Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. A 108/09 (432/09) |
Leitsatz: Die Auslieferung eines iranischen Staatsangehörigen nach Italien ist unzulässig, soweit hinsichtlich der im Haftbefehl aufgeführten Gründe von einem Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot auszugehen ist. |
Senat: 2 |
Gegenstand: Auslieferungssache |
Stichworte: Auslieferung, Iran, Italien, Doppelbestrafungsverbot, Auslieferungshindernis |
Normen: SDÜ Art. 54; IRG § 15; IRG § 83 Nr. 1 |
Beschluss: Auslieferungssache (förmlicher Auslieferungshaftbefehl) betreffend den irakischen Staatsangehörigen pp. wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland nach Italien zur Strafverfolgung wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, die sich für die Beihilfe zur illegalen Einwanderung und zum illegalen Aufenthalt zusammengeschlossen hat Artikel 416 des italienischen Strafgesetzbuches in Verbindung mit Artikel 12 D. Lvo 286/98, (hier: Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft). Auf die Anträge der Generalstaatsanwaltschaft vom 23. November und 1. Dezember 2009 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01. 12. 2009 durch beschlossen: 1. Gegen den Verfolgten wird die förmliche Auslieferungshaft angeordnet, soweit ihm zur Last gelegt wird, welche sich für die Beihilfe zur illegalen Einwanderung und zum illegalen Aufenthalt zusammengeschlossen hat. 2. Die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft wird abgelehnt, soweit dem Verfolgten zur Last gelegt wird, zwischen dem 24. und dem 25. Oktober 2007 in Mittäterschaft mit dem K. die illegale Einreise von 23 Ausländern, möglicherweise irakischer Herkunft, nach Italien ermöglicht und deren anschließende illegale Weiterfahrt nach Dänemark und Deutschland begünstigt zu haben. Gründe: I. Die Republik Italien betreibt gegen den Verfolgten das Auslieferungsverfahren zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 30. Juni 2009 auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Gerichts von Venezia, San Polo n. 119, vom 24. März 2009 (Az.: 12664/06 RG NR 6895/08 RG GIP), der sich auf den Beschluss des Landgerichts Vicenza vom 27. Februar 2009 (Strafverfahren n. 12664/06 notizie de reato und 6895/08 REG. GIP.) gründet, einen förmlichen Auslieferungshaftbefehl erlassen. Mit dem Beschluss des Senats vom 30. Juni 2009 war die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft abgelehnt worden, soweit sie eine Tat zwischen dem 24. und 25. Oktober 2007 betraf. Die förmliche Auslieferungshaft ist angeordnet worden, soweit ihm zur Last gelegt worden war, mittäterschaftlich mit L., N., O.. und P. Faki am 15. August 2007 die illegale Einreise von 11 Einwanderern, möglicherweise irakischer Herkunft, nach Italien und deren anschließende illegale Weiterfahrt nach Deutschland ermöglicht zu haben. In dem Beschluss hatte der Senat auch dargelegt, dass die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm zur Vorbereitung einer eventuellen Zulässigkeitsentscheidung gebeten wird, die italienischen Behörden um weitere Konkretisierung des Tatvorwurfs vom 15. August 2007 zu ersuchen. Mit Beschluss des Senats vom 27. August 2009 ist die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet worden und eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zurückgestellt worden, da die italienischen Behörden zu dem Zeitpunkt dem Ersuchen um eine Konkretisierung der Tat vom 15. August 2007 noch nicht nachgekommen waren. In einem Schreiben des Ermittlungsrichters des Gerichts in Venezia vom 21. August 2009 wird eine Tat hinsichtlich der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und die Tat der Beihilfe zur illegalen Einreise von Einwanderern zwischen dem 24. und dem 25. Oktober 2007 konkretisiert. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft nochmals die italienischen Behörden ersucht hatte, die Tat vom 15. August 2007 zu konkretisieren, teilten die italienischen Behörden mit, dass die Auslieferung des Verfolgten für ein Delikt, begangen am 15. August 2007, nicht begehrt werde. Der Europäische Haftbefehl beziehe sich auf eine Tat begangen zwischen dem 24. Oktober und dem 25. Oktober 2007. Daraufhin hat der Senat auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit Beschluss vom 20. Oktober 2009 den Auslieferungshaftbefehl vom 30. Juni 2009 aufgehoben. Die italienischen Behörden haben dann erneut den Europäischen Haftbefehl des Gerichts von Venezia, San Polo n. 119, vom 24. März 2009 (Az.: 12664/06 RG NR 6895/08 RG GIP) übersandt, der nunmehr neu gefasst ist. In diesem Europäischen Haftbefehl in Verbindung mit dem Schreiben des Ermittlungsgerichts in Venezia vom 21. August 2009 wird dem Verfolgten zum einen zur Last gelegt, eine wichtige Rolle im Rahmen der Tätigkeiten einer kriminellen Vereinigung wahrgenommen zu haben, die seit Dezember 2006 bis heute im Irak, Griechenland, in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, England, Dänemark, Schweden und Norwegen operiert. Der Verfolgte war im Rahmen der in Rom operierenden kriminellen Vereinigung unter der Leitung von L., auch X. genannt, und im Rahmen der verbundenen in Mailand operierenden kriminellen Vereinigung unter der Leitung von K., auch H. genannt, tätig, indem er das Handeln von Untergebenen organisierte, die mit dem Transport nach nordeuropäischen Ländern von zahlreichen von der mächtigen kriminellen Vereinigung schikanierten irakisch-kurdischen Staatsangehörigen beauftragt waren. Der Transport der irakisch-kurdischen Staatsangehörigen fand in der Regel mittels in Deutschland gemieteter Wohnmobile statt. Der Verfolgte war in die Weiterleitung der illegalen nach Nordeuropa eingebunden. Seine Aufgabe bestand vorwiegend darin, Fahrzeuge und Fahrer zu besorgen. Darüber hinaus wird dem Verfolgten in dem genannten Europäischen Haftbefehl eine konkrete Schleusertätigkeit zur Last gelegt. Er soll als Mitglied einer von Rom aus agierenden Zelle der Organisation zwischen dem 24. und dem 25. Oktober 2007 in Mittäterschaft mit K. die illegale Einreise von 23 illegalen Einwanderern, möglicherweise irakischer Herkunft, ermöglicht und deren anschließende illegale Weiterfahrt nach Deutschland und Dänemark begünstigt haben. Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat unter Bezugnahme auf den neu gefassten Europäischen Haftbefehl beantragt, die förmliche Auslieferungshaft wie aus dem Tenor ersichtlich anzuordnen. II. Gegen den Verfolgten war in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen. 1. Hinsichtlich des in dem Europäischen Haftbefehl vom 24. März 2009 näher bezeichneten Tatvorwurfes vom 24./25. Oktober 2007 war die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft abzulehnen, da die Auslieferung insoweit wegen Verstoßes gegen das sogenannte Doppelbestrafungsverbot (Artikel 54 Schengener Durchführungsübereinkommen, im Folgenden: SDÜ, entsprechend: § 83 Nr. 1 IRG) von vorneherein unzulässig ist, § 15 Abs. 2 IRG. Danach darf derjenige, der durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, durch die andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Falle einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die seit dem 28. April 2008 rechtskräftige Verurteilung des Verfolgten durch das Landgericht Essen vom selben Tage (Aktenzeichen: 52 KLs 5/08) wegen Einschleusens von Ausländern in zwei Fällen bezog sich ausweislich der Urteilsgründe teilweise auch auf den Vorwurf vom 24./25. Oktober 2007, der in dem Europäischen Haftbefehl vom 24. März 2009 aufgeführt wird. Das Landgericht Essen hat insoweit zur Sache Folgendes festgestellt: Im Oktober 2007 plante W. gemeinsam mit den Angeklagten und U. die entgeltliche Schleusung einer größeren Gruppe Personen irakischer Nationalität aus Italien nach Deutschland. Gemäß ihres gemeinsamen Tatplanes sollte Ali Hussain Ali die Schleusung aus Deutschland koordinieren, während Sananah und Rasul als Fahrer des dem eigentlichen Transportfahrzeug vorausfahrenden Scoutfahrzeuges vorgesehen waren. Ali gelang es zudem, den Zeugen D. und den Angeklagten als Fahrer des Transportfahrzeuges zu gewinnen. Als Lohn für ihre Tätigkeiten sollten die Angeklagten nach der Schleusung zwischen 400,00 und 900,00 pro geschleuster Person erhalten, wobei die Kammer bei keinem der Angeklagten ausschließen konnte, dass es sich nach ihrer Vorstellung um eine einmalige Tat handeln sollte. Am 24.10.2007 fuhren X, und Z. mit einem Kleintransporter Sprinter, Kennzeichen , der von dem gesondert verfolgten H. angemietet worden war, gemeinsam nach Mailand. Dort traf man sich mit dem Angeklagten und U,, die in einem Scout-fahrzeug die Schleusung begleiten sollten. Nachdemder Angeklaze, U und M. von einer unbekannten Person eine Anzahlung von 1 100,00 erhalten hatten, stiegen in Mailand 23 Personen irakischer Herkunft in den Transporter, dessen rückwärtige Scheiben abgeklebt worden waren. Yilderim und Mohammed fuhren sodann über Österreich nach Deutschland. Während der Fahrt sie sich ab, wobei beide nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis waren. Rasul fuhr zusammen mit Sanganah in seinem PKW Fiat Punto mit dem italienischen Kennzeichen CM 555 XJ voraus, wobei beide in ständigem telefonischen Kontakt zu dem Transportfahrzeug standen und in Abhängigkeit von dem Verkehrsaufkommen und der Situation an den Grenzübergängen die eigentliche Route vorgaben. Am 25. Oktober 2007 befand sich der Kleintransporter auf der BAB 7 in der Nähe des Rastplatzes Handewitter Forst, als gegen 20.45 Uhr eine polizeiliche Kontrolle durchgeführt werden sollte. ( ) Die irakischen Insassen verfügten wie die Angeklagten wussten nicht über einen gem. § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel. Der in Aussicht gestellte Lohn wurde den Angeklagten von der Anzahlung abgesehen nicht ausgezahlt, da die Schleusung vor dem eigentlichen Zielort gescheitert war. Dieser festgestellte Sachverhalt ist sowohl von den Tatzeiten als auch der Anzahl der geschleusten Personen mit dem Tatvorwurf aus dem Europäischen Haftbefehl vom 24. März 2009 identisch, lediglich hinsichtlich die Angabe der Mittäter differiert. Dies steht der Annahme, dass es sich um dieselbe Tat handelt aber nicht entgegen. Auch dass die gegen den Verfolgten durch das Urteil des Landgerichts Essen vom 28. April 2008 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde, steht der Unzulässigkeit der Auslieferung nach Artikel 54 SDÜ nicht entgegen. Denn eine nach dem Recht des Urteilsstaat zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe wird während des Laufes der Bewährungszeit im Sinne des Artikel 54 SDÜ gerade vollstreckt (EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007 C-288/05 , zitiert nach juris Leitsatz 2.). 2. Hinsichtlich des in dem Europäischen Haftbefehl vom 24. März 2009 aufgeführten Tatvorwurfs der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, welcher erst nunmehr, insbesondere durch das Schreiben des Ermittlungsrichters des Gerichts in Venezia vom 21. August 2009 deutlich geworden ist, war die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen, deren Voraussetzungen vorliegen. Sirene Italien ist eine im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 IRG zuständige Stelle. Die Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS), die gemäß § 83a Abs. 2 IRG und nach Artikel 9 Abs. 3 Satz 2 des Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten vom 13. Juni 2002 als Europäischer Haftbefehl gilt, und der Europäische Haftbefehl des Gerichts in Venezia /Sao Polo n. 119 vom 24. März 2009 entsprechen den Voraussetzungen des § 83a Abs. 1 Nummern 1 bis 6 IRG. Die jeweiligen Strafrahmen der Delikte sind in dem Europäischen Haftbefehl aufgeführt; der höchste Strafrahmen folgt aus Artikel 12 D. Lvo 286/98, wonach neben Geldstrafe eine Freiheitsstrafe in Höhe von vier bis 15 Jahren vorgesehen ist (§ 83a Abs. 1 Nr. und 6 IRG). Die beiderseitige Strafbarkeit der dem Verfolgten zur Last gelegten Straftaten ist nicht zu prüfen, da es sich insoweit um Katalogtaten im Sinne des Artikels 2 Abs. 2 erster und dreizehnter Spiegelstrich des Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten vom 13. Juni 2002 handelt. Verjährung ist ersichtlich nicht eingetreten. Die Auslieferungsfähigkeit ergibt sich auch aus Artikel 2 Nr. 1 Satz 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk.). Hinsichtlich der nach § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG erforderlichen Beschreibung der Umstände, unter denen die Tat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung der gesuchten Person ist dies noch hinreichend deutlich geworden durch das Schreiben des Ermittlungsrichters des Gerichts von Venezia vom 21. August 2009. Die Auslieferung erscheint auch nicht von vorneherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG). Anhaltspunkte dafür, dass der Verfolgte deutscher Staatsangehöriger sein könnte, liegen nicht vor. Er hat anlässlich seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Essen selbst angegeben, ausschließlich irakischer Staatsangehöriger zu sein. Aus der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 22. Juni 2009 geht nicht hervor, dass sie beabsichtigte, Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Die Voraussetzungen des § 83b IRG liegen auch nicht vor. Insbesondere ist kein Hindernis nach § 83b Abs. 2 lit. a) IRG gegeben. Danach kann die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers, der im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zum Zwecke der Strafverfolgung abgelehnt werden, wenn die Auslieferung eines Deutschen gemäß § 80 Abs. 1 und 2 IRG nicht zulässig wäre. Zwar ist der Verfolgte seit dem 01. Dezember 2007 zusammen mit seiner Ehefrau und drei gemeinsamen minderjährigen Kindern eine Wohnung in Essen, unter deren Anschrift er auch amtlich gemeldet ist, und hat ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts Essen vom 09. Juni 2009 anlässlich der Verkündung des Europäischen Haftbefehls der Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung nicht zugestimmt. Dennoch ist die Auslieferung des Verfolgten nach § 83b Abs. 2 lit. a) IRG nicht abzulehnen. Bei § 83b Abs. 2 IRG handelt es sich um eine Ermessensvorschrift, wie sich bereits aus dem Wortlaut kann abgelehnt werden, ergibt. Nach Auffassung des Senats ergibt die vorzunehmende Interessenabwägung kein Bewilligungshindernis, das der Auslieferung des Verfolgten entgegensteht. Einzig problematischer Punkt ist insofern, dass Voraussetzung der Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen zum Zwecke der Strafverfolgung an einen ausländischen ersuchenden Mitgliedsstaat gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 IRG stets ist, dass der ersuchende Mitgliedsstaat nach Verhängung einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe oder einer sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung ins Inland zurück zu überstellen. Dies kann der Senat aufgrund der ihm vorliegenden Akten nicht feststellen. Dahinter steht allerdings der Gedanke, dass der Verfolgte die Möglichkeit erhalten soll, wieder ins Inland zurückzukehren, weil er zu diesem Staat Bindungen aufgebaut hat, so dass seine Resozialisierungschancen durch eine Rückkehr erhöht werden können, wobei insbesondere das soziale Umfeld eine entscheidende Rolle spielt (vergleiche dazu: EuGH, EUGRZ 2008, 607, 610; OLG Dresden, Beschluss vom 05. Oktober 2006 OLG 34 Ausl 46/06). Allerdings hat der Verfolgte selbst angegeben, erst seit Dezember 2007 mit seiner irakischen Ehefrau und den gemeinsamen drei minderjährigen Kindern in Essen zu wohnen. Er ist bisher der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig, vielmehr musste seine Anhörung vor dem Amtsgericht Essen mithilfe eines Dolmetschers durchgeführt werden. Seine Ehefrau ist wie der Verfolgte in Besitz einer (bis 14. November 2009) befristeten Duldung; der Familienunterhalt wird infolge des ausländerrechtlichen Status' durch Sozialleistungen gewährleistet. Angesichts der kurzen Verweildauer und der ausländerrechtlichen Situation in Deutschland vermag der Senat aber keine derart engen Bindungen an Deutschland festzustellen, als dass die Resozialisierungschancen des Verfolgten durch eine Rückkehr gerade nach Deutschland wesentlich erhöht würden. Dies insbesondere deshalb nicht, weil auch seine Ehefrau aufgrund ihrer Herkunft Auslandsbezug und denselben ausländerrechtlichen Status wie der Verfolgte hat und nicht ersichtlich ist, dass sie zwingend mit den minderjährigen Kindern dauerhaft in Deutschland bleiben wird. Ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, das die ehelichen und familiären Belange, die unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehen, durch die Auslieferung beeinträchtigt werden. Jedenfalls ist nach allgemeiner Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung (siehe zum Beispiel: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. Juli 1979 2 AK 8/79 ; GA 1987, 30; OLG Hamburg, Beschluss vom 31. Mai 1979 Ausl. 5/79; OLG München, Beschluss vom 18. März 1985 OLG Ausl. 25/85 , in E/L U 106, S. 357 f.; OLG Schomburg NStZ 1999, 359 f.; OLG Köln, Beschluss vom 15. Februar 2005 Ausl 10/05 8/05 ; OLG München, Beschluss vom 18. März 1985 OLG Ausl. 25/85), der sich auch der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat (Senatsbeschlüsse vom 23. November 1999 (2) 4 Ausl. 21/99 (95/99), abgedruckt in: NStZ-RR 2000, 158; vom 19. Januar 2004 (2) 4 Ausl. A 34/2003 (5/04) ; vom 7. Januar 2004 (2) 4 Ausl. 74/2003 (161/03) ; vom 21. Dezember 2006 (2) 4 Ausl. A 25/06 (313/06) ; vom 30. April 2009 (2) 4 Ausl. A 32/09 (124/09) ), eine Abwägung durchzuführen, inwieweit die familiären Belange des Verfolgten auch nach deutschem Recht eine Strafverfolgung nicht hindern würden. Diese Auffassung wurde auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt (vgl. m.w.N. BVerfGK 2, 165, 171 Beschl. 2 BvR 879/03 vom 01. Dezember 2003). Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass auch die nach nationalem Recht zulässige Durchführung eines Strafverfahrens und die in ihm ausgesprochene Sanktion zwingend das Ehe- und Familienleben beeinträchtigen. Sodann kann aber zumal ein Nachzug der Ehefrau und der Kinder nicht ohne Weiteres ausgeschlossen ist für die Abwägung bei der Auslieferung prinzipiell nichts anderes gelten: Wenn und soweit die ehelichen und familiären Belange des Verfolgten auch nach deutschem Recht die Strafverfolgung und die Strafvollstreckung nicht hindern, die regelmäßig zu vielgestaltigen Beeinträchtigungen des Ehe- und Familienlebens führen, ist auch die auslieferungsrechtliche Abwägung zu Art. 6 Abs. 1 GG nicht gegenteilig vorzunehmen, sofern die eintretenden Beeinträchtigungen was regelmäßig der Fall ist im Wesentlichen denen vergleichbar sind, die bei einer Aburteilung in Deutschland entstehen könnten. Somit ist auch gewährleistet, dass auch die Gründung einer Familie im Ergebnis nicht vor einer Bestrafung wegen Taten schützt, die im Ausland begangen worden sind. Aus dem Auslieferungsverfahren und der sich daraus ergebenden Strafverbüßung in Italien folgen vorliegend keine Beeinträchtigungen des Ehe- und Familienlebens des Verfolgten, die sich nicht auch bei einer Strafverfolgung im Inland für die Ehe und Familie eines Verurteilten ergeben würden. Dagegen gewährt aber Art. 6 Abs. 1 GG keinen Schutz. Selbst wenn die Republik Italien eine Zusicherung im Sinne des § 80 Abs. 1 Nr. 1 IRG nicht machte, stünde dies nach Auffassung des Senats der Auslieferung des Verfolgten also nicht entgegen. Die Anordnung der Auslieferungshaft ist geboten. Der Verfolgte hat im Falle seiner Auslieferung mit der Verhängung einer nicht unempfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Diese Erwartung stellt erfahrungsgemäß einen erheblichen Fluchtanreiz dar. Angesichts der erst kurzen Verweildauer in Deutschland, des Auslandsbezuges durch seine eigene und die Herkunft seiner Ehefrau sowie der unsicheren ausländerrechtlichen Situation ist beider vor diesem Hintergrund nicht davon auszugehen, dass der Verfolgte sich freiwillig dem Auslieferungsverfahren stellen wird (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Es ist wahrscheinlicher, dass er sich ohne die Anordnung der Auslieferungshaft dem Verfahren durch Flucht entziehen wird, zumal er ausweislich der Feststellungen des Urteils des Landgerichts Essen vom 28. April 2008 sowie der Sachverhaltsdarstellung des Europäischen Haftbefehls vom 24. März 2009 über umfangreiche Kontakte ins Ausland verfügt und der kurdischen und der arabischen Sprache mächtig ist. Mildere Maßnahmen sind nicht geeignet, die bestehende Fluchtgefahr auszuräumen. Die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zu der in Italien zu erwartenden Strafe. |
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