durch das KostRÄG 2021

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Am 1.1.2021 ist das KostRÄG 2021 v. 21.12.2020[1] in Kraft getreten. Dieser Beitrag stellt die wichtigsten Änderungen für Verteidiger/Rechtsanwälte, die in Straf- oder Bußgeldsachen tätig werden, vor.[2]

I. Gesetzgebungsverfahren

Im Sommer 2020 hatte die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, nachdem die Bemühungen um ein 3. KostRMoG gescheitert waren, zumindest den Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts“ (Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 – KostRÄG 2021) vorgelegt. Den hat die Bundesregierung am 16.9.2020 als Regierungsentwurf beschlossen und dem Bundesrat als besonders eilbedürftige Vorlage gem. Art. 76 Abs. 2 S. 4 GG zugeleitet. Im Bundestag ist das Gesetz am 29.10.2020 in erster Lesung beraten worden. Im Bundesrat ist der Gesetzentwurf[3] erstmals am 6.11.2020 beraten worden. Der Bundesrat hat den Entwurf weitgehend unverändert passieren lassen. Insbesondere hat das Plenum nicht der vom Finanzausschuss vorgeschlagenen Verschiebung des Inkrafttretens des KostRÄG auf den 1.1.2023[4] zugestimmt. Der Rechtsausschuss des Bundestages hat dann mit der BT-Drucks 19/24740 Stellung genommen. Der Bundestag hat das Gesetz dann am 27.10.2020 beschlossen, den Bundesrat hat es am 18.12.2020 passiert.[5] Nach Verkündung im BGBl I, S. 3229, ist das Gesetz am 1.1.2021 in Kraft getreten. Die Änderungen/Erhöhungen gelten nach § 60 Abs. 1 RVG in Verfahren, in denen der Verteidiger ab 1.1.2021 beauftragt oder bestellt/beigeordnet worden ist.[6]

II. Lineare Anhebung der Gebühren

1. Allgemeines

Zuletzt waren die anwaltlichen Gebühren im RVG zum 1.8.2013 durch das 2. KostRMoG vom 23.7.2013[7] erhöht worden.[8] Seitdem sind insbesondere auch die Kosten der Rechtsanwälte//Verteidiger für den Kanzleibetrieb erheblich gestiegen. U.a. deshalb und „im Interesse einer Teilhabe der Anwaltschaft an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung“ hat der Gesetzgeber nun (endlich wieder) eine erneute Anhebung der gesetzlichen Rechtsanwaltsvergütung als erforderlich angesehen[9] und umgesetzt. Diese Anhebung und Anpassung der gesetzlichen Anwaltsvergütung soll mit einer Kombination aus strukturellen „Verbesserungen“ (?) im anwaltlichen Vergütungsrecht[10] sowie einer linearen Erhöhung aller Gebühren des RVG um rund 10 Prozent erreicht werden.[11] Als Kompensation für die „klammen“ Landeskassen, bei denen sich diese Erhöhung bemerkbar macht, sind u.a. die Gerichtsgebühren ebenfalls linear um zehn Prozent angehoben worden.[12]

2. Lineare Anhebung um rund 10 %

Die vorgesehene lineare Anhebung um rund 10 Prozent erfasst alle Gebührentypen des RVG, also alle Betragsrahmengebühren, die Wertgebühren der Nrn. 4142, 4143, 4144, 5116 VV RVG und z.B. auch die Festgebühr der Nr. 4304 VV RVG. Bei den Wertgebühren, für die die §§ 13, 49 RVG gelten, beträgt die Erhöhung in der untersten Wertstufe bis 500 EUR allerdings rundungsbedingt lediglich etwa 9 Prozent. Das Ausmaß der Erhöhungen verdeutlicht folgendes Beispiel:

Beispiel

Rechtsanwalt R ist für den Mandanten bereits vor Anklageerhebung im Ermittlungsverfahren tätig. Er verteidigt den Angeklagten dann nach Anklageerhebung in einer eintägigen Hauptverhandlung bei der Strafkammer beim LG. Gegen das LG-Urteil wird Revision eingelegt, die vom BGH verworfen wird.

Es ergibt sich folgende Gegenüberstellung altes/neues Recht, wobei Mittelgebühren zugrunde gelegt werden:

Wahlanwalt

Gebührentatbestand

Altes Recht

Neues Recht

Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG

200,00 EUR

220,00 EUR

Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren, Nr. 4104 VV RVG

165,00 EUR

181,50 EUR

Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren, Nr. 4112 VV RVG

185,00 EUR

203,50 EUR

Terminsgebühr Strafkammer, Nr. 4114 VV RVG

320,00 EUR

352,00 EUR

Verfahrensgebühr Revision, Nr. 4130 VV RVG

+ 615,00 EUR

+ 676,50 EUR

Summe

1.485,00 EUR

1.633,50 EUR

Erhöhung somit ca. 9,76 %

Pflichtverteidiger

Gebührentatbestand

Altes Recht

Neues Recht

Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG

160,00 EUR

176,00 EUR

Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren, Nr. 4104 VV RVG

132,00 EUR

145,00 EUR

Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren, Nr. 4112 VV RVG

148,00 EUR

163,00 EUR

Terminsgebühr Strafkammer, Nr. 4114 VV RVG

256,00 EUR

282,00 EUR

Verfahrensgebühr Revision, Nr. 4130 VV RVG

+ 492,00 EUR

+ 541,00 EUR

Summe

1.188,00 EUR

1.307,00 EUR

Erhöhung somit ca. 9,76 %

III. Änderungen im Paragrafenteil des RVG

1. Bestimmung einer Betragsrahmengebühr bei Gebührenanrechnungen (§ 14 Abs. 2 RVG)

In § 14 Abs. 2 RVG ist eine neue allgemeine Regelung für die Anrechnung von Betragsrahmengebühren eingeführt worden. Diese ersetzt die entfallenen Regelungen in Vorbem. 2.3 Abs. 4 S. 3 VV RVG und in Vorbem. 3 Abs. 4 S. 4 VV RVG.[13] Nach dem neuen § 14 Abs. 2 RVG soll dann, wenn eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen ist, die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen sein, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen. In den Teilen 4 und 5 VV RVG kann diese Regelung u.a. bei folgenden Anrechnungsvorschriften Auswirkungen haben: Abs. 2 der Anm. zu Nr. 4100 VV RVG (Grundgebühr),[14] Abs. 2 der Anm. zu Nr. 4143 VV RVG (zusätzliche Verfahrensgebühr),[15] Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG (vorangegangen Einzeltätigkeit)[16] und Abs. 3 der Anm. zu Nr. 5200 VV RVG,[17] aber nicht bei der „Anrechnung“ nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 5100 VV RVG (Grundgebühr im Bußgeldverfahren nach vorangegangenem Strafverfahren), da es sich dabei nicht um eine „Anrechnung“ i.e.S. handelt.[18]

Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dass die Synergieeffekte, die bei einer fortschreitenden Befassung eintreten, ausschließlich durch die vorgeschriebene Gebührenanrechnung berücksichtigt werden sollen. Die Bestimmung der Höhe der zweiten Verfahrensgebühr soll danach so erfolgen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen. Diese Regelung bezieht sich damit auf sämtliche Bemessungsmerkmale des § 14 Abs. 1 RVG.[19] Die Regelung soll sicherstellen, dass für Rechtsanwälte, deren Verfahrens- oder Geschäftsgebühr einer Anrechnung unterliegt, diese Gebühren vor Anrechnung in derselben Höhe anfallen wie für diejenigen Rechtsanwälte, die zuvor nicht tätig waren. Nur so werde eine Gleichbehandlung mit den Fällen erreicht, in denen – wie etwa in zivilprozessualen Mandaten – keine Rahmengebühren vorgesehen seien.[20]

Beispiel

Rechtsanwalt A hat den Betroffenen im Bußgeldverfahren verteidigt. Entstanden sind die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und die Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG. Das Bußgeldverfahren wird an die StA abgegeben. Hier ist der Rechtsanwalt zunächst weiter für den Mandanten tätig. Der beauftragt dann aber vor Anklageerhebung einen anderen Verteidiger, den Rechtsanwalt B.

Rechtsanwalt A rechnet wie folgt ab:

I. Abrechnung nach altem Recht

1. Bußgeldverfahren

Grundgebühr, Nr. 5100 VV RVG

100,00 EUR

Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV RVG

160,00 EUR

Zusätzliche Verfahrensgebühr, Nr. 5115 VV RVG

160,00 EUR

2. Strafverfahren

Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG

allerdings wegen des vorangegangenen Bußgeldverfahrens nicht i.H.d. Mittelgebühr

150,00 EUR

Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV RVG

160,00 EUR

Anrechnung der Grundgebühr, Nr. 5100 VV RVG

– 100,00 EUR

Summe

630,00 EUR

II. Abrechnung nach neuem Recht

Nach § 14 Abs. 2 RVG ist die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG so zu bestimmen, als sei der Verteidiger zuvor nicht tätig gewesen.

1. Bußgeldverfahren

Grundgebühr, Nr. 5100 VV RVG

110,00 EUR

Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV RVG

176,00 EUR

Zusätzliche Verfahrensgebühr, Nr. 5115 VV RVG

176,00 EUR

2. Strafverfahren

Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG

jetzt wegen § 14 Abs. 2 RVG (auch) i.H.d. Mittelgebühr

220,00 EUR

Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV RVG

181,50 EUR

Anrechnung der Grundgebühr, Nr. 5100 VV RVG

– 110,00 EUR

Summe

753,50 EUR

2. Erstreckung (§ 48 Abs. 6 RVG)

In der Praxis spielen im Recht der Pflichtverteidigung die mit § 48 Abs. 6 RVG zusammenhängenden Fragen in den Fällen der Verbindung mehrerer Verfahren eine große Rolle.[21] Dabei geht es immer um die Frage, ob der Verteidiger auch in den Verfahren die gesetzlichen Gebühren geltend machen kann, in denen er (noch) nicht zum Pflichtverteidiger bestellt war. Dazu ist in § 48 Abs. 6 S. 3 RVG die sog. Erstreckung vorgesehen. In dem Zusammenhang ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (gewesen), ob ein anwaltlicher Vergütungsanspruch für frühere Tätigkeiten in Verfahren, die vor der Beiordnung hinzuverbunden wurden, bereits aus § 46 Abs. 6 S. 1 RVG folgt und ob demgemäß der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG entsprechend auf Fälle beschränkt ist, in denen nach einer Beiordnung noch weitere Verfahren hinzuverbunden werden.

Beispiel

Die StA hat gegen den Angeklagten ursprünglich zwei Ermittlungsverfahren geführt, und zwar das Verfahren V 1 sowie das Verfahren V 2. Am 14.1.2019 legitimierte sich der Rechtsanwalt gegenüber der StA als Verteidiger zu beiden Verfahren und beantragte jeweils Akteneinsicht, die auch gewährt wurde. Am 1.2.2019 erfolgte die Verbindung des Verfahrens V 1 zu dem führenden Verfahren V 2 durch die StA. Am 29.3.2019 erhebt die StA Anklage.

Auf den Antrag des Verteidigers vom 11.4.2019 wird dieser mit Beschluss vom 15.4.2019 zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt.

Der Verteidiger beantragt in seinem Festsetzungsantrag später u.a. die Festsetzung von zwei Grundgebühren nach Nr. 4100 VV RVG sowie von zwei Verfahrensgebühren nach Nr. 4104 VV RVG.[22]

In diesen Fällen war bislang streitig, ob nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG hätte erstreckt werden müssen[23] oder ob es sich um einen Fall des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG handelt und eine Erstreckung nicht erforderlich war.[24] Diskutiert wurde also darum, ob sich die Frage der Erstreckung nur stellt, wenn zu einem Verfahren, in dem der Verteidiger bereits beigeordnet ist, weitere Verfahren, in denen bislang keine Beiordnung erfolgte, hinzuverbunden werden, es für die Anwendung der Vorschrift also auf die zeitliche Abfolge von Verbindung und Bestellung/Beiordnung ankommt, der Verteidiger somit grds. nicht immer einen Erstreckungsantrag stellen muss.[25]

Diesen Streit hat das KostRÄG 2021 v. 21.12.2020 durch einen Einschub in § 48 Abs. 6 S. 3 RVG gelöst. Dort heißt es nämlich jetzt: „Werden Verfahren verbunden und ist der Rechtsanwalt nicht in allen Verfahren bestellt oder beigeordnet, kann das Gericht die Wirkung des Satzes 1 auch auf diejenigen Verfahren erstrecken, in denen vor der Verbindung keine Beiordnung oder Bestellung erfolgt war.“ Das bedeutet: Es ist jetzt gesetzlich klargestellt, dass dann, wenn Verfahren zunächst verbunden werden und erst danach die anwaltliche Bestellung oder Beiordnung in dem nunmehr verbundenen Verfahren erfolgt, § 48 Abs. 6 S. 1 RVG unmittelbar gilt.[26] Der Gesetzgeber geht davon aus,[27] dass keine Gründe ersichtlich sind, warum das Gericht in den Fällen ausdrücklich nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG die Erstreckungswirkung anordnen sollte. Damit ist der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auf die Fälle der nach der Beiordnung oder Bestellung erfolgten Verfahrensverbindungen beschränkt. Es ist zudem damit indirekt klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Bestellung oder Beiordnung nach der Verbindung deshalb nicht erforderlich ist, weil § 48 Abs. 6 S. 1 RVG unmittelbar gilt. Soweit die Neuregelung in einem Verfahren wegen der Regelung in § 60 RVG noch nicht gilt, sollte der Verteidiger sich ggf. auf die Gesetzesänderung und die Gesetzesbegründung berufen.

3. Anhebung der Kappungsgrenze für Wertgebühren aus der Staatskasse (§ 49 RVG)

Auch Verteidiger können Wertgebühren verdienen, und zwar nach den Nrn. 4142, 4143, 4144, 5116 VV RVG. Nach den Änderungen der §§ 73 ff. StGB durch die Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung hat in der Praxis die Bedeutung der Nrn. 4142, 5116 VV RVG zugenommen.[28] Die Höhe der Gebühren richtet sich für den Wahlanwalt nach der Tabelle des § 13 RVG, für den Pflichtverteidiger und/oder beigeordneten Rechtsanwalt nach der Tabelle des § 49 RVG.

Hier ist nun § 49 RVG geändert worden, was zu einer Anhebung der Gebühren bei den Pflichtverteidigern und/oder beigeordneten Rechtsanwälten führen wird. Die frühere Regelung sah bis zu einem Gegenstandswert von 30.000 EUR eine Staffelung der Werte und der zugehörigen Gebühren vor. Bei höheren Werten belief sich die Gebühr früher einheitlich auf 447 EUR. Die obere Wertgrenze wurde zuletzt im Jahr 2002 von 50.000 DM auf 30.000 EUR angehoben.[29] Dabei wurde allerdings die oberhalb der Wertgrenze anfallende Gebühr nicht erhöht. Davor war die Wertgrenze letztmals im Jahr 1987 angehoben worden. Vor diesem Hintergrund ist § 49 RVG nun dahin geändert worden, dass die obere Wertgrenze nunmehr auf 50.000 EUR angehoben worden ist und gleichzeitig die Gebührenbeträge des § 49 RVG im gleichen Umfang wie die Wahlanwaltsvergütung in § 13 RVG, mithin um 10 Prozent, erhöht worden sind.

Das führte dann zu folgenden neuen Werten:

Gegenstandswert bis … EUR

Gebühr … EUR

5.000

284

6.000

295

7.000

306

8.000

317

9.000

328

10.000

339

13.000

354

16.000

369

19.000

384

22.000

399

25.000

414

30.000

453

35.000

492

40.000

531

45.000

570

50.000

609

über 50.000

659

Beispiel

Der Rechtsanwalt ist als Pflichtverteidiger in einem Verfahren tätig, in dem vom Gericht ein Betrag von 40.000 EUR Dealgeld eingezogen wird. Das Gericht setzt den Gegenstandswert auf 40.000 EUR fest.

Nach altem Recht betrug die aus der Staatskasse zu zahlende gesetzliche zusätzliche Gebühr Nr. 4142 VV RVG (Tabelle zu § 49 RVG a.F.):

Nr. 4142 VV RVG

(Gegenstandswert: 40.000 EUR, aber Kappung bei 30.000 EUR)

447,00 EUR

Nach neuem Recht/nach dem KostRÄG 2021 beträgt die aus der Staatskasse zu zahlende gesetzliche Gebühr Nr. 4142 VV RVG (Tabelle zu § 49 RVG n.F.):

Nr. 4142 VV RVG

(Gegenstandswert 40.000 EUR, keine Kappung bei 30.000 EUR)

659,00 EUR

4. Keine Erklärung zur Vorsteuerabzugsberechtigung im Festsetzungsverfahren gegen die Staatskasse (§ 55 Abs. 5 RVG)

Das Festsetzungsverfahren des beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts, also i.d.R. des Pflichtverteidigers gegen die Staatskasse ist in § 55 RVG geregelt. § 55 Abs. 5 S. 1 RVG hat früher auf § 104 Abs. 2 ZPO verwiesen. Daraus hat die Rechtsprechung teilweise den Schluss gezogen, dass von dem beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalt auch die in § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO geregelte Erklärung zur Vorsteuerabzugsberechtigung im Festsetzungsverfahren gegen die Staatskasse nach § 55 RVG abzugeben war.[30] Das KostRÄG v. 21.12.2020 hat nun den Verweis in § 55 Abs. 5 S. 1 auf § 104 Abs. 2 ZPO durch einen Verweis lediglich auf § 104 Abs. 2 S. 1 und 2 ZPO ersetzt, um so klarzustellen, dass im Verfahren gem. § 55 RVG keine Erklärung zur Vorsteuerabzugsberechtigung abzugeben ist.

5. „Höchstgebühren eines Wahlanwalts“ (§ 58 Abs. 3 S. 4 RVG)

Die Anrechnung von Vorschüssen und Zahlungen, die der bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt in Angelegenheiten erhalten hat, in denen sich die Gebühren nach den Teilen 4 bis 6 VV RVG bestimmen, ist in § 58 Abs. 3 RVG geregelt.[31] In der Praxis ist bei der Anwendung von § 58 Abs. 3 RVG (früher) diskutiert worden, wie die Begrenzung in § 58 Abs. 3 S. 4 RVG auf die „Höchstgebühren eines Wahlanwalts“ zu verstehen war. Zum einen konnte die Regelung dahin verstanden werden, dass die im VV RVG vorgesehene obere Rahmengrenze maßgebend ist, zum anderen können darunter aber auch die im Einzelfall konkret entstandenen angemessenen Gebühren eines Wahlverteidigers verstanden werden.[32]

Das KostRÄG 2021 v. 21.12.2020 hat die Frage in Richtung der erstgenannten Auslegung klargestellt.[33] Dazu ist die Formulierung „als die Höchstgebühren“ durch die Formulierung „als die im Vergütungsverzeichnis vorgesehenen Höchstgebühren“ ersetzt worden.

Diese Klarstellung erledigt die Diskussion in der Praxis. Die (Neu-)Regelung erfolgte vor dem Hintergrund, dass es nach Auffassung des Gesetzgebers eine im Einzelfall angemessene „Höchstgebühr“ nicht gibt, angemessen sei immer nur eine konkrete, der Höhe nach feststehende Gebühr.[34] Begründet wird sie auch damit, dass die Ermittlung der im Einzelfall entstandenen Wahlanwaltsgebühr das Festsetzungsverfahren erheblich verkomplizieren würde und sehr streitanfällig sei. Zudem sind die für die Ermittlung der jeweiligen Gebühr maßgeblichen Bemessungskriterien des § 14 RVG dem Gericht häufig nicht vollständig bekannt und müssten durch Mitwirkung des Verteidigers/Rechtsanwalts aufwändig ermittelt werden. Hierdurch würde – so die Gesetzesbegründung[35] – das in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG eingeräumte Bestimmungsrecht missachtet werden. I.Ü. wäre u.U. zu prüfen, ob dem Verteidiger/Rechtsanwalt eine Pauschgebühr nach § 42 RVG zusteht. Deshalb wird eine Anrechnung oder Zurückzahlung jetzt gesetzlich nur für solche Fälle vorgesehen, in denen die höchste denkbare sich aus dem VV RVG ergebende Wahlanwaltsvergütung überschritten wird. Mit der Formulierung „im Vergütungsverzeichnis vorgesehenen …“ ist zudem klargestellt, dass eine Pauschgebühr nach § 42 RVG keine Berücksichtigung findet.

In „Altfällen“, in denen die Neuregelung wegen der Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 RVG ggf. noch nicht gilt (vgl. oben), sollte sich der Verteidiger/Rechtsanwalt auf die neue – für ihn günstige – Formulierung berufen.

6. Übergangsrecht (§ 60 RVG)

Die frühere Übergangsregelung in § 60 RVG a.F. ist in der Praxis kritisiert worden, weil sie zu Nachteilen bei bereits in der Vorinstanz mandatierten Rechtsanwälten und solchen, die erstmalig für ein Rechtsmittelverfahren beauftragt worden sind, führte.[36] Daher hat man § 60 Abs. 1 S. 1 RVG neu gefasst, wobei sich im Gesetzgebungsverfahren Änderungen ergeben haben.[37] Dazu an dieser Stelle nur kurz Folgendes; über die Einzelheiten werden wir in einem gesonderten Beitrag berichten:

Es bleibt dabei, dass es grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Auftragserteilung bzw. den der Bestellung/Beiordnung – Stichwort: Pflichtverteidiger – ankommt. Das KostRÄG 2021 v. 21.12.2020 hat aber die sog. Zweispurigkeit im Rechtsmittelverfahren aufgehoben. Unabhängig davon, ob der Verteidiger/Rechtsanwalt in der Vorinstanz tätig war, gilt für ihn nun ausschließlich der Zeitpunkt des Auftrags für das Rechtsmittelverfahren. Das gilt auch für den bestellten/beigeordneten Rechtsanwalt. Auch für ihn vermeidet das KostRÄG 2021 v. 21.12.2020 die bisherige Zweispurigkeit.[38] Maßgebend ist jetzt immer die zugrunde liegende Auftragserteilung. Nur dann, wenn es an einer solchen fehlt, was beim Pflichtverteidiger der Fall sein kann, wird auf die Beiordnung oder Bestellung abgestellt.

IV. Änderungen in Teil 4 VV RVG (Vorbem. 4.1 Anm. 3 RVG) – Längenzuschläge

Das KostRÄG 2021 v. 21.12.2020 hat im Vergütungsverzeichnis des Teil 4 VV RVG nur eine einzige Änderung vorgenommen, und zwar hat es in Vorbem. 4.1 VV RVG eine Anm. 3 angefügt. Die lautet: „Kommt es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung an, so sind Wartezeiten und Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag als Teilnahme zu berücksichtigen. Dies gilt nicht für Wartezeiten und Unterbrechungen, die der Rechtsanwalt zu vertreten hat, sowie für Unterbrechungen von jeweils mehr als einer Stunde, soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden.“

Diese (Neu-)Regelung steht in Zusammenhang mit den für Pflichtverteidiger/beigeordnete Rechtsanwälte in den Nrn. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122, 4123, 4128, 4129, 4134 und 4135 VV RVG vorgesehenen Längenzuschlägen zu den Hauptverhandlungsterminsgebühren, wenn sie an einem Hauptverhandlungstag mehr als fünf oder acht Stunden teilnehmen. Bei der Berechnung der für den Längenzuschlag maßgebenden Dauer der Hauptverhandlung gab es in Rechtsprechung und Literatur zahlreiche Zweifels-/Streitfragen und eine umfangreiche und zum Teil kleinteilige Rechtsprechung.[39]

1. Frühere Rechtsprechung

Der frühere Stand der Rechtsprechung/Literatur in dieser Diskussion lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen:[40]

Weitgehend einig war man sich, dass es für den Beginn der Hauptverhandlung nicht auf deren tatsächlichen, unter Umständen verzögerten Beginn ankommt, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem der Rechtsanwalt geladen und tatsächlich erschienen ist. Ob Sitzungspausen abzuziehen waren, wurde nicht einheitlich beantwortet. Einigkeit bestand, dass kurze Unterbrechungen der Hauptverhandlung nicht abgezogen werden mussten. Muss sich der Rechtsanwalt in Bereitschaft halten, unterbricht etwa das Gericht die Hauptverhandlung für eine Beratung über einen Antrag, wurde auch diese Zeit als Hauptverhandlungsdauer anerkannt, auch wenn formal während der Unterbrechung eine Hauptverhandlung nicht stattfindet. Wurde die Sitzung für eine Pause unterbrochen, in der sich die Beteiligten regelmäßig aus dem Gerichtssaal entfernen und daher nicht mehr zur Verfügung stehen, bestand Uneinigkeit, unter welchen Voraussetzungen diese Pausen zur Sitzungsdauer rechnen. Von der wohl überwiegenden Zahl der OLG wurde eine Sitzungspause abgezogen, wenn der Rechtsanwalt sie sinnvoll nutzen kann.[41] Dabei brachten einige Gerichte grds. Sitzungspausen ab einer Stunde Dauer in Abzug.[42]

2. Die Neuregelung

Dieses Durcheinander hat das KostRÄG 2021 auf der Grundlage der vorliegenden Rechtsprechung durch eine generalisierende Regelung geändert, die eine einfache Feststellung ermöglichen soll, ob die Voraussetzungen für die Gewährung eines Längenzuschlags erfüllt sind. Danach gilt:[43]

Grds. werden Wartezeiten und Unterbrechungen während eines Verhandlungstags als Teilnahme an der Hauptverhandlung berücksichtigt. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Pflichtverteidiger die Wartezeit oder die Unterbrechung zu vertreten hat oder die Unterbrechung länger als eine Stunde dauert. Die Berücksichtigung von Wartezeiten, die der Rechtsanwalt nicht zu vertreten hat, ist zutreffend und korrespondiert mit der Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG, wonach die Terminsgebühr auch entsteht, wenn der Rechtsanwalt zu einem anberaumten Termin erscheint, der Termin aber aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht stattfindet.

Hinsichtlich der Unterbrechungen/Pausen am Hauptverhandlungstag erscheint dem Gesetzgeber[44] eine Nichtberücksichtigung der Berechnung der für einen Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungszeit bei einer Dauer der Unterbrechung von mehr als einer Stunde sachgerecht. Dabei soll es jeweils auf die Dauer der einzelnen Unterbrechungen und nicht auf die Gesamtdauer der Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag ankommen, es wird also nicht zusammengezählt.[45] Die Bewertung, ob der Rechtsanwalt eine Unterbrechung – die Gesetzesbegründung erwähnt ausdrücklich als Beispiel die Mittagspause – sinnvoll für andere Tätigkeiten nutzen kann, ist weder dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle noch dem Gericht möglich. Es soll daher nicht darauf ankommen, ob der Rechtsanwalt sie im konkreten Einzelfall sinnvoll genutzt hat oder überhaupt nutzen konnte. Der Streit um die Berücksichtigung der Mittagspause ist also erledigt. Eine (Mittags-)Pause von nicht mehr als einer Stunde ist also bei der Berechnung der maßgeblichen Hauptverhandlungszeit zu berücksichtigen. Längere Pausen werden nicht berücksichtigt

Da eine (ggf. sinnvolle) Nutzung einer Unterbrechung aber nur möglich ist, wenn der Rechtsanwalt bei der Anordnung der Unterbrechung deren Zeitraum kennt, sieht die (neue) Anm. 3 vor, dass ggf. auch längere Pausen berücksichtigt werden. Das soll dann der Fall sein, wenn der oder die Vorsitzende die Hauptverhandlung für unbestimmte Zeit – etwa für eine Beratungspause – unterbricht. Auch soll nur der angekündigte Zeitraum der Unterbrechung nicht als Teilnahme an der Hauptverhandlung berücksichtigt werden.

Die Neuregelung gilt in Verfahren, in denen die Bestellung/Beiordnung ab 1.1.2021 erfolgt ist.[46] In „Altfällen“, in denen die Neuregelung ggf. noch nicht gilt, sollte sich der Verteidiger/Rechtsanwalt auf die neue – für ihn im Zweifel günstigere – Formulierung berufen, wenn es um die Berücksichtigung von Wartezeiten/Pausen Streit gibt.

3. Auswirkungen/Beispiele

Die Auswirkungen der Neuregelung verdeutlichen folgende Beispiele:

Beispiel

Es wird eine Unterbrechung der Hauptverhandlung von 90 Minuten angeordnet. Die Fortsetzung der Hauptverhandlung erfolgt aus vom Verteidiger nicht zu vertretenden Gründen erst nach zwei Stunden.[47]

Für die Berechnung der Hauptverhandlungszeit gilt: Nicht berücksichtigungsfähig sind lediglich die (angekündigten) 90 Minuten. Über die restlichen 30 Minuten kann der Verteidiger nicht mehr frei verfügen, sondern muss sich für die Fortsetzung der Hauptverhandlung im oder in der Nähe des Gerichtssaals bereithalten. Diese Situation ist vergleichbar mit einer Wartezeit aufgrund eines verspäteten Sitzungsbeginns.

Nach Vorbem 4.1 Anm. 3 S. 2 Hs. 2 VV RVG sollen Unterbrechungen nur dann nicht als Teilnahme an der Hauptverhandlung zu berücksichtigen sein, wenn der Rechtsanwalt sie zu vertreten hat.

Beispiel

Der Verteidiger stellt in der Hauptverhandlung einen Antrag, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, weil eine Besprechung mit dem Mandanten erforderlich sei.

Nach der Gesetzesbegründung[48] soll die Dauer dieser Unterbrechung nicht als Hauptverhandlungszeit zu berücksichtigen sein. Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass der Verteidiger die Unterbrechung „zu vertreten har“. Zudem handele es sich insoweit um Vorbereitungsaufwand für den (fortzusetzenden) Hauptverhandlungstermin, der bereits über die Grundterminsgebühr (ohne Längenzuschlag) abgegolten werde. Das ist m.E. nicht zutreffend. Denn der Rechtsanwalt hat doch eine solche Unterbrechung der Hauptverhandlung nicht „zu vertreten“ i.e.S., d.h. ihm ist doch kein Schuldvorwurf zu machen. Und man lässt auch außer Betracht, dass es sich eben nicht um Vorbereitungsaufwand für den Hauptverhandlungstermin i.e.S. handelt, sondern um sich aus dem Verlauf der Hauptverhandlung ergebende zusätzliche Tätigkeiten, die zu zusätzlichem Zeitaufwand des Verteidigers führen. Warum soll er die nicht vergütet bekommen?

V. Änderungen in Teil 5 VV RVG (Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG) – Zeugenbeistand

In Teil 5 VV RVG hat das KostRÄG 2021 eine Änderung vorgenommen, in der m.E. erhebliche Brisanz steckt. Dies gilt zwar nicht unbedingt für die Abrechnung von Tätigkeiten nach Teil 5 VV RVG, aber für die Abrechnung der Tätigkeiten des als Zeugenbeistand im Strafverfahren tätigen Rechtsanwalts. Die damit zusammenhängenden Fragen sind in Rechtsprechung und Literatur erheblich umstritten, sie gehören sicherlich mit zu den meist umstrittenen Fragen des RVG.[49]

1. Frühere Formulierung

Es ist nämlich heftig umstritten gewesen, wie die den Zeugenbeistand betreffenden Regelungen in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG einerseits und in Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG andererseits, die unterschiedlich formuliert waren, zu verstehen sind.

a) Zeugenbeistand in Strafsachen

Nach Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG sind im Strafverfahren für die Tätigkeit als Zeugenbeistand die Vorschriften des Teils 4 VV RVG entsprechend anzuwenden. Da der Zeugenbeistand ggf. nach § 68b Abs. 2 StPO nur für die Dauer der Vernehmung beigeordnet wird, geht ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass der (beigeordnete) Zeugenbeistand vergütungsrechtlich nicht wie ein Verteidiger nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, sondern wie ein Rechtsanwalt zu behandeln ist, der in einem Strafverfahren eine Einzeltätigkeit ausübt, also nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG.[50]

b) Zeugenbeistand in Bußgeldsachen

Die früher geltende Regelung für das Bußgeldverfahren in Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG weicht von der Formulierung in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG ab. Dort war bestimmt, dass für die Tätigkeit als Zeugenbeistand in einem Verfahren, für das sich die Gebühren nach diesem Teil bestimmen, die gleichen Gebühren wie für einen Verteidiger in diesem Verfahren entstehen. Nach dem eindeutigen Wortlaut gelten für diesen Zeugenbeistand ausschließlich die Gebührenregelungen für Verteidiger nach Teil 5 Abschnitt 1 VV RVG. Diese abweichende Formulierung ist von einem Teil der Rechtsprechung und Literatur – zutreffend – als Beleg dafür gesehen worden, dass auch im Strafverfahren der beigeordnete Zeugenbeistand wie Verteidigerinnen und Verteidiger zu vergüten ist.[51]

2. Die Neuregelung

Das KostRÄG 2021 hat diese Formulierungen angeglichen, und zwar so, dass die Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG an die Regelung in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG angeglichen worden ist. Dem Gesetzgeber[52] erschien es im Hinblick auf die ausdrückliche Beschränkung der Beiordnung in § 68b Abs. 2 StPO auf die Dauer der Vernehmung sachgerecht, den Zeugenbeistand wie Rechtsanwälte zu vergüten, die keine Verteidiger sind und nur eine Einzeltätigkeit ausüben. Diese Sicht ist m.E. falsch. Allerdings: Durch die Angleichung fällt ein Argument weg, das früher als Beleg für die „richtige“ Abrechnung des Zeugenbeistands im Strafverfahren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG angeführt worden ist. Man wird sehen, ob die Auffassung, die sich für die Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG ausspricht, noch weiter zurückgehen wird.

VI. Änderungen in Teil 7 VV RVG (Auslagen)

In Teil 7 VV RVG sind zwei Änderungen vorgesehen, die auch für Verteidiger von Bedeutung sein werden.

1. Fahrtkosten (Nr. 7003 VV RVG)

Das KostRÄG 2021 hat die gestiegenen Anschaffungs- und Betriebskosten für Kraftfahrzeuge zumindest teilweise kompensiert. Der Fahrtkostenersatz für den Rechtsanwalt bei Benutzung des eigenen Kraftfahrzeugs ist von 0,30 EUR auf 0,42 EUR für jeden gefahrenen Kilometer erhöht worden.

2. Tage- und Abwesenheitsgeld/Geschäftsreise (Nr. 7005 VV RVG)

In Nr. 7005 VV RVG waren früher – je nach Länge der Abwesenheit des Rechtsanwalts – Tage- und Abwesenheitsgelder von 25 EUR, 40 EUR und 70 EUR vorgesehen. Diese sind auf 30 EUR, 50 EUR und 80 EUR angehoben worden, um die Tage- und Abwesenheitsgelder bei einer Geschäftsreise an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen.[53]

VII. Inkrafttreten

Art. 7 des KostRÄG 2021 hat zwei unterschiedliche Zeitpunkte für das Inkrafttreten vorgesehen, und zwar:

Die Änderung der allgemeinen Übergangsvorschrift des § 60 RVG[54] ist bereits am Tag nach der Verkündung des Gesetzes, also am 30.12.2020, in Kraft getreten. Damit ist sichergestellt worden, dass für die Anpassungen des RVG bereits die neue Übergangsvorschrift Anwendung findet.[55] I.Ü. ist das Gesetz am 1.1.2021 in Kraft getreten.

VIII. Fazit/Bewertung

1. Änderungen halbherzig

Wie kann man dieses KostRÄG 2021 betreffend die Teile 4 und 5 VV RVG bewerten? Nun, m.E. passt am besten: Es röhrt ein Elefant und er gebiert eine Maus. Oder: Es handelt sich um sehr halbherzige Änderungen/Anpassungen des RVG, die m.E. deutlich die Handschrift der Bundesländer erkennen lassen, die Angst um ihre klammen Staatskassen haben, wofür auch der Versuch spricht, das Inkrafttreten selbst dieses Gesetzes noch um zwei Jahre zu verschieben. Die Bundesländer wollen so wenig wie möglich an zusätzlichem Geld für Rechtsanwälte ausgeben. Daher auch die zeitgleiche Anhebung der Gerichtskosten pp. Dagegen hatten sich BRAK und DAV gewehrt. Und was haben wir jetzt? Ein KostRÄG. Wie man zu dessen Entwurf schreiben konnte: „Auch wenn nicht alle Forderungen von DAV und BRAK in den vorliegenden Regierungsentwurf Eingang gefunden haben – das vorliegende Ergebnis ist ein Erfolg und zeigt, dass sich die Mühen der letzten Monate gelohnt haben“,[56] erschließt sich mir – zumindest für die Teile 4 und 5 VV RVG – nicht. Denn zumindest für diese Teile ist nicht einer der im gemeinsamen Katalog von DAV und BRAK[57] enthaltenen Vorschläge umgesetzt worden. Und nicht nur das: Die Abrechnung der Tätigkeiten des Zeugenbeistands im Strafverfahren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG wird gegenüber der bisherigen Regelung noch weiter erschwert. Da hat es auch nichts geholfen, wenn man dagegen in der „Gemeinsamen Stellungnahme Bundesrechtsanwaltskammer und Deutscher Anwaltverein“ aus August 2020[58] Sturm gelaufen ist. Im Gesetzgebungsverfahren hat sich nichts mehr geändert.

2. Vermisste Änderungen

Angetreten war man mal mit einem 3. KostRMoG bzw. das sollte kommen. Dass der RegE. von September 2020 den Namen nicht zu Recht tragen würde, hatte dann auch wohl das BMJV erkannt und nennt das vorgesehene Gesetz dann lieber nur KostRÄG 2021. Ein KostRMoG wäre es – bezogen auf die Teile 4 und 5 VV RVG zumindest teilweise – gewesen, wenn man die gemeinsamen Vorschläge von DAV und BRAK[59] aufgegriffen hätte. Dann hätte man endlich die Tätigkeiten des Zeugenbeistands im Strafverfahren angemessen honoriert, wie es schon mal der Entwurf für das 2. KostRMoG vorgesehen hatte, bevor das BMJV vor den Bundesländern gekniffen hat. Vielleicht hätte man auch endlich mal die Regelung in der Nr. 4102 VV RVG überarbeiten können und weitere Termine, an denen der Rechtsanwalt im Strafverfahren teilnimmt, honorieren können. Denn es ist doch nicht einzusehen, warum ein Verteidiger, der an einem vom Gericht anberaumten Abstimmungsgespräch nach § 213 Abs. 2 StPO teilnimmt, diese Teilnahme nicht besonders vergütet bekommen soll. Dasselbe gilt für die Teilnahme des Verteidigers an Durchsuchungsmaßnahmen oder an Erörterungen des Standes des Verfahrens nach den §§ 160b, 202a StPO. Auch die unsinnige Bündelung der zu einer Vernehmungsterminsgebühr nach Nr. 4102 VV RVG führenden Termine in S. 2 der Anm. zu Nr. 4102 RVG müsste längst entfallen. Das in dieser Regelung erkennbar werdende Misstrauen gegenüber dem Verteidiger als „Gebührenschinder“ ist nicht berechtigt. Und: Warum repariert man nicht auch endlich die Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG und macht auch das Einscannen von Akten (wieder) „abrechnungsfähig“? Da führt man das beA ein und ist auf dem Weg zur elektronischen Akte, verharrt aber bei der Abrechnung der Herstellung und Überlassung von Dokumenten im Papierzeitalter.

3. Unzureichende lineare Anhebung

Hauptkritikpunkt ist m.E. aber der Grad der linearen Anhebung der anwaltlichen Gebühren um durchschnittlich nur zehn Prozent, die für alle Teile des RVG gilt. Das hört sich zunächst nach viel an. Das ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass die letzte Erhöhung durch das 2. KostRMoG aus dem Jahr 2013 stammt, also fast acht Jahre zurückliegt, und davor die Anwaltsgebühren letztmals 1994 angehoben worden sind. Die Einführung des RVG im Jahr 2004 hatte keine linearen Erhöhungen gebracht. Die Erhöhungen, die durch das RVG eingetreten sind, waren auf die geänderten Strukturen zurückzuführen. Zehn Prozent nicht viel? Nein, das ist nicht viel. Wenn man sich mal die Steigerungen in anderen Bereichen in dem Zeitraum ansieht, werden die zehn Prozent mehr sehr schnell aufgefressen. Und: Wenn ich richtig gerechnet habe, dürften die Gehälter der Bundesbeamten in dem Zeitraum um rund 20–25 % brutto gestiegen sein.

Alles in allem: M.E. ist eine Chance auf eine vernünftige Anhebung der anwaltlichen Vergütung und eine Modernisierung des RVG mal wieder vertan.



[1] BGBl I, S. 3229.

[2] Vgl. auch Burhoff, RVGreport 2020, 402; Volpert, AGS 2020, 445.

[3] BR-Drucks 565/20.

[4] Vgl. BR-Drucks 565/1/20.

[5] Vgl. BR-Drucks 721/20.

[6] Vgl. auch VII.

[7] BGBl I, S. 2586.

[8] Dazu Burhoff, StraFo 2013, 397 u. RVGreport 2013, 330.

[9] Vgl. auch Volpert, RVGreport 2020, 362; zur Bewertung s. unten VII.

[10] Dazu III.

[11] Vgl. II. 2.

[12] Dazu Volpert, RVGreport 2020, 362.

[13] Vgl. Burhoff, RVGreport 2020, 402 f.; Volpert, RVGreport 2020, 362, 364; ders., AGS 2020, 445 f.

[14] Burhoff, in: Burhoff/Volpert, RVG in Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2018, Nr. 4100 VV RVG Rn 59 f., demnächst 6. Aufl. 2021.

[15] Burhoff, a.a.O., Nr. 4143 VV RVG Rn 39 ff.

[16] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Vorbem. 4.3 VV RVG Rn 74 ff.

[17] Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 5200 VV RVG Rn 21.

[18] Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 5100 VV RVG Rn 6 ff.

[19] BT-Drucks 19/23484, S. 75 f.

[20] BT-Drucks 19/23484, S. 76.

[21] Vgl. dazu eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 48 Abs. 6 und Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl., § 48 Rn 194 ff.; Burhoff, StraFo 2014, 454; ders., RVGreport 2008, 129.

[22] Nach OLG Celle RVGreport 2020, 93 = StraFo 2019, 526 = JurBüro 2019, 577 = AGS 2019, 554.

[23] So unzutreffend OLG Braunschweig NStZ-RR 2014, 232 = AGS 2014, 402; OLG Hamburg JurBüro 2018, 17 = RVGreport 2018, 50 = StraFo 2018, 41; OLG Celle StraFo 2019, 526 = JurBüro 2019, 577 = AGS 2019, 554 = RVGreport 2020, 93; OLG Koblenz StraFo 2012, 290 = AGS 2012, 390 = StRR 2012, 319 = JurBüro 2012, 522 = RVGreport 2013, 227; OLG Oldenburg RVGreport 2011, 220 = RVGprofessionell 2011, 104; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2018 64 = RVGreport 2018, 14 = JurBüro 2018, 79; LG Dessau-Roßlau JurBüro 2015, 643 = AGS 2015, 513; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 8.1.2019 – 5 Qs 120/18; ähnlich OLG Celle, Beschl. v. 2.1.2007 – 1 Ws 575/06; OLG Rostock RVGreport 2009, 304 = StRR 2009, 279 = RVGprofessionell 2009, 155.

[24] So zutreffend KG JurBüro 2009, 531 = RVGreport 2010, 64 = NStZ-RR 2009, 360 (Ls.); OLG Bremen RVGreport 2013, 14 = StRR 2012, 436 = RVGprofessionell 2012, 186; OLG Hamm RVGreport 2005, 273 = AGS 2005, 437 = JurBüro 2005, 532; StraFo 2017, 391 = AGS 2017, 457 = RVGreport 2019, 376; OLG Jena JurBüro 2009, 138 (Ls.) = Rpfleger 2009, 171; LG Aurich, RVGreport 2011, 221 = StRR 2011, 244; LG Bonn, Beschl. v. 30.8.2006 – 37 Qs 22/06; LG Dortmund StraFo 2006, 258.

[25] KG JurBüro 2009, 531 = RVGreport 2010, 64 = NStZ-RR 2009, 360 (Ls.); OLG Bremen RVGreport 2013, 14 = StRR 2012, 436 = RVGprofessionell 2012, 186; OLG Hamm RVGreport 2005, 273 = AGS 2005, 437 = JurBüro 2005, 532.

[26] So bisher schon die zutreffende Rechtsprechung bei Fn 24; s.a. Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 48 Rn 205; Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 48 RVG Rn 26; N. Schneider, StraFo 2014, 410, 413.

[27] BT-Drucks 19/23484, S. 78.

[28] Dazu aus neuerer Zeit Burhoff, RVGreport 2019, 82; Klüsener, JurBüro 2018, 169.

[29] Art. 6 Nr. 22 des Gesetzes zur Umstellung des Kostenrechts und der Steuerberatergebührenverordnung auf EUR vom 27.4. 2001 (BGBl I, S. 751).

[30] OLG Celle RVGreport 2014, 20 = AGS 2014, 80; a.A. OLG Braunschweig AGS 2017, 525; OLG Frankfurt a. M. AGS 2018, 146; OLG Hamburg RVGreport 2013, 348 = AGS 2013, 428; OLG München RVGreport 2016, 456 = AGS 2016, 528.

[31] Vgl. dazu die Kommentierung bei Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., § 58 RVG Rn 1 ff.; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 58 RVG Rn 54 ff.

[32] OLG Jena RVGreport 2018, 95 = Rpfleger 2018, 231; OLG Koblenz RVGreport 2019, 421; LG Aachen JurBüro 2020, 298 = RVGreport 2020, 303; LG Bad Kreuznach RVGreport 2019, 14.

[33] So schon OLG Jena, OLG Koblenz, LG Aachen und LG Bad Kreuznach, jeweils a.a.O.

[34] BT-Drucks 19/23484, S. 80.

[35] BT-Drucks 19/23484, S. 80.

[36] Vgl. schon Volpert, RVGreport 2020, 362, 369 u. AGS 2020, 445, 447.

[37] Vgl. zum ursprünglichen Entwurf BT-Drucks 19/23484, S. 90; zur Gesetz gewordenen Fassung BT-Drucks 19/24740, S. 92,

[38] Vgl. zum Übergangsrecht in den Fällen der Pflichtverteidigung nach altem Recht Burhoff/Volpert/Volpert, Teil A: Übergangsvorschriften (§ 60 f.), Rn 2094 ff.

[39] Vgl. die Übersicht bei Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4110 VV RVG Rn 15 m.w.N. aus der Rechtsprechung; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., Nrn. 4108–4111 VV RVG Rn 22 ff. m.w.N.

[40] Vgl. die vorstehenden Literaturhinweise und BT-Drucks 19/23484, S. 84 f.

[41] Burhoff, a.a.O., Nr. 4110 VV RVG Rn 20, 23 m.w.N.

[42] Burhoff, a.a.O., Nr. 4110 VV RVG Rn 22 f.

[43] BT-Drucks 19/23484, S. 85.; zu allen auch Volpert, AGS 2020, 445, 454 f.

[44] BT-Drucks 19/23484, S. 85.

[45] BT-Drucks 19/23484, S. 85.

[46] Vgl. oben VII.

[47] Nach BT-Drucks 19/23484, S. 85.

[48] BT-Drucks 19/23484, S. 85.

[49] Vgl. zum Meinungsstand Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4.1 VV RVG Rn 5 ff. m.w.N. aus Rspr. und Lit.

[50] Vgl. die Nachweise bei Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4.1 VV RVG Rn 9 ff.

[51] Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4.1 VV RVG Rn 11 f. m.w.N.

[52] BT-Drucks 19/23484, S. 86.

[53] BT-Drucks 19/23484, S. 86.

[54] Vgl. III. 6.

[55] BT-Drucks 19/23484, S. 87.

[56] https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/news/rvg-anpassung-startschuss.

[57] Vgl. Hansens, RVGreport 2018, 202, 204.

[58] Stellungnahme Nr. 40/2020 bzw. Stellungnahme Nr. 54/2020, jeweils S. 8., s. Hansens, RVGreport 2020, 361.

[59] Vgl. Hansens, RVGreport 2018, 202 ff.


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