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aus StRR 1/2025, 6

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "StRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "StRR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Strafrechtliche Rechtsprechung betreffend Klimaaktivisten

Klimaschutz ist in aller Munde. Und auch die Frage: Tun wir für Klimaschutz genug? Nein, meinen Klimaaktivisten, die für ihre Ziele auf die Straße gehen/gingen. Dabei geht/ging es nicht immer friedlich zu. Wie diese Protestaktionen ggf. strafrechtlich einzuordnen sind, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Es liegt bislang weder verfassungsrechtliche noch höchstrichterliche Rechtsprechung vor.

Wir stellen Ihnen hier in einem Überblick aber mal die bisher bekannt gewordene Instanzrechtsprechung vor. Zwar sind die Proteste derzeit abgeflaut, aber das dürfte nicht für immer sein. Die Liste folgt dem Instanzenzug. Sie enthält einen kurze Sachverhaltsdarstellung und dann die Leitsätze der jeweiligen Entscheidung. Sämtliche Entscheidungen sind im Internet frei zugänglich veröffentlicht.

1.

KG, Beschl. v. 16.8.2023 - 3 ORs 46/23

Sachverhalt

Die Angeklagte beteiligte von 8:00 bis 9:40 Uhr auf einem Autobahnzubringer in Berlin an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, bei der sich sie und drei weitere Personen auf die Fahrbahn der viel befahrenen Straße setzten, um so die auf der Straße befindlichen Fahrzeugführer bis zur Räumung der Blockade durch Polizeibeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Es kam zu einer erheblichen Verkehrsbeeinträchtigung in Form eines ca. 60 Minuten andauernden Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge über mehrere hundert Meter. Zur Erschwerung der erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade befestigte die Angeklagte zeitgleich ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn, so dass die Polizeibeamten sie erst nach Lösung des Klebstoffs, die eine bis eineinhalb Minuten in Anspruch nahm, von der Straße tragen konnten-

Leitsatz

Eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB kommt auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren. Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vor-zubereiten. Dass Polizeibeamte das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit - hier unter Verwendung eines Lösungsmittels - zu beseitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt ihm in Bezug auf den dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit.

2.

KG, Beschl. v. 3.11.2023 – 3 ORs 72/23

Sachverhalt

Der Angeklagte entfernte als Mitglied der Klimaaktivistengruppe „Letzte Generation“ am 22.6.2022 zusammen mit weiteren Mittätern vor dem Bundeskanzleramt eine dort verlegte Gehwegplatte und legte sie auf einem Rasenstück neben der ursprünglichen Verlegeposition ab. Den Tatvorsatz hat das LG mit folgenden Erwägungen begründet: „„Die Angeklagte beging die Sachbeschädigung zumindest mit Eventualvorsatz, auch wenn sie sich keine Vorstellungen zum Aufwand der Wiederherstellung der Brauchbarkeit des Gehwegs gemacht hatte; denn sie hat, da der Zustand des Gehwegs, egal mit welchem Aufwand, wieder herstellbar war und sie daran die Aktion mit dem ihr am Herzen liegenden Ziel eines Aufrüttelns der Öffentlichkeit nicht scheitern lassen wollte, billigend in Kauf genommen, dass die Platte auch bei einem nicht nur wesentlichen Wiederherstellungsaufwand entfernt wird.“

Leitsatz

1. Da eine Sachbeschädigung ausscheidet, wenn die Beseitigung der Substanzverletzung oder Funktionseinbuße mit keinem ins Gewicht fallenden Aufwand verbunden ist, muss der Täter es zumindest für möglich gehalten haben, dass deren Beseitigung einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert. Demjenigen, der sich bei Begehung der Tat (§ STGB § 16 StGB) über den Beseitigungsaufwand keinerlei Gedanken gemacht hat, fehlt das zur Bejahung des Vorsatzes erforderliche Wissenselement.

2. Entsprechende Feststellungen im Urteil sind nur dann entbehrlich, wenn der Tatvorsatz angesichts des Umfangs der Substanzverletzung oder der Funktionsbeeinträchtigung auf der Hand liegt.

3.

KG, Beschl. v. 31.1.2024 – 3 ORs 69/23

Sachverhalt

Der Angeklagte beteiligte sich am 11.2.2022, 7.00 Uhr auf einer Kreuzung in Berlin an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“, bei der er und weitere Personen sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn setzten. Einzelne Aktivisten klebten sich auf die Fahrbahn des Y-damms, einer stark befahrenen Hauptverkehrsachse, während der Angeklagte selbst nicht angeklebt war. Aufgrund der Blockade kam es bis zur Räumung zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen in Form eines Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge. Dabei handelte es sich um mindestens 50 Fahrzeuge. Die Fahrbahn konnte von der Polizei gegen 7.20 Uhr nach Entfernung sämtlicher Aktivisten von der Fahrbahn durch die Polizei wieder freigegeben werden.

Leitsatz

1. Bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter hat die Abwägung im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB im Einzelfall zu erfolgen, so dass die in der Vergangenheit durch die Rechtsprechung verschiedentlich erfolgte Zusammenstellung einzelner Abwägungskriterien (BVerfG: „wichtige Abwägungselemente“; Senat: „erörterungsbedürftige Aspekte“ und „zu beachtende Gesichts­punkte“) als Orientierung und Leitlinie zu verstehen ist und keine in jeder Konstellation zwingende oder abschließende Aufzählung darstellen kann.

2. Die Tatgerichte sind im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht gehalten, die zur Durchführung der Abwägung in dem konkreten Einzelfall wesentlichen Umstände und Beziehungen zu erfassen und festzustellen, wobei hinsichtlich des Umfangs dieser Amtsaufklärungspflicht die allgemeinen Grundsätze gelten.

4.

KG, Beschl. v. 10.7.2024 – 3 ORs 30/24 – 161 SRs 26/24

Sachverhalt

Die Angeklagte beteiligte sich an einer Straßensitzblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ auf der BAB 111 im Bereich der Ausfahrt H-Damm in Berlin. Sechs weitere Personen und sie setzten sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans am Tattag um 8:45 Uhr am Ende der Autobahnabfahrt auf die Fahrbahnen, wobei sie sich so gleichmäßig über alle drei Fahrbahnen der Ausfahrt verteilten, dass zwischen ihnen kein Fahrzeug mehr durchfahren konnte, ohne sie zu gefährden bzw. zu verletzen.  Die Angeklagte saß dabei auf der von den Fahrzeugen aus gesehen ganz rechten Fahrbahn. Als die hinzugerufene Polizei erschien, klebten sich ein Aktivist und drei Aktivistinnen, u.a. die Angeklagte, mit jeweils einer Hand mittels Sekundenkleber auf der Fahrbahn fest, um sich so fest mit dieser zu verbinden.

Die Angeklagte befolgte die Aufforderung der Polizei, die Straße zu verlassen, nicht. Da sie festgeklebt war, konnten die Polizeibeamten sie – wie sie wusste – nicht einfach wegtragen, sondern mussten sie erst von der Straße lösen. Die Ablösung ihrer Hand dauerte von 9:39 Uhr bis 10:05 Uhr. Sodann wurde sie von zwei Polizeibeamten von der Straße getragen.

Leitsätze

1. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden.

2. Indem der Täter die mit Sekundenkleber benetzte Hand so auf die Fahrbahn drückt, dass Hand und Fahrbahn eine feste Verbindung eingehen, leistet er Widerstand mit Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB, wenn hierdurch vorsatzgemäß die nach Auflösung der Versammlung erfolgende polizeiliche Räumung der Fahrbahn durch Polizeibeamte deutlich erschwert wird.

3. Die Ablösedauer ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, wie stark die zu überwindenden Kräfte wirken. Ein schnelles, aber kurzzeitig kraftintensives Wegreißen kann ebenso für einen Widerstand „mit Gewalt“ sprechen wie eine vorsichtige Methode, bei der die die Vollstreckungsmaßnahme erschwerenden Kräfte über einen längeren Zeitraum gelöst werden.

5.

KG, Beschl. v. 14.11.2024 – 3 ORs 65/24 – 161 SRs 104/24

Sachverhalt

Die Angeklagten kleben sich mit Sekundenkleber an einen Reisebus, um den an der Abfahrt zu hindern, was auch gelingt. Das Lösen dauert mehrere Minuten. Die – nicht angemeldete – Versammlung wird von der Polizei aufgelöst. Die Revision gegen die Verurteilung wegen Widerstandes hatte keinen Erfolg.

Leitsatz

1. Für das Tatbestandsmerkmal „bei der Vornahme einer Diensthandlung“ reicht es aus, dass der Täter die Kraft schon vor Beginn der Diensthandlung entfaltet, sofern diese – vom Täter auch so gewünscht – das spätere polizeiliche Tätigwerden deutlich erschwert.

2. Entscheidend für die Bewertung der Widerstandshandlung als „mit Gewalt“ ist die Intensität der Kraftentfaltung durch das materielle Zwangsmittel und damit zusammenhängend die Kraft, die aufgewandt werden muss, um diese zu überwinden.

3. Die gezielte Beeinträchtigung privaten Eigentums, die sich nicht als zwangsläufige Folge einer Demonstration ergibt, sondern deren maßgeblicher Bestandteil ist, ist eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit i.S.d. des Versammlungsgesetzes bzw. Versammlungsfreiheitsgesetzes Berlin.

6.

OLG Celle, Beschl. v. 29.7.2022 - 2 Ss 91/22

Sachverhalt

Der Angeklagte hat im Sommer 2021 jeweils absichtlich die Fassade des Zentralgebäudes der Leuphana Universität mit Wandfarbe verunstaltet. Außerdem hat er zudem folgende Worte auf die Fassade gesprüht: „Leuphana divest: Kohle aus Nord/LB“. Hiermit hat der Angeklagte auf den womöglich unumkehrbaren Klimawandel aufmerksam machen und zu sofortigem Handeln appellieren wollen. Der Universität ist dadurch ein Schaden in Höhe von 1.640,25 EUR bzw. 11.377,89 EUR für die Beseitigung der Verunstaltungen entstanden.

Das AG Lüneburg (vgl. AG Lüneburg, Urt. v. 12.4. 2022 – 15 Ds 186/21) hat den Angeklagten wegen Sachbeschädigung (§ 303 StGB) verurteilt. Seine Revision hatte beim OLG keinen Erfolg

Leitsatz

1. Ein tatbestandliches Verhalten (hier: Sachbeschädigung), durch das der Täter bezweckt, auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen und die Politik zu Maßnahmen zu deren Abwehr zu veranlassen, ist weder vor dem Hintergrund des allgemeinen rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB, noch als ziviler Ungehorsam“ gerechtfertigt.
2. Eine strafrechtliche Rechtfertigung der Begehung einer Tat, die allein dazu dient, in einer Angelegenheit von wesentlicher allgemeiner Bedeutung, insbesondere zur Abwendung schwerer Gefahren für das Allgemeinwesen, auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess einzuwirken oder die Politik zu einem bestimmten Handeln zu veranlassen (ziviler Ungehorsam“), ist ausgeschlossen.

7.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.9.2022 - 4 RVs 48/22

Sachverhalt

Der Angeklagte und weitere Personen hatten sich als „Aktion Lebenslaute“ zusammengeschlossen, um gemeinsam u.a. für Klimaschutz und gegen den vor diesem Hintergrund abgelehnten Braunkohletagebau zu demonstrieren. In Ausübung dessen betraten der Angeklagte und seine gesondert verfolgten 52 Mittäter(innen) am frühen Morgen eines Tages im Jahr 2021 ein Braunkohlentagebaugelände, indem sie über die „Rampe X“ den Erdwall, der das Tagebaugelände umgab, überwandten. Auf dem Tagebaugelände musizierten der Angeklagte und seine Mittäter(innen) gemeinsam vor einem mitgeführten „Anti-Kohle“-Banner. Kurz darauf trafen Polizeibeamte ein. Deren Aufforderung, sich auszuweisen und das Tagebaugelände zu verlassen, entsprachen der Angeklagte und seine Mittäter(innen) widerstandslos.

Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten einen Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) vorgeworfen. Das AG Mönchengladbach-Rheydt hat von dem Vorwurf frei gesprochen (vgl. Ziffer 9). Das OLG hat aufgehoben und zurückverwiesen.

Leitsatz

1. Es kann offen bleiben, ob aus den Grundrechten des Täters unmittelbar eine Rechtfertigung oder ein Entschuldigungsgrund hergeleitet werden kann.
2. Ein strafbarkeitsausschließender Vorrang durch die Betätigung von Grundrechten kann jedenfalls nur dann gegeben sein, wenn für den Täter keine andere effektive Möglichkeit bestanden hat, seine Grundrechte straffrei auszuüben.

8.

OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.2.2024 – 2 ORs 35 Ss 120/23

Sachverhalt

Der Angeklagte beteiligte sich am 7.2.2022, am 11.2.2022 und am 15.2.2022 an jeweils nicht angemeldeten und nicht angekündigten Straßenblockaden des Aktionsbündnisses „Aufstand Letzte Generation“ in Freiburg. Zu den Auswirkungen der Blockaden sind im Urteil folgende Feststellungen getroffen: 7.2.2022: Der Verkehr kam vollständig zum Erliegen. Es entstanden innerhalb kürzester Zeit ein mehrere Kilometer langer Rückstau bis hin zur Berliner Allee und eine Zeitverzögerung von mindestens 30 – 45 Minuten. 11.2.2022: Trotz sofort durch die Polizei eingeleiteter Umleitungsmaßnahmen kam es zu vorübergehenden Verkehrsbeeinträchtigungen. 15.2.2022: Es kam zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Der Verkehr auf der BAB A 5 staute sich in südlicher Richtung bis auf ungefähr 18 Kilometer. Der Verkehr normalisierte sich erst gegen 10:08 Uhr wieder.

Leitsätze

Klimaaktivisten: Verwerflichkeit von Straßenblockaden

1. Bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter ist bei der Prüfung der Verwerflichkeit (§ 240 Abs. 2 StGB) eine Beurteilung aller für die Mittel-Zweck-Relation wesentlicher Umstände und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht im jeweiligen Einzelfall vorzunehmen, ohne dass das mit der Blockade verfolgte inhaltliche Anliegen bewertet werden darf.

2. Um die so vorgenommene Bewertung nachvollziehbar zu machen, müssen die tatsächlichen Grundlagen der im Einzelfall wesentlichen Umstände im Urteil festgestellt sein.

9.

OLG Köln, Beschl. v. 26.8.2016 – 1 RVs 186/16 

Sachverhalt

Der Angeklagte hat sich 2014 an einem sog. Aktionstag von Klimaaktivisten beteiligt. Um seinen Unmut gegen die Braunkohleförderung und -verbrennung im Rheinischen Revier zum Ausdruck zu bringen, betrat er unweit eines Kohlebunkers die Gleise der Privatbahnstrecke der S AG, die den von dieser betriebenen Tagebau mit den ebenfalls von ihr betriebenen Kraftwerken und Brikettfabriken im Landkreis verbindet. Von unbekannt gebliebenen Personen aus dieser Gruppe wurde zunächst an zwei Stellen der Gleisschotter auf einem kurzen Gleisstück der Gleisanlagen beseitigt.

Nach dieser sogenannten Ausschotterung kettete sich der Angeklagte derart an ein Gleis an, dass seine Arme innerhalb eines Stahlrohres gefesselt waren und auch die eingesetzten polizeilichen Kräfte den Angeklagten zunächst von den Gleisen nicht entfernen konnten. Durch die Ankettung des Angeklagten wurde der Schienen- und Bahnverkehr der S – wie von dem Angeklagten gewollt – behindert.

Das AG Jülich und das LG Aachen haben den Angeklagten wegen Störung öffentlicher Betriebe (§ 316b StGB) verurteilt. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Leitsatz

1. Private Anlagen genießen den Schutz des § 316b Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenn sie der öffentlichen Versorgung dienen, d.h. ein bestimmtes Gebiet regelmäßig beliefern.

2. Ein "Verändern" im Sinne des § 316b StGB setzt keinen beschädigenden Eingriff in die Sachsubstanz voraus, sondern liegt bereits dann vor, wenn ohne Einwirkung auf die Substanz der Anlage der bisherige Zustand durch einen anderen ersetzt und hierdurch deren Funktionsfähigkeit gemindert wird. Einen solchen Eingriff stellt auch das Anketten an eine Gleisstrecke dar.

10.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.2.2024 – 1 ORs 25 Ss 1/23.

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft legte der Angeklagten das Abhalten einer unangemeldeten Versammlung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch am 22.2.2021 (Tatvorwurf 1), das Abhalten einer unangemeldeten Versammlung im März 2021 (Tatvorwurf 2) sowie Nötigung in Tateinheit mit der Teilnahme an einer Versammlung in einer Aufmachung zur Verhinderung der Feststellung ihrer Identität am 29.4.2021 (Tatvorwurf 3) zur Last. Wegen dieser Taten hat das AG die Angeklagte verurteilt. Die Berufung der Angeklagten führte vor dem LG zu einem Freispruch.

Zum ersten Tatvorwurf hat das LG im Wesentlichen festgestellt:“ Am 22.2.2021 fand ab 19 Uhr in der Mehrzweckhalle der Gemeinde pp. eine Gemeinderatssitzung zum Regionalplan Bodensee-Oberschwaben statt. Gegen 18.30 Uhr kletterten die Angeklagte und der gesondert verfolgte pp. mit Hilfe einer Leiter auf das nicht gesicherte Hallenflachdach und enthüllten dort ein ca. acht Quadratmeter großes Transparent mit der Aufschrift „Stoppt den Klimahöllenplan“, um die Teilnehmer der Gemeinderatssitzung auf ihrer Meinung nach mit den Projekten des Regionalplans einhergehenden Folgen für die Umwelt aufmerksam zu machen. Die Angeklagte und pp. verließen das Dach erst nach Beginn der Gemeinderatssitzung. Der Bürgermeister der Gemeinde stellte Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs.“

Zum dritten Tatvorwurf ist festgestellt: „Die Angeklagte schloss sich mit zehn Personen zusammen, um durch eine auf „einen gemeinsamen Tatplan zurückgehende gemeinschaftlich ausgeführte Aktion“ den Betrieb von zwei Kieswerken zu stören. In Umsetzung dieser Aktion, die wegen des beabsichtigten Überraschungseffekts vorher geheim gehalten wurde, wurden fünf aus je zwei Personen bestehende „Posten“ gebildet. Vier dieser Posten besetzten die Zufahrten zu einem Kieswerk. Infolge der blockierten Zufahrten kam es zu einem Stau von mindestens 20 Lkw.“

Die Staatsanwaltschaft greift – nach teilweiser Rücknahme der Revision sowie nach der Beschränkung des Verfahrens auf die Vorwürfe des Hausfriedensbruchs und der Nötigung – den Freispruch von den Tatvorwürfen 1 und 3 an.

Leitsatz

1. Eine Nötigung mit Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der durch das Blockieren einer Straße gegenüber den ersten Kraftfahrern ausgeübte Zwang sich unmittelbar in physische Hindernisse umsetzt, indem diese Personen und ihre Fahrzeuge bewusst als Werkzeug zur tatsächlichen Behinderung der Nachfolgenden benutzt werden. Anlass, von dieser verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung abzuweichen, besteht nicht.

2. Entspricht das Blockieren mehrerer Straßen einem gemeinsam gefassten Tatplan, muss sich jeder in die Aktion eingebundene Mittäter die durch das Handeln seiner Tatgenossen plangemäß errichteten Straßensperren und dadurch hervorgerufene Folgen zurechnen lassen.

3. Die Beurteilung der Verwerflichkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB erfordert eine an den Einzelfallumständen orientierte Abwägung. Im Hinblick auf den Wortlaut und den von § 240 StGB bezweckten Schutz der Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung kann die Grenze zur Verwerflichkeit ohne Weiteres auch ohne eine Gefährdung Dritter überschritten sein. Eine Rechtfertigung von Straßenblockaden aus Art. 8 Abs. 1 GG, nach § 34 StGB sowie unter dem Aspekt des sog. zivilen Ungehorsams ist ausgeschlossen.

4. 3. Das Flachdach einer Mehrzweckhalle, zu dem kein allgemeiner oder regulärer Zugang eröffnet ist und dessen Betreten ohne mitgebrachte Aufstiegshilfe unmöglich ist, stellt ein befriedetes Besitztum im Sinne des § 123 Abs. 1 StGB dar.

11.

LG Berlin, Beschl. v. 21.11.2022 – 534 Qs 80/22

Sachverhalt

Der Angeschuldigten wird vorgeworfen, sich am in der Zeit von ca. 8:00 Uhr bis 09:16 Uhr im Rahmen der Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ auf die Fahrbahn einer Straßenkreuzung in Berlin gesetzt zu haben, um die auf der betreffenden Straße befindlichen Fahrzeugführenden bis zur Räumung der Blockade durch Polizeivollzugsbeamte an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Zudem soll die Angeschuldigte ihre rechte Hand mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn geklebt und dadurch die von ihr erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade erschwert haben.

Das AG Tiergarten (AG Tiergarten, Beschl. v. 5.10.2022 – ([303 Cs] 237 Js 2450/22 [202/22)) hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt (vgl. Ziffer 10). Das LG hat die Anklage wegen Nötigung (§ 240 StGB) und Widerstand (§ 113 StGB) zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

Leitsatz

Beim Festkleben mit der Hand auf einer Fahrbahn, ihm Rahmen einer Straßenblockade, um Fahrzeugführer an ihrer Weiterfahrt zu hindern, bis die Blockade durch Polizeieinsatzkräfte geräumt wird, besteht hinreichender Tatverdacht hinsichtlich Nötigung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.

12.

LG Berlin, Beschl. v. 20.4.2023 – 503 Qs 2/23

Sachverhalt

Die Angeschuldigte soll an einer nicht angemeldeten Versammlung mit dem Themenbezug „Muttis gegen den Klimawandel“ teilgenommen und sich – um zusätzliche Aufmerksamkeit zu erzeugen mit einer Handfläche an die Scheibe der Eingangstür einer Deutschen Bank Filiale in Berlin festgeklebt haben. Der Aufforderung der Polizei, sich an einen anderen zugewiesenen Versammlungsort zu begeben, soll sie nicht nachgekommen sein, weswegen ihre Hand mit Hilfe einer Aceton-Lösung habe von der Scheibe gelöst werden müssen. Dies habe etwa drei Minuten in Anspruch genommen.

Das AG hat den Erlass eines Strafbefehls wegen Widerstandes (§ 113 StGB) abgelehnt. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg.

Leitsatz

Das Ankleben stellt keine Gewalt i.S.v. § 113 StGB dar, wenn sich die Verbindung ohne Gewaltanwendung wieder lösen lässt.

13.

LG Berlin, Urt. v. 18.1.2023 - 518 Ns 31/22

Sachverhalt

Der Angeklagte hat sich im Februar 2022 mit elf weiteren Aktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ im Bereich einer Zufahrt zur Stadtautobahn A 100 in Berlin-Moabit „nur“ auf die Fahrbahn gesetzt, während zwei andere Demonstranten sich auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber festgeklebt hatten.

Das AG Tiergarten hat ihn wegen Nötigung verurteilt. Die Berufung dagegen ist ohne Erfolg geblieben.

Leitsatz

Die Sitzblockade eines sog. Klimaaktivisten ist grundsätzlich als verwerflich i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen und insbesondere nicht durch die in Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlungsfreiheit, deren Prüfungsmaßstab allein maßgeblich ist, gerechtfertigt. Es ist eine Prüfung der Zweck-Mittel-Relation vorzunehmen. Entscheidend zu berücksichtigen ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung vor allem das Gewicht des gewaltsamen Eingriffs in die Rechte Dritter, die von den Tätern zu Objekten ihrer Selbstdarstellung gemacht werden.

14.

LG Berlin, Beschl. v. 31.5.2023 - 502 Qs 138/22

Sachverhalt

Der Angeklagte beteiligte sich am 30.6. 2022 zwischen 8.50 Uhr und 9.05 Uhr mit fünf weiteren Mittätern an einer Straßenblockade der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ und hat sich aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans auf die Fahrbahn einer vielbefahrenen Straße gesetzt zu haben, um so die auf der betreffenden Straße befindlichen Fahrzeugführer bis zur Räumung der Blockade durch die Polizeivollzugsbeamten an der Fortsetzung ihrer Fahrt zu hindern. Dabei hatte sich der Angeschuldigte zur Erschwerung der erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade mittels Klebstoffs auf der Straße befestigt, sodass die Polizeivollzugsbeamten den Angeschuldigten erst nach Lösung des Klebstoffs, die jeweils nicht nur ganz unerhebliche Zeit in Anspruch genommen hat, von der Straße tragen konnten. Es ist aufgrund der Blockade bis zu deren Auflösung zu einer erheblichen Verkehrsbeeinträchtigung in Form eines Rückstaus zahlreicher Fahrzeuge gekommen.

Leitsatz

Eine Straßenblockade durch Klimaaktivisten stellt nach der sog. "Zweite-Reihe-Rechtsprechung" des BGH Gewalt im Sinne des § 250 Abs. 1 StGB dar. Denn die Fahrer in der zweiten Reihe und den nachfolgenden Reihen werden durch unüberwindbare physische Hindernisse, nämlich den Fahrzeugen vor und hinter ihnen, an der Weiterfahrt gehindert, womit auch der erstrebte Nötigungserfolg eingetreten ist. Die darin liegende Nötigung anderer Verkehrsteilnehmer kann jedoch nach Abwägung aller Umstände gem. § 240 Abs. 2 StGB gerechtfertigt sein.

15.

LG Bremen, Beschl. v. 22.6.2021 – 2 Qs 213/21

Sachverhalt

Im April 2021 führten mehrere Klimaaktivisten der Gruppierung Extinction Rebellion in Bremen und im Umland koordinierte Protestaktionen durch, mit denen sie auf die Notwendigkeit eines zeitnahen Handelns gegen den Klimawandel, hier insbesondere mit Blick auf die sog. Verkehrswende, aufmerksam machen wollten. Diese Aktionen richteten sich allesamt gegen den Individualverkehr. Von den Aktivisten wurde der Verkehr im Bereich zweier Autobahnabfahrt gestört, indem sich die Aktivisten dort mit Transparenten über mehrere Stunden auf der Fahrbahn aufhielten und Schilderbrücken besetzten, an denen sie (wie auch an einigen anderen Straßenschildern) Transparente anbrachten. Bei dieser Aktion soll auch der Beschuldigte zugegen und an dem Versuch beteiligt gewesen sein, einen Fahrzeugführer an der Weiterfahrt zu hindern.

Gegen den Beschuldigten wurde ein Strafverfahren wegen Nötigung (§ 240 StGB) eingeleitet, in dem eine Durchsuchung beim Beschuldigten beantragt wurde. Das AG Bremen hat den Antrag mit dem AG Bremen, Beschl. v. 18.5.2021 – 92b Gs 448/21 (225 Js 25762/21) abgelehnt. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg.

Leitsatz

1. Bei der Prüfung, ob in den Fällen der Verkehrsstörung aus Klimaschutzgründen eine verwerfliche Mittel-Zweck-Relation gem. § 240 Abs. 2 StGB vorliegt, kommt dem Anliegen der Klimaaktivisten, auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes – gerade auch mit Bezugnahme auf den Individualverkehr – hinzuweisen ein erhebliches Gewicht in der zu treffenden Abwägung zu.

2. Es ist eine Abwägungsentscheidung zwischen den Rechtsgütern der Betroffenen, der Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer und der Versammlungsfreiheit der Aktivisten unter Bezugnahme auf die soziale Gewichtigkeit des verfolgten Anliegens sowie dem Grad der festzustellenden Einschränkungen der Verkehrsteilnehmer vorzunehmen. Dabei ist die Schwere des Eingriffs in die Rechte der betroffenen Fahrzeugführer und die Gefährlichkeit des Eingriffs für Dritte zu bewerten,

16.

AG Eschweiler, Urt. v. 4.12.2019 – 32 Ls 49/18

Sachverhalt

Der Angeklagte und Mitangeklagte haben sich im November 2017 mit einem Dreibein auf zwei Förderbändern, mit denen Braunkohle einem Braunkohlekraftwerk zugeführt werden konnte, verankert. Nachdem Mitarbeiter des Kraftwerks die Personen auf den Förderbändern entdeckten, wurden die Förderbänder abgeschaltet, um sowohl Verletzungen der Personen als auch an der Anlage zu verhindern. Die Mitarbeiter des Kraftwerks benachrichtigten die Polizei. Im Rahmen des folgenden Einsatzes wurden die Angeklagten jeweils durch Polizeibeamte aufgefordert, das Werksgelände zu verlassen. Dieser Aufforderung sind sie nicht nachgekommen.

Das AG hat die Angeklagten wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) verurteilt.

Leitsatz

1. Die Angeklagten können sich nicht auf Notwehr bzw. Nothilfe im Sinne der § 32 StGB bzw. § 227 BGB berufen, da lediglich eine Sachgefahr in Betracht kommt und kein gegenwärtiger Angriff eines Menschen auf Rechtsgüter der Angeklagten oder Dritter vorliegt. Auch wenn das Kraftwerk von Menschen betrieben und geleitet wird, handelt es sich vorliegend um eine Sachgefahr, die von den Schadstoffen im Rahmen der Verbrennung von Braunkohle zu Tage tritt.

2. Die Angeklagten können sich auch nicht auf einen rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB bzw. § 228 BGB berufen. Zwar hat der Klimawandel schon jetzt konkrete Auswirkungen auf die Menschheit. Es fehlt allerdings an der Geeignetheit der Kraftwerksbesetzung, denn es handelt sich um eine rein politisch motivierte Symboltat, weshalb sich die Angeklagten bei einer zeitlichen Behinderung des Betriebs des Kraftwerks nicht auf eine dauerhafte Verhinderung einer Gefahrenlage berufen können.

17.

AG Flensburg, Urt. v. 7.11.2022 - 440 Cs 107 Js 7252/22

Sachverhalt

Dem Eigentümer eines Grundstücks ist für die Bebauung eines Waldabschnitts mit einem Hotel eine Baugenehmigung erteilt worden. Für die Bebauung war die Rodung von weiten Teilen des Baumbestandes vorgesehen. Anfang Januar 2020 begaben sich erstmals ungefähr 20 Menschen auf das Privatgrundstück der Immobilienfirma und errichteten in dem zugehörigen Waldabschnitt mehrere Baumhäuser. Im Februar 2021 wurden wesentliche Teile des Grundstücks vollständig mit Bauzäunen umstellt, um mit der Rodung zu beginnen. Unter den Anwesenden war an diesem Morgen auch der Angeklagte, der nach der Umzäunung des Gebiets noch drei Tage lang auf einem Baum verweilte, um die Fällung zu verhindern.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs §( 3 123 StGB) frei gesprochen.

Leitsatz

1. Die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB sind im Licht der sich sowohl aus der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG ergebenden als auch auf die Grundrechte des Grundgesetzes stützende und damit wechselseitig normativ verstärkten Bedeutung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum Klimaschutz auszulegen.

2. Die mit den Folgen des Klimawandels verbundenen Risiken bilden aktuell eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 34 StGB.

3. Unter verfassungsrechtlich gebotener Berücksichtigung der hohen Wertigkeit des Klimaschutzes sind im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit der Handlung im Sinne des § 34 StGB sowohl hohe Anforderungen an die objektiv gleiche Eignung von Handlungsalternativen zu stellen als auch dem Täter ein begrenzter Einschätzungsspielraum bei seiner ex ante erfolgenden Beurteilung einer gleichen Eignung einzuräumen.

18.

AG Flensburg, Urt. v. 6.7.2023 – 430 Cs 107 Js 4027/23

Sachverhalt

Der Angeklagte beteiligte sich am 2.2.2023 an einer nicht im Vorfeld angekündigten Straßenblockade-Aktion des Aktionsbündnisses "Letzte Generation". Hierzu setzte er sich mit zwei weiteren Personen um 15:38 Uhr auf den Zebrastreifen einer Straße in Freiburg auf die zweispurige Fahrbahn. Zwei weitere Personen setzen sich auf die daneben verlaufende Busfahrspur. Der Angeklagte setzte sich dabei auf rechte äußere Seite der Fahrbahn aus Richtung der Innenstadt. Er und die weiteren Teilnehmer der Blockade hatten die Absicht, den Kraftfahrzeugverkehr stadteinwärts und stadtauswärts an der Weiterfahrt zu hindern. Dabei klebten er und die zwei weiteren Personen auf der Fahrbahn jeweils eine ihrer Hände mit Sekundenkleber auf der Straße fest, um die erwarteten polizeilichen Maßnahmen zur Räumung der Blockade zu erschweren. Infolge dessen kam es zunächst bis um 16:01 Uhr zu einem vollständigen Erliegen des Fahrzeugverkehrs.

Leitsatz

1. Eine Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße ist, gemessen an den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalls, eine strafbare Nötigung gem. § 240 StGB.

2. Gegen die Verwerflichkeit der Tat nach § 240 Abs. 2 StGB spricht nicht, dass die Betroffenen als Kraftfahrzeugnutzende den Ausstoß von CO₂ verursachen und dadurch mit dem Anliegen des Klimaschutzes in Verbindung stehen. Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB kommt aufgrund des Vorrangs staatlicher Abhilfemaßnahmen nicht in Betracht.

19.

AG Freiburg, Urt. v. 22.11.2022 – 28 Cs 450 Js 23773/22

Sachverhalt

Der Angeklagte hat an einer unangemeldeten Sitzblockade zur morgendlichen Hauptverkehrszeit teilgenommen, die zu einer etwa einstündigen Blockade des Verkehrs geführt hat.

Leitsatz

1. Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen, die von Demonstrationen ausgehen, sind durch Art. 8 GG gerechtfertigt, soweit sie als sozialadäquate Nebenfolgen mit der Demonstration verbunden sind. Um das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Rechte zu beurteilten, sind Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand von Bedeutung

2. Der Kampf für Klimaschutzmaßnahmen unter Hinweis darauf, dass das staatliche Handeln bislang nicht ausreichend sei, rechtfertigt nicht, das Recht beliebiger einzelner auf freie Fortbewegung und mitunter freie Ausübung der beruflichen Tätigkeit zu verletzen (§ 34 StGB) .

20.

AG Heilbronn, Urt. v. 6.3.2023 - 26 Ds 16 Js 4813/23

Sachverhalt

Die Angeklagten haben an einer bundesweiten Protestaktion in Form einer Straßenblockade der „Letzte Generation“ teilgenommen. In Ausführung dieses Planes blockierten die Angeklagten gegen 8 Uhr eine mehrspurige Straße und setzten sich mit jeweils rund einem bis eineinhalb Meter Abstand zueinander in einer Reihe auf die drei Richtungsfahrbahnen. Zwei Angeklagte befestigten jeweils eine Hand mittels Kleber auf dem Asphalt, so dass die Angeklagten beim Heranfahren von Kraftfahrzeugen nicht ausweichen konnten, und um hierdurch zugleich die Einsatzkräfte für eine nicht unerhebliche Zeit daran zu hindern, die Fahrbahn zu räumen, und die auf der Neckarsulmer Straße stadteinwärts am Verkehr teilnehmenden Kraftfahrzeugfahrer während der Dauer der Blockadeaktion von der Weiterfahrt abzuhalten. Durch dieses Vorgehen wurden mindestens drei Verkehrsteilnehmer an der Weiterfahrt gehindert.

Das AG hat wegen Nötigung (§ 240 StGB) verurteilt.

Leitsatz

1. Keine Gewalt i.S. des § 240 StGB ist die „bloße Anwesenheit" von Demonstranten auf der Fahrbahn, soweit sie sich nur als psychische Hemmung auf die anhaltenden Fahrer auswirkt, die Demonstranten nicht zu überfahren. Ab der „zweiten Reihe" der anhaltenden Fahrer wirkt aber nicht nur die psychische Hemmung, sondern auch die in erster Reihe bzw. davorstehenden Fahrzeuge als physische Sperre.

2. Zur Verwerflichkeit einer Straßenblockade i.S. von § 240 Abs. 2 StGB

3. Auch wenn man den Klimawandel als eine gegenwärtige Gefahr einstuft, ist eine Straßenblockade dennoch weder ein erforderliches noch angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr im Sinne des § 34 StGB.

4. Wenn ein Angeklagter glaubhaft angibt, von strafrechtlichen Sanktionen nicht davon abgehalten zu werden, gleichgelagerte Straftaten zu begehen, liegen besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten vor, die zur Einwirkung auf ihn die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StPO auch unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes unerlässlich machen.

21.

AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 14.3.2022 - 21 Cs-721 Js 44/22-69/22

Sachverhalt

Siehe bei Ziffer 6

Leitsatz

Es kann aus den Grundrechten des Täters unmittelbar eine Rechtfertigung oder ein Entschuldigungsgrund hergeleitet werden (hier: für Hausfriedensbruch).

22.

AG München, Urt. v. 16.11.2022 – 851 Cs 113 Js 124160/22

Sachverhalt

Der Angeklagte hat an einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße teilgenommen. Aufgrund der Blockade konnten Fahrzeuge ihren Weg nicht fortsetzen.

Leitsatz

Behinderungen und Zwangswirkungen werden grundsätzlich nur dann durch Art. 8 GG gerechtfertigt, wenn sie als sozialadäquate Nebenfolge mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind. Bei einer zielbewussten Anwendung unmittelbaren Zwangs gegenüber einem bestimmten Rechtsgut eines Dritten ist dem Täter hingegen in der Regel die Berufung auf die Versammlungsfreiheit als Rechtfertigungsgrund verwehrt. Die instrumentalisierende Beeinträchtigung Unbeteiligter ist ein generell inakzeptables Mittel der Meinungskundgabe.

23.

AG Tiergarten, Beschl. v. 5.10.2022 – (303 Cs) 237 Js 2450/22 (202/22)

Sachverhalt

Siehe bei Ziffer 9

Leitsatz

1. Sitzblockaden durch Klimaaktivsten der „Letzten Generation“ erfüllen nicht den Tatbestand des Widerstandleistens und/oder der Nötigung.

2. Die nach der Rechtsprechung des BVerfG vorzunehmende Abwägung führt dazu, dass Mittel-Zweck-relation nicht verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB ist, und zwar ggf. auch nicht für die sog. „Zweite Reihe“.

Hinweis:

Das OVG Berlin-Brandenburg setzt sich in einem Beschluss vom 10.9.2024 (OVG 1 S 81/23) mit der Frage auseinander, ob vom Blockierenden, der sich festgeklebt hat, Gebühren für das Lösen von der Fahrbahn erhoben werden können. Die waren von einem Blockierenden erhoben werden. Der von diesem dagegen gerichtete Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid erhobenen Klage hatte Erfolg. Das OVG hat sowohl die Voraussetzungen einer Ersatzvornahme nach § 10 VwVG als auch die Frage verneint, ob das Lösen der Klebeverbindung zwischen der Hand des Antragstellers und der Straßenoberfläche und das anschließende Wegtragen als unmittelbare Ausführung i.S.d. § 15 ASOG qualifizieren werden kann.

von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg


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