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Rechtsprechung

Aktenzeichen: (3) 6 Ss OWi 984/09 (330) OLG Hamm

Leitsatz: Der Umstand, dass in einem Schriftsatz zunächst Wiedereinsetzung beantragt und begründet wird und im Anschluss daran zum Schluss des Schriftsatzes erst Rechtsbeschwerde eingelegt wird, welche in einem späteren Schriftsatz mit der allgemein erhobenen Sachrüge begründet wird, führt dann nicht dazu, dass keine wirksame Verfahrensrüge wegen Verletzung des § 74 OWiG erhoben wurde, wenn die Begründung der Wiedereinsetzung trotz der entgegenstehenden Schriftsatzgestaltung ausnahmsweise auch als Begründung der Rechtsbeschwerde heranzuziehen ist. Das ist dann der Fall, wenn der Beschwerdeführer bzw. sein Verteidiger die Schriftsatzgestaltung unter offensichtlicher Verkennung der Abgrenzung von Rechtsbeschwerde und Wiedereinsetzung gewählt haben und im Rahmen der Wiedereinsetzungsbegründung ausschließlich Gründe vorgetragen werden, die die Rechtsbeschwerde rechtfertigen könnten.


Senat: 3

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Wiedereinsetzung, Rechtsbeschwerde, Begründung; Verfahrensrüge

Normen: StPO 44, WWiG 73; OWiG 74; OWiG 79; StPO 344

Beschluss:

Bußgeldsache Beschluss
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Minden zurückverwiesen.


Gründe

I.

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Landrates des Kreises N vom 07.01.2009, in dem gegen den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 64 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 481,25 Euro und ein zweimonatiges Fahrverbot verhängt worden war, gem. § 74 OWiG verworfen.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

1.

Auf die Sachrüge hin kann das Rechtsbeschwerdegericht bei einem angefochtenen Urteil nach § 74 OWiG nur eine Überprüfung auf das Vorliegen von Verfahrenshindernissen hin vornehmen. Solche sind hier nicht gegeben.

2.

Die der Sache nach erhobene Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG hat Erfolg.

a) Die für die Rüge eines Verstoßes nach § 74 Abs. 2 OWiG erforderliche Verfahrensrüge wurde noch ausreichend in der nach § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 StPO gebotenen Form erhoben und begründet.

Der Verteidiger des Betroffenen hat nach Zustellung des in Abwesenheit verkündeten Urteils mit Schriftsatz vom 12.08.2009 zunächst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Schriftsatz ist so aufgebaut, dass auf Seite 1 Wiedereinsetzung beantragt wird, sondern werden „Gründe“ ausgeführt. Auf Seite 3 unten heißt es dann: „Neben dem Wiedereinsetzungsgesuch fechte ich das am 29. Juli 2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts Minden mit der Rechtsbeschwerde an.“ Es folgt ein Akteneinsichtsgesuch. Noch innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist hat der Verteidiger dann mit Schriftsatz vom 09.09.2009 beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben. Unter „Gründe“ heißt es dann: „Ich erhebe die Sachbeschwerde“.

Zwar würde, selbst wenn man die Erhebung der Sachrüge in eine Verfahrensrüge umdeutet (entsprechend § 300 StPO ) und den Inhalt des angefochtenen Urteils heranzieht, dies einer Rüge der Verletzung des § 74 OWiG oder einer Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit einer etwaigen Entschuldigung des Betroffenen nicht zum Erfolg verhelfen. Der Inhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. der ärztlichen Bescheinigung vom 28.07.2009 ist nicht mitgeteilt. Deswegen wäre es dem Rechtsbeschwerdegericht nicht möglich, zu überprüfen, ob das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen zu Recht nach § 74 OWiG verworfen hat.

Indes muss man in dem vorliegenden Sonderfall die Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs zur Begründung der Verfahrensrüge mit heranziehen. Dagegen spricht zwar die Gestaltung des Schriftsatzes vom 12.08.2009, worin die Begründung allein unter dem Gliederungspunkt „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ erfolgt ist und erst am Schluss – nach dieser Begründung – Rechtsbeschwerde (ohne nähere Begründung) eingelegt wird. Dagegen spricht auch, dass die Rechtsbeschwerde noch einmal gesondert begründet wurde – eben nur mit der Sachrüge.

Andererseits kann nicht allein die rechtlich unzutreffende Gliederung eines Schriftsatzes dazu führen, dass Rechtsmittelvorbringen zurückgewiesen wird, wenn der Beschwerdeführer bzw. sein Verteidiger offensichtlich die Abgrenzung zwischen Wiedereinsetzung und Rechtsbeschwerde verkennen und im Rahmen der Wiedereinsetzungsbegründung nur Umstände vorgetragen werden, die allein geeignet sein könnten, die Rechtsbeschwerde zu rechtfertigen ( OLG Brandenburg NStZ-RR 1997, 275). So verhält es sich hier. In dem Schriftsatz vom 12.08.2009 wird der Inhalt des ärztlichen Attests vom 28.07.2009, welches ausweislich der Urteilsgründe dem Gericht vor Urteilsfassung vorlag und welches deswegen für ein Wiederseinsetzungsgesuch nicht relevant war (vgl. OLG Brandenburg a.a.O.), wiedergeben und vorgetragen, dass wegen des vor dem Termin eingereichten Attestes der Einspruch nicht hätte verworfen werden dürfen, also dass das Gericht den begriff der genügenden Entschuldigung verkannt hat. Das Attest sei eindeutig und nicht, wie im Urteil ausgeführt wird, „nichtssagend“.

b) Die Rüge ist auch begründet.

Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil es sich mit dem geltend gemachten Entschuldigungsgrund nicht genügend befasst. Dabei kommt es allein darauf an, ob der Betroffene genügende entschuldigt war, nicht, ob er sich genügend entschuldigt hat. Ausweislich des ärztlichen Attestes war der Betroffene aber am Terminstrage „aus gesundheitlichen Gründen“ daran gehindert, einen Gerichtstermin wahrzunehmen. Dieses Attest kann nicht als nichtssagend bewertet werden. Allein der Umstand, dass darin keine Diagnose enthalten ist, reicht dafür nicht aus ( BayObLG NZV 1998, 426). Es handelt sich auch nicht um eine bloße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die für sich genommen eine Verhandlungsunfähigkeit nicht unbedingt belegt. Hatte das Gericht Zweifel an der Richtigkeit des Attestes, hätte es diesen nachgehen müssen, was aber nicht geschehen ist.



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