(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "AGS" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "AGS" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
Der Verteidiger hat unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Vorschuss. Der Vorschussanspruch gegenüber dem Mandanten ergibt sich aus § 9 RVG, darüber wurde bereits in AGS 2024, 339 berichtet. Der in diesem Beitrag behandelte Vorschussanspruch des bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse folgt aus § 47 RVG.
§ 47 RVG gewährt dem Rechtsanwalt, dem ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht (vgl. § 45 RVG) (dazu II.), einen Anspruch auf Vorschuss, und zwar sowohl hinsichtlich seiner Gebühren als auch hinsichtlich seiner Auslagen (vgl. dazu IV., 3.). Der Rechtsanwalt kann, muss aber nicht, nach § 47 Abs. 1 S. 1 RVG einen Vorschuss aus der Staatskasse verlangen. Das gilt insbesondere für den in Straf- und Bußgeldsachen bestellten Rechtsanwalt, also den Pflichtverteidiger. Ob und in welcher Höhe der Rechtsanwalt einen Vorschuss verlangt, liegt ebenso wie das Vorschussverlangen nach § 9 RVG gegenüber dem Mandanten in seinem Ermessen.[1] Verlangt der Rechtsanwalt den Vorschuss, liegen die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 RVG vor und enthält der Antrag alle erforderlichen Angaben und Erklärungen, insbesondere gem. § 55 Abs. 5 S. 2 RVG zu erhaltenen Zahlungen, ist der Vorschuss vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (UdG) im Verfahren nach § 55 RVG festzusetzen und anschließend auszuzahlen. Der Antrag auf Festsetzung eines Vorschusses kann vom Urkundsbeamten nur abgelehnt werden, wenn die genannten Voraussetzungen für den Vorschuss nicht vorliegen.
Das Recht auf Vorschuss nach § 47 Abs. 1 RVG hat grds. jeder Rechtsanwalt, dem ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht.
Einen Vorschussanspruch haben (zu Sonderregelungen s. IV., 1., b) f.):
Zur Zahlung des Vorschusses verpflichtet ist nach § 47 Abs. 1 S. 1 RVG die Staatskasse. Der Vorschuss wird im Verfahren nach § 55 RVG festgesetzt (s. VI.). Die Staatskasse hat kein Ermessen hinsichtlich der Gewährung eines Vorschusses (s. I.).[6]
Das Recht auf Vorschuss nach § 47 Abs. 1 RVG steht allen in II. genannten Berechtigten zu.
Eine Sonderregelung gilt für den Pflichtverteidiger. Diesem ist nach der ausdrücklichen Regelung in § 51 Abs. 1 S. 5 RVG auf Antrag ein angemessener Vorschuss auf eine Pauschgebühr zu bewilligen, wenn ihm insbesondere wegen der langen Dauer des Verfahrens und der Höhe der zu erwartenden Pauschgebühr nicht zugemutet werden kann, die Festsetzung der Pauschgebühr abzuwarten. Dabei handelt es sich nicht um einen Vorschuss nach § 47 Abs. 1 RVG.[7] Insoweit besteht aber ein Anspruch neben dem Vorschussanspruch aus § 51 Abs. 1 S. 5 RVG,[8] der sich allerdings nur auf die gesetzlichen Gebühren richtet. Dieser Anspruch hat insofern für den Pflichtverteidiger Bedeutung, weil er die Frage der Unzumutbarkeit i.S.d. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG entfallen lassen kann.[9] Der Pflichtverteidiger wird daher im Zweifel vor der Geltendmachung eines Anspruchs nach § 51 Abs. 1 S. 5 RVG den Vorschussanspruch nach § 47 Abs. 1 RVG geltend machen.
Eine weitere Sonderregelung gilt für die Beratungshilfe. Nach § 47 Abs. 2 RVG kann die Gebühr Nr. 2501 VV nebst Auslagen nicht vorschussweise aus der Landeskasse verlangt werden. Entsprechendes gilt für die Beratungshilfegebühr Nr. 2500 VV.[10]
Für das Vorschussverlangen ist der Eintritt der Fälligkeit des (gesamten) Gebührenanspruchs nach § 8 RVG nicht Voraussetzung, vielmehr ist ungeschriebene Voraussetzung für die Gewährung einer Vorschusszahlung nach § 47 RVG, dass der Gebührenanspruch noch nicht fällig ist. Ist die Gebühr nämlich schon fällig, besteht für die Beantragung eines Vorschusses kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.[11] Vorschusserhebung bedeutet gerade, dass die Kosten bereits vor deren Fälligkeit geltend gemacht werden können.[12] Der Vorschussanspruch ist fällig mit der Entstehung der Gebühr, für die ein Vorschuss verlangt werden soll.[13] Weil gem. § 47 Abs. 1 S. 1 RVG ein Recht auf Vorschuss besteht, muss der gerichtlich beigeordnete oder bestellte Rechtsanwalt bei Geltendmachung von Gebühren und Auslagen vor Eintritt der Fälligkeit auch nicht ausdrücklich erklären, dass er vorschussweise abrechnet.[14]
Die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen ergeben sich aus § 47 Abs. 1 S. 1 RVG. Insoweit wird zwischen Gebühren und Auslagen unterschieden. Hinsichtlich der Gebühren kann der Rechtsanwalt einen Vorschuss nur auf die (bereits) entstandenen Gebühren verlangen. Die vorschussweise verlangten Gebühren müssen also bereits entstanden,[15] die Fälligkeit nach § 8 RVG muss jedoch noch nicht eingetreten sein. Der Anspruch unterscheidet sich also von dem Anspruch des Wahlanwalt nach § 9 RVG, der auch einen Vorschuss auf die voraussichtlich noch entstehenden Gebühren verlangen kann.[16]
Der Anspruch des Rechtsanwalts auf Vorschuss für Auslagen geht weiter. Er erfasst die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen. Die voraussichtlich entstehenden Auslagen sind unter Anwendung eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls bei einer weder zu engen noch zu weiten Auslegung zu prüfen. Die Entstehung muss im Rahmen des § 46 Abs. 2 RVG höchstwahrscheinlich sein.[17] Erfasst werden auch die Aufwendungen i.S.v. § 670 BGB.[18]
Auch der Anspruch auf Ersatz der Auslagen muss noch nicht fällig sein. Damit bietet neben der Möglichkeit des Vorgehens nach § 46 Abs. 2 RVG das Verfahren zur Festsetzung eines Vorschusses nach § 47 Abs. 1 RVG die Möglichkeit zu klären, ob Auslagen von der Staatskasse erstattet werden. Denn nach § 47 Abs. 1 können im Wege des Vorschusses die voraussichtlich entstehenden Auslagen aus der Staatskasse gefordert werden. Das bedeutet, dass die Staatskasse sich Gedanken machen muss, ob die Auslagen ggf. entstehen bzw. später zu erstatten sind.[19] Anders als die vorherige positive Feststellung nach § 46 Abs. 2 RVG, der Bindungswirkung zukommt, kann die Vorschussfestsetzung aber noch von der Staatskasse angefochten werden.[20]
Besonderheiten gelten nach § 47 Abs. 1 S. 2 RVG für die nach §§ 138, 270 FamFG beigeordneten bzw. nach § 67a Abs. 1 S. 2 VwGO bestellten Rechtsanwälte. Diese haben anders als früher nach der BRAGO nicht nur einen Vergütungs- sondern nach §§ 39, 40 RVG auch einen Vorschussanspruch gegen die Partei. Ein Anspruch gegen die Landeskasse entsteht nach § 45 Abs. 2 RVG in diesen Fällen aber erst, wenn der Verpflichtete mit der Zahlung auch nur teilweise in Verzug ist. Das gilt nach § 47 Abs. 1 S. 2 RVG für den Vorschuss entsprechend. Zur Geltendmachung des Vorschusses muss der Rechtsanwalt nachweisen, mindestens aber glaubhaft machen, dass er den Verpflichteten vergeblich zur Zahlung des Vorschusses aufgefordert hat. Dazu wird die Übersendung einer Ablichtung der an den Antragsgegner gerichteten Berechnung und des Mahnschreibens genügen.[21]
§ 47 Abs. 1 RVG gewährt einen angemessenen Vorschuss. Fraglich ist, was unter angemessen zu verstehen ist. Die Antwort auf diese Frage richtet sich nach dem Sinn und Zweck des Vorschusses. Dieser liegt, anders als beim Vorschussanspruch gegen den Mandanten nach § 9 RVG, der den Rechtsanwalt gegenüber dem Mandanten sichern soll,[22] nicht im sog. Sicherungsgedanken, sondern darin, dass dem Rechtsanwalt bereits für den Zeitraum zwischen dem Entstehen des Anspruchs und der sich nach § 8 RVG richtenden Fälligkeit, die ggf. länger hinaus geschoben sein kann, bereits eine Vergütung zukommen soll.[23] Deshalb richtet sich der angemessene Vorschussanspruch nach dem dem Rechtsanwalt zustehenden Erfüllungsanspruch.[24] Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt bei bereits entstandenen Gebühren diese in voller Höhe verlangen kann und sich nicht auf einen Teilbetrag verweisen lassen muss.[25] Der Vorschuss muss also nicht hinter der voraussichtlich endgültig anfallenden Gesamtvergütung zurückbleiben.[26] Der Vorschuss wird aber nicht unzulässig auf einen Teilbetrag beschränkt, wenn ein geringerer als der verlangte Vorschuss ausgezahlt wird, weil z.B. die Höhe des Vorschusses falsch ermittelt worden ist.[27] Bei den in den Teilen 4-6 VV bei gerichtlicher Beiordnung oder Bestellung regelmäßig anfallenden Festgebühren besteht der Vorschussanspruch daher in Höhe dieser Gebühren.
Für noch nicht entstandene Gebühren, wie z.B. eine Terminsgebühr, wenn ein Termin noch nicht wahrgenommen worden ist, kann ein Vorschuss nicht gefordert werden; die voraussichtliche Entstehung reicht nicht aus.[28] Ist der Rechtsanwalt im Wege der PKH beigeordnet bzw. zugezogen worden, kann dieser Vorschussanspruch allerdings wegen § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht geltend gemacht werden (Forderungssperre). Soweit Gebühren entstanden sind, darf der Rechtsanwalt sie in voller Höhe geltend machen.[29]
Bei Auslagen können die bereits entstandenen und die voraussichtlich entstehenden Auslagen verlangt werden (vgl. IV., 3.). Bei bereits entstandenen Auslagen kommt es auf die Angemessenheit nicht mehr an.[30] Bei noch entstehenden Auslagen, kann die Staatskasse die Angemessenheit im Hinblick darauf, ob die Auslagen zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit erforderlich sind, prüfen.[31] In beiden Fällen sind die Auslagen ebenfalls in voller Höhe zu bevorschussen. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Rechtsanwalt in der Lage ist, die Auslagen bis zur Fälligkeit seiner Vergütung nach § 8 RVG selbst zu tragen.[32]
Ein geleisteter Vorschuss für entstandene Auslagen eines Pflichtverteidigers kann zurückgefordert werden, wenn sich herausstellt, dass dieser zu Unrecht gezahlt wurde.[33] Die Rückforderung eines gezahlten Vorschusses wegen entstandener Fahrtkosten ist auch dann veranlasst, wenn die Feststellung, dass ein Auslagenerstattungsanspruch nicht besteht, allein auf einer geänderten rechtlichen Beurteilung der Angemessenheit der Fahrtkosten beruht.[34] Die Rückforderung eines zu Unrecht gezahlten Vorschusses darf dergestalt durchgesetzt werden, dass der Betrag von einer anderweitig veranlassten Vorschusszahlung in derselben Sache in Abzug gebracht wird.[35]
Stehen dem Rechtsanwalt Wertgebühren zu, ist der Vorschuss aus den Gebührentabellen der §§ 13, 49 RVG zu entnehmen.[36] Ein darüber hinausgehender Anspruch auf weitere Vergütung nach § 50 RVG kann erst nach dem Ende des Verfahrens geltend gemacht werden (vgl. II.).[37] Grundlage der Berechnung des Vorschusses ist der Gegenstandswert des Verfahrens. Ggf. ist dieser vom Gericht vorläufig festzusetzen.[38]
Bei Betragsrahmengebühren in Sozialgerichtsverfahren, wie z.B. Nrn. 3102, 3106 VV, kann der Rechtsanwalt den Vorschuss nach allgemeiner Meinung i.H.d. Mittelgebühr geltend machen.[39]
Verdient der beigeordnete oder bestellte Rechtsanwalt Festbetragsgebühren, wie nach den Teilen 46 VV, kann er nur diese dann aber in voller Höhe geltend machen.[40]
Der Vorschuss wird auf Antrag des Rechtsanwalts vom UdG des Gerichts des ersten Rechtszuges im Verfahren nach § 55 RVG festgesetzt.[41] Für den Antrag gelten die allgemeinen Regeln. Der Antrag ist an keine Form gebunden. Er kann schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden. Es besteht auch keine Frist. Die Vergütung muss noch nicht fällig sein, allerdings muss der Rechtsanwalt eine Tätigkeit erbracht haben, die zu einem Gebührenanspruch führt. Für den Inhalt des Antrags gilt § 55 Abs. 5 RVG. Das bedeutet, dass der Antrag die Erklärung nach § 55 Abs. 5 S. 2 RVG enthalten muss. Der Rechtsanwalt muss also angeben, ob und welche Zahlungen er bis zum Zeitpunkt der Antragstellung erhalten hat. Ggf. sind nach § 55 Abs. 5 S. 1 RVG die Angaben glaubhaft zu machen. Das kann insbesondere von Bedeutung sein, wenn ein Vorschuss auf noch entstehende Auslagen verlangt wird. Eine anwaltliche Versicherung reicht nach § 55 Abs. 5 S. 1 RVG, § 104 Abs. 2 S. 2 ZPO nur für vorschussweise verlangte Entgelte für Post- und Telekommunikationsentgelte aus, muss aber nicht für andere Auslagen als ausreichend anerkannt werden.[42]
Festgesetzt wird der Vorschuss nach § 55 RVG vom UdG des Gerichts des ersten Rechtszuges. Dieser hat hinsichtlich der Höhe des Vorschusses bei bereits entstandenen Gebühren und Auslagen kein Ermessen (dazu I. m.w.N.). Bei noch entstehenden Auslagen kann er die Angemessenheit prüfen (vgl. V., 1.). Ggf. ist ein vom Mandanten gezahlter Vorschuss anzurechnen (§§ 58, 55 RVG).[43]
Über den Vorschussantrag des Rechtsanwalts ist in angemessener Frist zu entscheiden. Geschieht das nicht, kann das jedenfalls nach längerem Zeitablauf einer Ablehnung der Festsetzung gleichkommen. Hiergegen kann Erinnerung gem. § 56 RVG eingelegt werden.[44] Diese geht dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 27 Abs. 1 EGGVG vor.[45] Wird auch auf diese Erinnerung vom Richter nicht reagiert, ist die Untätigkeitsbeschwerde möglich.[46]
Der Rechtsanwalt kann gegen die Festsetzung des Vorschusses durch den UdG gem. § 56 RVG Erinnerung einlegen.[47] Auch der Staatskasse steht das Erinnerungsrecht zu. Der Rechtsanwalt ist durch die vollständige Ablehnung oder teilweise Zurückweisung seines Vorschussantrags, die Staatskasse durch die Festsetzung des Vorschusses beschwert.
Über die Erinnerung wird vom Gericht des Rechtszugs, bei dem die Festsetzung erfolgt ist, durch Beschluss entschieden.[48] Gegen die Erinnerungsentscheidung ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG die Beschwerde zulässig, wenn die Beschwerdesumme 200,00 EUR übersteigt. Eine Änderung der Festsetzung von Amts wegen durch den Urkundsbeamten kommt nicht in Betracht.[49] Ggf. ist nach § 33 Abs. 6 RVG eine weitere Beschwerde zulässig, wenn das LG als Beschwerdegericht entschieden und sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung anstehenden Frage(n) zugelassen hat.
Nach den geltenden Bestimmungen über die Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung der Rechtsanwälte[50] ist der Urkundsbeamte im Fall der Festsetzung eines Vorschusses gehalten, die Fälligkeit der Vergütung (vgl. § 8 RVG) zu überwachen und dafür zu sorgen, dass der Vorschuss alsbald abgerechnet wird. Die Abrechnung des Vorschusses erfolgt dann i.d.R. bei der abschließenden Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung (§ 55 RVG). Nach Ziff. 1.5 der Verwaltungsbestimmungen[51] sind in den nach Geltendmachung des Vorschusses eingereichten Kostenberechnungen sämtliche Gebühren und Auslagen aufzuführen, wobei bereits gezahlte Beträge abzusetzen sind. Der Rechtsanwalt muss also in einem entsprechenden Vergütungsfestsetzungsantrag nach § 55 Abs. 5 S. 2 RVG auch die aus der Staatskasse erhaltenen Vorschüsse angeben.[52]
Bei der Rechenschaftspflicht des Rechtsanwalts nach Geltendmachung eines Vorschusses gegen die Staatskasse gem. § 47 RVG handelt es sich um eine echte Berufspflicht des Rechtsanwalts.[53] § 23 BORA verpflichtet den Rechtsanwalt nämlich, spätestens mit Beendigung des Mandats gegenüber dem Mandanten und/oder Gebührenschuldner über Honorarvorschüsse unverzüglich abzurechnen und ein von ihm errechnetes Guthaben auszuzahlen.[54] § 23 BORA erhebt die vertraglichen Auskunfts- und Rechenschaftspflichten des Anwalts in den Rang einer Berufspflicht.[55]
Ergibt sich bei dieser aufgrund des Festsetzungsantrags des Rechtsanwalts vorgenommenen Endabrechnung, dass an den beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalt bereits eine Überzahlung erfolgt ist, setzt der Urkundsbeamte den an den Rechtsanwalt zu viel gezahlten Betrag als Rückforderungsbetrag der Staatskasse fest.[56] Gegenüber diesem Rückzahlungsanspruch kann sich der Rechtsanwalt nicht auf Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen, weil nach allgemeiner Meinung § 818 Abs. 3 BGB auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht entsprechend anwendbar ist.[57]
Der Rückzahlungsanspruch verjährt gem. §§ 197, 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB in drei Jahren; die Verjährungsfrist beginnt mit Eintritt der Verjährung eines dem Rechtsanwalt ggf. zustehenden Gebührenanspruchs.[58] Verfahrensmäßig wird der Beschluss, durch den festgestellt wird, dass der Vorschuss zurückzuzahlen ist, und die Verfügung, mit der der Rechtsanwalt dann von der Staatskasse zur Rückzahlung aufgefordert wird, rechtlich als Aufhebung der Verfügung, durch die die Vergütung des Rechtsanwalts entsprechend der Vorschussbewilligung festgesetzt worden ist, angesehen.[59] Die Einrede der Verjährung ist allerdings ausgeschlossen, wenn der Rechtsanwalt schuldhaft die Abrechnung des Vorschusses unterlassen hat.[60]
Der statthafte Rechtsbehelf dagegen ist die Erinnerung gem. § 56 RVG (s. dazu VI., 3.).[61]
Stellt der beigeordnete oder bestellte Rechtsanwalt nach Erhalt des Vorschusses oder der Vorschüsse trotz der sich insoweit aus der Beiordnung oder Bestellung ergebenden Verpflichtung[62] keinen abschließenden Festsetzungsantrag mehr, kann der Urkundsbeamte seine Festsetzung(en) hinsichtlich des Vorschusses nicht von Amts wegen ändern und die Festsetzung des Rückforderungsbetrags der Staatskasse vornehmen.[63] Vielmehr muss der zuständige Vertreter der Staatskasse Erinnerung oder auch Beschwerde gem. § 56 RVG mit dem Ziel einlegen, eine Verringerung des Vorschusses zu erreichen.[64] Ein Antrag der Staatskasse nach § 55 RVG ist nicht möglich, da die Staatskasse insoweit nach § 55 Abs. 1 S. 1 kein Antragsrecht hat. Wird aufgrund des Rechtsmittels der Staatskasse der im Verfahren tatsächlich entstandene Betrag festgesetzt, kann die überzahlte Vergütung nach der Justizbeitreibungsordnung vom beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalt eingezogen werden.[65] Ob und in welcher Frist dieses Recht verwirken kann, ist umstritten.[66]
Der nachstehende Antrag ist entnommen Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 2626.
Muster: Antrag auf Festsetzung eines Vorschusses gem. § 47 RVG im Strafverfahren
An das |
AG /LG |
In der Sache |
./. |
Az. |
|
beantrage ich, |
gem. § 47 Abs. 1 RVG als Vorschuss die nachstehend berechneten Gebühren und Auslagen festzusetzen. |
Die angemeldeten Gebühren sind bereits entstanden. |
|
Ich war vor Eingang
o |
der Anklageschrift oder |
o |
des Antrags auf Erlass des Strafbefehls bei Gericht oder im beschleunigten Verfahren bis zum Vortrag der nur mündlich erhobenen Anklage tätig; meine Tätigkeit bestand in . |
Vorschüsse oder sonstige Zahlungen (§ 58 Abs. 3 RVG) habe ich
o |
Nicht |
o |
i.H.v. EUR erhalten. |
Aus der Staatskasse habe ich Vorschüsse (§ 47 Abs. 1 RVG)
o |
Nicht |
o |
i.H.v. EUR erhalten. |
Gebühren für Beratungshilfe habe ich
o |
Nicht |
o |
i.H.v. EUR erhalten. |
Ich werde nach Stellung des Festsetzungsantrages erhaltene Zahlungen unverzüglich anzeigen (§ 55 Abs. 5 S. 4 RVG).
Berechnung:
1. |
Grundgebühr |
2. |
Verfahrensgebühr(en) |
3. |
Terminsgebühr(en) |
4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
5. |
Weitere Auslagen |
6. |
Zwischensumme: |
7. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
Summe:
abzgl. Vorschüsse/Zahlungen (s.o.)
...
Rechtsanwalt
[1] Dazu Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Rn 2592.
[2] Vgl. dazu AnwK RVG/Fölsch/Volpert, 9. Aufl., 2021, § 45 Rn 8 ff.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., 2023, § 45 Rn 3 ff.
[3] OLG Bamberg JurBüro 1990, 725.
[4] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 1698.
[5] AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 45 Rn 25 f.
[6] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2592; zum Verfahren s. auch VI.; s. auch AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 47 Rn 18 ff. und Hartung, in: Hartung/Schons/Enders-Hartung, RVG, 3. Aufl., 2017, § 47 Rn 14 (kein Ermessen bei den Gebühren).
[7] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A 2601; zum Vorschuss auf die Pauschgebühr nach § 51 RVG s. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 94 ff.
[8] Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O., § 47 Rn 19.
[9] BVerfG NJW 2005, 3699 = RVGreport 2005, 467; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 71.
[10] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 527.
[11] OLG Rostock, Beschl. v. 29.9.2014 20 Ws 266/14, JurBüro 2105, 22 (Glaubhaftmachung von Fotokopierkosten); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 8.10.2020 L 7 AS 11/20 B.
[12] AG Lichtenberg AGS 2013, 274 = RVGreport 2013, 306 = VRR 2013, 163.
[13] Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O., § 47 Rn 23.
[14] Vgl. auch BGH, Beschl. v. 14.12.2017 VII ZR 253/17 zu § 9 RVG.
[15] AG Koblenz AGS 2005, 352.
[16] Burhoff, AGS 2024, 339.
[17] Vgl. AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 47 Rn 5; Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2598; Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O., § 47 Rn 15.
[18] OLG Celle, Beschl. v. 14.11.2022 14 W 30/22, AGS 2023, 19 = zfs 2023, 38; OLG Dresden AGS 2016, 141; OLG Hamm AGS 2013, 348.
[19] Vgl. dazu auch AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 47 Rn 16 f.; Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O., § 47 Rn 15.
[20] AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 47 Rn 17; Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2602.
[21] Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 39 Rn 27.
[22] Burhoff, AGS 2024, 339.
[23] AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 47 Rn 9 f.
[24] AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 47 Rn 10; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 47 Rn 2.
[25] AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O.; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O.
[26] OLG München NJW-RR 2018, 1096 = JurBüro 2018, 322.
[27] Vgl. auch OLG Hamm AGS 2013, 348 = RVGreport 2013, 307 = VRR 2013, 315.
[28] OLG Jena JurBüro 2014, 597 = RVGreport 2014, 423; OVG Münster, Beschl. v. 12.7.2023 4 E 110/23; LSG Erfurt, Beschl. v. 5.8.2013 L 6 SF 904/13 B.
[29] OLG Jena, a.a.O.; LG Hamburg AGS 2017, 182 = RVGreport 2017, 179; AG Koblenz AGS 2005, 352; LSG Erfurt, Beschl. v. 5.8.2013 L 6 SF 904/13 B.
[30] Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O., § 47 Rn 22.
[31] Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O.; OLG Dresden AGS 2016, 141 = MDR 2016, 397; OLG Hamm AGS 2013, 348 = RVGreport 2013, 307 = VRR 2013, 315; OLG Koblenz, Beschl. v. 3.4.2019 13 WF 216/19, FamRZ 2020, 186 für Kostenvorschuss im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe für die Einholung eines Privatgutachtens in einer Kindschaftssache.
[32] Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 47 Rn 4.
[33] OLG Celle, Beschl. v. 14.5.2020 4 StS 2/20, JurBüro 2020, 356 = Rpfleger 2020, 539 = RVGreport 2020, 337.
[34] OLG Celle, Beschl. v. 14.5.2020 4 StS 2/20, a.a.O.
[35] OLG Celle, Beschl. v. 14.5.2020 4 StS 2/20, a.a.O.
[36] AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 47 Rn 12; Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O., § 47 Rn 17; Mayer/Kroiß/Ebert, RVG, 8. Aufl., 2021, § 47 Rn 5 f.
[37] S. auch AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O.
[38] Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O., § 47 Rn 17.
[39] AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 47 Rn 13 m.w.N., BSG, Beschl. v. 25.4.2018 B 5 R 22/18 B, AGS 20218, 290 (einzelfallbezogen); LSG Stuttgart JurBüro 1990, 883; s. aber SG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 6.8.2019 S 30 SF 213/19 E, AGS 2019, 481 (in Höhe von 70 % der Mittelgebühr nicht zu beanstanden); SG Hamburg, Beschl. v. 12.11.2018 S 22 SF 394/17 E, AGS 2019, 196.
[40] AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O.; Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O., § 47 Rn 18.
[41] Wegen der Einzelh. des Festsetzungsverfahrens Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 838 ff.
[42] OLG Köln NStZ-RR 2014, 64 = RVGreport 2014, 105.
[43] VG Düsseldorf, Beschl. v. 27.6.2023 29 K 100/23.A, AGS 2023, 371 (Überschreitung der Wahlanwaltsvergütung).
[44] OLG Naumburg NJW 2003, 2921 (noch zur BRAGO); AG Duisburg Rpfleger 2009, 521 zur PKH; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 47 Rn 9; Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2623.
[45] OLG Naumburg, a.a.O.
[46] Vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O.; Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O.
[47] Zum Rechtsmittelverfahren u.a. Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O., § 47 Rn 30; Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Rn 2620.
[48] Zum Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6.5.2019 L 16 SF 84/19 E; LSG Erfurt, Beschl. v. 8.11.2018 L 1 SF 819/18 B.
[49] Vgl. OLG Bremen OLGR Bremen 2006, 580 = AGS 2007, 207 = RVGreport 2007, 183; Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2620.
[50] Vgl. dazu Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2604 ff.
[51] Vgl. Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O.
[52] Hierzu Gerold/Schmidt/Müller/Rabe, a.a.O., § 55 Rn 19; Hartung/Schons/Enders-Hartung, a.a.O., § 55 Rn 24.
[53] Vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.6.2020 III-1 Ws 289/19, RVGreport 2020, 338.
[54] Vgl. auch BGH NJW 2019, 1458 = AGS 2019, 170 = RVGreport 2019, 208.
[55] BGH NJW-RR 2018, 1328 = AGS 2019, 48 = RVGreport 2018, 409.
[56] OVG Lüneburg JurBüro 1991, 1348; KG RVGreport 2011, 109 = JurBüro 2011, 255 = StRR 2011, 118 [für Pauschgebühr nach § 99 BRAGO]; AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 47 Rn 21 ff.
[57] KG StraFo 2008, 529 = JurBüro 2009, 31 = NJW 2009, 456 = AGS 2009, 178 m.w.N.
[58] KG RVGreport 2011, 109 = JurBüro 2011, 255 = StRR 2011, 118 für Pauschgebühr nach § 99 BRAGO; Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2609.
[59] Vgl. KG AGS 2010, 295 = JurBüro 2010, 364 = RVGreport 2010, 339; RVGreport 2011, 109 = JurBüro 2011, 255 = StRR 2011, 118.
[60] LG Karlsruhe AGS 2012, 122 zur Erhebung der Verjährungseinrede gegen das Rückforderungsverlangen des Mandanten bei einem Vorschuss gem. § 9 RVG.
[61] Vgl. KG, a.a.O.
[62] AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 47 Rn 20.
[63] Vgl. Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2610.
[64] OLG Bremen AGS 2007, 207; OLG Frankfurt JurBüro 1991, 1649; OLG Hamm AGS 2016, 342; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 29.10.2019 1. 7 AS 15/17 B; AnwK RVG/Fölsch/Volpert, § 47 Rn 23; Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2610 m.w.N; vgl. hierzu auch: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.6.2020 III-1 Ws 289/19, RVGreport 2020, 338.
[65] Vgl. Teil I A, Ziff. 1.6 der bundeseinheitlichen Bestimmungen über die Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung der Rechtsanwälte; dazu Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2610.
[66] Dazu AnwK RVG/Fölsch/Volpert, a.a.O., § 56 Rn 8; s. auch die Nachw. bei Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2613 f.
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