Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. A 22/08 (20/10) OLG Hamm |
Leitsatz: Ist im Falle einer Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung in die Türkei zu befürchten, dass der Angeklagte zu einer nach türkischem Recht möglichen sogenannten erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird, darf er nur dann ausgeliefert werden, wenn er eine reelle Chance auf Wiedererlangung der Freiheit hat. Die bloß theoretische Möglichkeit der Wiedererlangung der Freiheit durch in der türkischen Verfassung vorgesehene Begnadigungen oder Straferlässe durch das Staatsoberhaupt ist hierfür nicht ausreichend. Das erkennende Gericht durch Anfrage zu prüfen, wie und in welchem Umfang in der Türkei von der Gnadenregelung Gebrauch gemacht wird, bevor es über eine Auslieferung entscheiden kann. |
Senat: 2 |
Gegenstand: Auslieferungsverfahren |
Stichworte: Auslieferung, Türkei, lebenslange Freiheitsstrafe, Auslieferungshindernisse |
Normen: GG Art. 1; GG Art. 2; GG Art. 104 |
Beschluss: Auslieferungssache betreffend den türkischen Staatsangehörigen zurzeit in dieser Sache in Auslieferungshaft in der Justizvollzugsanstalt Bochum, wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland in die Republik Türkei wegen Mordes u.a., Aus Anlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Januar 2010, hier eingegangen am 22. Januar 2010, hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26. 01. 2010 durch beschlossen: 1. Der Senat tritt erneut in die Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten in die Türkei zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der ihm mit Anklage der Oberstaatsanwaltschaft der Republik bei dem Staatlichen Sicherheitsgericht zu Diyarbakir vom 28. November 2007 (Untersuchungsnummer: 1999/1048, Grundnummer: 1999/797, Anklageschrift: 1999/759) und dem hierauf gestützten Haftbefehl des Schwurgerichts zu Diyarbakir vom 28. November 2007 zur Last gelegten Straftaten ein. 2. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung wird wegen eines Auskunftsersuchens des Senats an die türkischen Behörden zurückgestellt. Gründe: I. Der Senat hat mit Beschluss vom 13. Januar 2009 die förmliche Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Beschluss Bezug genommen. Der Verfolgte wurde am 02. April 2009 aufgrund des vorgenannten Auslieferungshaftbefehls im Ausländeramt der Stadt Bochum festgenommen und befindet sich seitdem in Auslieferungshaft in der Justizvollzugsanstalt Bochum. Mit Beschlüssen vom 02. Juni 2009 und 17. September 2009 hat der Senat die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei für zulässig erklärt bzw. die Einwendungen des Verfolgten gegen die Zulässigkeit der Auslieferung zurückgewiesen. Mit Beschlüssen vom 02. Juni 2009, 03. August 2009, 01. Oktober 2009 sowie 01. Dezember 2009 hat der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet. Auch auf diese vorgenannten Beschlüsse wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Der Verfolgte hat unter anderem gegen die Entscheidungen des Senats vom 02. Juni 2009 und 17. September 2009, in denen der Senat die Auslieferung für zulässig erklärt hat, Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er hat unter anderem eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 19 Abs. 4 GG gerügt. Wesentliches Zulässigkeitshindernis sei nämlich, dass nach einer Auslieferung das Verfahren gegen ihn nach Maßgabe von Art. 302 des türkischen Strafgesetzbuches durchgeführt werde. Im Falle einer Verurteilung werde er daher zu einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden. Erschwerung bedeute, dass eine Umwandlung in eine befristete Freiheitsstrafe nicht zulässig sei, eine bedingte Entlassung sei danach ausgeschlossen. Die Gefangenen blieben bis zu ihrem physischen Ableben im Strafvollzug. Diese Form der lebenslangen Freiheitsstrafe sehe das Gesetz bei Vergehen gegen die Staatssicherheit (Art. 302-304, 307 und 308 türkischen Strafgesetzbuches) und gegen die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 309-315 des türkischen Strafgesetzbuches) vor. Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde insoweit teilweise stattgegeben und wie folgt entschieden: Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. Juni 2009 (2) 4 Ausl. A 22/08 (152 und 153/09) OLG Hamm verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit in ihm die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Strafverfolgung für zulässig erklärt wird. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. September 2009 (2) 4 Ausl. A 22/08 (338/09) OLG Hamm verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit die Einwendungen des Beschwerdeführers gegen die Zulässigkeit der Auslieferung zurückgewiesen worden sind. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben. Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht u.a. Folgendes ausgeführt: II. Die Auslieferung bei drohender Verhängung einer sogenannten erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe verstößt gegen unabdingbare Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung, soweit diese erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe so ausgestaltet ist, dass sie nicht lediglich eine Strafaussetzung zur Bewährung gesetzlich ausschließt, sondern auch die bloß theoretische Möglichkeit einer späteren Begnadigung unter die rechtliche Bedingung dauernder Krankheit, Behinderung oder des Alters stellt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die deutschen Gerichte von Verfassungs wegen gehalten, im Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 63, 332 <337 f .>; 75, 1 <19>; 108, 129 <136>; 113, 154 <162> ). a) Zu den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen zählt der Kernbereich des aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es danach verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die ihm im ersuchenden Staat droht, unerträglicher Art ist, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erscheint. Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 50, 205 <214 f .>; 75, 1 <16>; stRspr). Ebenso zählt es wegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung, dass eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf. Die zuständigen Organe der Bundesrepublik Deutschland sind deshalb gehindert, an der Auslieferung eines Verfolgten mitzuwirken, wenn dieser eine solche Strafe zu gewärtigen oder zu verbüßen hat (vgl. BVerfGE 75, 1 <16 f .>; 108, 129 <136 f.>; 113, 154 <162> ). Die unabdingbaren Grundsätze sind allerdings noch nicht verletzt, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Der Schutz eines rechtsstaatlichen, von der Achtung der Würde des Menschen bestimmten Kernbereichs kann im völkerrechtlichen Verkehr nicht identisch sein mit den innerstaatlichen Rechtsauffassungen. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus. Es gebietet damit, insbesondere im Rechtshilfeverkehr Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl. BVerfGE 75, 1 <16 f .>; 108, 129 <137>; 113, 154 <162 f.> ), auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Sofern der in gegenseitigem Interesse bestehende zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außen-politische Handlungsfreiheit der Bundesregierung unangetastet bleiben soll, dürfen deutsche Gerichte nur die Verletzung der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung als unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung zugrunde legen. Deshalb lässt sich das Gericht im Hinblick auf die Verhängung und den Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht von der inzwischen in Deutschland gesetzlich ausgeprägten Verfahrenspraxis der regelmäßigen Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe nach fünfzehn Jahren verbüßter Strafe ( § 57a StGB ) leiten. Eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung stellt als solche keine unerträglich harte oder unmenschliche Strafe dar, die einer Auslieferung entgegensteht, wie das Bundesverfassungsgericht für den Fall einer Auslieferung an die Vereinigten Staaten von Amerika bei dort drohender Verurteilung zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe (imprisonment in the state prison for life without the possibility of parole) entschieden hat (vgl. BVerfGE 113, 154 <163 f .> ). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört es zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden ( BVerfGE 45, 187 <229 und Leitsatz 3 Satz 1>; 113, 154 <164> ). Es ist danach mit der Menschenwürde ( Art. 1 Abs. 1 GG ) unvereinbar, wenn ein Verurteilter in der Strafhaft ungeachtet seiner persönlichen Entwicklung jegliche Hoffnung, seine Freiheit wiederzuerlangen, aufgeben muss (vgl. BVerfGE 45, 187 <245> ) . Dies gilt auch im Falle einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe und der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, wenngleich im Einzelfall verfassungsrechtlich unbedenklich lebenslange Freiheitsstrafen tatsächlich auch bis zum Lebensende vollstreckt werden können (vgl. BVerfGE 64, 261 <272> ) . Fallgestaltungen, die es strikt verwehrten, dem innerlich gewandelten, für die Allgemeinheit ungefährlich gewordenen Gefangenen auch nach sehr langer Strafverbüßung, selbst im hohen Lebensalter, die Wiedergewinnung der Freiheit zu gewähren, und ihn damit auch von vornherein zum Versterben in der Haft verurteilten, sind dem Strafvollzug unter der Herrschaft des Grundgesetzes allerdings grundsätzlich fremd (vgl. BVerfGE 64, 261 <272>; 113, 154 <164>; zu den besonderen Umständen der Sicherungsverwahrung und den aus dem hohen Rang des Freiheitsrechts folgenden besonderen Anforderungen an das regelmäßige Überprüfungsverfahren des Fortbestands des Sicherungsinteresses, vgl. BVerfGE 117, 71 <102 f .> ). Für den Strafvollzug im Geltungsbereich des Grundgesetzes genügt zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Institut der Begnadigung allein nicht, um die verfassungsrechtlich unaufgebbare Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit in einer Weise abzusichern, die rechtsstaatlichen Anforderungen entspricht. Vielmehr folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip für die Strafvollstreckung in Deutschland das Erfordernis einer gerichtlich kontrollierbaren und kontrollierten Entlassungspraxis. Die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren sind gesetzlich zu regeln (vgl. BVerfGE 45, 187 <243 ff. und Leitsatz 3 Satz 2> ). Im Auslieferungsverkehr mit dem ersuchenden Staat kommt es demgegenüber nur darauf an, dass in dessen Rechtssystem jedenfalls eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht. Verfahrensrechtliche Einzelheiten, mit denen diese praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit in Deutschland verstärkt und gesichert wird, müssen dafür nicht erfüllt werden. Sie gehören nicht zu den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen Verfassungsordnung (vgl. BVerfGE 113, 154 <165> ) . b) Eine Strafe ist allerdings auch unter Berücksichtigung des im völkerrechtlichen Verkehr grundsätzlich gebotenen Respekts vor einer fremden Rechtsordnung dann grausam und erniedrigend, wenn sie ohne hinreichende praktische Aussicht sei es in einem den Gerichten anvertrauten oder in einem grundsätzlich erfolgversprechenden Gnadenverfahren auf Wiedererlangung der Freiheit regelmäßig bis zum Tod vollstreckt wird. Die aus der Würde des Menschen und dem Rechtsstaatsprinzip folgenden unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze können insofern auch dann verletzt sein, wenn in einer Rechtsordnung nur bei schweren Gebrechen oder bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Häftlings von der weiteren Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe bis zum Tod abgesehen werden kann. Die gilt jedenfalls, wenn auch bei Vorliegen dieser Umstände die Wiedererlangung der Freiheit ungewiss bleibt, weil der Häftling nur auf den Gnadenweg hoffen kann. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den menschenwürdigen Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist die Auslieferung des Beschwerdeführers wegen drohender erschwerter lebenslanger Freiheitsstrafe unzulässig, jedenfalls bei einer Ausgestaltung und Handhabung dieser Strafe, die nach den bisherigen Feststellungen des Oberlandesgerichts möglich ist. Die Auslieferung des Beschwerdeführers würde gegen unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze für die Vollziehung einer lebenslangen Freiheitsstrafe verstoßen. Das Oberlandesgericht hat zu dem Gesichtspunkt der fehlenden Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, dass der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte zumindest die Chance haben müsse, wieder die Freiheit erlangen zu können. Dies sei beim Beschwerdeführer der Fall. Nach Auskunft des Bundesamtes für Justiz vom 30. Juni 2009 habe die Botschaft der Republik Türkei mitgeteilt, dass nach Art. 104 der türkischen Verfassung der Präsident der Republik als Oberhaupt des Staates das Gnadenrecht ausübe und Strafen aus Gründen dauernder Krankheit, Behinderung und altersbedingt mindern oder erlassen könne. Damit habe der Verfolgte grundsätzlich die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug. Dass dies nur unter eingeschränkten Voraussetzungen möglich sei, müsse als der türkischen Rechtsordnung immanent hingenommen werden und führe zu keiner anderen Beurteilung. Diese Ausführungen halten verfassungsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Oberlandesgericht hat zwar mit Blick auf die sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen an den menschenwürdigen Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe geprüft, ob für den Beschwerdeführer eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht. Es hat dies aber zu Unrecht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bejaht. Dies führt zu einem Verfassungsverstoß, auch wenn berücksichtigt wird, dass sowohl die Ermittlung des Sachverhalts als auch Anwendung des einfachen Rechts Aufgaben des zuständigen Fachgerichts sind (vgl. BVerfGE 108, 129 <137>; 113, 154 <166> ) . Soweit das Oberlandesgericht die praktische Möglichkeit auf Wiedererlangung der Freiheit darin sieht, dass nach Art. 104 der türkischen Verfassung der Präsident der Republik als Oberhaupt des Staates das Gnadenrecht ausüben und Strafen aus Gründen dauernder Krankheit, Behinderung und altersbedingt mindern oder erlassen könne, vermag dies keine Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit im Sinne der unabdingbaren Grundsätze der deutschen Verfassungsordnung zu begründen. Die Frage, ob eine solche praktische Chance eröffnet ist, lässt sich nicht schematisch damit beantworten, dass irgendeine Form von Gnadenrecht vorgesehen ist. Vielmehr kommt es in jedem Einzelfall auf eine Gesamtbeurteilung der Ausgestaltung des jeweiligen Strafvollzugs an. Von entscheidender Bedeutung sind mögliche persönlichkeitszerstörende Wirkungen der Strafhaft, denen durch einen menschenwürdigen Strafvollzug begegnet werden muss (vgl. BVerfGE 35, 202 <235 f .>; 36, 174 <188>; 40, 276 <284>; 45, 187 <245> ). Prinzipiell mildert dabei die wenn auch nur unsichere Hoffnung auf eine möglicherweise vorzeitige Entlassung die mit der Strafhaft verbundenen psychischen Belastungen ab (vgl. BVerfGE 113, 154 <167> ) . Vorliegend ist insoweit ausschlaggebend, dass die bisherigen Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht ausschließen, dass der Ausübung des Gnadenrechts nach Art. 104 der türkischen Verfassung in jedem Fall ein unumkehrbarer physischer Verfallsprozess vorauszugehen hat. Diese spezifische Bedingung nimmt einem Verurteilten ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung auf ein späteres selbstbestimmtes Leben in Freiheit (vgl. BVerfGE 45, 187 <245> ) . Das konkret in Rede stehende Gnadenrecht eröffnet damit keine wenigstens vage Aussicht auf ein Leben in Freiheit, die den Vollzug der lebenslangen Strafe nach dem Verständnis der Würde der Person überhaupt erst erträglich macht (dazu BVerfGE 45, 187 <245> ) , mithin den unabdingbaren Grundsätzen der deutschen Verfassungsordnung genügt: Es lässt den Verurteilten günstigstenfalls darauf hoffen, in Freiheit zu sterben. (Hervorhebung durch den Senat) Der Unzulässigkeit der Auslieferung steht nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 6. Juli 2005 ( BVerfGE 113, 154 ), auf den sich das Oberlandesgericht bezieht, die Auslieferung bei drohender lebenslanger Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung für mit dem Grundgesetz vereinbar hielt. Der dort entschiedene Fall lag insoweit anders, als das einschlägige Gnadenrecht keinerlei tatbestandliche Einschränkungen enthielt. Die praktische Chance des Verurteilten, seine Freiheit wiederzuerlangen, war damit anders als in der vorliegenden Konstellation nicht von vornherein in hoffnungsloser Weise versperrt (vgl. BVerfGE 113, 154 <167> ) . Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Entscheidung noch nicht endgültig über die Auslieferung des Verfolgten entschieden. Zu klären sei vielmehr, ob der Verfolgte im Falle der Verhängung der sogenannten erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe eine reelle Chance auf Wiedererlangung der Freiheit habe. Soweit der Senat die praktische Möglichkeit auf Wiedererlangung der Freiheit darin gesehen habe, dass nach Art. 104 der türkischen Verfassung der Präsident der Republik als Oberhaupt des Staates das Gnadenrecht ausüben und Strafen aus Gründen dauernder Krankheit, Behinderung und altersbedingt mindern oder erlassen könne, vermag dies nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keine Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit im Sinne der unabdingbaren Grundsätze der deutschen Verfassungsordnung zu begründen. Die Frage, ob eine solche praktische Chance eröffnet ist, lasse sich nicht schematisch damit beantworten, dass irgendeine Form von Gnadenrecht vorgesehen sei. Vielmehr komme es in jedem Einzelfall auf eine Gesamtbeurteilung der Ausgestaltung des jeweiligen Strafvollzugs an. Von entscheidender Bedeutung seien mögliche persönlichkeitszerstörende Wirkungen der Strafhaft, denen durch einen menschenwürdigen Strafvollzug begegnet werden müsse. Grundsätzlich mildere dabei die wenn auch nur unsichere Hoffnung auf eine möglicherweise vorzeitige Entlassung die mit der Strafhaft verbundenen psychischen Belastungen ab. Vorliegend sei insoweit ausschlaggebend, dass die bisherigen Feststellungen des Senats nicht ausschließen, dass der Ausübung des Gnadenrechts nach Art. 104 der türkischen Verfassung in jedem Fall ein unumkehrbarer physischer Verfallsprozess vorauszugehen habe. Diese spezifische Bedingung nehmt einem Verurteilten ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung auf ein späteres selbstbestimmtes Leben in Freiheit. Das konkret in Rede stehende Gnadenrecht eröffne damit keine wenigstens vage Aussicht auf ein Leben in Freiheit. Es soll daher bei den türkischen Behörden die Vollzugs- und Gnadenpraxis erfragt werden. Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass entgegen der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Januar 2010 eine Begnadigung durch den türkischen Präsidenten nicht lediglich bei schweren Gebrechen oder bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Häftlings vorgesehen ist. Eine Begnadigung kann vielmehr auch aus Altersgründen erfolgen. Die durch das Bundesamt für Justiz an den Senat übersandte Übersetzung des Artikels 104 der türkischen Verfassung lautet wie folgt: Der Präsident der Republik ist das Oberhaupt des Staates. In dieser Eigenschaft vertritt er die Republik Türkei und die Einheit der türkischen Nation; er beaufsichtigt die Anwendung der Verfassung und die ordentliche und harmonische Tätigkeit der Staatsorgane. Seine Aufgaben und Kompetenzen, die er mit diesen Zielen gemäß den in den betreffenden Artikeln der Verfassung bestimmten Bedingungen erfüllt und ausübt, sind folgende: die Minderung oder der Erlass von Strafen bestimmter Personen aus Gründen dauernder Krankheit, der Behinderung und des Alters, Es ist daher seitens der Bundesregierung bei den türkischen Behörden zu folgenden Fragen eine Stellungnahme einzuholen: Fragen zur Vollzugspraxis: Ist der Strafvollzug im Falle der Verhängung einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Staatsschutzdelikten wie vorliegend auf Resozialisierung ausgerichtet oder beschränkt er sich mit Blick auf die verhängte Strafe auf Verwahrung des Gefangenen? Werden Gefangene, gegen die eine erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe wegen Staatsschutzdelikten wie vorliegend verhängt wird, im Strafvollzug psychologisch betreut und auf eine (im Gnadenwege mögliche) Entlassung aus dem Strafvollzug vorbereitet? Dürfen Gefangene, gegen die eine erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe wegen Staatsschutzdelikten wie vorliegend verhängt wird, im Strafvollzug Besuch von Familienmitgliedern oder anderen Personen empfangen? Fragen zur Gnadenpraxis: Erfolgt im Falle der Verhängung einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Staatsschutzdelikten wie vorliegend die Prüfung der Aussetzung bzw. des Erlasses der (Rest-)strafe im Gnadenwege durch den Präsidenten der Republik Türkei nach Maßgabe von Art. 104 der türkischen Verfassung vom Amts wegen oder setzt die Befassung des Präsidenten der Republik Türkei mit der Gnadenfrage einen Antrag des Verurteilten oder anderer Personen bzw. Institutionen (Gnadengesuch) voraus? Wie ist das Gnadenverfahren bei Staatsschutz- und Tötungsdelikten konkret ausgestaltet? Welche Gnadengründe kommen im Falle der Verhängung einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Staatsschutzdelikten wie vorliegend für die Gewährung eines Gnadenerweises im Allgemeinen bzw. maßgeblich in Betracht? Wird im Rahmen der Gnadenpraxis der Art des der Verurteilung zu Grunde liegenden Delikts eine bestimmte Bedeutung beigemessen? Ist die in Artikel 104 der türkischen Verfassung vorgenommene Aufzählung abschließend oder können auch andere besondere Umstände des Einzelfalls Anlass für eine Begnadigung sein? Setzt soweit ein Gnadenerweis im Hinblick auf das Alter des Gefangenen in Betracht käme die Prüfung bzw. Gewährung eines Gnadenerweises eine bestimmte Altersgrenze bzw. Vollzugsdauer voraus? Kennt die Gnadenpraxis im Falle der Verhängung einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Staatsschutzdelikten wie vorliegend eine Mindestverbüßungsdauer und hängt diese von dem Alter des Gefangenen ab? Ist insoweit ein Mindestalter des Verurteilten vorgesehen? Erfolgt ein altersbedingter Gnadenerweis unabhängig von dem Zustand des Verfolgten oder müssen unumkehrbare Verfallsprozesse physischer oder psychischer Art hinzutreten? Mit welcher Maßgabe kann sich die Dauer des Strafvollzugs und die (positive) Führung des Gefangenen im Falle der Verhängung einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Staatsschutzdelikten wie vorliegend auf die Entscheidung über die Gewährung eines Gnadenerweises auswirken? Mit welcher Maßgabe kann sich die Abkehr eines wegen eines Staatsschutzdeliktes verurteilten Gefangenen von seiner/der früheren politischen Anschauung positiv auf die Verbüßungsdauer der verhängten erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe auswirken bzw. ab einer bestimmten Strafverbüßungsdauer zu einer vorzeitigen Freilassung im Gnadenwege führen? Wirkt sich die familiäre Situation (Eheschließung, Vaterschaft, Aufenthalt der Ehefrau und des Kindes im Ausland) eines wegen Staatsschutzdelikten zu einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen bei der Prüfung der Gewährung eines Gnadenerweises positiv aus? Können sich die vorstehend angeführten Umstände (Dauer des Strafvollzugs und (positive) Führung des Gefangenen, Abkehr eines wegen eines Staatsschutzdeliktes verurteilten Gefangenen von seiner/der früheren politischen Anschauung, familiäre Situation (Eheschließung, Vaterschaft, Aufenthalt der Ehefrau und des Kindes im Ausland) in Kumulation besonders positiv im Hinblick auf die Frage der Gewährung eines Gnadenerweises auswirken? Sind in den zurück liegenden Jahren verurteilte Gefangene, deren zur Aburteilung gelangte Straftaten im Zusammenhang mit politischen Aktivitäten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder anderer politischer Organisationen standen und die wegen Staatsschutzdelikten zu einer erschwerten lebenslangen Freiheitsstrafe bzw. Todesstrafe (in Verbindung mit einer späteren Umwandlung) verurteilt worden sind, auf Grund eines Gnadenerweises des Präsidenten der Republik Türkei nach Maßgabe von Art. 104 der türkischen Verfassung vorzeitig aus Strafhaft entlassen worden? Welche Gnadengründe sind für die Gewährung eines Gnadenerweises maßgeblich gewesen? Welches Alter hatten die Gefangenen zum Zeitpunkt der Verurteilung/Inhaftierung und der späteren Entlassung? Muss der Begnadigung aus Krankheitsgründen ein unumkehrbarer physischer Verfallsprozess des Gefangenen vorausgehen? Wie sieht in Krankheitsfällen die Begnadigungspraxis aus? Von Interesse ist auch, ob im Hinblick auf die Bestrebungen der türkischen Regierung, eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts herbeizuführen, auf politischer Ebene in Erwägung gezogen wird, gesetzgeberische Schritte zur Umwandlung oder Verkürzung der verhängten Strafen einzuleiten bzw. ist eine solche gesetzgeberische Initiative bereits auf den Weg gebracht worden? Der Senat geht davon aus, dass die Bundesregierung sich wegen des Gebots der Beschleunigung in Haftsachen umgehend mit den türkischen Behörden in Verbindung setzt und eine Beantwortung der oben aufgeführten Fragen möglichst bis zum 26. April 2010 herbeiführt bzw. bis zu diesem Zeitpunkt mitteilt, wann zeitnah mit einer Beantwortung der Fragen zu rechnen ist. Der Senat nimmt Bezug auf seine Ausführungen in seinem Haftfortdauerbeschluss vom 01. Dezember 2009, der dem Bundesjustizministerium über die Generalstaatsanwaltschaft zugeleitet worden und in dem darauf hingewiesen worden ist, dass das Beschleunigungsgebot in Haftsachen auch die Bundesregierung zu einem Abschluss des Bewilligungsverfahrens innerhalb einer den jeweiligen Umständen des Einzelfalls angemessenen Zeit verpflichtet. |
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