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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss OWi 367/09 OLG Hamm

Leitsatz: Nur wenn ohne Kenntnis der Urteilsgründe nicht ohne Weiteres beurteilt werden kann, ob die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen, und solche Zweifel weder aus dem Urteil, dem Bußgeldbescheid, dem Zulassungsantrag oder sonstigen Umständen ausgeräumt werden können, führt das Fehlen von Urteilsgründen zur Begründetheit des Zulassungsantrages einer Rechtsbeschwerde.

Senat: 2

Gegenstand: Revision Rechtsbeschwerde Beschwerde Haftprüfung durch das OLG Pauschgebühr Justizverwaltungssache Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Stichworte: StPO 275; OWiG 79;

Normen:

Beschluss:

Bußgeldsache
In pp.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom 12. Dezember 2008 gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 05. Dezember 2008 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 20. 10. 2009 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des
Betroffenen mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße in Höhe von 50,– € verurteilt wird.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Recklinghausen hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 05. Dezember 2008 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe 50,– € verhängt. Das Hauptverhandlungsprotokoll wurde nachfolgend fertiggestellt. Gegen dieses in Anwesenheit des Betroffenen verkündete Urteil hat der Betroffene durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 12. Dezember 2008 – eingegangen per Telefax beim Amtsgericht Recklinghausen am selben Tag – das „zulässige Rechtsmittel“ eingelegt, mit dem er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und eine Begründung nach Eingang des mit Entscheidungsgründen versehenen Urteils in Aussicht stellt. Ausweislich eines Vermerks der Direktorin des Amtsgerichts Recklinghausen vom 26. Januar 2009 ist die erkennende Bußgeldrichterin seit dem 19. Dezember 2008 dienstunfähig erkrankt. Das schriftliche Urteil ist infolge dessen nicht innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG fertiggestellt worden. Das Hauptverhandlungsprotokoll ist nebst einer Abschrift des Vermerks der Direktorin des Amtsgerichts Recklinghausen vom 26. Januar 2009 dem Verteidiger des Betroffenen am 27. Juli 2009 zugestellt worden. Eine weitere Begründung des „Rechtsmittels“ ist nicht erfolgt.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, als der das eingelegte „Rechtsmittel“ gemäß § 300 StPO in Verbindung mit §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG auszulegen ist, ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
1.
Obwohl bisher kein vollständiges, mit Gründen versehenes schriftliches Urteil zu den Akten gelangt ist, ist eine Entscheidung des Senats veranlasst. Denn infolge der am 27. Juli 2009 geschehenen Zustellung des den Urteilstenor enthaltenen Hauptverhandlungsprotokolls vom 05. Dezember 2008 ist die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 OWiG in Gang gesetzt worden. Im Falle des Fehlens der schriftlichen Urteilsgründe ist nämlich die formelle Zustellung der Urteilsformel ausreichend, um die Frist in Lauf zu setzen (vgl. BGH, Vorlagebeschluss vom 06. August 2004 – 2 StR 523/03, abgedruckt in: NJW 2004, 3643 – 3645; BayObLG, NZV 1998, 82; LG Zweibrücken, MDR 1991, 894), wenn für den Betroffenen erkennbar ist, dass die zugestellte Urkunde die für seine Rechtsmittelbegründung maßgebliche Fassung darstellt. Dies gilt insbesondere im Falle irreparablen Fehlens der Gründe, wofür vorliegend – angesichts der weiteren andauernden Erkrankung der zuständigen Amtsrichterin – einiges spricht.
2.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Da das Amtsgericht Recklinghausen den Betroffenen zu einer Geldbuße von nicht mehr als 100,00 € verurteilt hat, ist die Rechtsbeschwerde gem. § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung von materiellen Rechtsnormen nur zur Fortbildung des Rechts oder wegen der Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.
Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht erhoben.
Die materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils führt auch nicht zur Aufdeckung einer Rechtsfrage, die die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts gebietet. Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen. Es muss deshalb eine entscheidungserhebliche, noch klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfrage vorliegen (zu vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 80 Rdnr. 3 m.w.N.).
Allein der Umstand, dass die Urteilsabsetzungsfrist von fünf Wochen nach der Urteilsverkündung (§ 275 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz StPO) vorliegend nicht eingehalten ist, gebietet die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht.
Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Überschreitung der Frist des § 275 Abs. 1 S. 1, S. 2 StPO gem. § 275 Abs. 1 S. 4 StPO zulässig sein kann, in der Rechtsprechung hinreichend geklärt ist. Insbesondere gehört hierzu auch eine unvorhersehbare Erkrankung des erkennenden Einzelrichters (zu vgl. Senatsbeschluss vom 28. Mai 2009 – 2 Ss OWi 367/09; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 275 Rdnr. 13).
Soweit lediglich die Urteilsformel, nicht aber ein Urteil mit Gründen vorliegt, gebietet allein dies die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht. Denn im Zulassungsverfahren nach § 80 OWiG sind dessen Voraussetzungen nicht ausschließlich anhand der Urteilsgründe zu prüfen, vielmehr sind diesbezüglich auch der Bußgeldbescheid, der Zulassungsantrag sowie sonstige Umstände heranzuziehen (zu vgl. BGH, NJW 1996, 3157). Nur wenn ohne Kenntnis der Urteilsgründe nicht ohne weiteres beurteilt werden kann, ob die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen, und solche Zweifel weder aus dem Urteil, dem Bußgeldbescheid, dem Zulassungsantrag oder sonstigen Umständen ausgeräumt werden können, führt das Fehlen von Urteilsgründen zur Begründetheit des Zulassungsantrages (BGH, a.a.O.). Insbesondere bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufzeigen und bei denen nach den Gesamtumständen ausgeschlossen werden kann, dass die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen, können die Zulassungsvoraussetzungen aber auch ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden (BGH, a.a.O.).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Weder aus dem Bußgeldbescheid, der Einlassung des Betroffenen, dem Hauptverhandlungsprotokoll noch aufgrund der Rechtsmittelbegründung sind Anhaltspunkte ersichtlich, die das Vorliegen einer zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führenden bedeutsamen Rechtsfrage vermuten lassen. Gegenstand des Verfahrens ist der Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen mit seinem Krad, die mittels eines geeichten Lasermessgeräts des Gerätetyps Riegl LR 90-235/P ermittelt wurde. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit dem Einwand von Messfehlern. Eine im Interesse der Rechtsfortbildung klärungsbedürfte Frage wird daggegen in keiner Weise aufgeworfen und ist auch sonst nicht erkennbar.
Die dem Oberlandesgericht Celle (NZV 1993, 449), dem Bayerischen Obersten Landesgericht (Leitsatz in NZV 1996, 378) sowie dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. (NStZ-RR 2009, 57 f.) zugrundeliegenden Sachverhaltskonstellationen unterscheiden sich von der vorliegenden, so dass auch vor diesem Hintergrund eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nicht in Betracht kommt. In den dortigen Fällen lag jeweils kein Ausnahmegrund nach § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO vor. Angesichts des Umstandes, dass vorliegend bereits eine zulässige Überschreitung der Absetzungsfrist vorliegt, ist auch ohne Bedeutung, wenn es aufgrund der Erkrankung der Richterin des Amtsgerichts Recklinghausen zu weiteren Fällen nicht rechtzeitiger Urteilsabsetzung gekommen sein sollte. Daher liegt – im Gegensatz zu der Fallkonstellation des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main – auch ein Verfahrensverstoß gegen elementare Grundregeln des Verfahrens mit der Gefahr der Wiederholung nicht vor.
III.
Der Tenor des angefochtenen Urteils war – wie geschehen – angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen von Geschwindigkeitsüberschreitungen innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften zu berichtigen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.




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