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aus ZAP 2025, 333

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Die Durchsuchung in der Rechtsanwaltskanzlei

Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Die Durchsuchung ist in vielen Verfahren immer noch das klassische Mittel der Ermittlungsbehörden, Beweismittel für das Verfahren zu sichern. Dabei machen die Ermittlungsbehörden häufig auch vor der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei nicht Halt. Kommt es zu dieser Zwangsmaßnahme, ist der Schock beim betroffenen Rechtsanwalt i.d.R. groß. Es muss nun nicht nur kurzfristig eine Entscheidung getroffen werden, ob die Durchsuchung der Anwaltskanzlei rechtmäßig ist oder nicht, sondern es drohen auch – unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der Maßnahme – i.d.R. erhebliche Imageschäden (Leipold, NJW-Spezial 2005, 327). Der nachfolgende Beitrag will auf der Grundlage der obergerichtlichen Rspr. eine Hilfestellung geben, wie einerseits die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsmaßnahme überprüft werden kann. Zum anderen sollen aber auch Verhaltenshinweise gegeben werden, mit denen der Rechtsanwalt sich selbst, aber vor allem auch seine Mitarbeiter, auf eine Durchsuchungsmaßnahme und das dabei erforderliche Verhalten vorbereiten sollte (vgl. dazu unter IV.). Dabei wird hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen unterschieden, ob der Rechtsanwalt selbst Verdächtiger ist, die Durchsuchung also auf der Grundlage des § 102 StPO erfolgt (vgl. dazu unter II.), oder ob es sich bei dem Rechtsanwalt um eine „andere Person“ i.S.d. § 103 StPO handelt, die Durchsuchung sich also gegen einen „Dritten“ richtet (vgl. dazu unter III.). Vorab wird ein Überblick über die für beide Durchsuchungsmaßnahmen geltenden allgemeinen Voraussetzungen und sonstige allgemeine Fragen gegeben (vgl. nachfolgend unter I.); zur Vertiefung und wegen der Einzelheiten verweise ich insoweit auf Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025 [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]).

I. Allgemeine Voraussetzungen der Durchsuchungsmaßnahme

1. Durchsuchungsbeschluss

a) Schriftform

Grundlage der Durchsuchungsmaßnahme ist der Durchsuchungsbeschluss, der i.d.R. schriftlich vorliegen wird (vgl. BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 105 Rn 3 m.w.N. [im Folgenden kurz: Meyer-Goßner/Schmitt]. In Eilfällen (vgl. dazu 2.) kann die Entscheidung allerdings auch mündlich ergehen (BGH, Beschl. v. 13.1.2005 – 1 StR 531/04, NJW 2005, 1060; LG Dresden, Beschl. v. 24.9.2003 – 5 Qs 86/2003, StraFo 2004, 13; LG Fulda, Beschl. v. 15.2.2018 – 2 Qs 26/18, StraFo 2018, 149; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; Burhoff, StraFo 2005, 141; Burhoff, EV, Rn 1832 m.w.N. auch zur a.A.), wobei dann natürlich besondere Anforderungen an die Dokumentation in den Ermittlungsakten zu stellen sind (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 10.12.2003 – 2 BvR 1481/02, NJW 2004, 1442; BGH, a.a.O.; Beschl. v. 30.8.2011 – 3 StR 210/11, StV 2012, 3; LG Tübingen, Beschl. v. 1.10.2007 – 1 Qs 38/07, NStZ 2008, 589; Park, StraFo 2001, 160).

Hinweis:

Liegt ein schriftlicher Durchsuchungsbeschluss vor, muss sich der Rechtsanwalt diesen bei Durchführung der Durchsuchung aushändigen lassen. Nach der obergerichtlichen Rspr. hat er einen Anspruch auf Überlassung einer Kopie (BGH, Beschl. v. 7.11.2002 – StB 16/02, NStZ 2003, 273).

b) Anforderungen an den Inhalt
aa) Allgemeine Anforderungen

Die Anforderungen an den Inhalt von Durchsuchungsbeschlüssen sind nach der obergerichtlichen Rspr. verhältnismäßig hoch (vgl. dazu grundlegend BVerfG 2001, a.a.O.; Beschl. v. 20.4.2004 – 2 BvR 2043/03, NJW 2004, 3171; Beschl. v. 20.11.2019 – 2 BvR 31/19, NJW 2020, 384; dazu auch Burhoff, StraFo 2005, 140), werden aber leider häufig von Instanzgerichten nicht eingehalten (s. die Rechtsprechungsnachweise bei Burhoff, EV, Rn 1803 ff.). Ausgangspunkt der Rspr. des BVerfG ist Art. 13 Abs. 1 GG und die von ihm garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung. In diese grundrechtlich geschützte Lebenssphäre greift eine Durchsuchung schwerwiegend ein (BVerfG 2001, a.a.O.). Gerade wegen des Gewichts dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre ist die Anordnung einer Durchsuchung daher grds. dem Richter vorbehalten, der im Rahmen einer – vorbeugenden – Kontrolle der Zwangsmaßnahme als unabhängige und neutrale Instanz die Eingriffsvoraussetzungen eigenverantwortlich richterlich prüfen muss (BVerfG 2001, a.a.O.). Die richterliche Durchsuchungsanordnung ist keine bloße Formsache (vgl. z.B. BVerfG, Beschl. v. 8.4.2004 – 2 BvR 1821/03, StV 2005, 643; Beschl. v. 23.1.2004 – 2 BvR 766/03, NStZ-RR 2004, 143; eingehend Meyer-Mews, HRRS 2020, 286). Der Richter muss sich vielmehr eigenverantwortlich ein Urteil bilden und darf nicht etwa nur die Anträge der Staatsanwaltschaft nach einer pauschalen Überprüfung gegenzeichnen (st. Rspr., vgl. dazu z.B. BVerfG, Beschl. v. 3.5.2005 – 2 BvR 1378/04, NJW 2005, 3630; Beschl. v. 3.7.2006 – 2 BvR 299/06, NJW 2007, 1804).

Hinweis:

Zur richterlichen Einzelentscheidung gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall. Der Richter muss den äußeren Rahmen der Durchsuchungsmaßnahme abstecken (z.B. BVerfG, Beschl. v. 3.5.2005 – 2 BvR 1378/04, NJW 2005, 3630). Schematisch vorgenommene Anordnungen vertragen sich nach der Rspr. des BVerfG mit dieser Aufgabe nicht.

In der Praxis werden die Durchsuchungsbeschlüsse nicht selten von der beantragenden Staatsanwaltschaft oder der BuStra vorformuliert (dazu krit. Meyer-Mews, HRRS 2020, 286). Diese „Arbeitserleichterung“ entbindet den Ermittlungsrichter aber nicht von seiner Pflicht, den Anfangsverdacht und die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eigenverantwortlich zu prüfen (LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 24.9.2021 – 12 Qs 66/21, StraFo 2022, 510; Beschl. v. 7.11.2022 – 12 Qs 49/22, StraFo 2023, 18). Da durch diese Vorgehensweise schnell der Eindruck entstehen kann, eine eigenverantwortliche Prüfung habe nicht stattgefunden, sollte in der Praxis davon möglichst kein Gebrauch (mehr) gemacht werden (gegen die Verwendung von Formularvordrucken auch BVerfG, Beschl. v. 28.9.2004 – 2 BvR 2105/03, NJW 2005, 275; Beschl. v. 24.5.2006 – 2 BvR 1872/05; auch Beschl. v. 17.3.2009 – 2 BvR 1940/05, NJW 2009, 2516 zum sog. Einrücken; auch noch LG Arnsberg, Beschl. v. 25.11.2009 – 2 Qs 84/09; LG Siegen, Beschl. v. 25.10.2010 – 10 Qs 104/09, NStZ-RR 2011, 316 [Ls.]; LG Kiel, Beschl. v. 20.3.2009 – 46 Qs 17/09, StV 2010, 354 [Ls.]; LG Limburg, Beschl. v. 11.3.2015 – 1 Qs 27/15, StV 2016, 350 zum „Ausfüllen“ eines Formulars durch Eintragen von Blattzahlen, Klammern und Kreuzzeichen; aber auch zur fehlenden individualisierten Begründung bei einer TÜ EUGH, Urt. v. 16.2.2023 – C-349/21; zum „Beweiswert“ der richterlichen Unterschrift LG Paderborn, Beschl. v. 12.7.2021 – 2 KLs 6 Js 44/19-3/19, StV 2022, 569 [Ls.]).

Hinweis:

Voraussetzung für eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Ermittlungsrichter und später durch das Beschwerdegericht ist die Vorlage eines Aktenwerks, aus dem der Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehbar ist. Schließt die Staatsanwaltschaft ihrem Antrag auf Anordnung einer gerichtlichen Untersuchungshandlung nur ausgewählte Teile der Ermittlungsakte an, so erklärt sie hierdurch stets zugleich, dass diese Auswahl nach ihrer eigenverantwortlichen Prüfung sämtliche bis zum Zeitpunkt der Antragstellung angefallenen maßgeblichen be- und entlastenden Ermittlungsergebnisse enthält (LG Stuttgart, Beschl. v. 16.5.2024 – 7 Qs 20/24).

bb) Bezeichnung der Straftat

Der Durchsuchungsbeschluss muss die Straftat bezeichnen, die Anlass zu der Durchsuchung gibt (siehe u.a. BVerfG, Beschl. v. 8.3.2004 – 2 BvR 27/04, NJW 2004, 1517; Beschl. v. 19.4.2023 – 2 BvR 2180/20, NStZ-RR 2023, 316 für Geldwäsche; Beschl. v. 5.5.2000 – 2 BvR 2212/99, NStZ 2000, 601; s. auch EGMR, Urt. v. 9.12.2004 – 41872/98, StraFo 2005, 283; Meyer-Goßner/Schmitt, § 105 Rn 5 m.w.N.). Beschrieben werden muss zumindest der sog. Anfangsverdacht (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 1807 m.zahlr.w.N.). In dem Zusammenhang muss der Tatvorwurf – soweit wie möglich – konkretisiert, d.h. so beschrieben werden, dass er unter ein Strafgesetz subsumiert werden kann (vgl. u.a. BVerfG, Beschl. v. 5.5.2000 – 2 BvR 2212/99, NStZ 2000, 601; Beschl. v. 8.3.2004 – 2 BvR 27/04, NJW 2004, 1517; Beschl. v. 19.4.2023 – 2 BvR 2180/20, NStZ-RR 2023, 316; VerfG Brandenburg, Beschl. v. 17.9.1998 – 22/98, NStZ-RR 1998, 366; LG Magdeburg, Beschl. v. 2.6.1998 – 25 Qs 11/98, StraFo 1998, 271; LG Zweibrücken, Beschl. v. 3.11.1999 – Qs 133/99, StV 2000, 552). Erforderlich sind ggf. knappe, aber dennoch aussagekräftige Tatsachenangaben, aus denen der Betroffene entnehmen kann, was ihm vorgeworfen wird bzw. wegen welcher Tat die Durchsuchung erfolgt. Es reicht also allein eine Tatbeschreibung, wie z.B. der Beschuldigte habe „Betäubungsmittel erworben bzw. mit diesen Handel getrieben“, grds. ebenso wenig (BVerfG, Beschl. v. 3.3.2003 – 1 BvR 310/03, NJW 2003, 2303; Beschl. v. 5.12.2002 – 2 BvR 1028/02, StV 2003, 203; vgl. aber BVerfG, Beschl. v- 24.3.2003 – 2 BvR 180/03, NStZ 2004, 160) wie bei einem Insolvenzstrafverfahren die bloße Nennung des angenommenen Straftatbestandes der Insolvenzverschleppung (BVerfG, Beschl. v. 8.4.2004 – 2 BvR 1821/03, StV 2005, 643). Beim Geldwäschevorwurf muss der sog. doppelte Anfangsverdacht dargelegt werden (BVerfG, Beschl. v. 31.1.2020 – 2 BvR 2992/14, NJW 2020, 1351 m. Anm. Neuheuser, NStZ 2020, 559; Beschl. v. 7.5.2020 – 2 BVB 26/20, NJW 2020, 2391; Beschl. v. 3.3.2021 – 2 BvR 1746/18, NJW 2021, 1452; auch noch BVerfG, Beschl. v. 14.1.2005 – 2 BvR 1975/03, NJW 2005, 1707). Schließlich muss der subjektive Tatbestand der dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat beschrieben werden (BVerfG, Beschl. v. 25.10.2011 – 2 BvR 2674/10, NJW 2012, 1065; s. im Übrigen Burhoff, EV, Rn 1809 f. m.w.N.).

Hinweis:

Eine bloße statistische Wahrscheinlichkeit reicht nicht (AG Saalfeld, Beschl. v. 3.7.2001 – 157/01 Gs jug, NJW 2001, 3642). Die Anordnung einer Durchsuchung setzt allerdings einen erhöhten Verdachtsgrad, wie z.B. bei der akustischen Wohnraumüberwachung, nicht voraus (BVerfG, Beschl. v. 20.4.2004 – 2 BvR 2043/03, NJW 2004, 3171).

Zur Beschreibung des Tatvorwurfs reichen auch bloße Vermutungen und ein vager Verdacht nicht aus (st. Rspr., u.a. BVerfG, Beschl. v. 20.4.2004 – 2 BvR 2043/03, NJW 2004, 3171 [für Steuerhinterziehung]; Beschl. v. 9.2.2005 – 2 BvR 984/04, NStZ-RR 2005, 203; 2006, 110 [Verstoß gegen das MarkenG]; Beschl. v. 27.6.2005 – 2 BvR 2428/04, StraFo 2005, 377 [Beleidigung]; Beschl. v. 5.5.2011 – 2 BvR 1011/10, NJW 2011, 2275 [Gebührenüberhebung eines Rechtsanwalts]; Beschl. v. 13.3.2014 – 2 BvR 974/12, NJW 2014, 1650 [Beteiligung an der Bestechung ausländischer und inländischer Amtsträger]; Beschl. v. 13.5.2014 – 2 BvR 9/10, NJW 2014, 2265 [Inverkehrbringen nicht zugelassener Arzneimittel]; Beschl. v. 20.11.2019 – 2 BvR 31/19, NJW 2020, 384 [Kinderpornografie]; Beschl. v. 31.1.2020 – 2 BvR 2992/14, NJW 2020, 1351 [Geldwäsche]; Beschl. v. 11.6.2010 – 2 BvR 3044/09, StV 2010, 665 [Verstoß gegen BtMG]; Beschl. v. 29.1.2015 – 2 BvR 497/12, StV 2016, 70 [Ls.] m. Anm. Laudon, StRR 2015, 262 [Unterhaltspflichtverletzung]; Beschl. v. 10.1.2018 – 2 BvR 2993/14, ZInsO 2018, 705 [Insolvenzverschleppung]; Beschl. v. 28.9.2008 – 2 BvR 1800/07 [Durchsuchung u.a. der Wohnräume eines Rechtsanwalts wegen des Verdachts der Gebührenüberhebung]; BGH, Beschl. v. 26.6.2019 – StB 10/19, StraFo 2019, 459; Beschl. v. 20.4.2023 – StB 58/22, NStZ-RR 2023, 182; LG Gera, Beschl. v. 18.11.2005 – 1 Qs 362/05, StraFo 2006, 107 [für Verstoß gegen § 90a StGB]; LG Dresden, Beschl. v. 26.7.2006 – 15 Qs 26/06 [Bestechung]; LG Karlsruhe, Beschl. v. 22.8.2022 – 16 Qs 53/22; LG Mönchengladbach, Beschl. v. 23.4.2014 – 24 Qs 26/14, StV 2015, 160; LG Weiden, Beschl. v. 20.11.2006 – Qs 11/06 jug, StraFo 2007, 59 [Betrug]). Zu der Beschreibung des Tatvorwurfs gehören insb. auch die Angabe von Tatzeit, -raum und -ort (LG Braunschweig, Beschl. v. 8.4.1998 – 38 Qs 9/98, StV 1998, 480 [Tatzeit, -ort]; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 7.5.1999 – 12 Qs 1/99, StV 1999, 521 [Tatzeitraum]). Bei anonymen Anzeigen muss auf jeden Fall besonders sorgfältig geprüft werden (LG Offenburg, Beschl. v. 15.9.1997 – Qs 114/97, StV 1997, 626; LG Regensburg, Beschl. v. 5.2.2004 – 1 Qs 111/03, StV 2004, 198 [Ls.]; vgl. LG Karlsruhe, Beschl. v. 22.8.2005 – 2 Qs 65/05, StraFo 2005, 420, wonach eine anonyme Anzeige keine Durchsuchungsgrundlage sein kann). Im Steuerstrafverfahren gelten keine Besonderheiten (vgl. zu den Anforderungen allgemein u.a. BVerfG, Beschl. v. 6.3.2002 – 2 BvR 1619/00, NJW 2002, 1941; Beschl. v. 20.4.2004 – 2 BvR 2043/03, NJW 2004, 3171; Beschl. v. 9.2.2005 – 2 BvR 984/04, NStZ-RR 2005, 203; LG Bonn, Beschl. v. 9.2.1999 – 37 Qs 1 – 3/98, StraFo 2001, 418; Beschl. v. 8.8.2001 – 37 Qs 24/01, StV 2002, 358; LG Koblenz, Beschl. v. 20.3.2002 – 4 Qs 110/01, StraFo 2002, 298).

Hinweis:

Diese Anforderungen gelten insb. auch, wenn es um den Vorwurf der Geldwäsche gegen einen Strafverteidiger geht. Zu den (Mindest-)Anforderungen an den Tatverdacht in diesen Fällen hat das BVerfG mehrfach Stellung genommen (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 14.1.2005 – 2 BvR 1975/03, NJW 2005, 1707; u.a. noch BVerfG, Beschl. v. 31.1.2020 – 2 BvR 2992/14, NJW 2020, 1351 m. Anm. Neuheuser, NStZ 2020, 559; Beschl. v. 7.5.2020 – 2 BVB 26/20, NJW 2020, 2391; Beschl. v. 3.3.2021 – 2 BvR 1746/18, NJW 2021, 1452) und dabei auf die Gefahren für die betroffenen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter der Berufsausübungsfreiheit und der Wahlverteidigung besonders hingewiesen (zum Anfangsverdacht der Geldwäsche auch LG Berlin, Beschl. v. 24.7.2003 – 502 Qs 49/03, NJW 2003, 2694; LG Marburg, Beschl. v. 15.11.2002 – 4 Qs 136/02, StV 2003, 67; LG München, Urt. v. 13.4.2005 – VIII ZR 44/04, wistra 2005, 389).

cc) Bezeichnung der Beweismittel

Die Durchsuchungsanordnung muss außerdem Zweck und Ziel – Ergreifung des Beschuldigten oder Auffinden von Beweismitteln (BVerfG, Urt. v. 5.8.1966 – 1 BvR 586/62, NJW 1966, 1603, 1615; Beschl. v. 3.3.2003 – 1 BvR 310/03, NJW 2003, 2303; Beschl. v. 5.12.2002 – 2 BvR 1028/02, StV 2003, 203; Beschl. v. 8.4.2004 –2 BvR 1821/03, StraFo 2004, 413) – angeben (s.u. unter II. und III.). In der Regel wird die Durchsuchung dem Auffinden von Beweismitteln dienen. Dann müssen die Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, ggf. in der Form beispielhafter Angaben (Meyer-Goßner/Schmitt, § 105 Rn 5 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG; zuletzt u.a. BVerfG, Beschl. v. 20.4.2004 – 2 BvR 2043/03, NJW 2004, 3171), aufgeführt werden. Nur allgemeine Angaben über die Beweismittel genügen nicht (BVerfG, Beschl. v. 3.9.1991- 2 BvR 279/90, NJW 1992, 551; LG Wiesbaden, Beschl. v. 3.3.1978 – 14 Qs 143/77 B, NJW 1979, 175). Die Angaben müsse so konkretisiert werden, dass weder bei dem von der Durchsuchung Betroffenen noch bei den die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die suchenden und ggf. zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können (BVerfG, Beschl. v. 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669; Beschl. v. 29.1.2002 – 2 BvR 1245/01, NStZ-RR 2002, 172; BGH, Beschl. v. 21.11.2001 – StB 20/01, NStZ 2002, 215; vgl. auch EGMR, Urt. v. 9.12.2004 – 41872/98, StraFo 2005, 283). Ausreichend ist allerdings eine Bestimmung der Beweismittel der Gattung nach (BGH, Beschl. v. 15.10.1999 – StB 9/99, NStZ 2000, 154). Der Durchsuchungsbeschluss muss angeben bzw. es muss erkennbar sein, in welcher Beziehung die Unterlagen zu dem erhobenen Vorwurf stehen. Alles andere ist eine „Scheinkonkretisierung“ (LG Berlin, Beschl. v. 18.3.2004 – 505 Qs 12/04, StV 2004, 319), die den Anforderungen, die die Rspr. stellt, nicht gerecht wird.

Hinweis:

Eine ausreichende Beschreibung der Beweismittel ist vor allem deshalb wichtig, weil Mängel bei der Beschreibung der zu suchenden Beweismittel im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden können (u.a. BVerfG, Beschl. v. 20.4.2004 – 2 BvR 2043/03, NJW 2004, 3171; Beschl. v. 5.7.2016 – 2 BvR 1710/15; LG Limburg, Beschl. v. 11.3.2015 – 1 Qs 27/15, StV 2016, 350 m.w.N.; s. auch Burhoff, EV, Rn 2027).

dd) Verhältnismäßigkeit

Besonderes Gewicht wird in der Rspr. des BVerfG auf die Frage der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung gelegt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist danach nur gewahrt, wenn die Durchsuchung unter Würdigung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist/war und der mit ihr verbundene Eingriff in die durch andere Grundrechtsnormen geschützten Bereiche, wie z.B. Menschenwürde, Freiheit und Wohnung, nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts steht (BVerfG, Beschl. v. 23.3.1994 – 2 BvR 396/94, NJW 1994, 2079; Beschl. v. 3.7.2006 – 2 BvR 299/06, NJW 2007, 1804; Beschl. v. 16.12.2014 – 2 BvR 2393/12, StV 2015, 614; Beschl. v. 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10, StraFo 2015, 61 m. Anm. Laudon, StRR 2015, 97 für Durchsuchung beim Verteidiger; Beschl. v. 30.11.2021 – 2 BvR 2038/18, StV 2022, 137 [Ls.]; Beschl. v. 19.4.2023 – 2 BvR 1844/21, NJW 2023, 2257; weitere Nachweise bei Burhoff, EV, Rn 1852).

Auch Vergehen können Anlass für Durchsuchungen und Beschlagnahmen sein. Die Vorschriften sehen eine Einschränkung auf Verbrechen nicht vor (BVerfG, Beschl. v. 1.2.2005 – 2 BvR 2019/03, NJW 2005, 965). Deshalb ist der Vorwurf der Störung der Totenruhe (§ 168 StGB) ebenso als ausreichend angesehen worden (BVerfG, a.a.O.) wie der Verdacht einer Nötigung und einer Sachbeschädigung im Straßenverkehr (BVerfG, Beschl. v. 5.4.2005 – 1 BvR 1664/04, NJW 2005, 1767; Beschl. v. 25.1.2005 – 2 BvR 1467/04, VRR 2005, 111 [aber nicht mehr nach 16 Monaten]), einer Beleidigung (BVerfG, Beschl. v. 27.6.2005 – 2 BvR 2428/04, StraFo 2005, 377) oder der Tatverdacht einer Straftat des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse gem. § 278 StGB a.F. (BVerfG, Beschl. v. 8.1.2015 – 2 BvR 2419/13). Für eine Unterschlagung hat das BVerfG allerdings Zweifel angemeldet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.6.2005 – 2 BvR 334/05, NJW-RR 2005, 1289). Nach Auffassung des BVerfG handelt es sich bei diesen Delikten weder um Bagatellkriminalität noch kann Art. 13 GG entnommen werden, dass allein der Verdacht schwerer Straftaten eine Durchsuchung rechtfertigen könnte (BVerfG, Beschl. v. 1.2.2005 – 2 BvR 2019/03, NJW 2005, 965). Die Schwere der Straftat ist allerdings z.B. im Rahmen der Abwägung zwischen dem Zweck der Strafverfolgung und dem Schutz der Pressefreiheit zu berücksichtigen (BVerfG, a.a.O.; Beschl. v. 27.6.2005 – 2 BvR 2428/04, StraFo 2005, 377).

Hinweis:

Auch im Bußgeldverfahren kommt eine Durchsuchung grds. in Betracht (vgl. dazu EGMR, Urt. v. 28.4.2005 – 4160/98, StV 2006, 561 [Ls.]; BVerfG, Beschl. v. 9.3.2005 – 2 BvR 1178/04, HRRS 2005, 313; zuletzt BVerfG, Beschl. v. 14.7.2016 – 2 BvR 2748/14, DAR 2016, 641; s. aber BVerfG, Beschl. v. 22.3.1999 – 2 BvR 2158/98, StraFo 1999, 192 [geringfügiger Verstoß gegen das AuslG]; LG Zweibrücken, Beschl. v. 22.12.1998 – 1 Qs 168/98, NZV 1999, 222 und AG Landau, Beschl. v. 20.2.2001 – Gs 12/01, NStZ-RR 2002, 220 [keine Durchsuchung bei geringfügiger Ordnungswidrigkeit]; LG Zweibrücken, Beschl. v. 4.3.2002 – Qs 18/02, VRS 102, 378 [geständiger Betroffener]; Burhoff, EV, Rn 1858; Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn 803 ff.). Allerdings bedarf hier die Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonderer Sorgfalt (EGMR, a.a.O.) und wird die Durchsuchung häufig unverhältnismäßig sein.

Die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei bedarf besonderer verfassungsrechtlicher Rechtfertigung (zum Begriff der Wohnung LG Stuttgart, Beschl. v. 4.11.2021 – 6 Qs 9/21, StV 2022, 704). Das gilt vor allem, wenn der gesamte Datenbestand des (nicht beschuldigten) Rechtsanwalts beschlagnahmt werden soll (BVerfG, Beschl. v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917; Beschl. v. 5.7.2005 – 2 BvR 497/03, NJW 2005, 3414; Beschl. v. 4.7.2006 – 2 BvR 950/05, 2006, 2974; Beschl. v. 6.5.2008 – 2 BvR 384/07, NJW 2008, 1937; Beschl. v. 5.5.2008 – 2 BvR 1801/06, NJW 2008, 2422; Beschl. v. 11.7.2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281; Beschl. v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518; Beschl. v. 5.5.2011 – 2 BvR 1011/10, NJW 2011, 2275; Beschl. v. 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10, StraFo 2015, 61 m. Anm. Laudon, StRR 2015, 97; Beschl. v. 2.6.2005 – 2 BvR 334/05, NJW-RR 2005, 1289; dazu auch EGMR, Urt. v. 3.7.2012 – 30457/06, NJW 2013, 3081; Urt. v. 3.12.2019 – 14704/12, NJW 2020, 3507 [Beschlagnahme]; Urt. v. 4.2.2020 – 11264/04 u.a., NJW 2021, 1077; s. auch LG Hannover, Beschl. v. 17.9.1997 – 49 Qs 95/97, StV 1997, 626; LG Rostock, Beschl. v. 21.7.2015 – 18 Qs 212/14, StV 2015, 622 und LG Stuttgart, Beschl. v. 12.4.1999 – 10 Qs 26/99, StraFo 1999, 383, jeweils für die Durchsuchung bei nur „[äußerst] geringem“ Tatverdacht; auch noch Gusy, NStZ 2010, 353, 357 f.; Dann, NJW 2015, 2609, 2611; zur Cloud Schelzke, HRRS 2013, 86; zur Durchsuchung der Daten des Mobiltelefons des Rechtsanwalts EGMR, Urt. v. 17.12.2020 – 459/18 [Saber/Norwegen], StV-S 2021, 104; LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 9.11.2015 – 2 Qs 107/15, StV 2016, 154; zur Durchsicht von Datenträgern und Daten AG Aachen, Beschl. v. 7.8.2019 – 620 Gs 766/19). Das gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt selbst Beschuldigter ist (BVerfG, Beschl. v. 5.5.2008 – 2 BvR 1801/06, NJW 2008, 2422; Beschl. v. 29.1.2015 – 2 BvR 497/12, StV 2016, 70 m. Anm. Laudon, StRR 2015, 262 [Unterhaltspflichtverletzung eines Rechtsanwalts]; LG Rostock, a.a.O.; zur Durchsuchung/Beschlagnahme von Verteidigerpost mit beleidigendem Inhalt BVerfG, Beschl. v. 20.5.2010 – 2 BvR 1413/09, NJW 2010, 2937).

Von Bedeutung ist in dem Zusammenhang immer auch, dass durch die Maßnahme gegen den Rechtsanwalt Daten von Nichtbeschuldigten, also (anderen) Mandanten, den Ermittlungsbehörden bekannt werden (u.a. EGMR, Urt. v. 16.10.2007 – 74336/01, HRRS 2008 Nr. 72; Urt. v. 3.7.2012 – 30457/06, NJW 2013, 3081; Urt. v. 3.12.2019 – 14704/12, NJW 2020, 3507; BVerfG, Beschl. v. 7.9.2006 – 2 BvR 1141/05, NJW 2006, 3411; Beschl. v. 6.5.2008 – 2 BvR 384/07, NJW 2008, 1937; Beschl. v. 11.7.2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281; für Unterlagen über die Beratung von Mandanten, die mit dem Ermittlungsverfahren in keinem Zusammenhang stehen, s. BVerfG, Beschl. v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518; Beschl. v. 25.7.2017 – 2 BvR 1287/14, 2017, 2816; auch LG Dresden, Beschl. v. 5.9.2011 – 5 Qs 59/11; LG Rostock, a.a.O.; Dann, NJW 2015, 2609, 2611). Der EGMR (2008, a.a.O.) verlangt die Durchsuchung in Anwesenheit eines unabhängigen Beobachters.

Sollen die Wohnräume eines Rechtsanwalts in einem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren durchsucht werden, müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die die Erwartung rechtfertigen können, dass sich in den Wohnräumen des Rechtsanwalts verfahrensrelevante Unterlagen finden lassen (BVerfG, Beschl. v. 28.9.2008 – 2 BvR 1800/07). Es ist immer auch darauf zu achten, ob die durch die Durchsuchung erstrebten Erkenntnisse nicht auch einfacher anderweitig hätten erlangt werden können (OLG Rostock, Beschl. v. 20.9.2012 – AGH 5/12 (I/3), NJW 2013, 484 für Durchsuchung im anwaltsgerichtlichen Verfahren).

Hinweis:

Nach § 160a StPO sind Zwangsmaßnahmen, wie Durchsuchungen bei bestimmten Berufsgeheimnisträgern und deren Gehilfen unzulässig, wenn sie dem Ziel dienen, Gegenstände aufzufinden, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht bzw. unterliegen diese Maßnahmen einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung (dazu Burhoff, EV, Rn 1250). Beschränkungen zugunsten von Rechtsanwälten in Zusammenhang mit bestehenden Zeugnisverweigerungsrechten entfallen aber, wenn der Rechtsanwalt in Verdacht steht, an der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat beteiligt gewesen zu sein (LG Bonn, Beschl. v. 10.1.2011 – 27 Qs 33/10).

c) Richtervorbehalt

Durchsuchungsmaßnahmen werden nach Art. 13 Abs. 1 GG bzw. § 105 Abs. 1 StPO grds. durch den Richter angeordnet. Nur bei „Gefahr im Verzug“ können auch der Staatsanwalt oder eine der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG) eine Durchsuchung anordnen.

Hinweis:

Zu den Ermittlungspersonen gehören im Steuerstrafverfahren gem. § 404 S. 2 Hs. 2 AO auch die Beamten der Steuerfahndung.

„Gefahr im Verzug“ liegt vor, wenn die richterliche Anordnung der Maßnahme nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Durchsuchung dadurch gefährdet wird (Meyer-Goßner/Schmidt, § 98 Rn 6 m.w.N.). Nach der Rspr. des BVerfG (grundlegend BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121) ist der Begriff der „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen. Die richterliche Anordnung ist die Regel, die nichtrichterliche die Ausnahme (vgl. auch Burhoff, StraFo 2005, 140 m.w.N.). Der über die Anordnung ggf. ohne Richter entscheidende Beamte muss über das Vorliegen von „Gefahr im Verzug“ nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Seine Entscheidung muss sich auf Tatsachen gründen (BVerfG, a.a.O.; so auch schon BVerfG, Beschl. v. 3.4.1979 – 1 BvR 994/76, NJW 1979, 1539). Seine Entscheidung unterliegt der unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle (BVerfG 2001, a.a.O.). Auf der Grundlage der Rspr. des BVerfG hat sich eine umfangreiche Rspr. entwickelt, die aus Platzgründen hier nur in den Grundzügen dargestellt werden kann (s. im Übrigen Burhoff, EV, Rn 1829 ff. m.w.N.).

Es gilt: Die Ermittlungsbehörden müssen immer versuchen, zunächst eine richterliche Anordnung zu erlangen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur dann, wenn schon durch diesen Versuch und die darauf zurückzuführende zeitliche Verzögerung ein Beweismittelverlust eintreten könnte (BVerfG, 2001, a.a.O.; Beschl. v. 11.6.2010 – 2 BvR 1046/08, NJW 2010, 2864; Beschl. v. 24.2.2011 – 2 BvR 2346/10, StraFo 2011, 145; Beschl. v. 12.3.2019 – 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428; BGH, Urt. v. 6.10.2016 – 2 StR 46/15, BGHSt 61, 266; Beschl. v. 4.6.2020 – 4 StR 15/20, NJW 2020, 3400 [Ls.]). Das gilt auch für Durchsuchungen und Beschlagnahme, die sich auf Dateien als Beweismittel richten (BayVGH, Beschl. v. 8.8.2005 – 16a CD 05.1692, PStR 2005, 278). Die bloße Möglichkeit eines Beweismittelverlustes reicht nicht (BVerfG, Beschl. v. 3.3.2003 – 1 BvR 310/03, NJW 2003, 2303). „Gefahr im Verzug“ ist also nicht gegeben, wenn ausreichend Zeit zur Erlangung eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses vorhanden war. Die Ermittlungsbehörden müssen auch – zumindest telefonisch – versucht haben (VerfG Brandenburg, Beschl. v. 21.11.2002 – 94/02, NJW 2003, 2305), eine richterliche Anordnung zu erlangen. In dem Zusammenhang ist die Rspr. hinsichtlich des Zeitfensters, das den Behörden zur Verfügung steht, ziemlich streng. Das BVerfG hat z.B. die Annahme von „Gefahr im Verzug“ verneint, wenn noch zwei Stunden für die Erlangung einer richterlichen Anordnung zur Verfügung standen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.2.2005 – 2 BvR 308/04, NJW 2005, 1637; ähnlich Beschl. v. 8.3.2006 – 2 BvR 1114/05, StraFo 2006, 386; vgl. auch LG Cottbus, Beschl. v. 23.7.2002 – 23 Qs 16/02, StV 2002, 535 [drei Stunden]; wegen weiterer Nachw. aus der Rspr. Burhoff, EV, Rn 1840).

Hinweis:

Die Ermittlungsbehörden dürfen nicht so lange warten, bis „Gefahr im Verzug“ eingetreten ist. Sie dürfen auf diese Weise die Voraussetzungen für eine nicht richterliche Anordnung nicht (selbst) herbeiführen (BVerfG, Beschl. v. 3.3.2003 – 1 BvR 310/03, NJW 2003, 2303; BGH, Urt. v. 18.4.2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 288; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.6.2016 – III-3 RVs 46/16, NStZ 2017, 177 = StV 2017, 12.

Der Annahme von „Gefahr im Verzug“ steht es im Übrigen nicht entgegen, wenn die Befundtatsachen, auf die sich die Durchsuchungsmaßnahme stützen soll, schon längere Zeit bekannt sind. Die Rspr. des BVerfG, nach der nach sechs Monaten von einer einmal erteilten Durchsuchungsanordnung nicht mehr Gebrauch gemacht werden darf, ist auf diese Fallkonstellation nicht übertragbar (BVerfG, Urt. v. 3.3.2004 – 1 BvR 2378/98, BVerfGK 4, 303). Es dürfen aber nur Beschlüsse vollstreckt werden, die nicht älter als sechs Monate sind (s. BVerfG, Beschl. v. 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165).

Für den richterlichen Bereitschaftsdienst gilt nach der Rspr. des BVerfG: Bei Tage muss die Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters uneingeschränkt gewährleistet sein. Die Justiz ist deshalb verpflichtet, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters Sorge zu tragen (BVerfG, Beschl. v. 28.9.2006 – 2 BvR 876/06, NJW 2007, 1444; Beschl. v. 12.3.2019 – 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428; Meyer-Goßner/Schmitt, § 105 Rn 2a m.w.N.). Für die Nachtzeit sieht das BVerfG von Verfassungs wegen einen Bereitschaftsdienst hingegen erst dann als erforderlich an, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht (zuletzt BVerfG, Beschl. v. 12.3.2019 – 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428 m. Anm. Deutscher, StRR 6/2019, 13; s. auch Rabe von Kühlewein, NStZ 2019, 501). Es kommt also darauf an, wie oft es überhaupt zu nächtlichen Durchsuchungsanordnungen kommt. Ist das nur vereinzelt der Fall, ist der richterliche Eildienst zwar wünschenswert, aber nicht unbedingt erforderlich (BVerfG, Beschl. v. 12.3.2019 – 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428; s. auch BVerfG, Urt. v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121; Beschl. v. 10.12.2003 – 2 BvR 1481/02, NJW 2004, 1442; Beschl. v. 4.2.2005 – 2 BvR 308/04, NJW 2005, 1637; Beschl. v. 8.3.2006 – 2 BvR 1114/05, NJW 2006, 3267 [Ls.]; Beschl. v. 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10, NJW 2015, 2787; Beschl. v. 21.5.2004 – 2 BvR 715/04, StraFo 2009, 145 [§ 81a]; Fickenscher/Dingelstadt, NJW 2009, 3473; Klein, Krim 2019, 526; insoweit teilweise a.A. Bittmann, wistra 2002, 451 in der Anm. zu BVerfG 2001, a.a.O.). Dies führt dazu, dass man für Großstädte grds. einen (nächtlichen) richterlichen Bereitschaftsdienst fordern muss (die vorstehende Rspr. des BVerfG, a.a.O.; inzidenter BVerfG, Beschl. v. 28.9.2006 – 2 BvR 876/06, NJW 2007, 1444 [München]; BGH, Beschl. v. 25.4.2007 – 1 StR 135/07, NJW 2007, 2567 [Ls. – Augsburg, 1. Weihnachtsfeiertag]; Beschl. v. 19.1.2010 – 3 StR 530/09, wistra 2010, 231; Beschl. v. 30.8.2011 – 3 StR 210/11 und NStZ 2012, 104 für Düsseldorf offengelassen). Die entsprechenden Prüfungs- und Bereitstellungspflichten treffen die Gerichtspräsidien, nicht die Landesjustizverwaltung (BVerfG, Beschl. v. 12.3.2019 – 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428; Rabe von Kühlewein, NStZ 2019, 501, 504; Deutscher, StRR 6/2019, 13 in der Anm. zu BVerfG, a.a.O.).

Hinweis:

Nachtzeit ist nach der Änderung des § 104 Abs. 3 durch das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ v. 25.6.2021 jetzt ganzjährig der Zeitraum von 21:00 bis 6:00 Uhr (BVerfG 2001, a.a.O.; Beschl. v. 12.3.2019 – 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428; zur Begründung der Änderung BT-Drucks 19/27654, S. 71; zur Nachtzeit Hütwohl, NJW 2021, 3298; zur Durchsuchung zur Nachtzeit Burhoff, EV, Rn 1986 ff.).

Liegt nach den vorstehenden Ausführungen „Gefahr im Verzug“ vor und wird die Durchsuchung daher nicht vom Richter angeordnet, ist die Anordnung der Durchsuchung an eine bestimmte Form nicht gebunden (zur Form s.o. I.1.a). Sie kann also mündlich, telefonisch oder telegrafisch ergehen (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.1985 – 5 StR 338/85, NStZ 1986, 84). Im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer gerichtlichen Kontrolle müssen aber sowohl die Annahme von „Gefahr im Verzug“ als auch die Grundlagen der Entscheidung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Durchsuchungsmaßnahme in den Ermittlungsakten dargelegt/dokumentiert werden (BVerfG 2001, a.a.O.; Beschl. v. 3.3.2003 – 1 BvR 310/03, NJW 2003, 2303; BayVGH, Beschl. v. 8.8.2005 – 16a CD 05.1692, PStR 2005, 278; vgl. auch BGH, Beschl. v. 13.1.2005 – 1 StR 531/04, NJW 2005, 1060, zugleich auch zur (verneinten) Frage eines Beweisverwertungsverbotes, wenn das unterlassen wird). Erforderlich ist eine „hinreichende Dokumentation“ der Eingriffssituation, weil nur so eine ausreichende Kontrolle möglich ist, ob die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise nicht vom Richter angeordneten Eingriff vorgelegen haben (BVerfG, Beschl. v. 8.3.2006 – 2 BvR 1114/05, StraFo 2006, 386).

2. Beschlagnahmeverbote

Allgemein gilt: Die Anordnung der Durchsuchung ist unzulässig, wenn die gesuchten Sachen unter § 97 StPO fallen, also ein Beschlagnahmeverbot besteht (OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.6.2005 – 3 Ws 499/05, StraFo 2005, 421).

Hinweis:

Die Beschlagnahmeverbote spielen bei der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei wegen der Bedeutung, die dem Schutz des Verhältnisses zwischen Mandanten und Verteidiger/Rechtsanwalt zukommt (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.3.2004 – 2 BvR 1520/01, NJW 2004, 1305 [„Geldwäscheentscheidung“]) eine erhebliche Rolle.

a) Allgemeines

Das nach § 97 Abs. 1 Nr. 1–3 StPO für bestimmte Gegenstände bestehende Beschlagnahmeverbot knüpft an ein sich ggf. aus den §§ 52, 53, 53a StPO ergebendes Zeugnisverweigerungsrecht an. Aus § 97 Abs. 1 StPO folgt aber kein allgemeines Beschlagnahmeverbot entsprechend einem allgemeinen Zeugnisverweigerungsrecht. Geschützt wird nur das Vertrauensverhältnis zum Beschuldigten. Die Beziehung eines Nichtbeschuldigten zu einem Berufsgeheimnisträger, wie z.B. einem Rechtsanwalt, unterfällt nicht dem Schutz des § 97 Abs. 1 StPO (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83; Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn 10). Zu dem geschützten Personenkreis gehören nicht nur Verteidiger, sondern (alle) sonstige(n) Rechtsanwälte, und zwar nach Roxin (NJW 1995, 17) auch der Syndikusrechtsanwalt (dazu Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl. 2015, Rn 391 [zumindest für die Unterlagen, die äußerlich eindeutig dem Bereich der anwaltlichen Tätigkeit zugeordnet sind]).

aa) Beschlagnahmefreie Gegenstände

Beschlagnahmefrei sind danach bei der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei grds. (Burhoff, EV, Rn 943 ff.):

  • schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den Personen, die nach § 52 StPO oder nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3b StPO das Zeugnis verweigern dürfen, also z.B. Angehörige und/oder der Verteidiger (BVerfG, Beschl. v. 27.6.208 – 2 BvR 1405/17, NJW 2018, 2385, 2389); erfasst werden davon Abschriften oder Fotokopien, Briefe im Original und in Durchschrift, sowie Mitteilungen auf Ton- und Bildträgern, Abbildungen oder anderen Darstellungen, die in entsprechender Anwendung von § 11 Abs. 3 StGB den oben aufgeführten schriftlichen Mitteilungen gleich stehen; zu den geschützten Unterlagen gehören aber nicht Briefe eines Strafverteidigers an seinen Mandanten, die beleidigenden Inhalt haben. Diese können in einem Strafverfahren gegen den Verteidiger beschlagnahmt werden (BGH, Urt. v. 27.3.2009 – 2 StR 302/08, BGHSt 53, 257; Burhoff, EV, Rn 942; Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn 3).

Hinweis:

Es ist unerheblich, auf welchem Medium sich die Aufzeichnungen befinden, sodass z.B. auch die Daten auf einem Notebook von der Privilegierung erfasst werden (BVerfG, Beschl. v. 30.1.2002 – 2 BvR 2248/00, NJW 2002, 1410).

  • Aufzeichnungen, welche sich die in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3 b StPO Genannten über die ihnen vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder über andere Umstände gemacht haben, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt, aber auch solche, die Berufshelfer i.S.d. § 53a StPO sich gemacht haben (zur Berufshelfereigenschaft Burhoff, EV, Rn 5722), also z.B. Aufzeichnungen des Rechtsanwalts/Verteidigers über Besprechungen mit dem Mandanten u.a.,
  • Aufzeichnungen des Beschuldigten, die er sich erkennbar selbst zum Zweck seiner Verteidigung gemacht hat, sind über den Wortlaut des § 97 StPO hinaus von der Beschlagnahme ausgeschlossen, und zwar unabhängig davon, ob der Beschuldigte beabsichtigte, diese Aufzeichnungen an seinen Verteidiger weiterzugeben (st. Rspr. des BGH, vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 25.2.1998 – 3 StR 490/97, BGHSt 44, 46 m.w.N.; KG, Beschl. v. 23.12.2021 – 5 Ws 261/21; OLG München, Beschl. v. 30.11.2004 – 3 Ws 720 – 722/04, StV 2005, 118; LG Bonn, Beschl. v. 3.12.2003 – 31 Qs 161/03, StV 2004, 124; LG München, Beschl. v. 26.7.2000 – 5 Qs 80/00, NStZ 2001, 612). Tagebuchaufzeichnungen des Beschuldigten fallen ebenfalls grds. unter § 97 StPO. Das folgt aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 97 StPO, wenn nämlich das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen das Strafverfolgungsinteresse eindeutig überwiegt, was z.B. bei privaten Tonbandaufzeichnungen (BGH, Urt. v. 12.4.1989 – 3 StR 453/88, BGHSt 36, 167) oder bei Tagebucheintragungen, die nicht zur Kenntnis Dritter bestimmt sind, i.d.R. anzunehmen ist (zur Beschlagnahme von Tagebüchern allgemein BVerfG, Beschl. v. 14.9.1989 – 2 BvR 1062/87, NJW 1990, 563 m.w.N.; s. auch VerfG Berlin, Beschl. v. 24.1.2003 – 39/99, NJW 2004, 593 [Beschlagnahme eines Tagebuchblatts in einem Verfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Wahlfälschung gem. § 107a StGB]; BGH, Beschl. v. 30.3.1994 – StB 2/94, NJW 1994, 1970 [Tagebücher eines Stasi-Agenten]),
  • andere Gegenstände; das können z.B. sein nach h.M. Buchungs- und Geschäftsunterlagen des Beschuldigten, die sich beim Verteidiger befinden (Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn 3 m.zahlr.w.N.),
  • ggf. Ergebnisse einer „Internal Investigation“, wenn das Unternehmen in dem konkreten Verfahren eine dem Beschuldigtenstatus gleichkommende beschuldigtenähnliche Stellung innehat, da § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO nur das Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und dem im konkreten Verfahren Beschuldigten schützt (BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, NJW 2385, 2389 [Jones Day]; LG Oldenburg, Beschl. v. 31.7.2018 – 2 KLs 98/16, Nds.Rpfl 2019, 299; eingehend Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn 10a ff.; zum Rechtszustand vor der BVerfG-Entscheidung Ballo, NZWiSt 2013, 46; Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383; LG Braunschweig, Beschl. v. 21.7.2015 – 6 Qs 116/15, NStZ 2016, 308; LG Mannheim, Beschl. v. 3.7.2012 – 24 Qs 1/12, NZWiSt 2012, 424; s. aber auch Burhoff, EV, Rn 925).

Nicht beschlagnahmefrei sind:

  • Akten und Unterlagen von Mandanten im Besitz eines Rechtsanwalts, gegen den ebenfalls ein Ermittlungsverfahren geführt wird (LG Berlin, Beschl. v. 14.7.1992 – 511 Qs 39/92, NStZ 1993, 146; auch LG Bonn, Beschl. v. 10.1.2011 – 27 Qs 33/10; zur Beeinträchtigung der Rechte des Mandanten durch sich gegen den Rechtsanwalt richtende Beschlagnahmen Krekeler, NJW 1977, 1418, 1419; Waldowski, AnwBl 1975, 106),
  • Protokolle anwaltlicher Zeugenbefragungen (LG Stuttgart, Beschl. v. 26.3.2018 – 6 Qs 1/18, StV 2019, 7),
  • Unterlagen eines mit internen Ermittlungen beauftragten Rechtsanwalts (BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, NJW 2018, 2385, 2389 [Jones Day]; LG Hamburg, Beschl. v. 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942; eingehend Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn 10b m.w.N.; krit. Wimmer, StV 2019, 704 f.; Winkler, StraFo 2018, 464), es sei denn, der Rechtsanwalt ist z.B. beauftragt, Kartellrechtsverstöße zu untersuchen, um dann Unternehmen und beteiligte Mitarbeiter in Verfahren gem. §§ 9, 14, 30, 130 OWiG zu verteidigen (Bauer, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn 10c f. m.w.N.).
bb) Gewahrsam des Rechtsanwalts

Gemäß § 97 Abs. 2 S. 1 StPO gilt das Beschlagnahmeverbot für die aufgeführten Gegenstände nur dann, wenn sie sich im Gewahrsam – also in der tatsächlichen Verfügungsmacht – des i.S.d. §§ 52, 53, 53a StPO Zeugnisverweigerungsberechtigten befinden. Der Rechtsanwalt muss also Gewahrsam haben. Es ist ausreichend, wenn Mitgewahrsam besteht; es darf aber nicht der Beschuldigte der andere Mitgewahrsamsinhaber sein (BGH, Beschl. v. 4.8.1964 – 3 StB 12/63, BGHSt 19, 374; LG Stuttgart, Beschl. v. 4.4.1990 – 14 Qs 53/90, MDR 1990, 944). Eine Ausnahme gilt für Verteidigungsunterlagen im Besitz des Verteidigers (vgl. dazu BGH, Urt. v. 25.2.1998 – 3 StR 490/97, BGHSt 44, 46; LG München, Beschl. v. 26.7.2000 – 5 Qs 80/00, NStZ 2001, 612). An in einer Cloud abgelegten Daten besteht Mitgewahrsam (Schelzke, HRRS 2013, 83; zur Cloud noch Cornelius, StV 2016, 380; Wicker, MMR 2013, 765; Brodowski/Eisenmenger, ZD 2014, 11; zur Beschlagnahme anwaltlicher Unterlagen im Unternehmensgewahrsam Rütters/Schneider, GA 2014, 160).

cc) Ausnahmen vom Beschlagnahmeverbot

Vom Beschlagnahmeverbot gelten Ausnahmen: Die in der Praxis bedeutsamste folgt aus § 97 Abs. 2 S. 3 StPO, wenn der Rechtsanwalt/Verteidiger selbst einer Teilnahme i.w.S., einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist (vgl. dazu die Fallgestaltung bei BVerfG, Beschl. v. 30.11.2021 – 2 BvR 2038/18, StV 2022, 137 [Ls.]; BGH, Beschl. v. 8.8.2018 – 2 ARs 121/18, BGHSt 63, 174 und bei LG Bonn, Beschl. v. 10.1.2011 – 27 Qs 33/10 [teilnahmeverdächtiger Verteidiger]). Insoweit muss weder dringender Tatverdacht i.S.v. § 112 StPO noch hinreichender Tatverdacht i.S.v. § 203 StPO vorliegen. Der Verdacht muss sich aber auf bestimmte Tatsachen gründen, bloße Vermutungen genügen nicht (LG Kiel, SchlHA 1955, 368; vgl. dazu auch unten I.2.b). Er muss bei der Anordnung der Beschlagnahme bestehen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn 20 m.w.N.).

Hinweis:

Hier kann die „Geldwäscheentscheidung“ des BGH (Urt. v. 4.7.2001 – 2 StR 513/00, BGHSt 47, 68) erhebliche Auswirkungen haben. Sie ermöglicht nämlich ggf. über einen Geldwäschevorwurf und den damit nach der Rspr. des BGH (immer auch) gegebenen Vorwurf der Begünstigung usw. eine erweiternde Anwendung des § 97 Abs. 2 S. 3 StPO. Bei Beachtung der Grundsätze der zur Rspr. des BGH ergangenen Entscheidung des BVerfG (NJW 2004, 1305), wonach § 261 StGB zugunsten des Verteidigers einschränkend dahin auszulegen ist, dass dieser „sichere Kenntnis“ von der bemakelten Herkunft des Geldes haben muss, sind an eine solche Annahme nun aber wohl ganz besondere Anforderungen zu stellen (zum „doppelten Anfangsverdacht“ bei der Geldwäsche BVerfG, Beschl. v. 31.1.2020 – 2 BvR 2992/14, NJW 2020, 1351 m. Anm. Neuheuser, NStZ 2020, 559; Beschl. v. 7.5.2020 – 2 BVB 26/20, NJW 2020, 2391; Beschl. v. 3.3.2021 – 2 BvR 1746/18, NJW 2021, 1452).

Eine weitere Ausnahme besteht, wenn es sich bei den zu beschlagnahmenden Gegenständen um sog. Deliktsgegenstände handelt (§ 97 Abs. 2 S. 3 StPO). Das sind solche, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren, z.B. gefälschte Urkunden. Dazu zählen auch die zur Begehung einer Steuer- oder Wirtschaftsstraftat benutzten – gefälschten oder echten – Urkunden (OLG Hamburg, Beschl. v. 8.1.1981 – 1 Ws 7/81, MDR 1981, 603; LG Aachen, Beschl. v. 11.10.1984 – 86 Qs 74/84, NJW 1985, 338; s. auch LG Stuttgart, Beschl. v. 7.11.1975 – IV Qs 363/75, NJW 1976, 2030 [zur Frage des sog. mittelbaren Deliktsgegenstands]) sowie ggf. auch das „Bekennerschreiben“ einer terroristischen Vereinigung (BGH, Beschl. v. 24.11.1995 – StB 84/95, BGHSt 41, 363).

Hinweis:

Schließlich entfällt die Beschlagnahmefreiheit auch, wenn der zur Verschwiegenheit verpflichtete Rechtsanwalt von seinem Mandanten von der Verschwiegenheitspflicht gem. § 53 Abs. 2 StPO entbunden wird. Dann unterliegen sämtliche Unterlagen, die sich vom Mandanten bei seinem Berater befinden, der Beschlagnahme. Das gilt unabhängig davon, ob der Beschuldigte im Einzelnen von ihnen Kenntnis hat, also z.B. auch für Krankengeschichten (OLG Hamburg, NJW 1962, 689; s.a. Burhoff, EV, Rn 2313).

b) Exkurs: Beschlagnahme der Handakten des Verteidigers und von Datenträgern des Rechtsanwalts
aa) Beschlagnahme der Handakten

Für die Beschlagnahme der Handakten des Verteidigers gelten grds. die allgemeinen Regeln. Die Handakten des Verteidigers (und ihr Inhalt) sind danach grds. als beschlagnahmefrei anzusehen (Dahs, a.a.O., Rn 389 m.w.N.; zur Beschlagnahme von Mandantenunterlagen bei den Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe s. Schuhmann, wistra 1995, 50; s. auch o. I.2.a)aa).

Hinweis:

Gegen die Beschlagnahme seiner Handakten muss der Rechtsanwalt/Verteidiger sich deshalb auf jeden Fall mit der Beschwerde zur Wehr setzen (Dahs, a.a.O., Rn 391).

In der Praxis von Bedeutung sind die mit der oben angeführten Ausnahme „Teilnahmeverdacht“ zusammenhängenden Fragen. Nach überwiegender Meinung in Rspr. und Lit. gelten, wenn der Verteidiger teilnahmeverdächtig ist, keine Besonderheiten gegenüber den allgemeinen Regeln (vgl. BGH, Urt. v. 24.3.1982 – 3 StR 28/82 (S), BGHSt 31, 16; Urt. v. 5.11.1985 – 2 StR 279/85, BGHSt 33, 347, 351 ff. [für Telefonüberwachung]; Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn 38 m.w.N. auch zur Gegenansicht in der Lit.). Fraglich ist allerdings, welche Anhaltspunkte für einen Teilnahmeverdacht des Rechtsanwalts vorliegen müssen. Nach der Rspr. des BGH müssen es gewichtige Anhaltspunkte sein (BGH, Beschl. v. 13.8.1973 – StB 34/73, NJW 1973, 2035). Was „gewichtige“ Anhaltspunkte sind, ist bislang allerdings nicht definiert. Nicht erforderlich soll sein, dass gegen den Verteidiger bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet oder er nach §§ 138a ff. StPO als Verteidiger ausgeschlossen ist (BGH, Beschl. v. 5.1.1982 – 5 StR 267/81, NStZ 1983, 85). Diese Rspr. ist in der Lit. scharf kritisiert worden (vgl. u.a. Specht, NJW 1974, 65; Welp, JZ 1974, 421, jeweils in den Anm. zu BGH 1982, a.a.O.; s. auch die w.N. bei Meyer-Goßner/Schmitt, § 97 Rn 39). Die Kritik ist m.E. berechtigt. Denn was sollen „gewichtige Anhaltspunkte“ sein, wenn mit ihnen nicht zumindest ein Anfangsverdacht für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bzw. der Verdachtsgrad des § 138a StPO bejaht werden können soll? In der Lit. (vgl. LR-Schäfer, StPO, 27. Aufl. 2019, § 97 Rn 58 ff.) ist überzeugend dargelegt, warum zudem eine einschränkende Auslegung des § 148 StPO heute nicht mehr notwendig ist. Das gilt, nachdem das BVerfG in seiner Rspr. (vgl. dazu insb. die „Geldwäscheentscheidung“ des BVerfG, Urt. v. 30.3.2004 – 2 BvR 1520/01, BVerfGE 110, 226 und BVerfG, Beschl. v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917) das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant betont und für besonders schützenswert angesehen hat, erst recht. Deshalb wird man m.E. die Beschlagnahme beim teilnahmeverdächtigen Verteidiger auf jeden Fall erst nach der Entscheidung über das Ruhen der Verteidigerrechte gem. § 138c Abs. 3 StPO als zulässig ansehen können (a.A. in einem obiter dictum BGH, Urt. v. 5.11.1985 – 2 StR 279/85, BGHSt 33, 347; wohl auch BVerfG, Beschl. v. 20.5.2010 – 2 BvR 1413/09, NJW 2010, 2937).

bb) Beschlagnahme von Datenträgern

Besonderen Schutz gewährt das BVerfG dem Rechtsanwalt/Verteidiger, wenn in seinem Büro eine Durchsuchungsmaßnahme durchgeführt wird und es zur Beschlagnahme von Computeranlagen und computermäßig erfassten Daten kommt (BVerfG 2005, a.a.O., für die Beschlagnahme des gesamten elektronischen Datenbestandes eine von Rechtsanwälten und Steuerberatern gemeinsam betriebenen Kanzlei; dazu auch schon BVerfG, Beschl. v. 17.7.2002 – 2 BvR 1027/02, NJW 2002, 2458 [Erlass einer einstweiligen Anordnung]; zuletzt auch EGMR, Urt. v. 3.7.2012 – 30457/06, NJW 2013, 3081; Urt. v. 16.10.2018 – 70288/13, NJW 2019, 2291; eingehend Kutzner, NJW 2005, 2652).

Das BVerfG (NJW 2005, a.a.O.; s. auch noch BVerfG, Beschl. v. 2.6.2005 – 2 BvR 334/05, NJW-RR 2005, 1289) hat festgestellt, dass die Sicherstellung und Beschlagnahme der (gesamten) Datenträger und der hierauf gespeicherten Daten in das sich aus Art. 2 GG ergebende Grundrecht des Rechtsanwalts/Beraters und seiner Mandanten auf informationelle Selbstbestimmung eingreife und die hiermit zusammenhängenden Belange der Allgemeinheit beeinträchtige. Der Zugriff auf den Datenbestand einer Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzlei berühre nämlich in schwerwiegender Weise das rechtlich besonders geschützte Vertrauensverhältnis zwischen den Mandanten und den für sie tätigen Berufsträgern. Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege und Steuerberater sowie deren Mandanten seien auch im öffentlichen Interesse auf eine besonders geschützte Vertraulichkeit der Kommunikation angewiesen. Die Möglichkeit eines unbeschränkten Zugriffs auf den Datenbestand einer Rechtsanwalts- oder Steuerberaterkanzlei durch die staatlichen Behörden könne deren Mandanten insb. auch in anderen Fällen von einer vertraulichen Kommunikation oder sogar von einer Mandatierung abhalten (zu allem auch Kutzner, NJW 2005, 2652). Das BVerfG betont ausdrücklich die Besonderheiten der beruflichen Tätigkeit von Rechtsanwälten und Steuerberatern. Beschränkungen des Art. 2 Abs. 1 GG bedürften einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.

Hinweis:

Nach Auffassung des BVerfG bedarf daher der eingriffsintensive Zugriff auf Datenträger bei Berufsgeheimnisträgern einer „besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung“ (BVerfG, a.a.O.; Beschl. v. 2.6.2005 – 2 BvR 334/05, NJW-RR 2005, 1289; Beschl. v. 5.7.2005 – 2 BvR 497/03, NJW 2005, 3414). Der Zugriff auf für das Verfahren bedeutungslose Informationen müsse im Rahmen des Vertretbaren vermieden werden (BVerfG, Beschl. v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917). Bereits im Verfahrensstadium der Durchsicht nach § 110 StPO, das der Entscheidung über die Beschlagnahme vorgelagert ist, sei daher eine sorgfältige Sichtung und Trennung der Daten je nach ihrer Verfahrensrelevanz geboten (BVerfG, a.a.O.; zur Durchsuchung von Papieren und Computerdateien Burhoff, EV, Rn 1943 ff. m.w.N.).

Zur Durchsetzung dieses besonderen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat das BVerfG (Beschl. v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917; Beschl. v. 5.7.2005 – 2 BvR 497/03, NJW 2005, 3414) für die Ermittlungsbehörden einen Prüfungskatalog entwickelt, an dem sich Durchsuchungen, vor allem aber Beschlagnahmen im sensiblen Bereich des Berufsgeheimnisträgers, messen lassen müssen (vgl. dazu auch Kutzner, NJW 2005, 2653; Kasiske, StraFo 2010, 228; Burhoff, EV, Rn 936). Dazu gilt:

  • Allgemein ist die Bedeutung des potenziellen Beweismittels für das Strafverfahren zu bewerten. Im Einzelfall können schon die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat und eine geringe Beweisbedeutung der auf dem Datenträger vermuteten Informationen einer Sicherstellung des Datenbestands entgegenstehen.
  • Auch wenn die von der Maßnahme betroffenen Datenträger potenziell Beweiserhebliches enthalten, ist zu prüfen, ob eine Sicherstellung des Datenträgers und aller darauf vorhandenen Daten erforderlich ist (auch EGMR, Urt. v. 3.7.2012 – 30457/06, NJW 2013, 3081; AG Aachen, Beschl. v. 7.8.2019 – 620 Gs 766/19).
  • Kann eine Unterscheidung der Daten nach ihrer potenziellen Verfahrenserheblichkeit vorgenommen werden, ist vor Ort die Möglichkeit einer Trennung der potenziell erheblichen von den restlichen Daten von Verfassungs wegen zu prüfen. In Betracht kommt hierbei neben dem Erstellen einer (Teil-)Kopie hinsichtlich der verfahrenserheblichen Daten das Löschen oder die Herausgabe der für das Verfahren irrelevanten Daten (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 5.7.2005 – 2 BvR 497/03, NJW 2005, 3414).
  • Je nach den Umständen des Einzelfalls müssen unterschiedliche, miteinander kombinierbare Möglichkeiten vor einer endgültigen Beschlagnahme sämtlicher Daten erwogen und ausgeschöpft werden. Von Bedeutung ist hierbei vor allem die Auswertung der Struktur eines Datenbestandes. Die Zuordnung eines Teils des Datenbestandes entweder auf einen Sozius oder einen Mandanten ist zu beachten. Es darf grds. nur auf die Akten zugegriffen werden, die zu dem verdachtserregenden Mandat gehören.

Hinweis:

Der Rechtsanwalt/Verteidiger sollte daher auf jeden Fall dafür sorgen, dass in seiner Kanzlei die Daten auf ihre Trennbarkeit, die Möglichkeit der Zuordnung und Eindeutigkeit geprüft werden können. Dazu stehen Computerprogramme zur Verfügung (vgl. dazu Streck, AnwBl 2005, 566, der den Rechtsanwalt für schadensersatzpflichtig gegenüber anderen Mandanten hält, wenn er darauf nicht achtet).

Diese Forderung des BVerfG (Beschl. v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917) hat zur Folge, dass in den Kanzleien geführte Terminkalender, Adressverzeichnisse, Fernsprechverzeichnisse usw. nur noch so weit sichergestellt werden dürfen, wie sie sich auf das tatverstrickte Mandat beziehen (s. auch Wegner, PStR 2005, 212). Etwas anderes folgt ggf. auch nicht aus der Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses mit „insbesondere“ (LG Berlin, Beschl. v. 15.1.2004 – 518 Qs 44/03, NStZ 2004, 571).

  • Erlauben die Eigenheiten des jeweiligen strafrechtlichen Vorwurfs und auch die technische Erfassbarkeit des jeweiligen Datenbestands eine unverzügliche Zuordnung zu dem strafrechtlich relevanten Vorwurf vor Ort nicht, muss die Prüfung der Verfahrensrelevanz der gespeicherten Daten im Rahmen der vorläufigen Sicherstellung des Datenträgers erwogen werden. Die komplette Übernahme der Daten ist i.d.R. zu verhindern.
  • Die Beschlagnahme sämtlicher Daten oder der gesamten Datenverarbeitungsanlage darf nicht pauschal damit begründet werden, dass eine etwaige Datenverschleierung nicht ausgeschlossen werden könne. Insoweit bedarf es vielmehr einzelfallbezogener Erwägungen. Der BGH hat inzwischen die komplette Beschlagnahme aller E-Mails aus einem Postfach als i.d.R. unverhältnismäßig angesehen (vgl. BGH, Beschl. v. 24.11.2009 – StB 48/09 (a), NJW 2010, 1297).

Hinweis:

Das BVerfG (2005, a.a.O.) hat außerdem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass, um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Verfahrensrechte nicht fruchtlos bleiben zu lassen, zu prüfen sein werde, ob ergänzend ein Beweisverwertungsverbot in Betracht zu ziehen sei. Zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen sei ein Beweisverwertungsverbot als Folge einer fehlerhaften Durchsuchung und Beschlagnahme von Datenträgern und der darauf vorhandenen Daten geboten (zu Beweisverwertungsverboten bei der Beschlagnahme Burhoff, EV, Rn 980 ff.).

II. Durchsuchung beim Rechtsanwalt als Verdächtigem (§ 102 StPO)

Ist der Rechtsanwalt selbst Verdächtigter und wird die Durchsuchung in dem gegen ihn geführten Verfahren durchgeführt, gilt neben den oben angeführten allgemeinen Regeln und Anforderungen § 102 StPO. Danach kann bei dem, der als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume und seiner Person vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln führt. Für die Durchsuchung nach § 102 StPO genügt es – anders als bei § 103 StPO – dass aufgrund kriminalistischer Erfahrung die Vermutung besteht, dass der Zweck der Durchsuchung erreicht werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt, § 102 Rn 2). Das ist kein sehr hoher Grad.

Durchsucht werden können u.a. Wohnungen und Räume, wozu auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume, wie z.B. eine Rechtsanwaltspraxis, gehören (BVerfG, Beschl. v. 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669). Durchsucht werden können aber auch EDV-Anlagen (BVerfG, Beschl. v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917). Die Durchsuchung nach § 102 StPO dient entweder der Ergreifung des Verdächtigen oder dem Auffinden von Beweismitteln.

III. Durchsuchung beim Rechtsanwalt als sog. Drittem (§ 103 StPO)

Wird beim Rechtsanwalt als sog. andere Person i.S.d. § 103 Abs. 1 S. 1 StPO durchsucht, ist er also weder einer Straftat beschuldigt noch verdächtig, ist die Durchsuchung nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände zulässig (zur Durchsuchung des Büros des Verteidigers des flüchtigen Beschuldigten zum Zwecke der Verhaftung LG Saarbrücken, Beschl. v. 13.6.2002 – 8 Qs 127/02, NStZ-RR 2002, 267; zur Durchsuchung des Verteidigerbüros wegen des Verdachts der Geldwäsche LG Berlin, Beschl. v. 24.7.2003 – 502 Qs 49/03, NJW 2003, 2694 und dazu BVerfG, Beschl. v. 14.1.2005 – 2 BvR 1975/03, NJW 2005, 1707; zur Durchsuchung von Archivräumen einer Rechtsanwaltskanzlei LG Stuttgart, Beschl. v. 4.11.2021 – 6 Qs 9/21, StV 2022, 704; zur Durchsuchung der Räume einer Steuerberater-/Wirtschaftsprüferkanzlei BVerfG, Beschl. v. 16.4.2015 – 2 BvR 440/14, NJW 2015, 2870; für eine Durchsuchung zum Auffinden von Unterlagen über die Beratung von Mandanten, die mit dem Ermittlungsverfahren in keinem Zusammenhang stehen, BVerfG, Beschl. v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518). Die Gegenstände müssen konkret bezeichnet werden.

Außerdem müssen Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchte Person oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Es reicht also nicht nur – wie im Fall des § 102 StPO – eine bloße Vermutung (BGH, Beschl. v. 15.10.1999 – StB 9/99, NStZ 2000, 154, 155; Beschl. v. 21.11.2001 – StB 20/01, StV 2002, 62; Beschl. v. 20.7.2022 – StB 29/22, StraFo 2022, 387; Beschl. v. 20.4.2023 – StB 58/22, NStZ-RR 2023, 182; Beschl. v. 6.9.2023 – StB 40/23, StV 2024, 149 [Ls.]; OLG Celle, StV 1982, 561 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.2.2008 – III-5 Ss 203/07 – 93/07 I, StraFo 2008, 238; LG Berlin, Beschl. v. 16.8.2001 – 504 Qs 94/01, StV 2002, 69; LG Köln, Beschl. v. 6.12.2004 – 106 Qs 14/04, StV 2005, 260; LG Limburg, Beschl. v. 15.2.2011 – 1 Qs 6/11, StRR 2011, 166 [Ls.]; LG Stuttgart, Beschl. v. 4.11.2021 – 6 Qs 9/21, StV 2022, 704). Die Beweismittel müssen hinreichend individualisiert sein. Die Annahme, „irgendwelche relevanten“ Beweismittel zu finden, reicht nicht (BGH, Beschl. v. 20.7.2022 – StB 29/22, StraFo 2022, 387). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird es hier zudem i.d.R. erfordern, dass der von der Durchsuchung Betroffene zunächst zur freiwilligen Herausgabe des Beweisgegenstandes aufgefordert wird (LG Kaiserslautern, Beschl. v. 19.3.1981 – 5 Os 346/80, NStZ 1981, 438; LG Köln, Beschl. v. 7.4.1981 – 117 (62) Qs 3/80, NJW 1981, 1746; wohl auch VerfG Berlin, Beschl. v. 11.2.1999 – 25/97, StV 1999, 296, 297).

Hinweis:

Die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei aufgrund einer Anordnung nach § 103 StPO ist ein „Eingriff“ in das „Privatleben“ und die „Wohnung“ des Rechtsanwalts i.S.d. Art. 8 Abs. 1 MRK. Eine solche Durchsuchung muss daher den Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 MRK entsprechen (EGMR, Urt. v. 16.12.1992 – 72/1991/324/394, NJW 1993, 718; Urt. v. 3.7.2012 – 30457/06, NJW 2013, 3081; ähnlich EGMR, Urt. v. 9.12.2004 – 41872/98, StraFo 2005, 283; s. auch LG Hannover, Beschl. v. 17.9.1997 – 49 Qs 95/97, StV 1997, 626; LG Stuttgart, Beschl. v. 4.11.2021 – 6 Qs 9/21, StV 2022, 704).

IV. Checkliste für das Verhalten bei der Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei

Der Rechtsanwalt/Verteidiger muss sich auf eine Durchsuchung vorbereiten. Das kann anhand nachfolgender Checkliste geschehen (s. auch zur Prävention und zu Verhaltensregeln bei der Durchsuchung in Unternehmen Püschel, PStR 2006, 89; Burhoff, EV, Rn 1782 ff.). Vorbereitet werden müssen aber auch die Mitarbeiter des Büros, damit diese, wenn eine Durchsuchung durchgeführt werden soll, richtig reagieren.

Hinweis:

Vor allem wichtig: Ruhe bewahren, keine Konfrontation, nichts vernichten oder keine Daten löschen!

Dem Rechtsanwalt kann nicht verweigert werden, seinen Mandanten zu informieren. Dazu ist er aufgrund des Mandatsverhältnisses sogar verpflichtet.

1. Die Mitarbeiter sollten vorab über Folgendes informiert werden:

  • Falls der Rechtsanwalt bei Beginn einer Durchsuchung selbst nicht im Büro ist: Verständigen! Es empfiehlt sich dafür, vorab einen Mitarbeiter zu bestimmen. Dieser ist darüber zu informieren, dass der Rechtsanwalt Inhaber des Hausrechts der zu durchsuchenden Räume ist und damit ein Anwesenheitsrecht bei der Durchsuchung hat (§ 106 Abs. 1 S. 2 SPO).
  • Bitte an den Durchsuchungsleiter, mit dem Beginn der Durchsuchung bis zum Erscheinen des Rechtsanwalts zu warten.
  • Nicht mit den Durchsuchungsbeamten reden! Die Mitarbeiter unterliegen, ebenso wie der Rechtsanwalt, der Schweigepflicht gegenüber dem Mandanten!
  • Nichts – ohne Absprache – freiwillig herausgeben! Auch insoweit gilt die anwaltliche Schweigepflicht.

2. Wird beim Rechtsanwalt als Beschuldigtem durchsucht:

Sofort Kollegen als Verteidiger hinzuziehen oder ein Mitglied der Anwaltskammer hinzu bitten. Dem von der Durchsuchung Betroffenen darf, auch wenn es sich um einen Rechtsanwalt handelt, ein Telefonkontakt zu seinem Rechtsanwalt nicht verwehrt werden. Eine generelle Telefonsperre ist unzulässig.

3. Bitte an den Durchsuchungsleiter, mit dem Beginn der Durchsuchung bis zum Erscheinen des Rechtsanwalts zu warten.

Eine Verpflichtung der Ermittlungspersonen, mit dem Durchsuchungsbeginn bis zum Eintreffen des Rechtsanwalts zu warten, besteht allerdings nicht.

4. Namen des Durchsuchungsleiters und der weiteren Ermittlungspersonen notieren!

Name, Dienstbezeichnung und telefonische Erreichbarkeit der Ermittlungspersonen sind zu erfassen und – soweit vorhanden – Visitenkarten zu erbitten. Im Zweifel kann zur Legitimation die Vorlage der Dienstausweise verlangt werden.

5. Durchsuchung wird allein von Polizeibeamten vollstreckt.

Wird die Durchsuchung von Polizeibeamten vollstreckt, die nicht von einem Staatsanwalt begleitet werden, muss nach § 105 StPO ein Zeuge beigezogen werden. Der Rechtsanwalt sollte dann einen anderen Rechtsanwalt beiziehen.

6. Falls ein Durchsuchungsbeschluss vorliegt: Diesen aushändigen lassen.

Ein vorliegender Durchsuchungsbeschluss ist den von der Durchsuchung Betroffenen regelmäßig vor Beginn der Durchsuchung – zumindest in Kopie – auszuhändigen. Nur so kann die Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft, eine freiwillige Herausgabe erwogen und der zulässige Umfang der Durchsuchung kontrolliert werden.

7. Anhand des Durchsuchungsbeschlusses prüfen, ob es sich um eine Maßnahme nach § 102 StPO oder um eine nach § 103 StPO handelt.

8. Überprüfung des Durchsuchungsbeschlusses

Der Rechtsanwalt sollte die Durchsuchungsanordnung zumindest auf folgende Punkte prüfen:

Ist im Beschluss der Tatverdacht hinreichend konkret beschrieben?

  • Sind die aufzufindenden Gegenstände ausreichend konkret bezeichnet?
  • Bei einer Durchsuchung nach § 102 StPO: Sind die Gründe benannt, aus denen sich ergibt, warum die gesuchten Gegenstände bei Dritten zu finden sein sollen?
  • Ist der Beschluss nicht älter als sechs Monate?

Hinweis:

Ist der Rechtsanwalt der Auffassung, dass der Beschluss unwirksam ist, sollte er der Durchsuchungsmaßnahme widersprechen und den Widerspruch protokollieren lassen.

9. Falls kein Durchsuchungsbeschluss vorliegt: Unterrichtung über Gründe und Ziele der Durchsuchung fordern.

Hierzu gehört insb. auch die Erläuterung, warum „Gefahr im Verzug“ vorliegt. Erläutert werden muss auch, ob sich die Maßnahme nach § 102 StPO oder nach § 103 StPO richtet.

Hinweis:

Die Aufforderung und die Antworten sind schriftlich festzuhalten und aktenkundig zu machen.

10. Ablauf der Durchsuchung

  • Keine Gespräche mit den Durchsuchungspersonen, auch keine „informatorischen Vorgesprächen“.
  • Nach Möglichkeit die Durchsuchungsbeamten jeweils von einem Mitarbeiter begleiten lassen.
  • In einem Vorgespräch kann die organisatorische Abwicklung der Durchsuchung besprochen werden. Hierzu gehört auch die Erörterung der Frage, wie der Geschäftsbetrieb möglichst reibungslos aufrechterhalten und schädliche Außenwirkungen der Durchsuchung vermieden werden können.

· Die Beschlagnahme von Unterlagen und Beweismitteln kann i.d.R. nicht verhindert werden. Um aber die Mitnahme und die Durchsicht von Papieren nicht betroffener Dritter zu verhindern, sollte der Rechtsanwalt bei der Suche behilflich sein. Das verhindert auch die gezielte Suche nach Zufallsfunden. So wird es auch grds. zu empfehlen sein, verschlossene Räume, Schränke, Tresore o.Ä. zu öffnen.

  • Entsprechendes kann für die Preisgabe von Passwörtern für die EDV gelten, wenn durch eine Durchsicht der Dateien verhindert werden kann, dass die gesamte EDV sichergestellt wird.
  • In einem bereitgestellten Raum können die aufgefundenen Unterlagen zunächst gesammelt werden; die Fragen der Sicherstellung oder Beschlagnahme sowie der Anfertigung von Kopien können dann am Ende der Durchsuchung in einem Abschlussgespräch mit dem Durchsuchungsleiter erörtert werden.
  • Auf keinen Fall dürfen Unterlagen beiseitegeschafft oder Daten vernichtet werden. Ein derartiges Verhalten kann den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, ansonsten den Verdacht der versuchten Strafvereitelung begründen.

11. Wichtig: Vernehmungen im Büro untersagen!

Selbstverständlich ist die Durchsuchung zu dulden, ihr darf kein Widerstand entgegengesetzt werden. Insofern ist das Hausrecht des Rechtsanwalts eingeschränkt und das Betreten der Kanzlei durch die Ermittlungspersonen legitimiert. Anders sieht es aber aus, wenn die Beamten den zur Suche nach bestimmten Beweismitteln befugten Aufenthalt zu anderen Zwecken – insb. der Befragung von Mitarbeitern zur Sache – nutzen. Ein solches Verweilen in der Kanzlei mit dem Zweck der Durchführung von Vernehmungen ist vom Durchsuchungsbeschluss nicht gedeckt und daher nur mit Willen des Hausrechtsinhabers statthaft. Der sollte sein Einverständnis in der Situation auf keinen Fall erteilen.

12. Keine Genehmigung für nicht einsichtsbefugte Polizeibeamte zur Durchsicht von Papieren und Dateien

Es dürfen auch Polizeibeamte, sog. Ermittlungspersonen, auf Anordnung des Staatsanwaltes Papiere (und entsprechend auch elektronische Datenträger) durchsehen. Fehlt es aber an einer solchen Anordnung – die auch fernmündlich oder vorab erfolgen kann –, sollte keine Genehmigung zur Durchsicht erteilt werden. Die Unterlagen müssen dann von den Polizeibeamten ungelesen versiegelt werden und zur Staatsanwaltschaft gebracht werden. Im Gegensatz zu den Polizeibeamten dürfen die Beamten der Steuerfahndung aber auch ohne Genehmigung des Betroffenen Papiere durchsehen (§ 404 S. 2 Hs. 1 AO).

13. Beschlagnahmeverbot geltend machen!

Sollen Unterlagen beschlagnahmt werden, die nach Auffassung des Rechtsanwalts beschlagnahmefrei sind, muss der Rechtsanwalt auf das Beschlagnahmeverbot hinweisen und der Beschlagnahme (gesondert) widersprechen. Der Widerspruch muss ins Protokoll aufgenommen werden.

14. Keine freiwillige Herausgabe von Unterlagen!

Im Übrigen verbieten sich „Patentrezepte“ oder pauschale Ratschläge zum Verhalten während der Durchsuchung. Grundsätzlich gilt, dass keine Pflicht zur aktiven Mitwirkung bei der Durchsuchung existiert, sondern diese lediglich passiv zu dulden ist. Es kann allerdings sinnvoll sein, in Abstimmung mit dem externen Rechtsanwalt auch aktiv mitzuwirken (s. Ziffer 10).

15. Detaillierte Dokumentation der beschlagnahmten Gegenstände verlangen!

Der von der Durchsuchung Betroffene hat noch an Ort und Stelle einen Anspruch auf ein schriftliches Verzeichnis der sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenstände und Unterlagen (§ 107 S. 2 StPO). Die Anlegung eines solchen Verzeichnisses muss aber ausdrücklich verlangt werden.

16. Kopien der sichergestellten Unterlagen fertigen!

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es für die Ermittler, zunächst zu prüfen, ob es ausreicht, als mildere Maßnahme anstelle der (vollständigen) Sicherstellung der Beweisgegenstände Kopien des Datenbestandes zu fertigen. Besteht der Durchsuchungsleiter auf die Mitnahme der Originaldaten, muss er dem Betroffenen aber jedenfalls gestatten, die zur Betriebsfortführung erforderlichen Kopien zu fertigen.

17. Fehlendes Einverständnis mit Durchsuchung und Beschlagnahme in Durchsuchungsniederschrift vermerken lassen.

Der Rechtsanwalt muss vor der Unterzeichnung des Protokolls darauf achten, dass seine Einwände festgehalten worden sind. Er sollte sich das Protokoll in Ruhe durchlesen.


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