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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 412/09 OLG Hamm

Leitsatz: Grundsätzlich bedarf ein Haftfortdauerbeschluss nach § 268b StPO einer Begründung.
Ein nicht den Begründungsanforderungen der §§ 34, 114 StPO genügender Haftfortdauerbeschluss gem. § 268b StPO ist – allein – wegen dieses Mangels vom Beschwerdegericht dann nicht aufzuheben, wenn die Begründungsmängel eine Prüfung durch das Beschwerdegericht nicht hindern (hier: weil die umfassenden schriftlichen Urteilsgründe bei der Prüfung in der Beschwerdeinstanz bereits vorlagen).
(Anschluss an Senatsbeschluss vom 29.12.2008 – 3 Ws 515/08)

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Urteilsverkündugn, Haftfortdauer, Beschluss, Begründung

Normen: StPO § 34; StPO § 114; StPO § 268b

Beschluss:

Strafsache
In pp. hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 03.11.2009 beschlossen:

Die Haftbeschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bielefeld hat gegen den Angeklagten am 31.03.2008 (9 Gs 1685/08) einen auf Flucht- und Wiederholungsgefahr gestützten Haftbefehl erlassen. In dem Haftbefehl wird dem Angeklagten vorgeworfen, zwischen dem 14.02.2008 und dem 18.03.2008 „in C2 und Q. durch 12 selbständige Handlungen, jeweils gemeinschaftlich handelnd, als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, sich die Sachen rechtswidrig zuzueignen, wobei er oder einer seiner Mittäter zur Begehung der Taten in einen umschlossenen Raum eindrangen und Sachen stahlen, die durch Schutzvorrichtungen gegen Wegnahme besonders gesichert waren und es in vier Fällen beim Versuch blieb“. Bei den vorgeworfenen Taten handelte es sich jeweils um Autodiebstähle bzw. deren Versuch. Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl (Bl. 89 ff. d.A.) Bezug genommen. Aufgrund dieses Haftbefehls wurde der Angeklagte am 28.05.2009 festgenommen. Der Haftbefehl wurde ihm am 29.05.2009 verkündet. Seitdem befindet er sich in dieser Sache in Untersuchungshaft.
Das Landgericht Bielefeld hat (u.a.) den Angeklagten mit Urteil vom 19.02.2009 wegen schweren Bandendiebstahls in 10 Fällen, wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen und wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außer den Taten Nr. 1 und 2 des o. g. Haftbefehls sind die übrigen in ihm enthaltenen Taten Gegenstand des Urteils, darüberhinaus noch weitere Taten, die nicht Gegenstand des Haftbefehls waren. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 19.02.2009 (Bl. 1465 ff. d.A.), welches dem Verteidiger des Angeklagten am 16.04.2009 zugestellt wurde, verwiesen. Mit Urteilserlass erließ die Strafkammer den Beschluss, dass (u.a.) der Haftbefehl in vorliegender Sache aufrechterhalten und in Vollzug bleibt. Eine Begründung und Anpassung an den Gegenstand der Aburteilung enthält der Beschluss nicht. Gegen das Urteil hat der Angeklagte rechtzeitig Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.
Mit Schriftsatz vom 01.10.2009 hat der Angeklagte Haftbeschwerde eingelegt. Dieser hat die Strafkammer mit Beschluss vom „13. und 14.10.2009“ nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Beschwerde zugeleitet.
II.
Die zulässige Haftbeschwerde hat keinen Erfolg.
1.
Der Haftfortdauerbeschluss war nicht bereits deswegen aufzuheben und die Sache zur erneuten Fassung eines Haftfortdauerbeschlusses an die Strafkammer zurückzugeben, weil der Beschluss vom 19.02.2009 in keiner Weise den Begründungsanforderungen an einen Beschluss gem. § 268b StPO entspricht.
Grundsätzlich sind nach § 114 Abs. 2 Nr. 2 und 4 StPO im Haftbefehl (u. a.) die Taten, derer der Angeklagte dringend verdächtig ist, sowie die den dringenden Tatverdacht begründenden Tatsachen anzuführen. Auch der Haftfortdauerbeschluss bedarf grundsätzlich einer Begründung nach § 34 StPO, deren Umfang eine Frage des Einzelfalls ist (Senatsbeschluss vom 29.12.2008 – 3 Ws 515/08 = BeckRS 2009, 04530; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 268b Rdn. 3). Hier fehlt eine Begründung vollständig.
Der Senat ist jedoch im vorliegenden Fall nicht gezwungen, den Haftfortdauerbeschluss aufzuheben. Die Begründung des Haftfortdauerbeschlusses dient – neben der Information des Angeklagten sowie der übrigen Verfahrensbeteiligten – vor allem der Gewährleistung einer Überprüfung durch das Beschwerdegericht (vgl. Senatsbeschluss vom 29.12.2008 – 3 Ws 515/08 = BeckRS 2009, 04530; Senat NStZ 2008, 649 jew. m.w.N.; OLG Jena Beschl. v. 04.09.2006 – 1 Ws 304/06 = BeckRS 2007, 05413; OLG Jena NStZ-RR 2009, 123 LS; vgl. auch BGH NStZ 2006, 297). Die Begründungsmängel des Haftfortdauerbeschlusses hindern im vorliegenden Fall allerdings die Überprüfung durch den Senat nicht. Dieser kann – als Beschwerdegericht – die erforderliche (Sach-)Entscheidung selbst treffen, da sich die entsprechenden Tatsachengrundlagen – nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe – in der für die Entscheidung erforderlichen Umfang aus den vorgelegten (Zweit-)Akten ergeben. Durch das Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe ist der Senat insbesondere in die Lage versetzt, zu überprüfen, inwieweit der Gegenstand des amtsgerichtlichen (und von der Strafkammer aufrechterhaltenen) Haftbefehls mit dem der Aburteilung identisch ist. Er kann auch prüfen, aus welchen Gründen die Strafkammer zur Überzeugung der Täterschaft des Angeklagten bezüglich der abgeurteilten Taten gelangt ist und daraus die entsprechenden Schlüsse für einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der im Haftbefehl genannten Taten (soweit diese mit dem Gegenstand der Aburteilung identisch sind) ziehen.
2.
a) Ausweislich des Urteils vom 19.02.2009 besteht gegen den Angeklagten wegen der Taten 3 bis 12 des Haftbefehls der dringende Tatverdacht wegen Taten nach
§ 244a StPO, bzw. §§ 244a, 22, 23 StPO. Das Vorliegen eines erstinstanzlichen Urteils entbindet das Beschwerdegericht nicht von der Prüfung desselben. Vielmehr hat es, wenn die schriftlichen Urteilsgründe bereits vorliegen, diese darauf hin zu überprüfen, ob die Beweiswürdigung auf einer vertretbaren, für eine Verurteilung ausreichenden, Wertung beruht (vgl. Senatsbeschluss vom 29.12.2008 a.a.O.; OLG
Brandenburg Beschl. v. 31.05.2000 – 2 Ws 152/00 – juris). Das ist hier der Fall. Der Angeklagte sowie seine Mitangeklagten hatten die Taten in der Hauptverhandlung „vorbehaltlos eingeräumt“. Die Geständnisse waren – so dass Urteil – sachlich übereinstimmend, die Angaben widerspruchsfrei und nachvollziehbar.
b) Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Bei dem Angeklagten besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass er sich ohne die Untersuchungshaft der Strafverfolgung entziehen wird. Er ist zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die – auch wenn sie noch nicht rechtskräftig ist – schon einen hohen Fluchtanreiz begründet. Dabei ist für die Frage des Fluchtanreizes unerheblich, dass die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe nur zum (allerdings wesentlichen) Teil auf Einzelstrafen für im Haftbefehl enthaltene Taten beruht. Der Angeklagte ist Pole mit nur geringen Bindungen (eine Lebensgefährtin) im Inland. Darüber hinaus wird er auch in Belgien zum Zwecke der Strafverfolgung gesucht. Deswegen wurde ihm ein Auslieferungshaftbefehl des Oberlandesgerichts Hamm vom 30.06.2008 am 23.07.2008 verkündet. Insoweit ist Überhaft notiert.
Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist gem. § 112a Abs. 2 StPO subsidiär und – da eine Außervollzugsetzung hier nicht in Betracht kommt (s.u.) – in Wegfall zu bringen.
c) Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft ist auch verhältnismäßig.
aa) Zwar ist eine im Verantwortungsbereich der Justiz liegende Verfahrensverzögerung von gut drei Monaten nach Erlass des tatrichterlichen Urteils eingetreten. Diese macht aber bei Abwägung aller Umstände den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft nicht unverhältnismäßig.
Das Beschleunigungsgebot gilt auch nach Urteilserlass. Auch hier können vermeidbare Verzögerungen zur Aufhebung des Haftbefehls zwingen (vgl. BVerfG NJW 2006, 677, 679).
Die Verzögerung beruht hier darauf, dass entgegen der Verfügung der Rechtspflegerin bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 22.06.2009 (Bl. 1682 d.A.), die Akten zunächst nicht zur Fertigung des Revisionsberichts wieder vorgelegt wurden. Dies fiel erst am 10.09.2009 auf. Der Übersendebericht wurde dann am 03.10.2009 gefertigt und die Akten am 05.10.2009 schließlich dem Bundesgerichtshof übersandt. Weitere rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen sind indes nicht erkennbar. Insbesondere wurde das Verfahren bis Juni 2009 hinreichend gefördert. Die recht kurze Hauptverhandlungszeit am zweiten und dritten Hauptverhandlungstag ist sachlich begründet durch die auf eine Anregung der Verteidigung zurückgehende Vorbereitung einer Absprache. Diese ließ eine längere Hauptverhandlung, insbesondere eine Beweisaufnahme am zweiten Hauptverhandlungstag nicht sinnvoll erscheinen.
Gleiches gilt wegen der Notwendigkeit der Vorbereitung der Einlassungen der Angeklagten nach Bekanntgabe der Strafobergrenzen im Falle eines Geständnisses für den dritten Hauptverhandlungstag. Das schriftliche Urteil wurde bereits am 24.03.2009 – und damit deutlich vor Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 StPO – zu den Akten gebracht. Das ist – obwohl eine umfängliche Beweiswürdigung wegen der Geständnisse der Angeklagten nicht erforderlich war – angesichts der Vielzahl von Angeklagten und Taten durchaus als überobligationsmäßig zu bezeichnen. Im weiteren Verlauf des Verfahrens waren die Zustellungen des Urteils an die fünf Angeklagten bzw. ihre Verteidiger vorzunehmen und die Revisionsbegründungen abzuwarten, deren letzte am 12.05.2009 eingingen. Es wurden in der Folgezeit noch Anträge zum Vollzug der Untersuchungshaft beschieden und sodann die Akten gem. §§ 41, 347 StPO am 08.06.2009 an die Staatsanwaltschaft abverfügt, wo sie am 09.06.2009 eingingen. Insgesamt dauert die Untersuchungshaft des Angeklagten jetzt knapp 18 Monate. Die Gesamtdauer der Untersuchungshaft hält sich damit – auch unter Berücksichtigung der Perspektive, dass das Revisionsverfahren noch zwei bis drei Monate dauern kann – noch im Rahmen für derartige Umfangsverfahren.
Angesichts dieser Umstände und der erstinstanzlich gegen den Angeklagten verhängten Strafe steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache (§ 112 Abs. 1 S. 2 StPO). Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe nicht vollständig auf Taten beruht, die Gegenstand des Haftbefehls sind. Indes handelt es sich um die schwersten, dem Urteil zu Grunde liegenden Taten, welche jeweils mit einer Einzelfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten (bzw. von 1 Jahr und 2 Monaten bei den Versuchstaten) geahndet wurden und auch für sich genommen unter Anwendung der §§ 53, 54 StGB eine empfindliche Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtfertigen würden.
bb) Lediglich soweit der Haftfortdauerbeschluss, welcher sich ohne Einschränkung auf den amtsgerichtlichen Haftbefehl bezieht, auch wegen der Taten Nr. 1 und 2 des Haftbefehls, erlassen wurde, obwohl sie nicht zur Aburteilung gelangt sind, ist die Untersuchungshaft unverhältnismäßig, da sie nicht mehr erforderlich ist, denn sie waren bereits nicht mehr Gegenstand der Anklage. Diese Taten waren daher als Haftgrundlage in Wegfall zu bringen. Es kann deswegen dahinstehen, ob insoweit überhaupt dringender Tatverdacht bestand.
cc) Mildere Mittel, insbesondere eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls, sind nicht geeignet, der bei dem Angeklagten vorliegenden erheblichen Fluchtgefahr entgegenzuwirken.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.




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