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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 438/09 OLG Hamm

Leitsatz: Eine erst nach Ablauf der zunächst angeordneten Bewährungszeit ausgesprochene StGB § 56f Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 20 Abs. 3

Eine erst nach Ablauf der zunächst angeordneten Bewährungszeit ausgesprochene Verlängerung derselben schließt sich rückwirkend an die abgelaufene Bewährungszeit an.
Ein Widerruf der Strafaussetzung wegen in der Zwischenzeit begangener neuer Straftaten ist grundsätzlich möglich, allerdings nur dann, wenn Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht engegenstehen.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Bewährungswideruf, Bewährungszeit, verlängerung, neue Straftaten

Normen: StGB 56 f

Beschluss:

OLG Hamm, Beschluss vom 19.11.2009, Az. 3 Ws 438/09, Volltext-ID: 3K316959

In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 19.11.2009 beschlossen:
1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschwerdeführer darin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
2. Der Antrag des Verurteilten auf Beiordnung von Rechtsanwalt L. als Pflichtverteidiger wird verworfen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde durch das Amtsgericht Wuppertal mit Urteil vom 02.10.2001 wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Mit Urteil des Amtsgericht Schwelm vom 19.02.2001 wurde er wegen vorsätzlichen Vollrausches, Diebstahls mit Waffen und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Gleichzeitig wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit Beschluss vom 21.03.2005, rechtskräftig seit dem 01.04.2005 ordnete die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bielefeld an, dass die Unterbringung bis zur Höchstdauer am 24.03.2005 vollzogen würde und setzte die Verbüßung der Reststrafen aus den oben genannten Urteilen zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Der Betroffene wurde einem Bewährungshelfer unterstellt. Er wurde (u.a.) angewiesen, jeden Alkohol- und Drogengenuss zu unterlassen.
Im Hinblick auf die Verurteilung durch das Amtsgericht Halle/Westfalen vom 09.01.2008 wegen Diebstahls unter Einbeziehung einer Strafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten und zwei Wochen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, beantragten die Staatsanwaltschaft Wuppertal am 11.03.2008, die Staatsanwaltschaft Hagen am 06.05.2008 die Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr. Mit dem Verurteilten am 18.06.2008 zugestellten Schreiben vom 15.05.2008 hörte ihn die Strafvollstreckungskammer dazu an und sprach mit Beschluss vom 29.08.2008 die Verlängerung der Bewährungszeit in beiden Sachen um 1 ½ Jahre, bis zum 01.10.2009 aus.
Am 04.05.2008 beging der Beschwerdeführer eine gefährliche Körperverletzung. Deswegen wurde er vom Amtsgericht Halle am 05.11.2008, rechtskräftig seit dem 27.03.2009, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Zur Verbüßung dieser Freiheitsstrafe befindet sich der Beschwerdeführer seit dem 13.07.2009 in Haft, zunächst in der JVA C, sodann ab dem 20.07.2009 in der JVA T.
Nach schriftlicher Anhörung des Beschwerdeführers hat die Strafvollstreckungskammer die Reststrafenaussetzung in den o. g. Sachen wegen der Verurteilung vom 05.11.2008 widerrufen. Gegen den Widerruf wendet sich der Beschwerdeführer mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
1.
a) Der Beschwerdeführer hat zwar in der Bewährungszeit eine Straftat begangen und dadurch gezeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zu Grunde lag, nicht erfüllt hat ( § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB ).
Der Beschwerdeführer hat am 04.05.2008 eine neue Straftat, nämlich eine gefährliche Körperverletzung begangen. Diese Tat fiel in die Bewährungszeit. Die Bewährungszeit, die ursprünglich bis zum 01.04.2008 lief, ist mit Beschluss vom 29.08.2008 bis zum 01.10.2009, verlängert worden. Dass der Widerruf erst nach Ablauf der Bewährungszeit erfolgte, ist unschädlich. Eine Ausschlussfrist existiert insoweit nicht.
Nach der – vom Senat geteilten – h. M. in Rechtsprechung und Literatur schließt sich eine nach Ablauf der Bewährungszeit angeordnete Verlängerung rückwirkend an die abgelaufene Bewährungszeit unmittelbar an ( OLG Brandenburg Beschl. v. 17.03.2004 – 1 Ws 29/04 – juris; KG Berlin Beschl. v. 12.05.2009 – 2 Ws 176/09 – juris; OLG Celle NStZ 1991, 206; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 221; OLG Hamm Beschl. v. 15.12.1987 – 5 Ws 445/87 – juris; OLG Hamm Beschl. v. 20.10.2008 – 3 Ws 386/08; OLG Jena NStZ-RR 2007, 220; OLG Köln Beschl. v. 27.01.2006 – 2 Ws 37/06 – juris; OLG Rostock Beschl. v. 05.10.2004 – I Ws 430/04 – juris; OLG Zweibrücken NStZ 1993, 510; Hubrach in LK- StGB, 12. Aufl. § 56f Rdn. 42; Lackner/Kühl StGB 26. Aufl. § 56f Rdn. 12; Dölling NStZ 1989, 345, 348). Schon der Wortlaut des § 56f Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB („verlängern“) belegt dies. Denn würde die „Verlängerung“ der Bewährungszeit erst mit Erlass oder Rechtskraft des nach Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit ergangenen Beschlusses beginnen, läge keine Verlängerung vor, sondern ein Neubeginn bzw. eine weitere Bewährungszeit, was gesetzlich nicht vorgesehen ist ( OLG Hamm Beschl. v. 20.10.2008 – 3 Ws 368/08; OLG Rostock a.a.O.). Zudem wäre dann der exakte Zeitpunkt des Neubeginns der Bewährungszeit fraglich (Erlass, Rechtskraft, tatsächlicher Zugang?, vgl. KG Berlin a.a.O.) und es entstünden nicht zuletzt Anwendungsprobleme hinsichtlich §§ 56a, 56f Abs. 2 S. 2 StGB was die maximale Dauer der Bewährungsfrist angeht. Auch wird nur durch eine rückwirkende Anknüpfung des Verlängerungszeitraums an den Endtermin der zunächst bestimmten Bewährungszeit vermieden, dass sich Bewährungsverfahren unverhältnismäßig in die Länge ziehen. Dass der Gesetzgeber dies vermeiden wollte, zeigt sich an der Regelung des § 56f Abs. 2 S. 2 StGB (vgl. OLG Rostock a.a.O.; Hubrach in LK-StGB a.a.O.). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch aus verfassungsrechtlicher Sicht eine rückwirkende Anknüpfung des Verlängerungszeitraums nicht zu beanstanden ist ( BVerfG NStZ 1995, 437).
b) Dennoch scheidet vorliegend ein Widerruf (auch eine andere Reaktion i.S.v. § 56f Abs. 2 StGB ) aus.
aa) Entgegen der ganz h. M. in Rechtsprechung und Literatur ( OLG Bamberg NStZ-RR 2006, 326; OLG Brandenburg Beschl. v. 17.03.2004 – 1 Ws 29/04 – juris; KG Berlin Beschl. v. 12.05.2009 – 2 Ws 179/09 – juris; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 221; OLG Hamm Beschl. v. 15.12.1987 – 5 Ws 445/87 – juris; OLG Hamm Beschl. v. 04.04.1996 – 2 Ws 132/96 – juris [LS]; OLG Jena NStZ-RR 2007, 220, 221; OLG Köln Beschl. v. 27.01.2006 – 2 Ws 37/06 – juris; OLG Zweibrücken NStZ 1993, 510; Fischer StGB 56. Aufl. § 56f Rdn. 3a; von Heintschel-Heinegg in Beck-OK-StGB Ed. 9 § 56f Rdn. 19; Stree a.a.O.; Lackner/Kühl a.a.O. § 56f Rdn. 3; Dölling NStZ 1989, 345, 348) hält der Senat es zwar für grundsätzlich möglich, dass eine Straftat die zwischen dem Ende der regulären Bewährungszeit und dem Verlängerungsbeschluss begangen wird, zum Widerruf der Strafaussetzung herangezogen werden kann (vgl. näher – auch zur Gegenansicht -: OLG Hamm Beschl. v. 20.10.2009 – 3 Ws 386/09 ).
bb) Zu berücksichtigen ist dabei aber der Vertrauensschutzgrundsatz ( Art. 20 Abs. 3 GG ). Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es keinen verfassungsrechtlichen Einwänden begegnet, wenn die Bewährungszeit (noch vor Ende des regulären Zeitraums) verlängert wurde, der Verurteilte aber von dem Verlängerungsbeschluss keine Kenntnis hat, dann – im Verlängerungszeitraum – neue Straftaten begeht und deswegen die ihm gewährte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen wird und das Vertrauen des Verurteilten vor Ende der regulären Bewährungszeit zerstört wurde, weil er Kenntnis vom laufenden Verlängerungs-/Widerrufsverfahren hatte ( BVerfG NStZ 1995, 437). Es macht nach Ansicht des Senats im Hinblick auf ein etwaiges Vertrauen des Verurteilten auf den Eintritt des regulären Endes der Bewährungszeit bei Begehung der neuen Straftat auch keinen Unterschied ob ein Verlängerungsbeschluss bereits in der Welt war und der Verurteilte lediglich hiervon nichts wusste oder ob der Verlängerungsbeschluss erst später erlassen wurde ( OLG Hamm Beschl. v. 20.10.2009 – 3 Ws 386/09; a.A. – ohne nähere Begründung: KG Berlin Beschl. v. 12.05.2009 – 2 Ws 176/09 – juris). Es ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass derartige Schwebezustände dem Gesetz nicht fremd sind und dieses es gestattet, an in einem solchen Interimszeitraum begangenes Fehlverhalten nachteilige Konsequenzen zu knüpfen. So kann nach § 56f Abs. 1 S. 2 StGB ein Widerruf auch erfolgen, wenn die neue Tat zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung und deren Rechtskraft begangen wurde. Hier ist es sogar so, dass der Täter bei Begehung der Tat in diesem Zeitraum gar nicht (auch nicht rückwirkend) unter Bewährung steht ( OLG Hamm Beschl. v. 20.10.2008 – 3 Ws 386/09 ).
cc) Mit einem Teil der Rechtsprechung und der Literatur stellt der Senat daher darauf ab, ob bei dem Verurteilten ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Beendigung der Bewährungszeit vorlag, als er die neue Straftat beging, oder nicht. Nicht schutzwürdig ist das Vertrauen danach dann, wenn der Verurteilte bereits vor dem Ende der regulären Bewährungszeit von der Prüfung der Verlängerung der Bewährungszeit im Hinblick auf einen früheren Bewährungsbruch erfahren hat und demnach nicht ohne weiteres davon ausgehen durfte, dass die Bewährungszeit nicht verlängert wird ( OLG Brandenburg Beschl. v. 17.03.2004 – 1 Ws 29/04 – juris –; OLG Düsseldorf Beschl. v. 23.02.2005 – 3 Ws 50/05 – juris; OLG Hamm Beschl. v. 20.10.2008 – 3 Ws 386/09; Hubrach a.a.O. § 56f Rdn. 44).
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien scheidet hier ein Widerruf aus. Die zunächst bestimmte Bewährungszeit endete am 01.04.2008. Bis dahin hat der Verurteilte nichts davon erfahren, dass im Hinblick auf die Verurteilung vom 09.01.2008, die nicht angegriffen und seit dem 17.01.2008 bereits rechtskräftig war, eine Verlängerung der Bewährungszeit in der vorliegenden Sache geprüft wurde. Obschon jedenfalls eine Staatsanwaltschaft noch vor Ende der Bewährungszeit einen Verlängerungsantrag gestellt hatte, ist der Verurteilte erst nach der Begehung der neuen Straftat vom 04.05.2008 vom Gericht hiervon in Kenntnis gesetzt worden. Vor dem Hintergrund der Suchtstoffabhängigkeit des Verurteilten und der bei ihm diagnostizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (Bl. 32 BewH 130 Js 1160/01) und da sich auch im übrigen keine Anhaltspunkte aus den Akten dafür ergeben, dass ihm noch vor Ende der regulären Bewährungszeit oder wenigstens vor Begehung der neuen Tat, vor Augen geführt worden wäre, dass die Verlängerung der Bewährungszeit in vorliegender Sache droht, kann der Senat einen Vertrauensschutz des Verurteilten nicht ausschließen. Er schließt sich insoweit der Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft Wuppertal an, welche sogar die Einlegung einer sofortigen Beschwerde zu Gunsten des Verurteilten erwogen, im Hinblick auf dessen eigenes Rechtsmittel aber davon abgesehen hatte (Bl. 100 BewH 130 Js 1160/01).
Aus den gleichen Gründen scheiden auch mildere Maßnahmen i.S.v. § 56 f Abs. 2 StGB aus.
2.
Angesichts dessen kann der Senat dahinstehen lassen, ob die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bielefeld überhaupt zur Entscheidung berufen war. Der Sachverhalt, der sich allerdings nicht vollständig aus den Akten erschließt, legt nahe, dass der Verurteilte möglicherweise direkt in die JVA T geladen und nur wegen seiner Verhaftung kurzzeitig zum Zwecke der Verschubung in der JVA C war (vgl. OLG Zweibrücken NStZ 2003, 54).
Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob der Widerruf auch aus anderem Grunde (Weisungsverstoß, weitere Straftaten nach Verlängerungsbeschluss) in Betracht kommt, da dies bisher nicht Gegenstand des Verfahrens war.
III.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 467 StPO.
IV.
Der beim Landgericht gestellte Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung war zu verwerfen. Der Antrag ist dem Senat am Tage der oben genannten Aufhebungsentscheidung zugegangen. Da eine rückwirkende Bestellung nicht in Betracht kommt ( OLG Hamm NStZ-RR 2009, 113), das Rechtsmittel des Verurteilten aber auch so Erfolg bereits hatte, bedurfte es einer Bestellung nicht mehr.




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