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aus ZAP Heft 22/2022, F 22 R, S. 1241

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Rechtsprechungsübersicht zum Strafrecht 2021/2022

Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Inhaltsverzeichnis

I. Allgemeiner Teil des StGB
  1. Einziehung (§§ 73 ff. StGB)
    a) Allgemeines 
    b) Erlangte Taterträge/erlangter Wert
  2. Strafzumessung
    a) Tagessatzhöhe bei ALG II
    b) Rechtsprechungsübersicht Strafzumessung
      aa) Allgemeine Erwägungen. 6
      bb) Deliktsbezogene Erwägungen. 8
II. Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB)
III. Corona und StGB
IV. Verkehrsstrafrecht
  1. Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB)
  2. Nochmals: Feststellungen bei der Drogenfahrt
  3. Verbotenes Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB)

Inhaltsverzeichnis

I. Allgemeiner Teil des StGB

1. Einziehung (§§ 73 ff. StGB)

a) Allgemeines

Durch das „Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung“ v. 13.4.2017 (BGBl I 872) sind mit Wirkung ab 1.7.2017 die materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften zur „Einziehung“ umfassend umgestaltet worden; der „Verfall“ ist vollständig entfallen (zu alledem eingehend Deutscher, StRR 9/2017, 4 und ZAP F. 21, 301; Köhler, NStZ 2017, 497; Köhler/Burkhard, NStZ 2017, 665). Es ist inzwischen deutlich zu erkennen, dass die Neuregelung in der Praxis angekommen ist. Denn insb. die auf der Homepage der BGH veröffentlichten Entscheidungen zeigen, dass sich die LG mit den Fragen auseinandersetzen, häufig aber Fehler machen, die dann zur Teilaufhebung und Zurückverweisung führen, wenn der BGH nicht die ihm nach § 354 Abs. 1a StPO in Teilbereichen grds. mögliche eigene Sachentscheidung trifft (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 354 Rn 26e). Die mit den §§ 73 ff. StGB zusammenhängenden Fragen sind daher für den Strafverteidiger von erheblicher Bedeutung. Die dazu inzwischen vorliegende Rechtsprechung kann aber wegen des Umfangs hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden. Insoweit wird auf die Rechtsprechungsübersichten von Deutscher in StRR 2/2019, 5; StRR 3/2019, 4 und StRR 12/2020, 6, zuletzt StRR 11/2022, 5 und auf Bittmann, NStZ 2020, 517 und 648 sowie Meißner, StraFo 2021, 266 verwiesen.

Hinweis:

Der Verteidiger muss auch den gebührenrechtlichen Aspekt der mit den §§ 73 ff. StGB zusammenhängenden Fragen im Auge behalten. Denn im Zweifel entstehen für seine Tätigkeit eine oder mehrere zusätzliche Verfahrensgebühren nach Nr. 4142 VV RVG (vgl. dazu eingehend Burhoff in: Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Kommentierung zu Nr. 4142 VV, Burhoff, RVGreport 2019, 82). Da es sich bei der Gebühr Nr. 4142 VV um eine Verfahrensgebühr handelt, für die Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG gilt, ist der vom Verteidiger für das Entstehen der Gebühr zu erbringende Aufwand nicht hoch. Erfasst werden von der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG nämliche sämtliche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf die Einziehung erbringt und die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung haben. Das ist auch (schon) bei Erhebung der (nur) allgemeinen Sachrüge der Fall, die dem Revisionsgericht das gesamte Urteil einschließlich der Einziehungsentscheidung zur Überprüfung unterbreitet (BGH RVGreport 2019, 103, NStZ-RR 2019, 127). Das sollte man als Verteidiger nicht übersehen, denn in der Problematik kann eine „Menge Geld stecken“.

Inhaltsverzeichnis

b) Erlangte Taterträge/erlangter Wert

Etwaserlangt“ i.S.d. Vorschriften über die Einziehung hat ein Täter oder Teilnehmer „durch“ die Tat, wenn ihm ein Vermögenswert unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er dessen faktischer Verfügungsgewalt unterliegt, insb. also die Tatbeute. Auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse kommt es dabei nicht an, weil es sich bei dem Erlangen um einen tatsächlichen Vorgang handelt (BGH NStZ 2021, 668 m. Anm. Bittmann). “Für die Tat“ i.S.v. § 73 Abs. 1 Alt. 2 StGB, § 73c S. 1 StGB sind Vorteile erlangt, die einem Beteiligten als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, jedoch nicht auf der Tatbestandsverwirklichung beruhen (BGH NStZ-RR 2021, 336 [Ls.] = StRR 11/2021, 19 [Gehm]).

Hinweis:

Im Fall der Tötung des Erblassers durch einen seiner Erben ist eine Einziehung des Nachlasses nach den §§ 73 ff. StGB ausgeschlossen, weil die Rechtslage betreffend die Erbschaft in einem solchen Fall vorrangig und abschließend in §§ 2339 Abs. 1 Nr. 1, 2340 ff. BGB geregelt ist (BGH, Beschl. v. 9.3.2021 – 1 StR 487/20, NStZ-RR 2021, 207 im Anschluss an BGH, Beschl. v. 23.1.2020 – 5 StR 518/19, NStZ 2020, 477 = StRR 6/2020, 22).

In dem Zusammenhang ist hinzuweisen auf folgende Entscheidungen (w.N. bei Deutscher, StRR 11/2022, 6 ff.):

Im BGH, Beschl. v. 13.1.2022 (1 StR 481/21, NStZ-RR 2022, 135-136 = wistra 2022, 246 = StRR 6/2022, 28) hat der BGH zur Einziehung bei gemeinschaftlich begangener gewerbsmäßiger Steuerhehlerei Stellung genommen. Nach dem Sachverhalt bestellte die Angeklagte als Mitglied einer auch aus dem X und Y bestehenden Gruppierung im Zeitraum Mai 2015 bis Juni 2016 bei polnischen Verkäufern in 74 Fällen unversteuerte Zigaretten. Dabei bestimmte sie nicht nur die Zigarettenmarke und die Anzahl der Zigaretten, sondern koordinierte auch die Übergabe der Ware an X und Y bzw. an beauftragte Helfer. Die Zigaretten wurden sodann mit einem Gewinn von mind. 6 € pro Stange weiterveräußert. Bis Mai 2016 führte die Angeklagte die Bücher der Gruppierung und war für die Bezahlung der Festgehälter der Helfer zuständig. Mit X und Y teilte sie sich den Gewinn. Die Angeklagte wurde vom LG wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in 74 Fällen verurteilt, da sie sich zusammen mit X und Y die Zigaretten verschaffte (§ 374 Abs. 1 Var. 1 AO, § 25 Abs. 2 StGB). Des Weiteren wurde die Einziehung des Wertes der veräußerten Zigaretten angeordnet, wobei die Angeklagte Gesamtschuldnerin war. Es wurde hierbei ein Verkaufspreis von mindestens 22 € pro Stange zugrunde gelegt (§§ 73 Abs. 1, 73c S. 1 Var. 2, 73d Abs. 2 StGB).

Der BGH (a.a.O.) hat die Einziehungsentscheidung für rechtmäßig gehalten. Voraussetzung für die Einziehung sei, dass der Angeklagten i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB etwas in irgendeiner Phase des Tatablaufs aus der Verwirklichung des Tatbestandes so zugeflossen sei, dass sie hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben konnte. „Erlangtes Etwas“ ist bei der Steuerhehlerei nicht die von den Vortätern erzielte Steuerersparnis, sondern die Zigaretten (BGH NZWiSt 2021, 351 mit Anm. Gehm, wistra 2021, 317; BGH wistra 2020, 161 mit Anm. Gehm). Dabei genüge bei mehreren Tatbeteiligten eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über den Vermögensgegenstand in Form eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses des ungehinderten Zugriffs. Dies könne sich beim am Ort anwesenden die Beute oder Teile hiervon in den Händen haltenden Mittäter auch in einer Abrede über die Beuteteilung widerspiegeln, weil er somit zu seinen oder der anderen Beteiligten Gunsten über die Beute, indem er in einer Absprache mit diesen Teile des gemeinsamen Erlangten sich selbst oder den anderen zuordnet, verfügt (BGH, Beschl. v. 26.10.2021 – 2 StR 311/21; BGH wistra 2020, 106). Eine solche Verfügungsgewalt habe bei der Angeklagten bzgl. der gesamten erworbenen Zigaretten vorgelegen, weil sie die Lieferung der Zigaretten an die Gruppierung steuerte indem die Mittäter bzw. die Helfer sich den Weisungen der Angeklagten unterwarfen (§ 855 BGB). Bei der Weiterveräußerung der Ware seien die vereinnahmten Gelder bei ihr zusammengelaufen und sie habe sodann den zu verteilenden Gewinn bestimmt, so dass eine Anwesenheit bei der Entgegennahme der Kaufpreisgelder nicht erforderlich gewesen sei. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang die steuerliche Haftung nach § 71 AO.

Hinweis:

Die Entscheidung zeigt, dass bei gemeinsam begangenen Steuerhehlerei nicht etwa jeder Mittäter nur für seinen Beuteanteil der Einziehung unterliegt, sondern er ggf. gesamtschuldnerisch für den gesamten Betrag desjenigen, was aus der Tat erlangt wurde, einzustehen hat.

Der BGH hat dann in seinem Beschl. v. 19.5.2022 (1 StR 405/21, StRR 8/2022, 23) (noch einmal) zur Einziehung bei einer nicht tatbeteiligten Person Stellung genommen. Voraussetzung für das Vorliegen eines sog. Verschiebungsfalles gem. § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a) StGB ist danach, dass nachgewiesen ist, dass der Dritte aus einer Straftat etwas erlangt hat. Nach dem Sachverhalt haben die Angeklagten S und W, zwei Brüder, Vergnügungs- und Umsatzsteuer hinterzogen. Steuerschuldner war nur der S. Gegen ihn erging neben der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe eine Einziehungsverfügung wegen ersparter Aufwendungen für Abgaben und Umsatzsteuern i.H.v. 1.051.857,09 €. Da W weder Steuerschuldner noch ihm die sonstige Erlangungen von Vermögenswerten aus den Taten des S nachweisbar waren, erging gegen ihn keine Einziehungsanordnung. Allerdings wurde gegen die Schwester A der beiden Angeklagten die Einziehung i.H.v. 201.000 € angeordnet. Hintergrund war, dass die Brüder nach Anlagemöglichkeiten für die ersparten Abgaben bzw. Steuern gesucht hatten. In diesem Zusammenhang erwarb der W unter Einschaltung der A als Strohfrau drei Immobilien, wobei er beim Kauf als Bevollmächtigter der A auftrat. Den Kaufpreis von 172.000 € entrichtete W entweder in bar beim Notartermin oder ließ diesen aus seinem Vermögen von Strohleuten entrichten. Zwei der Immobilien wurden für 29.000 € zudem renoviert. Insofern war das KG davon ausgegangen, dass der A von W und S aus den Taten insgesamt 201.000 € unentgeltlich übertragen worden seien, mithin unterliege sie nach §§ 73b Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, 73 Abs. 1, 73c S. 1 StGB der Einziehung von Wertersatz i.H.v. insgesamt 201.000 €.

Der BGH (a.a.O.) hat die Einziehungsentscheidung gegen die Schwester A aufgehoben. Nur S als Steuerschuldner habe unmittelbar durch die Abgaben- und Steuerhinterziehung eine Ersparnis i.H.d. nicht gezahlten Abgaben und Steuern erlangt. Das durch die Taten erlangte „Etwas“ i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB habe mithin bereits bei S der Einziehung des Wertersatzes nach § 73c S. 1 StGB unterlegen, weil sich ersparte Aufwendungen als nicht gegenständliche Vorteile bereits mit ihrer Inanspruchnahme verbrauchen (BGH, Urt. v. 18.12.2018 – 1 StR 36/17, NZG 2019, 427). Der W selbst habe allerdings nichts aus den Taten erlangt, die von W der A zum Kauf und der Renovierung der Immobilien unentgeltlich zugewandten finanziellen Mittel würden somit nicht der Wertersatzeinziehung unterliegen.

Inhaltsverzeichnis

2. Strafzumessung

a) Tagessatzhöhe bei ALG II

Das LG Frankfurt/Oder hat zur Bestimmung der Tagessatzhöhe bei einem Bezieher von ALG II Stellung genommen (Beschl. v. 27.7.2022 – 24 Qs 45/22, StraFo 2022, 366). Dem Verfahren lag ein Strafbefehl wegen eines in einem Discounter begangenen Diebstahls von Waren im Gesamtwert von 27,56 € zugrunde. Das AG hat eine Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 20 € festgesetzt. Auf den Einspruch des Angeklagten und Beschränkung des Einspruchs auf die Höhe des Tagessatzes, hat das AG die Höhe des Tagessatzes auf 24 € festgesetzt. Dagegen hat der Angeklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Jobcenter (AGL II) i.H.v. insgesamt 721,75 € (Regelbedarf: 446 €, Sachleistung Miete: 275,75 €) erhalte und die vom Gericht vorgenommene schematische Anwendung des § 40 Abs. 2 StGB ermessensfehlerhaft sei. Die Leistungen für die Miete seien nicht frei verfügbar, ohne seine persönliche Existenz durch Obdachlosigkeit zu gefährden, und das zum Lebensbedarf Unerlässliche, d.h. 70 % des Regelbedarfs (§ 43 SGB II), müsse ihm erhalten bleiben. Auch habe er bereits auf ein Forderungsschreiben der Geschädigten einen Betrag i.H.v. 98 € an diese gezahlt.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Das LG (a.a.O.) hat die Tagessatzhöhe des Strafbefehls auf 10 € gesenkt. Das LG hat dabei grds. zur Festsetzung der Tagessatzhöhe in diesen Fällen Stellung genommen. Grundlage für die Festsetzung der Tagessatzhöhe ist danach das Nettoeinkommen – zum Zeitpunkt der Entscheidung – als Saldo der anzurechnenden Einkünfte und der abziehbaren Belastungen, das wirtschaftlich gesehen die Leistungsfähigkeit und den Lebenszuschnitt des Täters bestimmt (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 40 Rn 6 und 7, m.w.N.). Bei einkommensschwachen Personen, wie Empfängern von AGL II, kommt es damit auf die Gesamtheit der Unterstützung- oder Versorgungsleistungen samt etwaigen Sachbezügen an (Fischer, a.a.O., § 40 Rn 11 m.w.N.). Gemessen an diesen Grundsätzen wären damit die dem Angeklagten vom Jobcenter gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (AGL II) i.H.v. 721,75 € (Regelbedarf plus Sachleistung) als Nettoeinkommen anzusetzen, aus denen sich eine Tagessatzhöhe i.H.v. 24,40 € ergäbe.

Die vorgenannte Berechnung stößt nach Auffassung des LG aber bei einem Angeklagten, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (ALG II) bezieht und finanziell am Existenzminimum lebt, an rechtstaatliche Grenzen. Es bedürfe daher einer nicht formelhaften und individuellen Ausgestaltung der Bestimmung der Tagessatzhöhe. Der systembedingt härteren Betroffenheit dieser Angeklagten könne durch Senkung der Tagessatzhöhe entgegengewirkt werden (Fischer, a.a.O., § 40 Rn 11 a m.w.N.), was auch dem Gedanken, dass die Bemessung der Höhe des Tagessatzes keine rein schematische Berechnung sein dürfe, Rechnung getragen werden (Fischer, a.a.O., § 40 Rn 6 a m.w.N.).

Dabei geht das LG in zwei Schritten vor:

  • Im ersten Schritt muss dem Bezieher von Sozialleistungen ein Betrag verbleiben, der es ihm ermöglicht, ein menschenwürdiges Leben ohne die Gefahr der Obdachlosigkeit zu führen. Der Gefahr der Obdachlosigkeit kann nach Auffassung des LG in erster Linie entgegengewirkt werden, wenn die diesbezügliche Sachleistung bei dem Bezieher der Leistungen ungekürzt verbleibt und damit diese Sachleistung von dem anrechenbaren Nettoeinkommen abgesetzt wird.
  • Von dem verbleibenden Regelbedarf ist dann der Betrag zu ermitteln, der zur Sicherung des Lebensunterhaltes unerlässlich ist. Der „unerlässliche Lebensbedarf“ richtet sich nach dem Recht der Sozialhilfe (§ 26 Abs. 2 SGB XII) und ist ein Bruchteil zwischen 70 % und 80 % des jeweiligen Regelbedarfs nach der Anlage zu § 28 SGB XII (VGH München NVwZ-RR 1994, 398 [70 %]; OVG Bremen FEVS 37, 471 [80 %]), wobei die Kammer den Bruchteil mit einem Mittelwert von 75 % bestimmt (so auch OLG Köln, Beschl. v. 10.6.2011 – III-1 RVs 96/11; LG Köln, Urt. v. 25.4.2018 – 153 Ns 89/17, jeweils und m.w.N.). Der drei bis Vierfache Betrag der Differenz zwischen dem Regelbedarf und dem zum Leben unerlässlichen Betrag bildet dann den Geldbetrag, der als monatlich anzurechnendes Nettoeinkommen zur Berechnung der Tagessatzhöhe zugrunde gelegt wird (Fischer, a.a.O., § 40 Rn 11 a m.w.N.). Darüber hinaus kann im Einzelfall – unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel – die Tagessatzhöhe auch unterhalb eines Dreißigstel der monatlichen anzurechnenden Geldzahlungen festgesetzt werden (OLG Köln, a.a.O.).

Im entschiedenen Fall bedeutete dies, dass für den Angeklagten bei einem aktuellen Regelsatz zum Zeitpunkt der Entscheidung i.H.v. monatlich 449 € (Anlage zu § 28 SGB XII: eine erwachsene Person, die in einer Wohnung lebt, Regelbedarfsstufe 1 ab dem 1.1.2022) der zum Leben unerlässliche Betrag mit monatlich 336,75 € zu beziffern war. Die Differenz dieses Betrages zum Regelsatz beträgt somit 112,25 € monatlich und damit 3,75 € täglich. Bei der konkreten Berechnung der Tagessatzhöhe war mind. der dreifache Betrag des Differenzbetrages zugrunde zu legen und unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel war die Tagessatzhöhe unterhalb eines Dreißigstels der monatlichen anzurechnenden Geldzahlungen festzusetzen (OLG Köln, a.a.O.), weil der Angeklagte bereits an die Geschädigte 98 € zahlte, sodass im Ergebnis die Tagessatzhöhe i.H.v. 10 € festzusetzen war.

Hinweis:

Verfahrensrechtlich ist zu der Entscheidung auf Folgendes hinzuweisen: Das LG hätte im Übrigen eine Abänderung des Beschlusses des LG bereits deshalb vornehmen müssen, weil die Festsetzung der Höhe des Tagessatzes durch den zweiten Beschluss auf 24 € von der Festsetzung im Strafbefehl, die auf 20 € lautete, zum Nachteil des Angeklagten erfolgte. Damit wurde vom AG gegen das Verschlechterungsverbot des § 411 Abs. 1 S. 3, 2. Hs. StPO verstoßen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 411 Rn 2b).

Inhaltsverzeichnis

b) Rechtsprechungsübersicht Strafzumessung

Die nachfolgenden Ausführungen schließen sich an die früheren Berichte über die Rechtsprechung der Obergerichte, v.a. die des BGH, zu Strafzumessungsfragen an. Wegen der großen Zahl von Entscheidungen, die sich mit den Fragen befassen, erhebt die nachfolgende Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

aa) Allgemeine Erwägungen

Sachverhalt

Begründung

Das Jugendschöffengericht stützt die Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld maßgeblich darauf, dass der Angeklagte sich eines „Kapitalverbrechens“ (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1a) StGB) schuldig gemacht habe.

Unzulässig, da bei der Beurteilung der Schuldschwere i.S.v. § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung im Strafgesetzbuch als Verbrechen keine selbstständige Bedeutung zukommt (OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.7.2022 – 2 OLG 53 Ss 43/22 unter Hinweis auf BGH NStZ 2012, 164).

Aus den Urteilsgründen ist nicht zweifelsfrei zu erkennen, dass sich das Jugendschöffengericht bei der Bemessung der Höhe der Freiheitsstrafe am Erziehungsgedanken orientiert hat.

Rechtsfehlerhaft, weil die Urteilsgründe erkennen lassen müssen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.7.2022 – 2 OLG 53 Ss 43/22 unter Hinweis u.a. auf BGH NStZ-RR 2015, 154 f.).

Das LG, das dem Angeklagten zugutegehalten hat, sich noch am Tattag gestellt und sowohl bei der Polizei als auch in der Hauptverhandlung ein Geständnis abgelegt zu haben, hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er sich „nicht unmittelbar nach der Tat und auch erst dann der Polizei stellte, als diese bereits an seinem Fahrzeug stand, in dem sich ein Großteil der Beute, ein Teil der Kleidung, die der Angeklagte bei der Tat getragen hatte, sowie das Luftdruckgewehr befanden“. Außerdem hat das Landgericht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass er zunächst angab, von einem unbekannten Mann zu der Tat gezwungen worden zu sein, bevor er die Tatbegehung einräumte.

Die strafschärfende Bewertung dieser Umstände ist rechtsfehlerhaft, weil es sich um zulässiges Verteidigungsverhalten handelt, da ein Angeklagter sich im Verfahren nicht selbst zu belasten braucht (BGH, Beschl. v. 4.5.2022 – 6 StR 155/22; vgl. auch noch BGH, Beschl. v. 1.9.2021 – 4 StR 123/21).

Das LG hat strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits vor Prozessbeginn ein umfassendes Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung wiederholt hat. Es hat zudem die geständigen Angaben als nicht „nur taktisch motiviert“ bewertet, sondern als „besonders werthaltig“ und von aufrichtiger Reue getragen.

Wegen der zum Zeitpunkt des Geständnisses noch nicht geklärten Rechtsfrage der Verwertbarkeit von Encrochat-Daten ist dagegen revisionsrechtlich nichts zu erinnern (BGH, Urt. v. 20.7.2022 – 5 StR 29/22).

Das LG erwägt strafschärfend, der Angeklagte habe die Tat „keineswegs spontan aus einer Augenblickssituation heraus, sondern mit einem erkennbaren zeitlichen Vorlauf und nach sorgfältiger Überlegung“ begangen, weshalb es sich „in jeder Hinsicht um ein Rationaldelikt“ handele.

Rechtlich bedenklich. Neben dem Umstand, dass die Kennzeichnung der Tat als „Rationaldelikt“ unklar ist, lässt die Erwägung besorgen, dass das LG dem Fehlen eines Strafmilderungsgrunds rechtsfehlerhaft strafschärfende Bedeutung beigemessen haben könnte (BGH, Beschl. v. 21.7.2022 – 4 StR 213/22).

Bei der Strafzumessung wird der erheblichen Zeitablauf bis zum Urteil nicht berücksichtigt.

Erörterungsmangel, weil es sich insoweit um einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt handelt, und zwar v.a. dann, wenn der Angeklagte seither nicht mehr straffällig geworden ist (BGH, Beschl. v. 1.6.2022 – 6 StR 191/22).

Das LG setzt sich nicht mit der Frage auseinander, dass nach Anrechnung erlittener Untersuchungshaft (§ 51 Abs. 1 S. 1 StGB) nunmehr allein noch etwas mehr als ein Monat der Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist.

Durchgreifender Erörterungsfehler (BGH, Beschl. v. 22.3.2022 – 1 StR 62/22).

Das LG übersieht bei einem Angeklagten, einem Rechtsanwalt, bei einer Verurteilung wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage in Tateinheit mit Strafvereitelung (möglicherweise) drohende anwaltsgerichtliche Sanktionen gem. § 114 Abs. 1 BRAO.

Erörterungsmangel, der zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs führt (BGH, Beschl. v. 8.3.2021 – 3 StR 398/21).

Den Strafzumessungserwägungen lässt sich nicht entnehmen, dass die Strafkammer berücksichtigt hat, dass der Angeklagte mit Rechtskraft der Verurteilung seine Rechte als Ruhestandsbeamter und damit möglicherweise auch seine wirtschaftliche Basis verliert.

Nach § 46 Abs. 1 S. 2 StGB waren die Wirkungen zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 2.2.2022 – 5 StR 348/21).

Bemessung der Tagessatzhöhe

Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe ist dem Tatgericht ein weites Ermessen eingeräumt. Aufwendungen für die Berufsausbildung können, müssen aber nicht zwingend berücksichtigt werden (KG, Urt. v. 10.5.2022 – (3) 121 Ss 67/21 [27/21]).

Drohender Bewährungswiderruf bei bewusstem Bewährungsbruch als Strafzumessungsgrund.

Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob der drohende Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ein bestimmender Strafzumessungsgrund und daher zu erörtern ist. Ein (möglicher) Bewährungswiderruf als Folge eines bewussten Bewährungsbruchs durch den Täter ist regelmäßig nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen strafmildernd zu berücksichtigen (KG, Beschl. v. 11.2.2022 – (3) 121 Ss 170/21 [62/21]).

Der Angeklagte rügt, das AG habe bei der Strafabwägung zu § 115 Abs. 3 StGB rechtsfehlerhaft zu seinen Lasten gewertet, dass „sein Verhalten (...) weder ethisch, moralisch oder rechtlich gerechtfertigt“ sei.

Grundsätzlich unzulässig, auf diesem Rechtsfehler beruhte das Urteil jedoch nicht (OLG Hamm, Beschl. v. 10.3.2022 – 4 RVs 2/22).

bb) Deliktsbezogene Erwägungen

Sachverhalt

Begründung

Nach Auffassung des LG spricht gegen den Angeklagten, dass „das Tatopfer relativ zur Schutzgrenze des § 176a StGB etwas jünger war“.

Rechtlich bedenklich, aber unter den gegebenen Umständen war ein Beruhen der – milden – Einzelstrafen auf der rechtlich bedenklichen Erwägung auszuschließen (BGH, Beschl. v. 11.4.2022 – 4 StR 86/22).

Es wird bei einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen die §§ 176, 176a StGB berücksichtigt, dass die Geschädigte nur wenige Jahre von der Schutzaltersgrenze der §§ 176, 176a StGB entfernt ist.

Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (BGH, Beschl. v. 23.11.2021 – 2 StR 373/21).

Bei einem Kussversuch als Tat nach § 177 Abs. 1 StGB wird strafschärfend berücksichtigt, dass dieser sich gegen das Gesicht des Opfers richtete.

Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (KG, Beschl. v. 2.8.2021 – (2) 121 Ss 81/21 [11/21]).

Das LG hat angenommen, dass der Angeklagte, der seinem Opfer mehrere Messerstiche in den Oberkörper versetzt hatte, vom Tötungsversuch strafbefreiend zurückgetreten ist. Gleichwohl hat es i.R.d. Verneinung eines minder schweren Falles des § 224 StGB straferschwerend berücksichtigt, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz zugestochen hat.

Die Erwägung ist rechtsfehlerhaft, denn das Rücktrittsprivileg des § 24 StGB bewirkt, dass der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf (BGH, Beschl. v. 18.8.2021 – 5 StR 218/21).

Das LG hat i.R.d. Verneinung der Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 StGB in allen Fällen zu Lasten der Angeklagten gewertet, „dass sie sich an organisierter Kriminalität beteiligt hat“.

Damit wird unter Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB zum Nachteil der Angeklagten gewichtet, dass sie sich der organisierten Tätergruppe als Bandenmitglied angeschlossen hat. Dies war aber bereits ausschlaggebend für ihre Verurteilung wegen schweren Bandendiebstahls und hätte daher nicht nochmals straferschwerend berücksichtigt werden dürfen (BGH, Beschl. v. 25.8.2021 – 6 StR 329/21).

Das LG berücksichtigt bei einem BtM-Delikt strafschärfend, dass es sich bei Ecstasy „nicht mehr um eine weiche Droge“ handele.

Unzulässig, weil damit dem Angeklagten das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes angelastet wird (BGH, Beschl. v. 2.8.2022 – 4 StR 80/22).

Das LG berücksichtigt strafschärfend, dass der Angeklagte selbst kein Betäubungsmittelkonsument und daher „nicht etwa durch eine Abhängigkeitsproblematik zur Finanzierung des eigenen Konsums zur Tatbegehung bewegt worden“ sei.

Unzulässig, da die fehlende Abhängigkeit des Angeklagten als strafschärfenden Umstand bewertet und damit rechtsfehlerhaft das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes zu Lasten des Angeklagten gewertet wird (BGH, Beschl. v. 7.7.2022 – 4 StR 50/22).

Das LG berücksichtigt bei einer Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln straferschwerend, dass die Betäubungsmittel „auch tatsächlich in Umlauf gelangt“ seien.

Unzulässiger Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB (BGH, Beschl. v. 2.8.2022 – 4 StR 80/22).

Es wird das Motiv, die Drogen erworben zu haben, um den eigenen Konsum zu finanzieren, herangezogen.

Zulässig, weil Suchtdruck oder Angst vor Entzugsfolgen das Handeln eines Täters beeinflussen können (vgl. BGH, Beschl. v. 15.2.2022 – 2 StR 223/21).

Das LG wertet die Erfüllung des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit des § 29 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BtMG nicht strafschärfend.

Zwar kann die Erfüllung des Regelbeispiels im Rahmen der Strafzumessung innerhalb des Qualifikationstatbestandes des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafschärfend verwertet werden (vgl. BGH, Beschl. v. 28.10.2020 – 3 StR 319/20; Urt. v. 10.11.2021 – 2 StR 433/20), zwingend ist dies aber nicht (BGH, Urt. v. 20.7.2022 – 5 StR 29/22).

Das LG hat dem Angeklagten im Rahmen seiner Strafzumessungserwägungen bestimmend angelastet, dass der Wirkstoffgehalt des zum Handel bestimmten Kokains mit 112,29 g Kokainhydrochlorid den Grenzwert zur nicht geringen Menge „um mehr als das 120-Fache überschritten“ habe.

Rechtsfehlerhaft, da der Wirkstoffgehalt der Handelsmenge bei richtiger Berechnung lediglich etwas mehr als das 22-Fache des für Kokain geltenden Grenzwerts betrug (BGH, Beschl. v. 17.5.2022 – 6 StR 182/22).

Es wird strafschärfend der Umstand berücksichtigt, dass „die Betäubungsmittel sämtlich in den Handel gelangten“.

Die Erwägung ist rechtsfehlerhaft, weil dem Angeklagten hiermit das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes angelastet wird (BGH, Beschl. v. 19.1.2022 – 4 StR 456/21).

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II. Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB)

Das OLG Brandenburg hat sich im Beschl. v. 15.8.2022 (1 OLG 53 Ss 59/22) mit der Frage befasst, ob das LG Potsdam den Angeklagten zur Recht wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) mittels eines als Schlagwerkzeug eingesetzten Mobiltelefons verurteilt hatten. Das LG hatte das Mobiltelefon, mit dem der Angeklagte einem Zeugen „kräftig auf den Kopf“ schlug, was zu einer „kleinen Kopfplatzwunde“ geführt hatte, als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen: Feststellungen zum konkreten Einsatz des Mobiltelefons gegen den Kopf des Zeugen waren nicht getroffen worden. Das OLG (a.a.O.) hat auf die Revision des Angeklagten das Urteil insoweit aufgehoben und zurückverwiesen.

Dem OLG Brandenburg (a.a.O.) genügen die Feststellungen des LG nicht. Dass ein als Schlagwerkzeug eingesetztes Mobiltelefon grds. geeignet sei, erhebliche Verletzungen zuzufügen, reiche für die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung nicht aus (vgl. KG, Beschl. v. 5.11.2021 – (2) 121 Ss 100/21 (24/21), NStZ 2022, 512; OLG Bremen, Urt. v. 27.11.2019 – 1 Ss 44/19, StV 2020, 320 [Ls.]). Ein Gegenstand sei nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nur dann ein gefährliches Werkzeug, wenn es nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. BGH NStZ 2007, 95 m.w.N.). Ein Mobiltelefon kann dann als gefährliches Werkzeug gewertet werden, wenn ein kräftiger Schlag mit einer Kante oder Ecke des Telefons ausgeführt wurde. Ein Schlag mit einem nur in der flachen Hand gehaltenen Mobiltelefon in das Gesicht des Opfers stelle z.B. grds. keine Körperverletzung mittels gefährlichen Werkzeugs i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar, da hier nach Beschaffenheit und Art seiner Benutzung eine Eignung eines Mobiltelefons zur Herbeiführung einer erheblichen Körperverletzung, die über den Schlag mit der flachen Hand selbst hinausginge, nicht festzustellen ist (vgl. OLG Bremen, a.a.O.). Feststellungen dazu, wie der Angeklagte das Mobiltelefon beim Schlag auf den Kopf des Zeugen gehalten habe, habe das LG aber nicht getroffen. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Mobiltelefon beim Schlag mit der flachen Hand gehalten und so auf den Kopf des Zeugen geschlagen worden sei, konnte die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung nach Ansicht des OLG keinen Bestand haben.

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III. Corona und StGB

Nach wie vor werden zahlreiche Entscheidungen, die sich mit „Coronafragen“ befassen, veröffentlicht (vgl. dazu zuletzt auch die Rechtsprechungsübersicht von Deutscher StRR 5/2022, 5 ff.). Hier soll vor allem auf eine Problematik eingegangen werden, die die Gerichte im Berichtszeitraum besonders beschäftigt hat. Diese Problematik hat ihren Ursprung bei der Möglichkeit, sich ggf. durch Vorlage des Nachweises von Impfungen oder Testungen von „Corona-Beschränkungen“, insb. der Maskenpflicht, zu befreien. Diese Möglichkeit hat zu einer erheblichen Zahl von Fällen von gefälschten oder durch falsche Tatsachen erschlichenen ärztlichen Attesten, Impfzeugnissen und Testnachweisen geführt. In der Spruchpraxis der Gerichte war insoweit umstritten, ob diese Fälle von §§ 277, 279 StGB a.F. erfasst wurden oder nicht (wegen der Einzelheiten Deutscher, a.a.O., m.w.N.). Teilweise ist davon ausgegangen worden, dass hier eine Strafbarkeitslücke besteht (OLG Bamberg NJW 2022, 556), teilweise ist das verneint worden und man ist davon ausgegangen, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB bei der Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke zwecks Erlangung eines COVID-19-impfzertifikats nicht durch die Vorschriften der §§ 277 bis 279 StGB a.F. verdrängt wird (BayObLG, Beschl. v. 22.7. 2022 – 202 StRR 71/22; OLG Celle Urt. v. 31.5.2022 – 1 Ss 6/22, NJW 2022, 2054 = StraFo 2022, 294; OLG Hamburg, Beschl. v. 27.1.2022 – 1 Ws 114/21; OLG Stuttgart, Beschl. v. 8.3.2022 – 1 Ws 33/22, StV 2022, 397; OLG Schleswig, Beschl. v. 31.3.2022 – 1 Ws 19/22).

Hinweis:

Diese Frage wird nun bald obergerichtlich geklärt werden. Denn das OLG Karlsruhe hat dem BGH die Frage: „Entfalten die § 277 bis 279 StGB in der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung eine Sperrwirkung (privilegierende Spezialität), die bei Vorlage eines Impfausweises mit gefälschten Eintragungen über den Erhalt von Covid-19 Schutzimpfungen in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Covid-19-Impfzertifikats einen Rückgriff auf § 267 Abs. 1 StGB ausschließt und einer Verurteilung nach dieser Vorschrift entgegensteht?“, zur Entscheidung vorgelegt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.7.2022 – 2 Rv 21 Ss 262/22; vgl. auch noch das beim BGH unter 5 StR 283/22 anhängige Revisionsverfahren zur Frage der Strafbarkeit der Fälschung von Corona-Impfbescheinigungen, in dem die Hauptverhandlung am 10.11.2022 stattfindet).

Im Übrigen hat der Gesetzgeber auf den Streit in der Rechtsprechung reagiert. Er hat durch ein Änderungsgesetz vom 23.11.2021 (BGBl I, S. 4906), das am 24.11.2021 in Kraft getreten ist, u.a. den Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen in § 277 StGB grundlegend geändert. Nach der früheren Fassung war strafbar, wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder unberechtigt unter dem Namen einer solchen Person ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustands ausstellt oder ein derartiges echtes Zeugnis verfälscht und zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht. Entscheidend war hier also die Zweckbindung zur Vorlage bei Behörden oder Versicherungsgesellschaften. Die Vorlage von hier einschlägigen Dokumenten bei anderen Stellen war damit nicht erfasst. Nach der geänderten Fassung ist nach § 277 Abs. 1 StGB nun strafbar, wer zur Täuschung im Rechtsverkehr unter dem ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustands ausstellt, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften des 23. Abschnitts des StGB mit schwererer Strafe bedroht ist (vgl. dazu OLG Bamberg NJW 2022, 556 m. Anm. Deutscher StRR 2/2022, 24).

Hinweis:

Aus der Neufassung des § 277 StGB folgt, dass für die Sachbehandlung unterschieden werden muss zwischen Fällen vor und nach dem Inkrafttreten der Änderung am 24.11.2021.

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IV. Verkehrsstrafrecht

Breiten Raum hat im Berichtszeitraum wieder die Rechtsprechung der Obergerichte zu den auch die Praxis beherrschenden Verkehrsstraftaten eingenommen. Hinzuweisen ist auf folgende Entscheidungen:

1. Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB)

In dem vom BGH mit Urt. v. 9.12.2021 (– 4 StR 167/21, NJW 2022, 409, StRR 7/2022, 26, VRR 4/2022, 19) hatte der Angeklagte von einer Brücke 14 teilweise scharfkantige Schottersteine von unterschiedlicher Größe zwischen 3 x 3 cm bis 4 x 7 cm und einem Gesamtgewicht von etwa 470 g auf einen unter der Brücke fahrenden Pkw fallen lassen. Er wollte damit Wut und Frust abbauen. Da er keine Menschen töten, verletzen oder gefährden wollte, hatte er keine großen Steine genommen. Die Steine trafen das Dach des Pkw. Es entstand ein Sachschaden von etwa 4.800 €. Es kam nicht zu einem unkontrollierten Fahrmanöver des durch die Geräusche erschrockenen Fahrzeugführers. Das LG hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung verurteilt (§§ 315b, 303 StGB).

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die das Ziel der Verurteilung wegen der Qualifikation nach § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB hatte, hatte beim BGH (a.a.O.) keinen Erfolg. Dieser Qualifikationstatbestand sei nur verwirklicht, wenn es dem Täter darauf ankomme, einen Unglücksfall dadurch herbeizuführen, dass sich die von ihm verursachte konkrete Gefahr verwirkliche. Zwar müsse er nicht beabsichtigen, einen Personenschaden herbeizuführen. Es reiche auch die Absicht, einen Sachschaden zu verursachen (BGH NJW 2000, 226). Erforderlich sei aber stets, dass sich nach der Vorstellung des Täters durch seine Tathandlung i.S.d. § 315b Abs. 1 StGB eine verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht. Eine mögliche Absicht des Angeklagten, durch den Abwurf der Steine lediglich das Dach des Fahrzeugs zu beschädigen, erfülle die Anforderungen nicht. Sein Vorstellungsbild habe sich nicht darauf gerichtet, eine verkehrsspezifische Gefahr zu verwirklichen. Sie habe sich in der bloßen Herbeiführung einer Sachbeschädigung erschöpft. Denn der vorgestellte Schadenseintritt sei nicht auf die für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen, er unterscheide sich vielmehr nicht von einer Sachbeschädigung eines abgestellten Fahrzeugs.

Hinweis:

Der 4. Strafsenat schränkt in der Entscheidung die Qualifikation weiter ein: Die Absicht muss sich darauf richten, eine verkehrsspezifische Gefahr herbeizuführen. Das war hier nicht der Fall (vgl. dazu BGH NZV 2016, 400 zu Schüssen auf ein fahrendes Fahrzeug). Die Grenzen hängen allerdings vom Einzelfall ab. Eine verkehrsspezifische Gefahr hätte nach Auffassung des BGH angenommen werden können, wenn die Steine zumindest auch die Frontscheibe hätten beschädigen sollen und sich damit auf die Verkehrsdynamik ausgewirkt hätten. Das bedeutet für den Verteidiger, dass er diese Umstände des Einzelfalls in den Blick nehmen und ggf. dazu „vortragen“ muss.

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2. Nochmals: Feststellungen bei der Drogenfahrt

Der Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit i.S.v. § 316 StGB kann nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Diese Aussage des BGH im Beschl. v. 2.8.2022 (4 StR 231/22) entspricht ständiger Rechtsprechung (vgl. u.a. BGHSt 44, 219, 221 ff.; zuletzt AG Münster VA 2022, 180). Danach bedarf er weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt gewesen sei, dass er nicht mehr fähig gewesen sei, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern. Dies muss das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände beurteilen (vgl. BGHSt 31, 42, 44 ff.; Pegel in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 316 Rn 53).

Im entschiedenen Fall hatte das LG in einem grob fehlerhaften und risikoreichen Fahrverhalten des Angeklagten drogenbedingte Ausfallerscheinungen gesehen. Eine diese Annahme tragende Beweiswürdigung war den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen. Diese wäre nach Auffassung des BGH (a.a.O.) aber erforderlich gewesen, denn es verstehe sich unter den gegebenen Umständen – zwei Fälle der „Polizeiflucht“ – auch nicht etwa von selbst, dass in dem festgestellten Fahrverhalten des Angeklagten eine drogenbedingte Fahrunsicherheit zum Ausdruck gekommen sei. Insbesondere hätte in die Beurteilung einfließen müssen, dass das Fahrverhalten des Angeklagten in beiden Fällen darauf ausgerichtet gewesen sei, sich von ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen abzusetzen. Die Strafkammer hätte nach Auffassung des BGH deshalb erörtern müssen, ob und inwieweit die fehlerhafte und riskante Fahrweise des Angeklagten nicht auf seinem Fluchtwillen beruhte (vgl. dazu BGH StraFo 2017, 113). Die nicht weiter konkretisierte Feststellung, der Angeklagte sei auf der Autobahn „Schlangenlinien“ gefahren, sei für sich genommen noch nicht geeignet, seine Fahruntüchtigkeit bei einer der Taten zu belegen, zumal die Strafkammer auch hier einen allein fluchtbedingten Grund für das Fahrverhalten des Angeklagten nicht ausgeschlossen hatte.

Hinweis:

Zwar ist der Tatrichter nicht gehindert, auch bei einem Täter, der sich seiner Festnahme durch die Polizei entziehen will, in einer deutlich unsicheren, waghalsigen und fehlerhaften Fahrweise ein Beweisanzeichen für eine rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit zu sehen, er muss dazu jedoch ausreichende Feststellungen treffen. An der Stelle kann die Verteidigung mit der Revision ansetzen. Eine Aufhebung und Neuverhandlung bringt zumindest Zeitgewinn.

3. Verbotenes Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB)

In der Rechtsprechung haben die mit der Vorschrift des § 315d StGB zusammenhängenden Fragen erneut recht breiten Raum eingenommen. Hinzuweisen ist auf folgende (obergerichtliche) Entscheidungen:

An der Spitze steht der BVerfG, Beschl. v. 9.2.2022 (2 BvL 1/20, NJW 2022, 1160 = VRR 3/2022, 21) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des „Alleinraserparagrafen§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB. Das BVerfG hat die Verfassungsmäßigkeit der Regelung bejaht. Die Regelung sei mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB lasse die erfassten Rechtsgüter der Sicherheit des Straßenverkehrs, des Lebens, der körperlichen Integrität und des Eigentums ebenso deutlich werden wie die besonderen Gefahren, vor denen der Gesetzgeber sie schützen will. Hinsichtlich des Bezugspunkts der Tatbestandsmerkmale der groben Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit bestünden hinreichende Anknüpfungspunkte für eine methodengerechte Auslegung. Insbesondere könne der ausdrückliche Verweis in den Gesetzesmaterialien auf § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB – der ebenfalls als Bezugspunkt einen in der Norm aufgeführten Verkehrsverstoß voraussetzt – zur Auslegung herangezogen werden.

Der vom Gesetzgeber neu eingeführte Begriff der „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ könne im Rahmen seines Wortsinns methodengerecht ausgelegt werden. Zur Bestimmung der Parameter, nach welchen sich die „höchstmögliche Geschwindigkeit“ bemesse, könnten die Gesetzesmaterialien herangezogen werden, welche ausdrücklich auf die Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnisse verweisen. Ferner lasse die Formulierung des Absichtsmerkmals eine Auslegung zu, nach der es nicht darauf ankommt, ob sich der Täter allein mit der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, fortbewegt oder noch weitergehende Beweggründe – wie beispielsweise die Flucht vor der Polizei oder den Wunsch nach öffentlicher Anerkennung durch späteres Einstellen eines Videos ins Internet – verfolgt. Soweit das Absichtsmerkmal mit Blick auf die Abgrenzung zu noch straffreiem, allerdings womöglich nicht umfassend normkonformem oder rücksichtsvollem Verhalten im Straßenverkehr verbleibende Randunschärfen enthält, sei es einer Präzisierung durch die Rechtsprechung innerhalb des Wortsinns zugänglich. Die vom BGH vorgenommene Interpretation des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sei eine mögliche und methodengerechte Auslegung der Strafnorm (BGHSt 66, 27, NJW 2021, 1173 = VRR 4/2021, 13 = StRR 5/2021, 27 = DAR 2021, 395, 522; NStZ 2021, 615 = VRR 7/2021, 15 = StRR 10/2021, 25). Wenn dieser davon ausgehe, dass sich die Zielsetzung des Täters nach seinen Vorstellungen auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke beziehen müsse und sich nicht nur in der Bewältigung eines räumlich eng umgrenzten Verkehrsvorgangs erschöpfen dürfe, halte er sich i.R.d. Wortlautgrenze des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB und stelle methodengerecht auf die objektive Gefahrenlage ab.

Hinweis:

Nach Auffassung des BVerfG ist der Eingriff der Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG auch verhältnismäßig. Die Belange des Gemeinschaftsschutzes überwögen die Auswirkungen der Strafnorm des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auf die allgemeine Handlungsfreiheit. Dahinter müsse das Interesse, sich unter Verletzung der Straßenverkehrsordnung sowie der Missachtung von Rücksichtnahmepflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern mit höchstmöglicher Geschwindigkeit fortbewegen zu wollen, zurücktreten.

Auf folgende weitere Entscheidungen zu § 315d StGB ist hinzuweisen. Der BGH nimmt im BGH, Urt. v. 11.11.2021 (4 StR 511/20, StraFo 2022, 38 = VRR 1/2022, 14) zu Begriff, Beteiligungsformen und Gefahrerfolg beim verbotenen Kfz-Rennen Stellung. Danach ist ein Kraftfahrzeugrennen i.S.d. § 315d Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Dabei mache es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten.

§ 315d Abs. 2 StGB ist nach Auffassung des BGH (a.a.O.) ein eigenhändiges Delikt. Ein Teilnehmer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen i.S.d. § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB erfülle den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht deshalb nur, wenn er durch sein eigenes Fahrverhalten während der Rennteilnahme eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verursacht und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht. Nebentäterschaft könne vorliegen, wenn ein und derselbe Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt werde. Dies setze voraus, dass sich die Rennteilnehmer in derselben kritischen Rennsituation befinden und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang bestehe.

Der BGH, Beschl. v. 8.12.2021 (4 StR 224/20, StraFo 2022, 122 = VRR 2/2022, 13) hat die objektive und subjektive Zurechnung der Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 2 und 5 StGB zum Gegenstand. Der BGH weist in dieser Entscheidung noch einmal darauf hin, dass eine objektive Zurechnung des durch einen anderen Rennteilnehmer verursachten Gefahrerfolgs gem. § 315d Abs. 2 StGB nur möglich ist, wenn sich die Rennteilnehmer in derselben kritischen Rennsituation befinden und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht (insoweit Anschluss an BGH, Urt. v. 11.11.2021 (– 4 StR 511/20, StraFo 2022, 38 = VRR 1/2022, 14). In subjektiver Hinsicht neigt der 4. Strafsenat des BGH zu der Annahme, dass der Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen § 315d Abs. 2 und 5 StGB verlangt, dass sich im qualifizierenden Erfolg auch gerade der vorsätzlich herbeigeführte konkrete Gefahrerfolg niederschlägt. Das sei in Bezug auf die Erfolgsqualifikation des Todes eines anderen Menschen nur dann der Fall, wenn der Täter bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB auch im Hinblick auf die Gefährdung des Lebens anderer Menschen vorsätzlich gehandelt habe.

Das KG hat schließlich in zwei Entscheidungen zu den Voraussetzungen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB („Einzelrennen“) Stellung genommen. Das KG (KG, Beschl. v. 29.4.2022 – (3) 161 Ss 51/22 (15/22), VRR 9/2022, 14) geht auch davon aus, dass § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verfassungsgemäß ist (vgl. dazu auch BVerfG, Beschl. v. 9.2.2022 – 2 BvL 1/20, NJW 2022, 1160 = VRR 3/2022, 2). Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit i.S.v. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auszugehen ist, sei entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt. Eine Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit sei ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insb. den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist. Darüber hinaus richte sich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeugs. Die Tatbestandsmerkmale des grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens sind nach Auffassung des KG (a.a.O.) in gleicher Weise zu verstehen wie im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB. Und: Bei der „Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ müsse sich die Zielsetzung des Täters darauf richten, unter den konkreten situativen Gegebenheiten eine so hoch wie nur mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wobei eine weitergehende Motivation des Täters nicht ausgeschlossen ist.

Hinweis:

Nach Auffassung des KG (a.a.O.) kann i.R.d. Beweiswürdigung eine valide Schätzung der gefahrenen Geschwindigkeit ausreichen.

Hinzuweisen ist dann schließlich noch auf das KG, Urt. v. 18.1.2022 (3 Ss 59-60/21, StraFo 2022, 117 = StRR 5/2022, 34) zur Frage, ob sog. Donuts (360-Grad-Kehren) als unerlaubtes Kraftfahrzeugrennen in der Form des Einzelrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) anzusehen sind. Das hat das KG (a.a.O.) verneint.

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