Aktenzeichen: 3 Ss 447/09 OLG Hamm |
Leitsatz: Eine Erstreckung der Aufhebung nach § 357 StPO kommt nur dann in Betracht, wenn die Revision für den Nichtrevidenten zulässig war. Das ist auch dann nicht der Fall, wenn ein Heranwachsender nichtrevidierender Mitangeklagter zunächst Berufung gegen das angefochtene Urteil einlegt, diese dann aber (nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist) zurücknimmt. |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Revision, Zulässigkeit, Erstreckung |
Normen: StPO § 457; JGG § 55 Abs. 2; StPO § 357 |
Beschluss: In pp. hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 17.11.2009 beschlossen Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit es den Angeklagten D. und den nichtrevidierenden Angeklagten Z betrifft. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschöffengericht zuständige Abteilung des Amtsgerichts Herford zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen. Gründe I. Das Amtsgericht hat den revidierenden Angeklagten D. sowie die nicht revidierenden früheren Mitangeklagten M. und Z der sexuellen Nötigung (Vergewaltigung) und darüberhinaus den Angeklagten M. des Diebstahls und der Sachbeschädigung sowie den Angeklagten Z der Hehlerei für schuldig befunden. Es hat den Angeklagten M. unter Einbeziehung des Urteils des AG Herford vom 30.06.2008 3b LS 33/08 zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten, den Angeklagten Z zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren (deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde) und den Angeklagten D. zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren verurteilt. Gegen das Urteil hat allein der Angeklagte D. zunächst Berufung eingelegt, die er dann innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als Sprungrevision bezeichnet hat. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. II. Die zulässige Revision hat auf die Sachrüge hin teilweise Erfolg. 1. Die Revision ist zulässig. Innerhalb der Revisionsbegründungsfrist kann der Beschwerdeführer auch in Jugendsachen noch von der Berufung zur Revision übergehen (vgl. Eisenberg JGG 10. Aufl. § 55 Rdn. 58 ff. m.w.N.). Gleich, ob die Zustellung des Urteils an den Pflichtverteidiger des Angeklagten D. wie die Generalstaatsanwaltschaft meint bereits am 14.04.2009 wirksam stattgefunden hat oder erst durch erneute Zustellung am 02.09.2009, war der am 05.05.2009 erklärte Wechsel des Rechtsmittels und die mit gleichem Schriftsatz abgegebene Revisionsbegründung rechtzeitig. 2. Soweit sich die Revision mit der Sachrüge auch gegen den Schuldspruch richtet, ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO aus den in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen. Dadurch, dass das Amtsgericht bei dem Angeklagten D. nur eine Vergewaltigungstat annimmt und nicht zwei, ist er jedenfalls nicht beschwert. 3. Der Rechtsfolgenausspruch hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Urteil weisen durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Tatrichter hat seine Zumessungserwägungen nicht in einem die Nachprüfung durch den Senat ermöglichenden Umfang dargelegt, was schon aus sachlich-rechtlichen Gründen erforderlich gewesen wäre, und die erweiterte Begründungspflicht des § 54 Abs. 1 JGG missachtet. Erforderlich sind danach eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Biographie des Angeklagten, eine Bewertung der Tat im Zusammenhang mit den Lebensverhältnissen des Angeklagten sowie die Begründung der hiernach unter Berücksichtigung ihrer Eingriffsintensität erforderlichen Rechtsfolgen, wobei die Anforderungen an die Begründung tendenziell mit der Eingriffsintensität der angeordneten Rechtsfolge ansteigen ( KG Berlin NStZ 2007, 223, 224). Hieran fehlt es. Das Amtsgericht hat letztlich nur einige wenige allgemeine, zumeist tatbezogene Strafzumessungserwägungen angestellt und dies auch noch pauschal für alle drei Angeklagten gemeinsam. Hinzu kommt, dass das Amtsgericht Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld und wegen schädlicher Neigungen bei allen Angeklagten verhängt. Gerade die Bewertung, ob schädliche Neigungen vorliegen, ist hier nicht weiter begründet worden. Sie kann zudem nicht für alle drei Angeklagten, die kaum über identische Lebensläufe verfügen, gemeinsam vorgenommen werden. Das Gericht kann wegen in der Tat zu Tage getretenen schädlichen Neigungen Jugendstrafe verhängen, wenn diese zum Urteilszeitpunkt fortbestehen und Erziehungsmaßregeln nicht mehr ausreichen. Solche schädlichen Neigungen sind erhebliche seien es anlagebedingte, seien es durch unzulängliche Erziehung oder Umwelteinflüsse bedingte charakterliche Mängel, die ohne eine längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten in sich bergen und nicht nur den Charakter von Bagatelldelikten haben ( OLG Hamm NStZ 2007, 45 m.w.N.). Hier fehlt es vollkommen an einer individuellen Begründung. Schließlich fehlt es auch obwohl nach Lage der Dinge eher fernliegend an einer Begründung, warum weder Zuchtmittel noch Erziehungsmaßregeln bzw. eine Kombination aus beidem ausreichend war (vgl. insoweit Eisenberg a.a.O. § 54 Rdn. 35). Auch wenn die verhängte Strafe angesichts von Vorleben und Tatgeschehen eher milde erscheint, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Urteil zum Nachteil des Angeklagten auf den aufgezeigten Begründungsmängeln beruht. III. Die Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch betreffend den Angeklagten D. war gem. § 357 StPO auch auf den nichtrevidierenden Angeklagten Z zu erstrecken, da sich der aufgezeigte sachlich-rechtliche Mangel in gleicher Weise wie beim Angeklagten D. auch auf seine Verurteilung ausgewirkt hat. Hingegen schied eine Erstreckung der Entscheidung gem. § 357 StPO auch auf den Angeklagten M. aus. § 357 StPO ist nicht zu Gunsten eines früheren Mitangeklagten anwendbar, für den die Revision wegen § 55 Abs. 2 JGG (vorliegend i.V.m. § 109 JGG ) unzulässig war ( BGHSt 51, 34 ). So ist es aber hier bezüglich des Angeklagten M. Gegen das Urteil des Amtsgericht hatte auch er mit Schriftsatz vom 30.03.2009, eingegangen am gleichen Tage und damit rechtzeitig Berufung eingelegt. Darauf hin ist seinem Verteidiger das Urteil am 09.04.2009 zugestellt worden. Die Berufung hat er dann namens und in Vollmacht des Mandanten mit am gleichen Tage eingegangen Schriftsatz vom 18.06.2009 zurückgenommen. Nach der auf eine Vorlage hin ergangenen Entscheidung des BGH vom 09.05.2006 1 StR 57/06 ( BGHSt 51, 34 ) kommt eine Erstreckung der Aufhebung nach § 357 StPO nur dann in Betracht, wenn die Revision für den Nichtrevidenten zulässig war. Die Anwendung des § 357 StPO müsse dann ausscheiden, wenn die Revision Kraft Gesetzes ausgeschlossen sei; es müsse ein Fall des fehlenden Rechtsmittelgebrauch bei gegebener Rechtsmittelbefugnis vorliegen. Das hat der BGH in der genannten Entscheidung verneint in dem Falle, in dem der Nichtrevident Berufung eingelegt hatte und über die Berufung auch entschieden worden war. Die Grundsätze der genannten Entscheidung gelten aber auch dann, wenn über die Berufung wegen Rücknahme nicht entschieden wurde, jedenfalls wenn die Rücknahme außerhalb der Revisionsbegründungsfrist erfolgt. Denn dann kann der Angeklagte die Bezeichnung des Rechtsmittels nicht mehr ändern, er kann nicht mehr von der Berufung zur Sprungrevision übergehen. Dann ist aber die Revision nach § 55 Abs. 2 JGG in jedem Falle unzulässig. Der Angeklagte hat keinen Weg mehr, eine Revision durchzuführen. Entweder er führt die Berufung durch, dann greift § 55 Abs. 2 JGG unmittelbar ein, oder er stellt das zunächst als Berufung bezeichnete Rechtsmittel nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist auf eine Revision um. Auch dann hat er keine Möglichkeit mehr, eine Revision durchzuführen. |
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