aus StRR 6/2025, 7
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "PStR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "PStR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Am 1.6.2025 ist das KostBRÄG 2025 v. 7.4.2025 (BGBl I. 2025, Nr. 109) in Kraft getreten. Dieser Beitrag stellt die wichtigsten Änderungen und Auswirkungen für Verteidiger/Rechtsanwälte, die in Straf- oder Bußgeldsachen tätig sind, vor.
Zum Gesetzgebungsverfahren ist hier nur darauf hinzuweisen, dass es sich um eine schwere Geburt gehandelt hat. Zunächst hatte seit Mitte Juni 2024 auf der Homepage des BMJ ein Referentenentwurf Kostenrechtsänderungsgesetz 2025 (KostRÄG 2025) vor sich hin gedämmert. Nach dem Scheitern der Ampelkoalition am 6.11.2024 war man dann allgemein davon ausgegangen, dass das KostRÄG in der 20. Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden würde. Überraschend hatte dann aber am 11.12.2024 das Bundeskabinett noch eine Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen beschlossen, die auf dem Referentenentwurf vom Sommer 2024 basierte. Aber auch diese Formulierungshilfe war kein Erfolg beschieden. Es hat dann jedoch am 17.12.2024 die FDP-Fraktion den Entwurf eines Kostenrechtsänderungsgesetz 2025 KostRÄG 2025) vorgelegt (BT-Drucks. 20/14264), der bereits am 19.12.2024 im Bundestag in erster Lesung beraten und in den Rechtsausschuss verwiesen worden ist. Dort hat dann am 29.1.2025 eine Beratung stattgefunden und es ist auf Vorschlag des Rechtsausschusses der Entwurf des KostRÄG in den des Betreuervergütungsgesetzes integriert worden. Der Bundestag hat dann am 31.1.2025 am KostBRÄG 2025 (BT-Drucks. 20/14768), angenommen. Es handelt sich um ein sog. Artikelgesetz, in dem in Art. 11 die Änderungen des RVG enthalten sind. Der Bundesrat hat das Gesetz am 21.3.2025 beraten und zugestimmt (BR-Drucks. 89/25). Das Gesetz ist dann am 10.4.2025 im BGBl verkündet worden.
Hinweis:
Gem. Art. 13 Abs. 3 des Gesetzes ist es also am 1.6.2025 in Kraft getreten
Zuletzt sind die anwaltlichen Gebühren im RVG durch das KostRÄG 2021 zum 1.1.2021 erhöht worden (vgl. dazu Burhoff StraFo 2021, 8 und AGS 2021, 49) Seitdem sind die Kosten der Rechtsanwälte//Verteidiger für den Kanzleibetrieb weiter erheblich gestiegen. U.a. deshalb und so die Gesetzesbegründung - damit die Anwaltschaft ihren wichtigen Beitrag für den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zum Recht auch weiterhin leisten kann, [waren] die gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren an die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen (BT-Drucks. 20/14264, S. 1). Zur Anpassung ist erneut wie auch schon im KostRÄG 2021 - eine Kombination aus strukturellen Verbesserungen im anwaltlichen Vergütungsrecht sowie einer linearen Erhöhung der Gebühren des RVG vorgeschlagen worden.
Auf der Grundlage sind die Betragsrahmen- sowie die Festgebühren um 9 % und die Wertgebühren um 6 % angehoben worden. Als (erneute) Kompensation für die klammen Landeskassen, bei denen sich diese Erhöhung insbesondere über die PKH-Gebühren und die gesetzlichen Gebühren der Pflichtverteidiger bemerkbar macht, hat man u.a. die Gerichtsgebühren ebenfalls linear um 9 % bzw. 6 % angehoben worden. Diese Anhebungen wirken sich insbesondere in Straf- und Bußgeldverfahren aus. Die Wertgebühren der Nrn. 4142, 4143, 4144, 5116 VV RVG und z.B. auch die Festgebühr der Nr. 4304 VV RVG sind um rund 6 % angehoben worden. Das Ausmaß der Erhöhungen verdeutlicht folgendes
Beispiel
Rechtsanwalt R ist für den Mandanten bereits vor Anklageerhebung im Ermittlungsverfahren tätig. Er verteidigt den Angeklagten dann nach Anklageerhebung in einer eintägigen Hauptverhandlung bei der Strafkammer beim LG. Gegen das LG-Urteil wird Revision eingelegt, die vom BGH verworfen wird.
Es ergibt sich folgende Gegenüberstellung altes/neues Recht, wobei Mittelgebühren zugrunde gelegt werden:
Wahlanwalt |
||
Gebührentatbestand |
Altes Recht |
Neues Recht |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG |
220,00 EUR |
240,00 EUR |
Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren, Nr. 4104 VV RVG |
181,50 EUR |
198,00 EUR |
Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren, Nr. 4112 VV RVG |
203,50 EUR |
222,00 EUR |
Terminsgebühr Strafkammer, Nr. 4114 VV RVG |
352,00 EUR |
383,50 EUR |
Verfahrensgebühr Revision, Nr. 4130 VV RVG |
676,50 EUR |
737,50 EUR |
Summe |
1.633,50 EUR |
1.781,00 EUR |
Erhöhung somit ca. 9,03 % |
||
Pflichtverteidiger |
||
Gebührentatbestand |
Altes Recht |
Neues Recht |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV RVG |
176,00 EUR |
192,00 EUR |
Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren, Nr. 4104 VV RVG |
145,00 EUR |
158,00 EUR |
Verfahrensgebühr gerichtliches Verfahren, Nr. 4112 VV RVG |
163,00 EUR |
178,00 EUR |
Terminsgebühr Strafkammer, Nr. 4114 VV RVG |
282,00 EUR |
307,00 EUR |
Verfahrensgebühr Revision, Nr. 4130 VV RVG |
541,00 EUR |
590,00 EUR |
Summe |
1.307,00 EUR |
1.425,00 EUR |
Erhöhung somit ca. 9,03 % |
Im §§-Teil des RVG hat es (zunächst) angekündigte strukturelle Änderungen (für Strafverteidiger) nicht gegeben. Es sind dort für Rechtsanwälte/ Verteidiger nur zwei Änderungen von Bedeutung. Das sind die Anhebungen der Gebührensätze für die Wertgebühren. Ggf. können ja auch als Verteidiger tätige Rechtsanwälte Wertgebühren verdienen, und zwar nach den Nrn. 4142, 4143, 4144, 5116 VV RVG. Nach den Änderungen der §§ 73 ff. StGB durch die Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung hat in der Praxis die Bedeutung der Nrn. 4142, 5116 VV RVG erheblich zugenommen, so dass die Anhebung der Wertgebührensätze von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sein kann/ist. Die Höhe dieser Wertgebühren richtet sich für den Wahlanwalt nach der Tabelle des § 13 RVG, für den Pflichtverteidiger und/oder beigeordneten Rechtsanwalt nach der Tabelle des § 49 RVG. Im Einzelnen gilt:
In § 13 RVG sind für den Wahlanwalt nur die Werte der Gebühren angehoben worden, und zwar um rund 6 %.
Anhebung der Wertgebühren für den bestellten Rechtsanwalt (§ 49 RVG)
In § 49 RVG, der für bestellte/beigeordnete Rechtsanwälte gilt, also insbesondere für Pflichtverteidiger, sind anders als in § 13 RVG - nicht nur die Gebührenwerte geändert worden, sondern auch die Staffelung der Gegenstandswerte, was zu einer (weiteren) Anhebung der Gebühren bei den Pflichtverteidigern und/oder beigeordneten Rechtsanwälten führen wird. Die frühere Regelung sah bis zu einem Gegenstandswert von 50.000 EUR eine Staffelung der Werte und der zugehörigen Gebühren vor. Bei höheren Werten galt eine Kappungsgrenze und die Gebühr belief sich früher einheitlich auf 659 EUR. Diese obere Wertgrenze war zuletzt im Jahr 2021 durch das KostRÄG 2021 von 30.000 EUR auf 50.000 EUR angehoben worden.
Bei den nun durchgeführten Änderungen hat man berücksichtigt, dass sich die seit der letzten Gebührenanpassung eingetretene Erhöhung der Gegenstandswerte aufgrund der stärker degressiv ausgestalteten (PKH-)Gebührentabelle des § 49 RVG dort nicht in gleichem Maße auf das Gebührenaufkommen ausgewirkt hat wie bei der Wahlanwaltsvergütung. Als Ausgleich hat man nun die Gebühr in der Wertstufe bis 5.000 EUR zusätzlich erhöht. Während sich die Gebühr früher auf 85 % der Wahlanwaltsgebühr belief, hat man sie nun auf 90 % angehoben. Bei den Gebührenbeträgen in den folgenden Stufen ist ein angemessener Abstand zu den jeweils vorhergehenden Stufen erhalten geblieben. Zudem hat man aber die obere Wertgrenze von früher 50.000 EUR auf jetzt 80.000 EUR angehoben. Die Auswirkungen verdeutlich folgendes
Beispiel:
Der Rechtsanwalt ist als Pflichtverteidiger in einem Verfahren tätig, in dem vom Gericht ein Betrag von 85.000 EUR als Dealgeld eingezogen wird. Das Gericht setzt den Gegenstandswert auf 85.000 EUR fest.
Nach altem Recht betrug die aus der Staatskasse zu zahlende gesetzliche zusätzliche Gebühr Nr. 4142 VV RVG (Tabelle zu § 49 RVG a.F.):
Nr. 4142 VV RVG |
|
(Gegenstandswert: 85.000 EUR, aber Kappung bei 50.000 EUR) |
659,00 EUR |
Nach neuem Recht beträgt die aus der Staatskasse zu zahlende gesetzliche Gebühr Nr. 4142 VV RVG (Tabelle zu § 49 RVG n.F.):
Nr. 4142 VV RVG |
|
(Gegenstandswert 85.000 EUR, keine Kappung bei 50.000 EUR, sondern erst bei 80.000 EUR) |
786,00 EUR |
Das KostBRÄG 2025 v. 7.4.2025 hat im Vergütungsverzeichnis des Teil 4 VV RVG keine Änderung vorgenommen. Es sind lediglich die Gebührenrahmen linear erhöht worden.
Anpassungen bei der Gebührenstaffelung
Bislang fiel die Verfahrensgebühr Nr. 5101 VV RVG bei Geldbußen von weniger als 60 EUR an, bei den Gebühren Nrn. 5103, 5107, 5109 VV RVG war die Untergrenze für die maßgebliche Geldbuße bei 60,00 EUR gezogen. Dieser Wert, der den Anwendungsbereich der Vorschriften bestimmt, orientiert sich an der Grenze für Eintragungen in das Fahreignungsregister. Durch die Erste Verordnung zur Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung vom 13.10.2021 (BGBl. I S. 4688) wurde die Systematik hinsichtlich der Eintragungen in das Fahreignungsregister geändert. Eine feste Betragsgrenze bei den Geldbußen, ab der es stets zu einer Eintragung kommt, besteht danach nicht mehr. Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen droht eine Eintragung nunmehr erst bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die mit einer Geldbuße von 100,00 EUR (außerorts) bzw. 115,00 EUR (innerorts) belegt ist. Bei Parkverstößen liegen die Grenzen ggf. niedriger, bis auf wenige Ausnahmen liegen aber auch hier die Eintragungsgrenzen bei mindestens 80,00 EUR. Diese Änderung der Eintragungssystematik in das FAER hat dazu geführt, den Anwendungsbereich der Nrn. 5101, 5103, 5107, 5109 VV RVG auf Angelegenheiten mit einer festgesetzten Geldbuße von weniger als 80,00 EUR (Nr. 5101 VV RVG) bzw. ab 80,00 EUR (Nrn. 5103, 5107, 5109 VV RVG) festzulegen.
Darüber hinaus hat das KostBRÄG 2025 v. 7.4.2025 im Vergütungsverzeichnis des Teil 5 VV RVG keine Änderung vorgenommen. Es sind auch hier dann nur noch die Gebührenrahmen linear erhöht worden.
Nach Art. 13 Abs. 3 KostBRÄG 2025 sind die Änderungen am 1.6.2025 in Kraft getreten. Die Änderungen sind nach dem maßgeblichen § 60 RVG, der durch das KostRÄG 2021 geändert worden ist, also grundsätzlich anzuwenden in allen Angelegenheiten, in denen der unbedingte Auftrag (§ 60 Abs. 1 S. 1 RVG) ab dem 1.6.2205 erteilt ist.
Bei unbedingter Auftragserteilung vor dem 1.6.2025 gilt also für den Wahlanwalt altes Recht, bei unbedingter Auftragserteilung nach dem 31.5.2025 gilt vorbehaltlich § 60 Abs. 1 S. 5 RVG neues Recht. Unbedingt ist der Auftrag dann erteilt, wenn der Auftrag vom Rechtsanwalt angenommen bzw. das Mandat von ihm übernommen worden ist. Für Rechtsmittelverfahren ist gem. § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ebenfalls grundsätzlich der Zeitpunkt der unbedingten Auftragserteilung für das Rechtsmittelverfahren maßgebend (zum Übergangsrecht betreffend KostRÄG 2021 eingehend mit Beispielen Volpert StraFo 2021, 188 und N. Schneider AGs 2021, 1 ff.).
Wenn der beigeordnete oder bestellte Rechtsanwalt Stichwort: Pflichtverteidiger - mit Mandatsverhältnis tätig wird, richtet sich der gegen die Staatskasse gerichtete Vergütungsanspruch (§§ 45, 59a RVG) ebenfalls nach dem Zeitpunkt der unbedingten Auftragserteilung. Für Wahl- und Pflichtanwaltsvergütung ist deshalb immer dasselbe Recht anzuwenden, und zwar das frühere (§ 60 Abs. 1 S. 2, 5 RVG). Wird ein Pflichtverteidiger oder ein Nebenklägerbeistand gem. § 397a Abs. 1 StPO ohne ein Mandatsverhältnis bestellt (Vgl. zum - nicht erforderlichen - Mandatsverhältnis beim Nebenklägerbeistand BGH NJW 2014, 3320 = NStZ-RR 2016, 22) kann auf die Auftragserteilung als Anknüpfungspunkt (§ 60 Abs. 1 S. 1, 2 RVG) nicht zurückgegriffen werden. Gem. § 60 Abs. 1 S. 3 RVG richtet sich die Vergütung in der Angelegenheit dann nach altem Recht, wenn die Bestellung des Rechtsanwalts vor dem 1.6.2025 wirksam geworden ist und zum Zeitpunkt der Bestellung kein unbedingter Auftrag desjenigen vorlag, für den der Rechtsanwalt bestellt wurde.
Maßgebender Zeitpunkt ist beim Pflichtverteidiger der Zeitpunkt der Bestellung zum Pflichtverteidiger oder Nebenklägerbeistand. Das ist der Zeitpunkt des Erlasses des Bestellungsbeschlusses. Der Zeitpunkt des Zugangs beim Rechtsanwalt ist für das Wirksamwerden im Rahmen von § 60 Abs. 1 S. 3 RVG ohne Bedeutung (vgl. KG NJW 2005, 3654 = AGS 2005, 554 = RVGreport 2006, 24; OLG Brandenburg NStZ-RR 2005, 253 = JurBüro 2005, 419; OLG Celle StV 1996, 222 = StraFo 1996, 159; OLG Hamm NStZ-RR 2005, 286 = StraFo 2005, 351 = RVGreport 2005, 261; a.A. LG Lübeck AGS 2005, 69)
Beispiel 1: Allgemeiner Grundsatz
Der Rechtsanwalt ist vom Beschuldigten am 8.4.2024 insgesamt mit der Verteidigung beauftragt worden. Die Hauptverhandlung findet am 4.6.2025 statt
Lösung:
Nach dem allgemeinen Grundsatz in § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ist für die Vergütung das bisherige Recht anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt worden ist.
Es gilt daher für alle anfallenden Gebühren, also auch für die Terminsgebühr, das alte Recht.
Beispiel 2: Rechtsmittelverfahren
Der Rechtsanwalt ist vom Beschuldigten am 8.4.2024 beauftragt worden. Die Hauptverhandlung findet am 30.5.2025 statt. Der verurteilte Angeklagte beauftragt den Verteidiger, Berufung einzulegen. Dieser legt am 2.6.2025 Berufung ein.
Lösung:
Nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ist darauf abzustellen, wann der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit erteilt worden ist. Da nach § 17 Nr. 1 RVG das Verfahren über ein Rechtsmittel, hier die Berufung, und der vorausgegangene Rechtszug verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten sind, folgt daraus, dass es in jedem Rechtszug auf den Zeitpunkt der unbedingten Auftragserteilung ankommt.
Das bedeutet: Sowohl die Vergütung des Verteidigers für das Berufungsverfahren als auch für die I. Instanz richten sich nach altem Recht, da dem Verteidiger der Auftrag für die Einlegung der Berufung bereits vor dem Stichtag 1.6.2025 erteilt worden ist.
Hätte der Angeklagte den Verteidiger erst am 1.6.2025 mit der Einlegung der Berufung beantragt, würden sich die Gebühren für die I. Instanz nach altem und die für das Berufungsverfahren nach neuem Recht richten.
Beispiel 3: Verbindung von Verfahren
Der Verteidiger ist für den Angeklagten im Verfahren V 1 bereits vor dem 1.6.2025 tätig gewesen. Der Verteidiger ist für den Angeklagten auch noch im Verfahren V 2 tätig gewesen. In diesem ist er aber erst am 2.6.2025 beauftragt worden. Das Verfahren V 2 ist mit dem Verfahren V 1 am 1.7.2025 verbunden worden. Das Verfahren V 1 führt.
Lösung:
Für die Verbindung von in den Teilen 4 bis 6 VV RVG geregelten Verfahren enthält § 60 RVG keine Regelungen (zu § 60 a.F. OLG Hamm RVGreport 2005, 419 = JurBüro 2006, 29). In diesen Fällen ist nach übereinstimmender Meinung in Rechtsprechung und Literatur (zu § 60 a.F. OLG Hamm RVGreport 2005, 419 = JurBüro 2006, 29; Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, §§ 60 f. Rn 67) das Recht maßgeblich, das für das jeweils führende Verfahren gilt. Anders als mit dem Anknüpfungspunkt führendes Verfahren lassen sich diese Fälle nicht sachgerecht lösen. Das folgt schon aus dem Sinn und Zweck des Begriffs des führenden Verfahrens. Die Vergütung im verbundenen Verfahren richtet sich daher nach dem für das führende Verfahren geltenden Recht, weil das hinzuverbundene Verfahren endet (Vgl. hierzu Volpert RVGreport 2004, 296, 302 und Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 48 Abs. 6 Rn 41). Ist im führenden Verfahren die unbedingte Beauftragung des Verteidigers (§ 60 Abs. 1 S. 1, 2 RVG) vor dem Stichtag erfolgt und werden anschließend Verfahren hinzu verbunden, richtet sich die Vergütung nach dem im führenden Verfahren geltenden alten Recht.
Das bedeutet: Es wird nach altem Recht abgerechnet, da für das führende Verfahren altes Recht gilt.
Beispiel 4: Pflichtverteidiger mit zuvor erteilten Wahlanwaltsauftrag
Der Verteidiger wurde vom Beschuldigten im März 2025 als Wahlverteidiger beauftragt. Er wird am 5.6.2025 zum Pflichtverteidiger bestellt.
Lösung:
Die Lösung folgt aus § 60 Abs. 1 S. 2 RVG. Danach ist, wenn ein Pflichtverteidiger bestellt wird, dem zuvor schon ein Auftrag als Wahlverteidiger erteilt worden war, für den Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers gegen die Landeskasse nicht auf den Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung, sondern auf den Zeitpunkt des Wahlanwaltsauftrags abzustellen.
Das bedeutet, dass sich auch der Vergütungsanspruch des Verteidigers gegen die Landeskasse nach altem Recht richtet.
Beispiel 5: Pflichtverteidiger ohne zuvor erteilten Wahlanwaltsauftrag
Der Verteidiger wird am 5.6.2025 zum Pflichtverteidiger bestellt.
Lösung:
Da kein vorheriger Wahlanwaltsauftrag vorliegt, an den über § 60 Abs. 1 S. 1 und 2 RVG an den Tag der Auftragserteilung angeknüpft werden kann, gilt § 60 Abs. 1 S. 3 und 4 RVG. Maßgebend ist danach der Tag, an dem die Bestellung wirksam geworden ist. Das ist der 5.6.2025, so dass neues Recht gilt.
Ist die Bestellung des Verteidigers durch das Gericht schon am 31.5.2025 erfolgt, der Bestellungsbeschluss dem Verteidiger aber erst am 5.6.2025 zugegangen, gilt hingegen altes Recht. Denn maßgebend ist der Zeitpunkt des Erlasses des Bestellungsbeschlusses. Der Zeitpunkt des Zugangs beim Rechtsanwalt ist für das Wirksamwerden im Rahmen von § 60 Abs. 1 S. 3 RVG ohne Bedeutung (vgl. KG NJW 2005, 3654 = AGS 2005, 554 = RVGreport 2006, 24; OLG Brandenburg NStZ-RR 2005, 253 = JurBüro 2005, 419; OLG Celle StV 1996, 222 = StraFo 1996, 159; OLG Hamm NStZ-RR 2005, 286 = StraFo 2005, 351 = RVGreport 2005, 261; a.A. LG Lübeck AGS 2005, 69).
Beispiel 6: Pflichtverteidiger mit nachträglich erteiltem Wahlanwaltsauftrag
Der Verteidiger wird im Januar 2025 als Pflichtverteidiger bestellt. Der Mandant erteilt ihm im Juni 2025 das Wahlanwaltsmandat.
Lösung:
Ist der Rechtsanwalt zunächst als Pflichtverteidiger bestellt worden und wird ihm nachträglich der Wahlanwaltsauftrag erteilt, ist nicht gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 RVG auf den Tag der Auftragserteilung abzustellen. Es gilt vielmehr nach § 60 Abs. 1 S. 5 RVG der frühere Tag der Bestellung.
Das bedeutet: Sowohl das Wahlanwaltsmandat als auch die Pflichtverteidigervergütung richten sich nach altem Recht.
Beispiel 7: Pflichtverteidiger mit nach § 48 Abs. 6 RVG rückwirkender Bestellung
Der Verteidiger wird vom Mandanten am 15.3.2025 von M mit der Verteidigung beauftragt. Anschließend führt er eine Besprechung mit dem Mandanten und erhält Akteneinsicht. Am 2.5.2025 geht die Anklageschrift bei Gericht ein. Der Verteidiger legt am 20.6.2025 das Wahlmandat nieder und beantragt die Bestellung zum Pflichtverteidiger. Die Bestellung erfolgt 1.7.2025.
Lösung:
Der Verteidiger erhält nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG auch die vor seiner Bestellung erbrachten Tätigkeiten eine gesetzliche Vergütung aus der Staatskasse ersetzt. Um eine Aufspaltung der Vergütung zu verhindern, richtet sich die Vergütung des bestellten Rechtsanwalts auch für die vor seiner Bestellung erbrachten und nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG aus der Staatskasse zu vergütenden Tätigkeit nach dem gem. § 60 Abs. 1 S. 1 3 RVG in derselben Angelegenheit anzuwendenden Recht (OLG Nürnberg, AGS 2015, 173 = RVGreport 2015, 181).
Das bedeutet: Die Pflichtverteidigervergütung richtet sich gem. § 60 Abs. 1 S. 1, 2 RVG nach altem Recht ab, da er den unbedingten Auftrag für die Angelegenheit vorbereitendes Verfahren vor dem Stichtag 1.6.2025 erhalten hat. Für das gerichtliche Verfahren ist er ggf. erst nach dem Stichtag beauftragt worden, so dass insoweit dann neues Recht gilt.
Beispiel 8: Pflichtverteidiger Inanspruchnahme des Mandanten
Der Verteidiger ist im April 2024 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Im März 2025 wird der Mandant verurteilt. Der Verteidiger rechnet zunächst seine gesetzlichen Gebühren gegenüber der Landeskasse ab. Danach will er den Mandanten in Anspruch nehmen und erwirkt einen Beschluss nach § 52 Abs. 2 RVG.
Lösung:
Nach § 52 RVG kann der Pflichtverteidiger ggf. den Mandanten auch dann in Anspruch nehmen, wenn kein Wahlanwaltsauftrag erteilt ist. Für diesen Vergütungsanspruch ist aber wiederum über § 60 Abs. 1 S. 5 RVG das Gebührenrecht anzuwenden, das auch für die Pflichtverteidigervergütung gilt.
Für die Pflichtverteidigervergütung gilt hier gemäß § 60 Abs. 1 S. 3 RVG altes Recht. Das bedeutet, dass auch für den Anspruch gegen den Mandanten nach § 52 RVG gemäß § 60 Abs. 1 S. 5 RVG i. V. m. § 60 Abs. 1 S. 3 RVG altes Recht gilt.
Beispiel 9: Bußgeldverfahren Einleitung nach dem 1.6.2025
Gegen den Betroffenen wird am 1. 7. 2025 ein Bußgeldverfahren wegen einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 16 - 20 km/h eine Geldbuße von 70 EUR festgesetzt. In dem Bußgeldverfahren wird er von Rechtsanwalt R verteidigt.
Lösung
Rechtsanwalt R rechnet nach den neuen Gebührenstufen ab. Es entstehen also die Gebühren nach den neuen Gebührengrenzen. Abgerechnet wird nach der Stufe 1.
Änderungen zum alten Recht in Form einer Schlechterstellung ergeben sich für Rechtsanwalt R insoweit, als er im Zeitraum bis zum 31.5.2025 in diesen nach der zweiten Gebührenstufe abrechnen konnte. Die Gebührengrenze lag bis dahin bei (nur) 60 EUR. Jetzt fallen nur noch Gebühren nach der 1. Stufe an.
Beispiel 10: Bußgeldverfahren Zeitlich gestaffelte Auftragserteilung
Der Betroffene begeht am 1.2.2025 einen Verkehrsverstoß, der mit einer Geldbuße von 70 EUR geahndet wird. Er beauftragt am 1.3.2025 Rechtsanwalt R mit seiner Vertretung im vorbereitenden Verfahren vor der Verwaltungsbehörde. Diese erlässt einen Bußgeldbescheid, gegen den Rechtsanwalt R Einspruch einlegt. Die Bußgeldakten gehen am 2.6.2025 beim AG ein. Der Betroffene beauftragt nun am 15.7.2025 den Rechtsanwalt R mit seiner Vertretung im gerichtlichen Verfahren. Dort findet am 1.10. 2025 eine Hauptverhandlung statt, in der der Betroffene verurteilt wird.
R rechnet wie folgt ab:
Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG - insoweit haben die Änderungen in Teil 5 VV RVG keine Auswirkungen, da die Grundgebühr nicht von der Höhe der Geldbuße abhängig ist.
Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 5103 VV RVG a.F. Nach der Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 RVG ist der Zeitpunkt der Auftragserteilung maßgeblich. Zu dem Zeitpunkt 1.3.2025 galt noch altes Recht mit der Gebührengrenze 60 EUR.
Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren Nr. 5107 VV RVG n.F. Nach der Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ist der Zeitpunkt der Auftragserteilung maßgeblich. Zu dem Zeitpunkt der Auftragserteilung am 15.7.2015 galt schon neues Recht mit der Gebührengrenze 80 EUR. Die Anwendung von unterschiedlichem Recht ist möglich, da nach § 17 Nr. 10b RVG im Bußgeldverfahren das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das gerichtliche Verfahren unterschiedliche Angelegenheiten sind.
Terminsgebühr für den Hauptverhandlungstermin am 1.10.2025 Nr. 5108 VV RVG n.F. Nach der Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ist der Zeitpunkt der Auftragserteilung maßgeblich. Zum Zeitpunkt der Auftragserteilung am 15.7.2025 galt schon neues Recht mit der Gebührengrenze 80 EUR.
Beispiel 11: Bußgeldverfahren Abwandlung: einheitliche Auftragserteilung
Der Betroffene hat in Beispiel 10 von vornherein den unbedingten Auftrag zur Vertretung auch im gerichtlichen Verfahren erteilt.
Die Abrechnung ändert sich insofern, als nun als Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren nicht die Verfahrensgebühr Nr. 5107 VV RVG n.F. entsteht. Vielmehr ist die Auftragserteilung insgesamt vor dem 1.6.2025 erfolgt, so dass auch für die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren noch altes Recht gilt und damit die Nr. 5109 VV RVG a.F. Anwendung findet. Entsprechendes gilt für die Terminsgebühr. Es fällt die Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG a.F. an.
Wenn man die Änderungen bewerten soll, ist zu bedauern, dass es keine strukturellen Änderungen gibt. Im Grunde müssen Verteidiger froh sein, dass es überhaupt noch zu diesen Anpassungen gekommen ist. Auch der Grad der linearen Anhebung um durchschnittlich nur 9 % Prozent ist natürlich mal wieder erheblich zu gering. Denn man muss bedenken, dass die letzte Erhöhung durch das KostRÄG 2021 schon wieder mehr als vier Jahre zurückliegt. Diese Erhöhungen sind inzwischen längst durch allgemeine Kostensteigerungen aufgefressen. Es bleibt also nur die Hoffnung, dass sich die neue Bundesregierung recht bald mit einer vernünftigen Anhebung der anwaltlichen Vergütung beschäftigen und vor allem einer längst überfälligen Modernisierung des RVG annehmen wird. Ein 3. KostRMoG ist dringend erforderlich. Im Koalitionsvertrag findet sich dazu aber nichts.
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg