Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. A 90/07 OLG Hamm |
Leitsatz: Eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts ist im Auslieferungsverkehr nach dem europäischen Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk) grundsätzlich ausgeschlossen. Sind der Sachverhaltsdarstellung jedoch keine zureichenden tatsächlichen Feststellungen zu entnehmen, die für die Täterschaft des Verfolgten an der ihm zur Last gelegten Taten sprechen, so ist eine Tatverdachtsprüfung ausnahmsweise angezeigt und führt zur Unzulässigkeit der Auslieferung. |
Senat: 2 |
Gegenstand: Auslieferungssache |
Stichworte: Auslieferungsverfahren; Prüfung; Tatverdacht |
Normen: IRG 10 |
Beschluss: Auslieferungssache In pp. wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland in die Republik Kosovo zur Strafverfolgung wegen Mordes, (hier: Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung) Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 22. Juli 2009 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30. 07. 2009 durch beschlossen: Die Auslieferung des Verfolgten in die Republik Kosovo ist unzulässig. Gründe: Die Vereinigten Nationen Interimsverwaltungsmission im Kosovo (UNMIK) betreiben das Auslieferungsverfahren gegen den Verfolgten wegen Mordes. Das Ersuchen ist gestützt auf den Haftbefehl des Bezirksgerichts Pristina vom 02. Februar 2007 (Fall-Nr. 406/06) in Verbindung mit der Anklageschrift der Bezirksstaatsanwaltschaft Pristina vom 05. März 2006 (PP-Nr. 552-3/2005). Der Senat hat mit Beschluss vom 20. August 2007 den Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls abgelehnt, da eine Fluchtgefahr nicht gegeben war. Die Auslieferung des Verfolgten in die Republik Kosovo ist nunmehr gem. § 73 IRG unzulässig, da eine Auslieferung wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung verletzen würde. Aufgrund der nunmehr vorliegenden Unterlagen ergibt eine Verdachtsprüfung, dass eine unrechtmäßige Verfolgung vorliegt. Eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts nach § 10 Abs. 2 IRG ist im Auslieferungsverkehr nach dem europäischen Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk) grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. Schomburg/Lagottnie/Less/Hakner, internationale Rechtshilfe, 4. Aufl., II A, Art. 2 europäisches Auslieferungsübereinkommen Rdnr. 8). Zu den Vertragsstaaten, die grundsätzlich nur eine solche formelle Prüfung vornehmen, gehört die Bundesrepublik Deutschland. Wie der Bundesgerichtshof bereits in seiner Entscheidung ( BGHSt 2, 44 (48 ff.)NJW 1952, 232) näher ausgeführt hat, ist das deutsche Auslieferungsverfahren kein Strafverfahren, sondern lediglich ein Verfahren zur Unterstützung einer ausländischen Strafverfolgung. Es überlässt deshalb jedenfalls im vertraglichen Auslieferungsverkehr die ganz überwiegend auf tatsächlichem Gebiet liegenden Prüfung des Tatverdachts dem ausländischen Verfahren und überträgt dem inländischen Richter, der über die Zulässigkeit der Auslieferung zu befinden hat, nur die Prüfung der in den Auslieferungsbestimmungen geschaffenen formellen Sicherungen gegen eine unzulässige Unterstützung des ausländischen Verfahrens (vgl. BGHSt 25, 374 ff. = NJW 1974, 2191). Eine solche Prüfung ist jedoch zulässig und geboten, wenn und soweit hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der ersuchende Staat einen Anspruch auf Auslieferung missbräuchlich geltend macht, oder die besonderen Umstände des Falles befürchten lassen, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung einem Verfahren ausgesetzt werde, dass gegen unabdingbare, von allen Rechtsstaaten anerkannte Grundsätze und damit gegen den völkerrechtlichen verbindlichen Mindeststandard i.S.d. Art. 25 GG verstoßen würde, und die Tatverdachtsprüfung darüber Ausschluss geben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 1984 4 Ars 23/83 NJW 1984, 2046). Nach den vorliegenden Unterlagen ist eine derartige Tatverdachtsprüfung hier ausnahmsweise angezeigt und führt vorliegend zur Unzulässigkeit der Auslieferung. Nach der Anklage der Bezirksstaatsanwaltschaft Pristina vom 05. März 2006 (PP-Nr. 552-3/2005) wird dem Verfolgten folgendes zur Last gelegt: 1. Am 07.09.2005 gegen 15.45 Uhr, in der Zahir Pajaziti Str. in Podujeva, vor der Kafeneja I Bar, basierend auf einer vorherigen Absprache zwischen den Angeklagten Fl. und Ismajl und Muhamet M., der augenblicklich auf freiem Fuß ist, gingen diese in der Absicht Fazli, Arton und Faton R. und Gazmend B. wegen eines Konflikts, welcher in der vorherigen Nacht zwischen Faton R. und Gazmend B. auf der einen Seite und Pajtim M. auf der anderen Seite stattgefunden hatte und einer fehlgeschlagenen Einigung, das Leben zu nehmen, die Angeklagten, bewaffnet mit unbekannten Waffen, verließen die Kafeneja I Bar, um draußen die Angeklagten Fazli, Arton Faton R. und Gazmend B. zu treffen und begannen auf sie zu schießen. Als Konsequenz der Schüsse wurden zwei Personen verletzt, Fazli R. starb während Arton R. verletzt wurde. Bei dieser Gelegenheit gefährdeten sie die Leben von Passanten, wobei Kaltrina R., Naxhije J., Hilmi L. und Agim G. schwer verletzt wurden, als sie von den Kugeln getroffen wurden. womit die Angeklagten in Mittäterschaft mit dem Angeklagten Muhamet M., der auf freiem Fuß ist, den Straftatbestand des schweren Mordes nach Artikel 147 par 1 Punkt 4 und 11, in Verbindung mit Artikel 23 des PCPCK erfüllen. 2. Seit einem unbestimmten Tag bis zum 07.09.2005 um 15.45 Uhr waren die Angeklagten Fl. und Ismajl M. unerlaubterweise im Besitz einer unbekannten Waffenart, womit jeder von ihnen Straftatbestand des unerlaubten Besitzes, Kontrolle Eigentums oder Verwendung von Waffen nach Artikel 328 par 2 des PCCK erfüllt. Die ehemaligen Mitangeklagten des Verfolgten sind mittlerweile durch Urteil des Bezirksgerichts Pristina vom 10. März 2008 (P.nr. 247/06) verurteilt worden. Hierin sind u.a. folgende Feststellungen getroffen worden: Nach einer Streiterei und Schlägerei, die sich am Vortage des Tattages zwischen den Angeklagten Faton R. und den P., den Sohn des Angeklagten I., zugetragen hat, hat am Tattag, gegen 15:45 Uhr, vor dem Lokal Kafeneja 1, während die einen dort verweilten und nachdem der nunmehr verstorbene Fazli R. und die Angeklagten Faton, Arton R., gemeinsam mit Gazmend B., bewaffnet mit unterschiedlichen Revolvern, erschienen waren, ein Beschuss von den Selbigen begonnen, und zwar von den nunmehr verstorbenen Fazli und den Angeklagten Faton auf Fl.M.i. Während der Angeklagte G. in Richtung Kellertreppe des Cafés schoss, trafen die anderen Schüsse den Fl. an verschiedenen Körperteilen. Und während Fazli immer noch in Richtung des Fl. schoss, hat der Angeklagte I., um den plötzlichen und rechtswidrigen Angriff zu erwidern, einmal mit dem Revolver mit einer Kugel den nunmehr verstorbenen F. am Bein über den Knie getroffen und in dem Moment als sich der Selbige in Richtung I. drehte, schoss er noch zwei weitere Male hintereinander mit dem Revolver und traf den Oberkörper des nunmehr verstorbenen F., der aufgrund dieser Treffer auf den Weg ins Krankenhaus verstarb. In der Zwischenzeit verwundete er auch noch die Angeklagten Gazmend und Artan am Beim, zudem verwundete er den Angeklagten Gazmend und den Angeklagten Artan, indem er ihnen Verletzungen am Körper zufügte, des weiteren setzte er auch noch das Leben der zufällig vorbeilaufenden Passanten aufs Spiel, die alle von Kugeln getroffen worden sind und sie alle Verletzungen am Körper davon trugen. Aus diesen Feststellungen ergibt sich zweifelsfrei, dass der Verfolgte lediglich Opfer und nicht Täter der betreffenden Tat war. Die UNMIK ist nach Übermittlung dieses Urteils durch den Verteidiger des Verfolgten um ergänzende Angaben zur Tatbeteiligung des Verfolgten gebeten worden. Mit Erlass vom 30. Juni 2009 hat das Justizministerium NW ein auf den dafür vorgesehenen Geschäftsweg übermitteltes förmliches Auslieferungsersuchen der Republik Kosovo vom 10. Juni 2009 übermittelt, mit dem das Auslieferungsersuchen der UNMIK aufrechterhalten bzw. erneuert worden ist. Die dem Ersuchen beigefügten Auslieferungsunterlagen sind jedoch lediglich mit den hier bereits vorliegenden Unterlagen identisch und enthalten entgegen der erbetenen Stellungnahme zu dem Urteil des Gerichts in Pristina keine weiteren Fakten. Die Auslieferung des Verfolgten ist daher aufgrund der übermittelten Auslieferungsunterlagen unzulässig, da der Sachverhaltsdarstellung keine zureichenden tatsächlichen Feststellungen zu entnehmen sind, die für die Täterschaft des Verfolgten an der ihm zur Last gelegten Tat sprechen. |
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