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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 558/08 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Mit der bloßen Behauptung, dass dem Angeklagten das letzte Wort nicht ordnungsgemäß gewährt worden sei, lässt sich die Beweiskraft des Protokolls, aus welchem sich dies nicht herleiten lässt, nicht erschüttern. Die Beweiskraft des Protokolls entfällt nur, wenn sich aus ihm Meinungsverschiedenheiten zwischen den Urkundspersonen ergeben oder wenn eine Urkundsperson oder beide den Inhalt des Protokolls nachträglich für unrichtig erklären, sodass das Protokoll von ihrer Unterschrift nicht mehr gedeckt ist.
2. Die Beweiskraft des Protokolls entfällt auch nicht, wenn der Protokollberichtigungsantrag spät beschieden wird. Es gibt keine Fristen, innerhalb derer über einen derartigen Antrag zu entscheiden ist und eine späte Bescheidung lässt nicht zwingend den Rückschluss zu, dass bei einer zeitnahen die Erinnerung der Urkundspersonen besser gewesen wäre.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Beweiskraft; Protokoll; Entfallen; Behauptung des Gegenteils

Normen: StPO 274; StPO 258

Beschluss:

Strafsache in pp.
wegen Diebstahls.
Auf die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist vom 17. November 2008, 30. März und 08. Mai 2009 und die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 22. September 2008 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 07. 2009 durch auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:
1. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist werden als unzulässig (gegenstandslos) verworfen.
2. Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 22. September 2008 ist der Angeklagte wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Der mehrfach strafrechtlich einschlägig vorbelastete Angeklagte entwendete nach den Feststellungen am 17. September 2007 aus einem Toom-Markt in Recklinghausen Rasierklingen im Wert von 157, 75 €, indem er sie in seine Jacke steckte.
Im Rahmen der Strafzumessung hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
„Das Gericht hielt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten für unbedingt erforderlich. Der Angeklagte ist unverbesserlich, hatte bereits Haftstrafen kurzzeitig vorher wegen Diebstahls verbüßt. Er ist trotzdem wieder aufgefallen. Diese schnelle Rückfälligkeit gibt dem Gericht die Sicherheit, dass der Angeklagte Se… offensichtlich ohne Einwirkung durch weitere Haft unverbesserlich ist.“
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22. September 2008, eingegangen am 23. September 2008, Rechtsmittel eingelegt. Nach Zustellung des Urteils am 16. Oktober 2008 hat der Angeklagte mit Schriftsatz vom 14. November 2008 einen Protokollberichtigungsantrag gestellt. Mit weiterem Schriftsatz vom 17. November 2008, eingegangen am selben Tag, hat er das Rechtsmittel als Revision bezeichnet und mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.
Die formelle Rüge begründet der Angeklagte damit, dass das letzte Wort nicht ordnungsgemäß gewährt worden sei. Ihm sei das letzte Wort vor dem Plädoyer des Verteidigers des ehemaligen Mitangeklagten S. und vor dem letzten Wort des Angeklagten S. gewährt worden. Das Protokoll würde zwar etwas anderes bekunden, er habe jedoch mit Schriftsatz vom 14. November 2008 einen entsprechenden Protokollberichtigungsantrag gestellt, dessen Inhalt wiederholt wird.
Vorsorglich hat der Angeklagte ebenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gestellt, da er das Protokoll erst unter dem 13. November 2008 erhalten habe, so dass er erst mit Schriftsatz vom 14. November 2008 einen Protokollberichtigungsantrag habe stellen können, über diesen noch nicht entschieden worden sei und das korrigierte Protokoll zum Gegenstand der Revision gemacht werden müsse.
Über diesen Protokollberichtigungsantrag hat das Amtsgericht zunächst nicht entschieden, so dass der Angeklagte mit Schriftsatz vom 22. Januar 2009 eine Untätigkeitsbeschwerde erhob. Erst unter dem 2. Februar 2009 und 4. Februar 2009 haben sowohl der zuständige Richter am Amtsgericht als auch die Protokollführerin in einem Vermerk niedergelegt, dass sie keine Erinnerung mehr an Einzelheiten der Hauptverhandlung hätten. Mit Beschluss vom 27. Februar 2009 wird festgestellt, dass eine Protokollberichtigung nicht stattfindet. Das Gericht wie auch der Protokollführer hätten keinerlei Erinnerung mehr an Einzelheiten der Hauptverhandlung, so dass es bei dem festgestellten Inhalt des Protokolls bleiben müsse. Das Protokoll sei zeitnah nach der Hauptverhandlung unterzeichnet und geprüft worden. Mit weiterem Beschluss vom 23. März 2009 hat das Amtsgericht nochmals eine Protokollberichtigung abgelehnt und darauf verwiesen, dass sowohl das Gericht als auch der Protokollführer keinerlei konkrete Erinnerung mehr hätten, so dass von dem geprüften Inhalt des Protokolls auszugehen sei. Gegen diesen zuletzt genannten und dem Verteidiger des Angeklagten auch lediglich zugestellten Beschluss hat der Angeklagte Beschwerde eingelegt, die mit Beschluss des Landgerichts Bochum vom 27. April 2009 zurückgewiesen worden ist.
Mit weiteren Schriftsätzen vom 30. März 2009 und 8. Mai 2009 hat der Angeklagte seine Revisionsbegründung nachträglich erweitert und insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er hat ausgeführt, dass das Protokoll seine Beweiskraft angesichts der erheblichen Zeitspanne zwischen dem Protokollberichtigungsantrag und dessen Bescheidung verloren habe und daher der tatsächliche Verfahrensablauf im Freibeweisverfahren zu klären sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat wie erkannt beantragt.
II.
Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist sind unzulässig, da sie gegenstandslos sind.
Mit am 17. November 2008 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers hat der Angeklagte das unbestimmte Rechtsmittel als Revision bezeichnet und mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Diese gemäß § 345 Abs. 1 S. 1 StPO rechtzeitig eingegangene Revisionsschrift ist ordnungsgemäß begründet worden.
Insbesondere die näher ausgeführte Verfahrensrüge der Verletzung der Gewährung des letzten Wortes nach § 258 Abs. 2 StPO ist – bereits ohne die weiteren Ergänzungen mit Schriftsätzen vom 30. März 2009 und 8. Mai 2009 – gemessen an den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 1994 – 4 StR 306/94 –, BGH NStZ 90, 230; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 358 Rz 33) zulässig erhoben worden, denn es werden nicht lediglich die Fehlerhaftigkeit der Sitzungsniederschrift, sondern Mängel des Verfahrens gerügt.
Der Angeklagte hat im Einzelnen konkret den Sitzungsablauf dargelegt und dass damit das letzte Wort nicht ordnungsgemäß gewährt worden sei, zudem ausgeführt, welchen Ablauf das Hauptverhandlungsprotokoll wiedergibt und den Inhalt seines Protokollberichtigungsantrages wiedergegeben. Damit ist die Verfahrensrüge in zulässiger Weise erhoben worden. Weiterer Ausführungen bedurfte es für ihre Zulässigkeit nicht.
III.
Die damit gem §§ 341, 344, 345 StPO in zulässiger Weise erhobene Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Die Verfahrensrüge ist nicht begründet.
Das letzte Wort gemäß § 258 Abs. 2 StPO ist ordnungsgemäß gewährt worden. Dieses ergibt sich aus dem Inhalt des Protokolls, welches insoweit Beweiskraft gemäß § 274 StPO genießt.
Die Beweiskraft des Protokolls ist nicht entfallen.
Die Beweiskraft des Protokolls würde zum einen nur dann entfallen, wenn sich aus dem Protokoll Meinungsverschiedenheiten zwischen den Urkundspersonen ergeben bzw. wenn eine Urkundsperson oder beide den Inhalt des Protokolls nachträglich für unrichtig erklären, so dass das Protokoll von ihrer Unterschrift nicht mehr gedeckt ist (vgl. BGHSt 4, 364; OLG Jena NStZ-RR 1997, 10).
Dieses ist jedoch nicht der Fall. Das Protokoll ist ordnungsgemäß errichtet und von beiden Urkundspersonen unterzeichnet worden. Auch nach den Beschlüssen vom 27. Februar und 23. März 2009, welche auf den Protokollberichtigungsantrag ergangen sind, ergeben sich keine Meinungsverschiedenheiten zwischen den Urkundspersonen. Beide Urkundspersonen haben mangels Erinnerung den geprüften Inhalt des Protokolls als richtig angegeben.
Die Beweiskraft des Protokolls ist auch nicht deshalb entfallen, weil der Protokollberichtigungsantrag so spät beschieden worden ist. Es wäre zwar wünschenswert gewesen, wenn das Amtsgericht zeitnah über den Protokollberichtigungsantrag vom 14. November 2008 entschieden hätte. Es gibt jedoch keine Fristen, innerhalb derer über einen derartigen Antrag zu entscheiden ist und eine späte Bescheidung lässt nicht zwingend den Rückschluss zu, dass bei einer zeitnahen die Erinnerung der Urkundspersonen besser gewesen wäre.
Die Beweiskraft des Protokolls ist auch nicht wegen offensichtlicher Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten entfallen. Das Protokoll ist vielmehr deutlich, klar und widerspruchsfrei. Auch wenn in dem Protokoll hinsichtlich der Gewährung des letzten Wortes steht: „Wir schließen uns den Anträgen der Anwälte an“, so ist dieses lediglich nachlässig, aber nicht widersprüchlich. Es kann naturgemäß nicht beiden Angeklagten gleichzeitig das letzte Wort gewährt worden sein, sondern nur hintereinander. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um eine Abkürzung der Protokollierung, die zwar zu einer Ungenauigkeit führt, jedoch nicht geeignet ist, Zweifel an der Richtigkeit der protokollierten Vorgänge hervorzurufen oder einen Widerspruch innerhalb des Protokolls zu begründen. Auch bei dieser Verfahrensweise geht aus dem Protokoll hinreichend deutlich hervor, dass zwischen dem letzten Wort der jeweiligen Angeklagten und der Urteilsberatung keine weiteren Verhandlungsabschnitte gelegen haben.
Schließlich ist die Beweiskraft des Protokolls auch nicht durch einen Nachweis der Fälschung entfallen, § 274 S. 2 StPO. Eine Fälschung i.S.d. § 274 S. 2 StPO liegt nur dann vor, wenn entweder die Niederschrift als Ganzes von einem Unbefugten hergestellt oder eine an sich echte Niederschrift in unbefugter Weise inhaltlich verändert worden ist, ferner dann, wenn von dem bzw. den bei der Errichtung des Protokolls Beteiligten dem Protokoll bewusst ein unwahrer Inhalt gegeben worden ist (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 274 Rz 19). Der Angeklagte trägt in seiner Revisionsbegründung hingegen selbst nicht vor, dass in dem Protokoll bewusst wahrheitswidrig die angeblich falsche Reihenfolge hinsichtlich der Gewährung des letzten Wortes vermerkt worden sei.
Da damit die Beweiskraft des Protokolls nicht entfallen ist, ist für den von dem Angeklagten beantragten Freibeweis kein Raum.
2.
Die auf die allgemeine Sachrüge gebotene Überprüfung des angefochtenen Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht lässt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen.
Insbesondere auch die Strafzumessungserwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung Stand. Die Strafzumessung ist Sache des tatrichterlichen Ermessens und daher vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob Rechtsfehler vorliegen. Das Revisionsgericht darf nur eingreifen, wenn die Strafzumessungserwägungen des Urteils in sich rechtsfehlerhaft sind oder wenn der Tatrichter die ihm nach § 46 StGB obliegende Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verletzt hat (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 337 Rz 34 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall. Die Strafzumessungserwägungen sind zwar äußerst knapp, jedoch lässt sich aus der Gesamtschau der Urteilsgründe noch hinreichend entnehmen, dass das Amtsgericht alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte berücksichtigt hat. In nicht zu beanstandender Weise hat das Amtsgericht die Vorstrafen des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt und – wenn auch knapp – ausgeführt, dass der Angeklagte erst kurzzeitig vor der Hauptverhandlung eine Haftstrafe wegen Diebstahls verbüßt hat.
Auch die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung Stand. Die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 1 StGB kann erfolgen, wenn die durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit künftigen – also nicht nur während der Bewährungszeit – straffreien Verhaltens zur Überzeugung des Tatrichters feststeht (vgl. Fischer, StGB, 56. Aufl., § 56 Randziffer 4 m.w.N.). Eine derart günstige Sozial- und Legalprognose hat das Gericht ohne Rechtsfehler verneint und noch ausreichend ausgeführt, dass der Angeklagte angesichts der einschlägigen Vorstrafen und des Umstandes, dass er die Tat kurz nach Verbüßung von Haftstrafen wegen gleichgelagerter Taten begangen habe und somit eine schnelle Rückfallgeschwindigkeit bestehe, ohne Einwirkung einer weiteren Haft nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten werden könne. Auch wenn eine zwischenzeitliche Haftverbüßung für einen „Erstverbüßer“ grundsätzlich einen im Rahmen der Progonoseentscheidung positiv zu bewertenden Warneffekt haben kann, war ein derartiger Warneffekt bei dem Angeklagten angesichts der massiven Rückfallgeschwindigkeit – entgegen den Ausführungen der Revision – offenbar gerade nicht eingetreten.




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