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aus AGS 2025, 149

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "AGS" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "AGS" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Die anwaltliche Vergütung in Verfahren vor dem EGMR

Die anwaltliche Vergütung in Verfahren vor dem EGMR

Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Mit dem 2. KostRMoG wurde 2013 § 38a RVG in das RVG eingefügt. Geregelt werden die anwaltlichen Gebühren in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die nachfolgenden Ausführungen stellen diese Regelung vor.

I. Organisation und Verfahren beim EGMR

1. Organisation

Der EGMR sichert nach Art. 19 MRK die Einhaltung der Verpflichtungen der Vertragsstaaten aus der MRK. Der Gerichtshof besteht aus fünf sog. Sektionen. Als Sektionspräsidenten fungieren die zwei Vizepräsidenten und drei weitere vom Plenum des EGMR ernannte Richter. Unterstützt und vertreten werden sie von den Vizepräsidenten der Sektionen.[1]

2. Verfahren

In der MRK sind drei Verfahrensarten vorgesehen, in denen der EGMR mit einem Sachverhalt befasst werden kann: Das ist zunächst in Art. 34 MRK das sog. Individualbeschwerdeverfahren bzw. die sog. Menschenrechtsbeschwerde. In Art. 33 MRK ist das sog. Staatenbeschwerdeverfahren geregelt und in Art. 47 MRK das Gutachtenverfahren. In der Praxis sind das Staatenbeschwerdeverfahren und das Gutachtenverfahren weitgehend ohne Bedeutung. Daher beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf das Individualbeschwerdeverfahren bzw. die sog. Menschenrechtsbeschwerde.[2] Diese hat in der Praxis als Instrument des Menschenrechtsschutzes die größte Bedeutung. Sie steht allen natürlichen Personen und nichtstaatlichen Organisationen sowie Personengruppen zu. Diese können den EGMR mit der Behauptung anrufen, in einem Recht aus der Konvention verletzt zu sein.

Das Menschenrechtsbeschwerdeverfahren wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingeleitet.[3] Der Gang des Verfahrens ist dann wie folgt gestaltet:[4]

  • Die Beschwerde wird gem. Art. 52 Abs. 1 VerfO-EGMR vom Präsidenten des Gerichtshofs einer der fünf Sektionen des EGMR zugewiesen. Innerhalb der Sektion kann die Beschwerde entweder einem Einzelrichter (Art. 27 MRK), einem Ausschuss (Art. 28 MRK) oder der Kammer (Art. 29 MRK) vorgelegt werden. Erscheint die Prüfung durch einen Ausschuss oder eine Kammer gerechtfertigt, benennt der Sektionspräsident gem. Art. 49 Abs. 2 VerfO-EGMR einen Berichterstatter aus dem Kreis der Richter. Dieser kann die Beschwerde selbst an einen Einzelrichter, einen Ausschuss oder die Kammer delegieren, wenn der Sektionspräsident weder die Prüfung durch den Ausschuss noch durch die Kammer anordnet.
  • Wird die Beschwerde an den Einzelrichter weitergeleitet, kann dieser sie für unzulässig erklären oder aus dem Register streichen, wenn eine solche Entscheidung ohne weitere Prüfung getroffen werden kann (Art. 27 Abs. 1 MRK; Art. 49 Abs. 1 VerfO-EMGR). Liegt die Beschwerde dem mit drei Richtern besetzten Ausschuss vor, kann dieser entweder nach Art. 28 Abs. 1a MRK die Beschwerde für unzulässig erklären oder sie aus dem Register streichen, wenn diese Entscheidung ohne weitere Prüfung getroffen werden kann, oder sie nach Art. 28 Abs. 1b MRK für zulässig erklären und zugleich über ihre Begründetheit entscheiden.
  • Haben weder der Einzelrichter noch ein Ausschuss über die Beschwerde entschieden, werden Zulässigkeit und Begründetheit gem. Art. 29 Abs. 1 MRK von einer siebenköpfigen Kammer des EGMR beurteilt. I.d.R. erfolgt die Entscheidung auf Grundlage der Schriftsätze, eine mündliche Verhandlung (Art. 40 MRK) ist nach Art. 54 Abs. 3, 59 Abs. 3 VerfO-EGMR möglich, allerdings der Ausnahmefall. Ebenso wie im schriftlichen Verfahren nach Zustellung der Beschwerdeschrift (Art. 36 Abs. 2 VerfO-EGMR) muss der Beschwerdeführer in einer ggf. stattfindenden mündlichen Verhandlung grds. rechtlich vertreten sein, wenn ihm nicht der Kammerpräsident erlaubt, seine Interessen – ggf. mit rechtlicher Unterstützung – selbst zu vertreten (Art. 36 Abs. 3 VerfO-EGMR).
  • Die Große Kammer des EGMR kann im Individualbeschwerdeverfahren nach Art. 30, 43 MRK mit einer Individualbeschwerde befasst werden.[5] Nach Art. 30 MRK kann die Kammer, schon bevor sie ein Urteil fällt, die Sache an die Große Kammer abgeben. Es können aber auch die Parteien gem. Art. 43 Abs. 1 MRK innerhalb von drei Monaten nach einem Urteil der Kammer die Verweisung an die Große Kammer beantragen. Ein fünfköpfiger Ausschuss entscheidet über diesen Antrag. Gibt er ihm statt, entscheidet die Große Kammer gem. Art. 43 Abs. 3 MRK durch Urteil. I.d.R. wird aufgrund einer mündlichen Verhandlung entschieden. In dieser muss der Beschwerdeführer nach Art. 36 Abs. 3 VerfO-EGMR vertreten sein.

II. Anwendungsbereich

1. Allgemeines

In der Vergangenheit war immer wieder kritisiert worden, dass das RVG keine ausdrückliche Regelung für die anwaltliche Vergütung für Tätigkeiten in Verfahren vor dem EGMR enthielt. § 37 RVG, der die Gebühren des Rechtsanwalts in Verfahren vor den Verfassungsgerichten regelt,[6] erfasste nämlich nach allgemeiner Meinung nicht die Verfahren vor dem EGMR, wie z.B. die Menschenrechtsbeschwerde nach Art. 34 MRK.[7] Sie wurden auch nicht von § 38 RVG erfasst, da dieser nur Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH regelt.[8]

Das 2. KostRMoG hat diese Lücke 2013 durch Einfügung des § 38a RVG geschlossen. Danach gelten in Verfahren vor dem EGMR die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 VV entsprechend. Diese Regelung entspricht der Regelung für Verfahren vor dem BVerfG, die für Verfassungsbeschwerden anzuwenden ist (§ 37 Abs. 2 RVG).[9] Das ist einerseits wegen der Ähnlichkeit der Verfahren vor dem EGMR und dem BVerfG sachgerecht, andererseits aber im Hinblick darauf, dass der EGMR keinen Gegenstandswert festsetzt (vgl. V., 2.), nachteilig. Es wäre besser gewesen, der Gesetzgeber wäre, um Schwierigkeiten insofern zu vermeiden, dem Vorschlag der BRAK und des DAV gefolgt, die eine Ergänzung des § 37 Abs. 1 RVG vorgeschlagen hatten,[10] oder er hätte – wie bei dem als Kontaktperson beigeordneten Rechtsanwalt in Nr. 4304 VV – eine Festbetragsgebühr eingeführt.

2. Sachlicher Anwendungsbereich

§ 38a RVG gilt für „Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“. Das sind neben den hier nicht behandelten Staatenbeschwerdeverfahren (Art. 33 MRK) und Gutachtenverfahren (Art. 47 MRK) das in Art. 34 MRK geregelte Individualbeschwerdeverfahren bzw. die sog. Menschenrechtsbeschwerde. Für diese gelten die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 VV entsprechend. Die Regelung für die Gebühren des in diesem Verfahren tätigen Rechtsanwalts entspricht damit der Regelung in § 37 Abs. 2 RVG, die u.a. für Verfassungsbeschwerden beim BVerfG anzuwenden ist. Der Gesetzgeber ist also bei Einführung der neuen Vorschrift davon ausgegangen, dass die Verfahren beim EGMR sich ihrem Gegenstand nach nicht wesentlich von Verfassungsbeschwerdeverfahren unterscheiden.[11] Das ist zumindest für die Individualbeschwerde nach Art. 34 MRK, die in der Praxis die größte Rolle spielt, zutreffend.

3 Persönlicher Anwendungsbereich

a) Wahlanwalt

§ 38a RVG gilt für jeden Rechtsanwalt, der als Wahlanwalt in einem Menschenrechtsbeschwerdeverfahren nach Art. 34 MRK tätig wird.

b) Bestellter oder beigeordneter Rechtsanwalt / PKH

Die Bestellung oder Beiordnung eines Rechtsanwalts ist in der VerfO-EGMR nicht vorgesehen. Allerdings kann nach Art. 100 ff. VerfO-EGMR die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) in Betracht kommen.[12] Danach kann im Individualbeschwerdeverfahren auf Antrag oder von Amts wegen PKH gewährt werden. Art. 100 Abs. 1 VerfO-EGMR sieht vor, dass der Kammerpräsident PKH bewilligen kann, nachdem der belangte Vertragsstaat zur Zulässigkeit der Beschwerde hatte Stellung nehmen können. Für die Einlegung der Menschenrechtsbeschwerde und das Verfahren vor Zustellung der Beschwerdeschrift an die gegnerische Partei wird PKH nicht gewährt. Die Bewilligung wirkt nach Art. 100 Abs. 2 VerfO-EGMR grds. im Verfahren vor der Großen Kammer fort. Liegen die Bewilligungsvoraussetzungen nicht mehr vor, kann der Kammerpräsident nach Art. 105 VerfO-EGMR die Bewilligung der PKH jederzeit zurücknehmen oder abändern.[13]

III. Angelegenheiten/Rechtszug

1. Angelegenheiten

Jedes Verfahren beim EGMR ist eine selbstständige Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG.[14] Das Verfahren beim Einzelrichter (Art. 27 MRK), einem Ausschuss (Art. 28 MRK) oder der Kammer (Art. 29 MRK) sind aber dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG. Die Gebühr nach § 38a RVG entsteht also nur einmal. Es empfiehlt sich daher der Abschluss einer Vergütungsvereinbarung nach § 3a RVG (dazu auch VIII.). Das Verfahren beim EGMR und das Ausgangsverfahren, in dem es nach der Behauptung des Beschwerdeführers zu einer Menschenrechtsverletzung gekommen ist, sind verschiedene Angelegenheiten i.S.d. § 15 RVG. In beiden entstehen also für den Rechtsanwalt die jeweils für das Verfahren vorgesehenen Gebühren. Das gilt auch für ein ggf. vorgeschaltetes Verfassungsbeschwerdeverfahren beim BVerfG.[15]

2. Rechtszug

Wird das Verfahren an die Große Kammer verwiesen (Art. 30, 43 MRK), ist von einem neuen Rechtszug und damit von einer neuen Angelegenheit auszugehen, mit der Folge, dass die Gebühren nach § 15 Abs. 2 RVG noch einmal entstehen.[16]

IV. Gebührentatbestände (§ 38 S. 1 RVG)

1. Verfahrensgebühr (Nr. 3206 VV)

Nach § 38a S. 1 RVG entstehen die (Verfahrens-)Gebühren für die Revision nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 VV entsprechend. Damit wird pauschal auf die Nrn. 3206 bis 3213 VV verwiesen. Das führt ebenso wie bei § 37 Abs. 2 S. 1[17] zu der Frage, welche der dort geregelten Verfahrensgebühren anwendbar ist. Zutreffend ist es auch bei § 38a RVG, darin nur eine Verweisung auf die Nrn. 3206, 3207 VV zu sehen.[18] Das entspricht dem Wortlaut der Regelung der Nr. 3208 VV und dem gesetzgeberischen Willen.[19] Die Nrn. 3212, 3213 VV, aber auch die Nrn. 3208, 3209 VV sind Spezialregelungen, die bestimmte Verfahren oder bestimmte persönliche Eigenschaften des Rechtsanwalts voraussetzen.[20]

Für das Entstehen der Verfahrensgebühr gelten die allgemeinen Regeln zur Nr. 3206 VV.[21] Endet der Auftrag des Rechtsanwalts vorzeitig oder erbringt der Rechtsanwalt nur eine eingeschränkte Tätigkeit, entsteht nur eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3207 VV. Auch insoweit kann auf die Erläuterungen bei Gerold/Schmidt/Müller-Rabe (a.a.O. zu Nr. 3206 VV) verwiesen werden.

Die Verfahrensgebühr honoriert alle vom Rechtsanwalt in dem Menschenrechtsbeschwerdeverfahren erbrachten Tätigkeiten. Dies sind die Vorbereitung und Erstellung der Individualbeschwerde, die Entgegennahme von Schriftstücken des EGMR, die Fertigung von Stellungnahmen und alle sonstigen Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Verfahren erbringt.

Für den Rechtsanwalt, der mehrere Beschwerdeführer in einer von diesen erhobenen Menschenrechtsbeschwerde vertritt, fällt keine nach Nr. 1008 VV erhöhte Verfahrensgebühr an.[22] Denn wendet sich die Menschenrechtsbeschwerde mehrerer Mandanten gegen denselben Akt der öffentlichen Gewalt, so ist nicht dieselbe Angelegenheit i.S.v. Nr. 1008 VV betroffen. Der Verfahrensgegenstand wird durch die jeweilige subjektive Beschwer jedes einzelnen Beschwerdeführers bestimmt. Einer darüber hinausgehenden objektiven Bedeutung des Verfahrens muss dann ggf. durch eine Erhöhung des Gegenstandswerts im Rahmen der Gegenstandswertfestsetzung Rechnung getragen werden.

2. Terminsgebühr (Nr. 3210 VV)

Der EGMR entscheidet nur ausnahmsweise aufgrund mündlicher Verhandlung (vgl. I., 2.). Daher wird i.d.R. in der Praxis nur eine Verfahrensgebühr anfallen. Findet beim EGMR allerdings bei der Kammer bzw. bei der Großen Kammer eine mündliche Verhandlung statt, an der der Rechtsanwalt/Verteidiger teilnimmt, fällt dafür eine Terminsgebühr Nr. 3210 VV an. Auf diese ist nach der Anm. zu Nr. 3210 VV u.a. auch Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV anzuwenden. D.h., dass diese Gebühr grds. auch dann entsteht, wenn in einem Verfahren, in dem mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit allen Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Ist die mündliche Verhandlung allerdings nicht vorgeschrieben, was beim Menschenrechtsbeschwerdeverfahren der Fall ist, ist die Nr. 3104 VV jedoch nicht anzuwenden.[23]

V. Gegenstandswert (§ 38 S. 2 RVG)

Die Gebühren nach § 38a S. 1 RVG sind der Höhe nach vom Gegenstandswert abhängig. Dafür gilt:

1. Bemessung

In § 38a S. 2 RVG ist eine eigenständige Regelung für die Bemessung des Gegenstandswertes für Verfahren vor dem EGMR enthalten. Der Gegenstandswert ist danach unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG genannten Umstände, insbesondere also des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit, sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen.[24] Der Gegenstandswert beträgt nach § 38a S. 2 Hs. 2. RVG mindestens 5.000,00 EUR.

Für die Bemessung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit im Menschenrechtsbeschwerdeverfahren sind wegen der Vergleichbarkeit der Verfahren die Grundsätze für die Bemessung des Gegenstandswertes im innerstaatlichen Verfassungsbeschwerde entsprechend anzuwenden. Daher kann auf die Ausführungen bei Burhoff, AGS 2023, 337 und bei Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O. § 37 Rn 17 verwiesen werden. Von Gewicht ist also insbesondere, welche subjektive Bedeutung der Auftraggeber der Sache beimisst und die Schwere des geltend gemachten Konventionsverstoßes. Wird über die Menschenrechtsbeschwerde nicht inhaltlich befunden, sie also als unzulässig erklärt bzw. aus dem Register gestrichen (vgl. I., 2.), wird man – entsprechend der Rspr. des BVerfG zur Verfassungsbeschwerde[25] – vom gesetzlichen Mindestgegenstandswert ausgehen müssen.[26]

2. Festsetzung

Im innerstaatlichen Verfassungsbeschwerdeverfahren erfolgt die Festsetzung des Gegenstandswertes nach §§ 32, 33 RVG durch das Verfassungsgericht.[27] Im Menschenrechtsbeschwerdeverfahren ist demgegenüber eine Festsetzung des Gegenstandswertes durch den EGMR nicht möglich.[28] Es sind nämlich den innerstaatlichen Vorschriften entsprechende Vorschriften in der MRK bzw. der VerfO-EGMR nicht vorgesehen. Das ist bei der Einführung des § 38a RVG durch das 2. KostRMoG offenbar übersehen worden. Der Rechtsanwalt hat daher also keine andere Möglichkeit, als selbst den Gegenstandswert unter Berücksichtigung der Vorgaben des Satzes 2 nach billigem Ermessen zu bestimmen (vgl. auch § 23 Abs. 3 RVG). Dabei wird grds. der vom BVerfG im Verfassungsbeschwerdeverfahren, das i.d.R. dem Menschenrechtsbeschwerdeverfahren voraus gegangen ist, festgesetzte Gegenstandswert Anhaltspunkt sein.[29] In der Höhe ist – wegen der noch höheren Bedeutung des EGMR-Verfahrens – der Gegenstandswert auf jeden Fall anzunehmen. Im Zweifel wird er darüber liegen.[30]

Entsteht Streit über die Höhe des Gegenstandswertes und damit über Höhe der darauf basierenden Vergütung, muss der Rechtsanwalt diese ggf. einklagen.[31] Letztlich entscheidet damit im Streitfall das Gericht, das über die Vergütungsklage entscheidet, auch über die Höhe des Gegenstandswertes. Diese Lücke spricht i.Ü. noch mehr dafür, dass der Rechtsanwalt eine Vergütungsvereinbarung abschließt (vgl. VIII.).

VI. Auslagen (Nrn. 7000 ff. VV)

Der Rechtsanwalt/Verteidiger hat Anspruch auf die nach den Nrn. 7000 ff. VV entstehenden Auslagen. Dazu gehört auch die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV, da es sich bei dem Menschenrechtsbeschwerdeverfahren um eine vom Ausgangsverfahren verschiedene Angelegenheit handelt (zu den Angelegenheiten III.).

VII. Kostenerstattung

Hinsichtlich der Kostenerstattung ist zu trennen zwischen den Kosten des Gerichtshofs und den Kosten und Auslagen des Beschwerdeführers vor den innerstaatlichen Gerichten und dem EGMR. Im Einzelnen gilt:[32]

1. Kosten des Gerichtshofs (Art. 50 MRK)

Nach allgemeiner Meinung ist das Verfahren vor dem EGMR für den Beschwerdeführer gerichtskostenfrei. Das wird mit dem Schweigen der Vorschrift des Art. 50 MRK zu dieser Frage begründet.[33] I.Ü. ist eine Missbrauchsgebühr in der MRK, anders als im innerstaatlichen Verfassungsbeschwerdeverfahren in § 34a BVerfGG, nicht vorgesehen. Nach Art. 44d VerfO-EGMR kann allerdings der Vertreter des Beschwerdeführers vom Verfahren ausgeschlossen werden, wenn er eine unangemessene Stellungnahme, zu solchen zählen nach dem Wortlaut der Vorschrift auch missbräuchliche, abgibt.

2. Gerechte Entschädigung (Art. 41 MRK)

Die Erstattung von Rechtsanwaltskosten kommt im Menschenrechtsbeschwerdeverfahren nach der allgemeinen Vorschrift des Art. 41 MRK in Betracht.[34] Die Vorschrift sieht eine „gerechte Entschädigung“ des Beschwerdeführers vor. Bestandteil einer solchen kann der Ersatz der im Verfahren über die Menschenrechtsbeschwerde und vor den innerstaatlichen Gerichten entstandenen Kosten und Auslagen sein. Hierzu gehören neben den Gerichtskosten für die Verfahren vor den nationalen Gerichten, Reise- und Aufenthaltskosten, Übersetzungskosten, Portokosten vor allem Anwaltskosten. Erstattet werden diese allerdings nur, wenn sie tatsächlich angefallen sind und notwendig waren, um die festgestellte Konventionsverletzung abzuwenden oder ihr abzuhelfen und sie der Höhe nach angemessen sind.[35] Im Verfahren müssen die Kosten als Bestandteil der Entschädigung – soweit bereits möglich – innerhalb der Frist des Art. 60 Abs. 2 VerfO-EGMR unter Beifügung einschlägiger Belege geltend gemacht werden.

Tatsächlich angefallen sind die Kosten des Beschwerdeführers nur, wenn er vertraglich oder gesetzlich zu deren Tragung verpflichtet ist. Eine Kostenerstattung setzt zudem voraus, dass die Kosten und Auslagen im Zusammenhang mit der Beseitigung, Verhinderung oder Wiedergutmachung der Konventionsverletzung entstanden sind.[36] Hierdurch werden insbesondere Kosten für innerstaatliche Verfahren ausgeschlossen, die ohnehin – also auch ohne den Eintritt der Konventionsverletzung – angefallen wären.

Auslagen werden schließlich nur erstattet, wenn sie angemessen sind. Dabei ist die innerstaatliche Gebührenordnung, also § 38a RVG, für den EGMR bei der Beurteilung dieser Frage Orientierungshilfe.[37] Der EGMR prüft nach eigenem Ermessen.[38] Das Honorar für das Verfahren vor dem Gerichtshof wird in angemessener Höhe erstattet. Durchschnittlich kann hier von einem „Gebührenrahmen“ zwischen 2.000,00 und 5.000,00 EUR ausgegangen werden.[39] Maßgeblich sind im Wesentlichen die Komplexität der Sach- und Rechtslage sowie der hiermit einhergehende tatsächliche zeitliche Aufwand an Arbeit.

VIII. Vergütungsvereinbarung

Trotz der Neuregelung des § 38a RVG wird die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen eines EGMR-Verfahrens im Zweifel im Hinblick auf die i.d.R. hohe Bedeutung, den großen Umfang und die erhebliche Schwierigkeit der Verfahren immer noch nicht ausreichend honoriert. Hinzukommen die Schwierigkeiten bei der Bestimmung und Festsetzung des maßgeblichen Gegenstandswertes. Deshalb wird es sich für den Rechtsanwalt nach wie vor empfehlen, eine Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG) zu schließen, was in der Praxis auch üblich sein dürfte. Möglich und zulässig sind Pauschalhonorare für ganze Verfahren beim EGMR. Die Vergütung kann aber auch für Verfahrensabschnitte wie Einreichung der Beschwerdeschrift, das Verfahren bis zur Entscheidung über die Zulässigkeit, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung vor der Kammer oder der Großen Kammer oder auch die mündliche Verhandlung vereinbart werden. Möglich ist auch die Vereinbarung einer zeitbezogenen Abrechnung nach Stunden zu bestimmten Stundensätzen. Ebenfalls möglich ist die Vereinbarung eines bestimmten Gegenstandswertes.


[1] Wegen Aufbau und Besetzung des EGMR auch Karpenstein/Mayer, EMRK – Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl., 2022, Art. 19 Rn 1 ff.; Münchener Anwaltshandbuch Strafrecht/Eschelbach, 3. Aufl., 2021, § 32 Rn 10 ff.; Burhoff/Hagmann/Oerder, Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 3. Aufl., 2024, Teil C Rn 1 ff.

[2] Dazu eingehend Karpenstein/Mayer, a.a.O. Art. 34 Rn 1 ff.; Münchener Anwaltshandbuch Strafrecht/Eschelbach, a.a.O., § 32 Rn 16 ff.; Burhoff/Hagmann/Oerder, a.a.O., Teil C Rn 1 ff.

[3] Zu den formalen Anforderungen Art. 47 VerfO-EGMR; Burhoff/Hagmann/Oerder, a.a.O., Teil C Rn 80 ff.

[4] S. auch Burhoff/Hagmann/Oerder, a.a.O., Teil C Rn 351 ff. m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl., 2023, § 38a Rn 11 ff.; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, § 38 Rn 8 ff.

[5] Zum Verfahren bei der Kammer Karpenstein/Mayer, a.a.O., Art. 29 Rn 1 ff.; Burhoff/Hagmann/Oerder, a.a.O., Teil C Rn 364 ff.

[6] Dazu Burhoff, AGS 2023, 337.

[7] Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 37 Rn 1; Mayer/Kroiß/Mayer, RVG, 5. Aufl., 2012, § 37 Rn 22; Burhoff, RVGreport 2013, 298.

[8] Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 37 Rn 1; Mayer/Kroiß/Mayer, a.a.O., § 37 Rn 22.

[9] Dazu u.a. Burhoff, AGS 2023, 337; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 37 Rn 9 und V.

[10] Vgl. AnwBl. 2011, 120, 122.

[11] BT-Drucks 17/11471, 269.

[12] Eingehend dazu Burhoff/Hagmann/Oerder, a.a.O., Teil C Rn 233 ff. m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn 34 ff.

[13] Zu den Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH Burhoff/Hagmann/Oerder, a.a.O., Teil C Rn 233 ff. m.w.N und zum Umfang der Bewilligung Teil C Rn 241 ff. m.w.N.

[14] S. auch Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn 18 ff.

[15] Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O. § 38a Rn 19; zur Abrechnung der Verfassungsbeschwerde Burhoff, AGS 2023, 337 ff.

[16] Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn 18.

[17] S. Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 37 Rn 11 m.w.N.; Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 37 Rn 13.

[18] S. für die Verfassungsbeschwerde Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 37 Rn 14 und BVerfG AGS 2012, 568 = RVGreport 2013, 15 m. Anm. Hansens; BGH NJW 2012, 2118 = AGS 2012, 281; Mayer/Kroiß/Mayer, RVG, 8. Aufl., 2021, § 37 R. 12 ff.

[19] BVerfG, a.a.O. unter ausdrücklicher Ablehnung der in der Lit. teilweise vertretenen a.A.

[20] BVerfG und BGH, jeweils a.a.O.

[21] Dazu die Erläuterungen z.B. bei Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O.

[22] So für die Verfassungsbeschwerde BVerfG Rpfleger 1998, 82; AGS 2011, 428 = RVGreport 2011, 59.

[23] S für die Verfassungsbeschwerde BVerfGE 35, 34 = Rpfleger 1973, 243; BVerfGE 41, 228; s. auch Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn 28.

[24] Zu den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG s. die Kommentierung zu § 14 RVG bei Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O.; s. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 1747 ff.

[25] BVerfG NJW 2000, 1399.

[26] BVerfG, a.a.O.; RVGreport 2011, 236; so auch Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn 30.

[27] Vgl. Burhoff, AGS 2023, 337.

[28] Karpenstein/Mayer/Thienel, a.a.O., Art. 50 Rn 8.

[29] Karpenstein/Mayer/Thienel, a.a.O.; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn 31.

[30] Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O.

[31] Ähnlich N. Schneider/Thiel, Das neue Gebührenrecht für Rechtsanwälte, 2013, § 3 Rn 256.

[32] S. Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl., 2023, Art. 41 Rn 28 ff.; auch Burhoff/Hagmann/Oerder, a.a.O., Teil C Rn 193 ff. m.w.N.

[33] Burhoff/Hagmann/Oerder, a.a.O., Teil C Rn 196 ff. m.w.N.

[34] Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn 38 ff. m.w.N.

[35] S. für den Fall Gäfgen EGMR EuGRZ 2010, 417 = NJW 2010, 3145.

[36] Wegen Einzelheiten Burhoff/Hagmann/Oerder, a.a.O., Teil C Rn 201 ff. m.w.N.

[37] EGMR NJW 2001, 1995.

[38] Zu den Kriterien Burhoff/Hagmann/Oerder, a.a.O., Teil C Rn 204 m.w.N.

[39] Karpenstein/Mayer, a.a.O., Art. 41 Rn 51 f. m.w.N.


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