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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 69/09 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Zur Begründung der Verfahrensrüge der Verletzung des Beschleunigungsgebotes bedarf es der Mitteilung, wann der Angeklagte durch eine "amtliche Mitteilung" der zuständigen Behörde (i.S.d. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte) über den Vorwurf, eine Straftat begangen zu haben, informiert wurde. Es reicht regelmäßig nicht die bloßte Mitteilung, wann der Angeklagte "inoffiziell" (eventuell über Dritte) von gegen ihn gerichtete Ermittelungen erfahren hat.
2. Grundsätzliche sind im Falle der nachträglichen Einbeziehung einer Strafe, die ursprünglich zur Bewährung ausgesetzt war, erbrachte Zahlungen auf Bewährungsauflagen nach §§ 58, 56f Abs. 3 StGB auf die nunmehr verhängte (nicht mehr zur Bewährung ausgesetzte) Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen. Eine Fehlende Anrechnung kann durch das Revisionsgericht entsprechend § 354 StPO nachgeholt werden.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Verfahrensverzögerung, Revision, Begründung, Umfang

Normen: StPO 344

Beschluss:

In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 26.02.2009 beschlossen.
Die Revision wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Geldzahlungen, die der Angeklagte in Erfüllung der Bewährungsauflage auf Grund des Urteils des Amtsgerichts Herford vom 03.11.2206 (3 Ls 36 Js 217/07 - 50/06) erbracht hat, mit zwei Monaten auf die hier verhängte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet werden.
Die Kosten des Rechtsmittels, einschließlich der der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, trägt der Angeklagte.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Bielefeld hat den Angeklagten mit Urteil vom 16.04.2008 wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit Zuhälterei unter Einbeziehung der im Tenor genannten Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Herford zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung hat der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Bielefeld mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts und den ergänzenden Feststellungen des Landgerichts lernte der damals 28-jährige Angeklagte im Jahre 2005 die damals 14-jährige Nebenklägerin kennen. Diese verliebte sich in ihn. Unter Vorgabe von Geldnöten und nach einigem Drängen brachte der Angeklagte die Nebenklägerin dazu, für ihn in C der Straßenprostitution nachzugehen. Dies tat sie an insgesamt zehn Tagen. Als die Gefahr bestand, dass die Nebenklägerin durch Freunde und Familie aus dieser Tätigkeit herausgerissen würde, brachte der Angeklagte sie nach P, wo sie an weiteren fünf Tagen der Prostitution nachgehen musste. Hier wurde sie schließlich durch Intervention der Familie aus dem Einflussbereich des Angeklagten herausgelöst. Der Angeklagte vereinnahmte die von der Nebenklägerin an ihn abzuführenden durchschnittlichen Tagesverdienste von 300-400 Euro fast vollständig für sich.
Mit der gegen das Urteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
II.
Die Revision hat nur geringen Erfolg.
1.
Die Rüge der Verletzung des Beschleunigungsgebots aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ist bereits nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Weise erhoben worden.
a) Zweifel an der hinreichenden Begründung der Verfahrensrüge bestehen schon deswegen, weil der Angeklagte letztendlich nicht bestimmt behauptet, an welchem Tage er (wenn auch inoffiziell) von einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren erfahren hat. Es heißt vielmehr: "Die Polizei trat zunächst nicht an den Angeklagten heran. Offensichtlich hatte der Angeklagte jedoch über andere Wege von dem Strafverfahren erfahren". Diese Formulierung deutet auf eine Folgerung, nicht aber auf eine bestimmte Behauptung hin.
Um überprüfen zu können, ob das Strafverfahren innerhalb "angemessener Frist" durchgeführt wurde, muss auch der Zeitpunkt angegeben werden, ab dem jemand als "angeklagt" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK gilt. Das ist nach der Rechtsprechung des EGMR dann der Fall, wenn der Betreffende durch eine amtliche Mitteilung der zuständigen Behörde über den Vorwurf, eine Straftat begangen zu haben, informiert wurde (EGMR NJW 1986, 647; vgl. auch BGH Beschl. v. 21.04.2004 - 5 StR 540/03 = BeckRS 2004, 30341669; BGH NStZ-RR 2009, 92). Dieser Zeitpunkt wird hier nicht mitgeteilt. Den vorgetragenen Rügetatsachen lässt sich nur entnehmen, dass der Angeklagte spätestens am 25.10.2005 offenbar erfahren hatte, dass die Schwester der Nebenklägerin eine Aussage bei der Polizei gemacht hat, die sie - wie er ihr gegenüber in einem Telefonat zum Ausdruck gebracht hat - zurückziehen sollte. Von wem er diese Mitteilung erhalten hat (und worauf sie sich bezog) wird nicht mitgeteilt. Aus dem Vortrag geht noch nicht einmal eindeutig hervor, dass es sich um eine Aussage zum vorliegenden Vorwurf handelte, denn der Inhalt der Aussage, auf die sich der Anruf des Angeklagten bei der Zeugin bezogen hat, wird nicht mitgeteilt. In Betracht kommt insoweit insbesondere auch eine Aussage zu dem BtM-Verstoß (unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige), dessen Verfolgung aus dem vorliegenden Verfahren später abgetrennt worden war und wegen der der Angeklagte vom Amtsgericht Herford am 03.11.2006 zu der einbezogenen Strafe verurteilt wurde.
Nach der Rechtsprechung des EGMR kann zwar die "amtliche Mitteilung" auch in einer anderen Maßnahme bestehen, aus der sich der Vorwurf ergibt und die ebenfalls erhebliche bzw. wesentliche Auswirkungen auf die Lage des Verdächtigen hat (EGMR NJW 1985, 1273, 1274; EGMR NJW 2002, 2856; EGMR NJW 2006, 1645). Dazu trägt die Revision aber nichts vor. Allenfalls lässt sich dem Vortrag entnehmen, dass der Angeklagte möglicherweise "inoffiziell" erfahren hat, dass gegen ihn ermittelt wurde und dass eine bestimmte Person von der Polizei vernommen worden ist. Wie bereits ausgeführt ist aber schon unklar, ob sich dies auf den hier abgeurteilten Vorwurf bezog. Erst Recht ergeben sich aus dem Vortrag der Revision keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dies erhebliche oder wesentliche Auswirkungen auf die Lage des Angeklagten hatte. In aller Regel wird man das bei einer bloß inoffiziellen Kenntnis von den Ermittlungen ohnehin verneinen müssen. Als Beispiele für andere Maßnahmen mit wesentlichen Auswirkungen auf die Lage des Verdächtigen werden in Rechtsprechung und Literatur Durchsuchungs- oder Beschlagnahmeanordnungen (BVerfG NJW 1993, 3254, 3256) [BVerfG 19.04.1993 - 2 BvR 1487/90] oder die Verhaftung (BGH 1982, 291) genannt (vgl. auch: Valerius in Beck-OK-StPO, Edition 2, EMRK Art. 6 Rdn. 4). Damit ist die bloße inoffizielle, gleichsam gerüchteweise, Kenntnis des Angeklagten von etwaigen Ermittlungen nicht vergleichbar.
b) Rein ergänzend weist der Senat im übrigen darauf hin, dass das Ermittlungsverfahren wegen des hier gegenständlichen Vorwurfs in der Zeit vom 02.02.2006 bis zum 20.02.2007 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt war und die von der Revision bemängelte Verzögerungsgeschehen in diese Zeit fällt. In dieser Zeit wurde aber das Ermittlungsverfahren (welches schließlich in die hier angefochtene Verurteilung mündete) gegen den Angeklagten gerade nicht geführt, so dass es hier auch nicht rechtsstaatswidrig verzögert worden sein kann (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 219).
2.
Soweit die Strafkammer die Anrechnung der im Hinblick auf die Verurteilung durch das Amtsgericht Herford vom 03.11.2006 auferlegten und vollständig gezahlten Bewährungsauflage von 1000 Euro nach §§ 58, 56f Abs. 3 S. 2 StGB abgelehnt hat, weil sie bei der Gesamtstrafenbildung bereits die Einzelstrafe nur maßvoll erhöht und den nunmehr positiven Lebenswandel des Angeklagten bereits bei der konkreten Strafzumessung berücksichtigt habe, begegnet dies auf die Sachrüge hin durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Grundsätzlich sind im Falle der nachträglichen Einbeziehung einer Strafe, die ursprünglich zur Bewährung ausgesetzt war, erbrachte Zahlungen auf Bewährungsauflagen anzurechnen, da der Angeklagte in diesen Fällen (anders als bei einem Widerruf der Strafaussetzung nach § 56f StGB) den nachträglichen Wegfall der Strafaussetzung nicht selbst verschuldet hat (BGH NStZ 2001, 163; Fischer StGB 56. Aufl. § 58 Rdn. 6; Hubrach in: LK-StGB 12. Aufl. § 58 Rdn. 7 m.w.N.). Ein Fall der ausnahmsweisen Nichtanrechnung (z. B. weil sich der Angeklagte die Geldmittel wiederum durch strafbare Handlungen beschafft hätte, vgl. Hubrach in: LK-StGB 12. Aufl. § 56f Rdn. 55) liegt hier nicht vor.
Der Senat konnte die Anrechnung entsprechend § 354 StPO nachholen (vgl. dazu BGH NStZ 2001, 163; BGH Beschl. v. 09.07.2003 - 2 StR 225/03 - BeckRS 2003, 06418). Eine andere Anrechnung der Zahlungsauflage als geschehen schied nach Lage der Dinge im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse des Angeklagten aus.
3.
Im übrigen ist die erhobene Sachrüge offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Insbesondere ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer die erbrachten Zahlungen des Angeklagten von insgesamt 3000 Euro auf ein eigens hierfür eingerichtetes Konto der Nebenklägerin nicht als Täter-Opfer-Ausgleich i.S.v. § 46a StGB berücksichtigt hat. Der hierfür grundsätzlich erforderliche kommunikative Prozess zwischen Täter und Opfer hat mangels Mitwirkung des Opfers nicht stattgefunden. Das Opfer hat die Leistungen des Angeklagten nicht als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert, was aber grundsätzlich für die Strafrahmenverschiebung nach § 46a StGB Voraussetzung wäre (vgl. BGH NStZ 2003, 365; OLG Hamm Beschl. v. 10.02.2009 - 2 Ss 11/09 = BeckRS 2009, 06216). Eine Ausnahme der Art, dass das Opfer den Täter-Opfer-Ausgleich ohne rechtlich schützenswerte Interessen verweigert hätte (vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 46a Rdn. 10d), liegt nicht vor. Vielmehr ist die Einstellung der Nebenklägerin, dass sie sich durch die Geldzahlungen des Angeklagten erneut als "Ware" behandelt" fühlt, nach Art des begangenen Delikts und seiner Begehungsweise völlig nachvollziehbar. Die Strafkammer hat deshalb zu Recht angenommen, dass die Zahlungen des Angeklagten ihre friedensstiftende Wirkung verfehlt haben. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Nebenklägerin das empfangene Geld auf dem eigens hierfür eigerichteten Sparkonto behalten (wenn auch bisher nicht angetastet) hat. Die bloße Entgegennahme der Ausgleichzahlungen ersetzt noch nicht die oben genannten weiteren Voraussetzungen (vgl. BGH NStZ 2003, 365, 366) [BGH 19.12.2002 - 1 StR 405/02].
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Der Senat konnte entscheiden, auch wenn die Frist nach § 349 Abs. 3 StPO noch nicht abgelaufen ist. Liegt - wie hier - eine Gegenerklärung bereits vor und ist keine Ergänzung angekündigt, so kann entschieden werden, auch wenn die Frist noch nicht abgelaufen ist (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 349 Rdn. 17).




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