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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 585/05 OLG Hamm

Leitsatz: Bei der Berechnung der Berechnung der für den Längenzuschlags des Pflichtverteidigers maßgeblichen Zeitdauer der Hauptverhandlung sind Wartezeiten zu berücksichtigen und Pausen nicht abzuziehen.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Längenzuschlag; Pflichtverteidiger; Berücksichtigung von Wartezeiten; Pausen;

Normen: Nr. 4116 VV RVG

Beschluss:

Strafsache
gegen P.B.
wegen gewerbsmäßigen Betruges, (hier: Beschwerde des Verteidigers Rechtsanwalt S. gegen die Zurückweisung der Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung.

Auf die Beschwerde des Verteidigers Rechtsanwalt S. vom 5. September 2005 gegen den Beschluss der XXI. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 17. August 2005 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 03. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Ober¬landesgerichts beschlossen.

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Essen vom 17. August 2005 wird aufgehoben.

Die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird auf noch 375,84 € festgesetzt.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht er¬stattet.

Gründe:
I.
Durch Antrag vom 13. Februar 2005 beantragte der durch Beschluss vom 02.02.2005 zum Pflichtverteidiger des Angeklagten B. bestellte Beschwerdefüh¬rer die Festsetzung von Pflichtverteidigervergütung in Höhe von insgesamt 1.863,57 €. Der Rechtspfleger des Landgerichts hat die Pflichtverteidigervergütung durch Be¬schluss vom 14. April 2005 auf lediglich 1.487,73 € unter Kürzung der gel¬tend ge¬machten Zusatzgebühren gemäß Nr. 4116 VV RVG festgesetzt. Die hierge¬gen ge¬richtete Erinnerung des Verteidigers vom 19.04.2005 hat das Landgericht durch den angefochtenen Beschluss vom 17.08.2005 zurückgewiesen. Der dagegen eingeleg¬ten Beschwerde vom 05.09.2005 hat das Landgericht durch Beschluss vom 09.11.2005 nicht abgeholfen.

II.
Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 - 8 RVG zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Hauptverhandlung hat vor der großen Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Essen am 2., 9. und 11. Februar 2005 stattgefunden. Die Haupt¬verhandlungstermine waren jeweils auf 09.00 Uhr terminiert. An allen drei Verhand¬lungstagen hat die Hauptverhandlung über fünf bis acht Stunden in Anspruch ge¬nommen. Terminiert waren die Hauptverhandlungen jeweils ab 09.00 Uhr; der Aufruf erfolgte jedoch ausweislich des Protokolls verspätet um 09.15 Uhr am 02.02. und 09.02.2005 und um 09.23 Uhr am 11.02.2005. Diese Wartezeiten sind nach Auffassung des Se¬nates nicht in Abzug zu bringen, denn ein Verteidiger, der zur anberaumten Termins¬stunde im Gerichtssaal anwesend ist, ist auch dann durch die Sache in Anspruch genommen und der Wahrnehmung seiner übrigen Geschäfte entzogen, wenn sich der Aufruf verzögert. Der Rechtsanwalt kann die Wartezeit vor Aufruf der Sache nicht anderweitig nutzen, so dass ihm Verzögerungen, die nicht aus seiner Sphäre stam¬men, gebührenrechtlich nicht zum Nachteil gereichen dürfen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.06.2005 - 1 AR 22/05 = RVGreport 2005, 315; OLG Stuttgart, Be¬schluss vom 08.08.2005 - 4 Ws 118/05 = RVGreport 2005, 32; OLG Hamm, Be¬schluss vom 27.05.2005 - 2 (s) Sbd. VIII 54/05 = JurBüro 2005, S. 532). Umstände dahingehend, dass der verspätete Beginn der Hauptverhandlungstermine auf einer Verzögerung durch den Verteidiger beruht, und die geeignet wären, eine andere Be¬urteilung zu rechtfertigen, sind vorliegend nicht ersichtlich.

Die Frage, ob bei der Feststellung der Dauer eines Hauptverhandlungstermins für die Gewährung einer Zuschlagsgebühr Pausen in Abzug zu bringen sind, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung überwiegend einheitlich dahin beantwortet, dass jedenfalls kürzere Pausen nicht in Abzug zu bringen sind (vgl. OLG Stuttgart, Be¬schluss vom 08.08.2005 a.a.O.; OLG Bamberg, Beschluss vom 13.09.2005, Ws 676/05; OLG Koblenz, Beschluss vom 16.02.2006, 1 Ws 61/06; OLG Hamm, Be¬schluss vom 28.02.2006 - 2 (s) Sbd. IX 1 u. 14/06, jeweils http://burhoff.de). Längere Pausen will das OLG Bamberg (a.a.O.) abziehen, während das OLG Stuttgart (a.a.O.), das Kammergericht (a.a.O.) und auch das OLG Koblenz (OLG Koblenz a.a.O.) darauf abstellen, ob und wie der Rechtsanwalt die freie Zeit sinnvoll hat nut¬zen können.

Die dagegen vertretene Mindermeinung, der sich hier auch der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des hiesigen Oberlandesgerichts angeschlossen hat, und die sich im Wesentlichen auf den Gesetzeswortlaut stützt, nach dem die Teilnahme an einer Hauptverhandlung begrifflich deren Dauer voraussetze, so dass Wartezeiten und Sitzungspausen nicht von der Hauptverhandlung umfasst seien, überzeugt nicht. Der Senat schließt sich der herrschenden Meinung im Hinblick auf den mit der gesetzlichen Neuregelung verfolgten Zweck (vgl. BT-Drucks. 15/1972, S. 221) an. Ausgehend von Sinn und Zweck der Zusatzgebühr, nämlich den beson¬deren, nach früherer Rechtslage und Rechtsprechung regelmäßig zur Bewilligung einer Pauschvergütung führenden Zeitaufwand eines gerichtlich bestellten Rechts¬anwalts für die Teilnahme an der Hauptverhandlung angemessen zu vergüten und insoweit zur Verfahrensvereinfachung beizutragen, ist die Verhandlungsdauer der Zeitspanne zwischen dem gerichtlich verfügten Beginn und der in der Hauptver¬handlung angeordneten Schließung der Sitzung grundsätzlich gleichzusetzen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 28.02.2006, 2 (s) Sbd. 1 u. 14/06, Beschluss vom 07.03.2006, 3 Ws 584/05 m.w.N.; OLG Stuttgart, Be¬schluss vom 08.08.2005, 4 Ws 118/05). Allenfalls bei längeren Pausen von mehreren Stunden kann darauf abzu¬stellen sein, ob und wie der Rechtsanwalt die freie Zeit sinn¬voll nutzen konnte, ob er beispielsweise, wenn er ortsansässig war, seine Kanzlei für einen sinnvollen Zeit¬raum hat aufsuchen können. Grundsätzlich erscheint es dem Senat auch ange¬bracht, bei Verhandlungen vom Morgen bis in den Nachmittag eine angemessene Mittagspause von etwa einer Stunde zuzubilligen (so auch OLG Stuttgart und OLG Koblenz a.a.O.). Denn auch in dieser Zeit, die der Erholung und Rekapitulation des bisherigen Verhandlungsverlaufs dient, ist eine sinnvolle Wahr¬nehmung anderweiti¬ger Berufstätigkeit nicht angebracht und zumutbar.

Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze sind die an den hier betreffenden Terminsta¬gen ausweislich des Protokolls vorliegenden Unterbrechungen nicht von der Dauer der Hauptverhandlung abzuziehen. Die Dauer und die jeweils an den Terminstagen erfolgten vier Unterbrechungen stellen sich wie folgt dar:

Termin am 02.02.2005; Dauer 09.15-15.30 Uhr

Unterbrechung 1 09.50 - 10.02 Uhr
Unterbrechung 2 10.20 - 10.25 Uhr
Unterbrechung 3 10.55 - 11.48 Uhr
Unterbrechung 4 14.00 - 14.37 Uhr

Termin am 09.02.2005; Dauer 09.15-14.40 Uhr

Unterbrechung 1 10.03 - 10.42 Uhr
Unterbrechung 2 10.09 - 13.25 Uhr
Unterbrechung 3 13.30 - 14.25 Uhr
Unterbrechung 4 14.35 - 14.37 Uhr

Termin am 11.02.2005; Dauer 09.23-14.50 Uhr

Unterbrechung 1 09.45 - 10.15 Uhr
Unterbrechung 2 12.00 - 13.05 Uhr
Unterbrechung 3 13.10 - 13.26 Uhr
Unterbrechung 4 13.42 - 13.50 Uhr

Schließlich ist die Dauer der Beratung des Gerichts am 11.02.2005 vor der Urteils¬verkündung von 13.55 - 14.37 Uhr ebenfalls nicht in Abzug zu bringen. In dieser Zeit musste sich der Verteidiger im oder vor dem Gerichtssaal bereit halten und war ihm eine sinnvolle andere Wahrnehmung seiner beruflichen Tätigkeit weder möglich noch zumutbar.

Hinsichtlich des Tage- und Abwesenheitsgeldes nach Nr. 7005 VV RVG ist in Über¬einstimmung mit der Auffassung des Leiters des Dezernats 10 des hiesigen Oberlan¬desgerichts davon auszugehen, dass die sogenannte Bruttoterminsdauer unter Be¬rücksichtigung einer Fahrzeit von je 40 Minuten für die An- und Abreise zum Termin und einer zuzuerkennenden Karenzzeit vor dem Termin von 30 Minuten eine Abwe¬senheitszeit von über acht Stunden für den 02.02.2005 ergibt und unter acht Stunden für die Terminstage vom 9. und 11.02.2005.

Die Pflichtverteidigervergütung ergibt sich mithin wie folgt:

1.
Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG 132,00 €

2.
Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG 264,00 €

3.
3 Terminsgebühren Nr. 4120 VV RVG
(3 x 356,- €) 1.068,00 €

4.
Zuschlagsgebühr Nr. 4122 VV RVG
(3 x 178,- €) 534,00 €

5.
Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 115,15 €

6.
Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 €

7.
Fahrtkosten Nr. 7005 VV RVG 72,00 €

8.
Tage- und Abwesenheitsgeld Nr. 7005
VV RVG

a) für den 02.02.2005 60,00 €

b) für den 09.02.2005 35,00 €

c) für den 11.02.2005 35,00 €
__________
Summe 2.235,15 €
zzgl. USt 373,62 €
__________
Summe 2.708,77 €

9.
zzgl. Parkgebühren 19,00 €
__________
Summe 2.727,77 €

Antrag vom 13.02.2005 1.863,57 €
abzüglich bisher festgesetzter 1.487,73 €
daher noch festzusetzen 375,84 €

Eine weitere Festsetzung über die Antragsgrenze hinaus kam nicht in Betracht.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 S. 2 u. 3 RVG.



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