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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 46/10 OLG Hamm

Leitsatz: Zum Entscheidungsmaßstab bei Beschränkungsanordnungen.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Beschränkungsanordnungen, Entscheidungsmaßstab, neues Recht

Normen: StPO 119 n.F.

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 09.02.2010 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit die akustische Überwachung der Besuche, die Überwachung der Telekommunikation und die Überwachung des Schriftverkehrs angeordnet worden ist.
Der Beschluss wird weiter dahingehend abgeändert, dass die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen mit Ausnahme der Waren aus Anstaltsautomaten der Erlaubnis bedarf, sowie dahingehend, dass die getroffenen Anordnungen im Umfang ihrer Aufrechterhaltung auch für die Vollstreckung anderer freiheitsentziehender Maßnahmen gegen den Angeklagten gelten.
Im übrigen wird die Beschwerde verworfen.
Die Beschwerdegebühr wird um die Hälfte ermäßigt. Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die Hälfte seiner notwendigen Auslagen. Im übrigen werden die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse auferlegt.
G r ü n d e
I.
Der Angeklagte befindet sich dem 02.04.2009 in Untersuchungshaft.
Mit Haftbefehl des Landgerichts Bielefeld vom 14.08.2009 werden dem Angeklagten zu 1) 3 Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und zu 2) 86 Fälle des gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen. Der Angeklagte soll sich seit November 2008 als Mitanführer der Gruppe mit den gesondert Verfolgten D2, Q und E2 zum Zwecke des Handeltreibens mit hochwirkstoffhaltigem Kokain zusammengeschlossen haben. Ihm soll die Organisation der Verkäufe des bei ihm bzw. bei dem Schwiegervater seiner Verlobten D3 gelagerten Kokains an diverse Abnehmer oblegen, und er soll die Veräußerungserlöse entgegengenommen haben, die der die Verkäufe mitabwickelnde E2 erhalten hat.
Im einzelnen wird dem Angeklagten u.a. vorgeworfen, im Anschluss an eine Fahrt des D2 und Q nach S2 am 05.12.2008 das von diesen dort abgeholte Kokain mit einer Menge von mindestens 200 Gramm entgegengenommen, gelagert und später mit E2 und Q gewinnbringend weiterveräußert zu haben. Eine weitere Tat wird dem Angeklagten unter dem 09.02.2008 vorgeworfen. Die Entgegennahme der an diesem Tag von D2 und Q im Einvernehmen aller aus S2 abgeholten 619,91 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 73,3 % scheiterte laut Haftbefehl daran, dass das Betäubungsmittel nach seiner Verbringung in die Bundesrepublik bei einer polizeilichen Kontrolle am gleichen Tag sichergestellt wurde.
Der Haftbefehl ist zum einen auf den Haftgrund der Fluchtgefahr und insoweit u.a. auf die erhebliche Straferwartung nach Maßgabe des § 30a Abs. 1 BtMG mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren, bestehende Kontakte des Angeklagten nach J und dessen dortige aktuelle Investitionen i.H.v. 10.000,- Euro bei Nichtbestehen eines hiesigen Beschäftigungsverhältnisses gestützt.
Desweiteren gründet sich der Haftbefehl auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr. Hierzu führt die Haftentscheidung aus, die Tatbeteiligten seien bei den ihnen vorgeworfenen Taten konspirativ vorgegangen, hätten u.a. mehrere auf andere Personen angemeldete Mobiltelefone sowie zur Verschleierung ihrer Identität Tarnnamen benutzt. Auch habe sich der gesondert verfolgte E2 aus Angst vor den Familien D3 und M zunächst geweigert, Angaben zu machen, da er Repressalien gefürchtet habe. Dies lasse darauf schließen, dass E2 Verdunkelungshandlungen des Angeklagten ausgesetzt gewesen sei und der Angeklagte bei Gelegenheit auch auf weitere Zeugen Druck ausüben könnte.
Am 02.12.2009 wurde der Angeklagte nach Einstellung des Verfahrens im übrigen gem. § 154 Abs. 1 u. 2 StPO vom Landgericht Bielefeld wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 2 Fällen (Taten vom 05.12.2008 und 09.02.2009) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
Zudem wurde Haftfortdauer aus den Gründen ihrer Anordnung sowie des verkündeten Urteils angeordnet.
Mit Beschluss vom 29.12.2009 ordnete der Vorsitzende der 9. großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Wirkung ab dem 01.01.2010 gestützt auf §§ 116 b Abs. 2, 119 Abs. 1, 2 S. 2, Abs. 6 StPO folgende Beschränkungen der Untersuchungshaft an:
" - der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation bedürfen der Erlaubnis,
- Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr sind zu
überwachen,
- die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen mit Ausnahme von Schokolade
aus dem Anstaltsautomaten bedarf der Erlaubnis,
- der Beschuldigte wird von dem früheren Mitangeklagten D2 und dem
anderweitig verfolgten Q getrennt,
Die vorgenannten Anordnungen gelten auch für die Vollstreckung anderer freiheitsentziehender Maßnahmen gegen den Angeschuldigten. ......."
Zur Begründung heißt es unter Bezugnahme auf die vorangegangenen Haftentscheidungen in dem Beschluss u.a.:
" Die Anordnungen sind hiernach zur Abwehr der Flucht- und Verdunkelungsgefahr, die bis zur Rechtskraft der Entscheidung andauert, erforderlich. Insbesondere die hohe Straferwartung, das konspirative Vorgehen bei den Taten durch die Benutzung von Decknamen, der Wechsel von für den Bandenhandel verwendeten "Arbeitshandys" und Telefonnummern sowie der Aufenthalt unter nicht angemeldeten Wohnsitzen, das Nichtvorliegen eines Geständnisses und die bandenmäßige Tatbegehung machen es erforderlich, die angeordneten Beschränkungen zu treffen. Auch unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung und der schutzwürdigen Interessen des Angeklagten sind die angeordneten Beschränkungen zur Sicherung der Haftzwecke erforderlich und zumutbar."
Gegen sämtliche Anordnungen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde und beanstandet die Aufrechterhaltung des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr, da ihm zu keinem Zeitpunkt konkrete auf Verdunkelung gerichtete Handlungen vorgeworfen worden seien. Darüber hinaus rechtfertige die angenommene Fluchtgefahr nicht die erheblichen Eingriffe in seine verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 GG. Es bestünden keinerlei konkrete Anhaltspunkte für angedachte Fluchtpläne oder entsprechende Vorbereitungshandlungen und im übrigen differenzierten die getroffenen Anordnungen nicht zwischen Kontakten zu Familienmitgliedern und sonstigen Personen.
Der Strafkammervorsitzende hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die schriftlichen Urteilsgründe liegen dem Senat bisher nicht vor.
II.
Der Angeklagte dringt mit seiner zulässigen Beschwerde im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang durch. Im übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
1.
Die hier angegriffenen Anordnungen unterfallen sämtlich dem Regelungsbereich des
§ 119 StPO in der ab 01.01.2010 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009.
Gem. § 119 Abs. 1 S. 1, 2 StPO können einem inhaftierten Angeklagten Beschränkungen auferlegt werden, soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a StPO) erforderlich ist.
Anders als bei der früheren Rechtslage nach dem vormals geltenden § 119 Abs. 3 StPO sind danach in der Strafprozessordnung nunmehr die Voraussetzungen für die Anordnung von Beschränkungen aus strafverfahrensrechtlichen und nicht mehr auch aus vollzuglichen Gründen festgelegt. Beschränkungen, die Beschuldigten in der Untersuchungshaft aus vollzuglichen Gründen, also aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt auferlegt werden dürfen, sind nunmehr in den Landesgesetzen zu regeln ( vgl. BT-Drucksache 14/11644, S. 12, 23; OLG Rostock, BeckRS 2010 02618).
In Nordrhein-Westfalen handelt es sich hierbei um das Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Untersuchungshaft und zur Verbesserung der Sicherheit in Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen (GVUVS NRW) vom 29.10.2009 (abgedruckt im Gesetz- und Verordnungsblatt NRW 2009, S. 540; vgl. auch LT-Drucksache 14/8631).
Wenngleich eine inhaltliche Veränderung der möglichen Maßnahmen im Vergleich zur früheren Rechtslage seitens des Bundesgesetzgebers bei Neufassung des § 119 StPO nicht beabsichtigt war (vgl. BT-Drucksache 14/11644, S. 12), sieht § 119 Abs. 1 S. 1 StPO in der Neufassung keine standardmäßige Geltung von Beschränkungen vor sondern legt fest, dass jede Beschränkung ausdrücklich angeordnet werden muss. Durch diese Regelung soll erreicht werden, dass in jedem Einzelfall jede Beschränkung von dem Haftgericht auf ihre konkrete Erforderlichkeit geprüft und begründet wird (§ 34 StPO). Dies trägt der Unschuldsvermutung Rechnung, nach der jeder Untersuchungsgefangene als unschuldig gilt, weshalb jede Beschränkung seiner Freiheit einer besonderen, im Einzelfall begründeten Rechtfertigung bedarf. Die Neuregelung berücksichtigt zudem, dass die in Betracht kommenden Beschränkungen zum Teil mit erheblichen Einschränkungen der Grundrechte des Beschuldigten verbunden sind. Wenn auch - so heißt es in der amtlichen Begründung weiter - für die Anordnung bestimmter Beschränkungen (wie z.B. der Überwachung der Kommunikation) häufiger Anlass bestehen wird als für andere, so sind auch durchaus Fälle denkbar, in denen jedenfalls die Zwecke der Untersuchungshaft diese Beschränkungen nicht rechtfertigen (vgl. BT-Drucksache 16/11644, S. 24).
In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es darüber hinaus weiter:
"Seitens des Bundesministeriums für Justiz waren zunächst entsprechend der Untersuchungshaftvollzugsordnung bestimmte standardmäßig anzuordnende Beschränkungen, mit der Möglichkeit, davon im Einzelfall abzusehen, erwogen worden. Diese sahen beispielsweise für den Regelfall die Überwachung der Kommunikation (Telekommunikation, Schriftwechsel, Besuche) der Gefangenen nach außen vor. In der über die Länder erfolgten Praxisbeteiligung hat sich jedoch herausgestellt, dass häufig ein Bedürfnis für solche Standardanordnungen (oder gar für unmittelbar kraft Gesetzes geltende Beschränkungen) nicht gesehen wird. Der Vorschlag, Telekommunikation und Besuche aufgrund einer Standardanordnung des Hafgerichts regelmäßig überwachen zu lassen, ist zum Teil als "überzogen" bewertet worden. Eine "differenzierte Behandlung der Gefangenen im Bereich der Untersuchungshaft" sei aus grundrechtlichen Erwägungen unabdingbar. Gerade während der Untersuchungshaft sei die Kommunikation mit der Außenwelt "immens wichtig". Die ihnen auferlegten Beschränkungen beinhalteten für viele Gefangene eine "erhebliche psychische Belastung". Die regelhafte Überwachung der Außenkontakte wie auch die weiteren zunächst vorgesehenen Standardbeschränkungen seien "in vielen Fällen" auch praktisch nicht erforderlich. So werde "die Flucht oder die Wiederholung von Straftaten im Strafvollzug tagtäglich erfolgreich vehindert, ohne dass standardmäßig z.B. eine akustische Überwachung der Besuche und der Telefonate der Gefangenen stattfinde"." (BT-Drucksache 16/11644, S. 24, 25).
Vor dem Hintergrund dieser der Neuregelung zugrundeliegenden gesetzgeberischen Intentionen lassen sich die mit der hier angegriffenen Verfügung getroffenen Anordnungen nicht sämtlich aufrechterhalten.
2.
Die getroffenen Anordnungen sind nicht gem. § 119 Abs. 1 S. 1 StPO zur Abwehr einer Verdunkelungsgefahr erforderlich.
Verdunkelungsgefahr i.S. des § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO besteht dann, wenn das Verhalten des Beschuldigten oder einer von ihm vorsätzlich veranlassten anderen Person den dringenden Verdacht begründet, dass durch bestimmte Handlungen auf sachliche oder persönliche Beweismittel eingewirkt und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird, wobei die konkrete Gefahr der Verdunkelung hinzukommen muss (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 112 Rdn. 26, 34, 35).
Wenngleich zur bandenmäßigen Begehungsweise im Drogenmilieu oftmals die Verschleierung der Taten und der aufgebauten Organisation sowohl vor als auch nach der Tatbegehung zählen (Senatsbeschluss v. 19.02.2009 - 3 Ws 48/09; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2003, S. 126), so enthebt diese Feststellung gleichwohl nicht von einer konkreten Prüfung des Einzelfalls (vgl. auch OLG Rostock, BeckRS 2010 02618, wonach allein die Tatsache, dass der Angeklagte in "organisierte Kriminalität" verstrickt ist, keine Verdunkelungsgefahr begründet, solange es nicht zu konkreten Vertuschungshandlungen gekommen ist ).
Nach den dem Senat vorliegenden Aktenauszügen im Sonderheft "Haftanordnungen" sind die Mitglieder der hiesig aktiven Gruppe ermittelt, der Mittäter D2 ist bereits ebenfalls - nicht rechtskräftig - verurteilt worden und auch Q befindet sich in Haft. Allein die Verwendung von Tarnnamen und nicht zuzuordnenden Mobiltelefonen bei konspirativem Vorgehen geht über eine bei bandenmäßiger Tatabwicklung übliche Vorgehensweise nicht hinaus. Die vorliegenden Haftentscheidungen lassen nicht erkennen, welche konkreten auf Veranlassung des Angeklagten zurückzuführenden Verdunkelungshandlungen stattgefunden haben sollen. Die Wiedergabe der Befürchtungen des Mittäters E2 lässt offen, ob und welche Maßnahmen überhaupt im Hinblick auf eine Einwirkung durch den Angeklagten festzustellen sind.
3.
Der Anordnungsgrund der Fluchtgefahr nach Maßgabe des § 119 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO hingegen unterliegt aus den zutreffenden Gründen der Haftentscheidungen keinen Bedenken.
a)
Gem. § 119 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 StPO sind die Anordnungen der Erlaubnis für den Empfang von Besuchen sowie für die Telekommunikation zur Abwehr einer Fluchtgefahr zu Recht erfolgt.
Zweck der Untersuchungshaft ist die Sicherung des Verfahrens, das heißt die Gewährleistung der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens sowie die Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung (BVerfG, NStZ 2004, S. 274; OLG Hamm, Beschl. v. 15.07.2008 -1 Ws 469 u. 472/08). Diesen Zwecken dient sowohl die Besuchskontrolle wie auch die Kontrolle der Telekommunikation (BVerfG, NStZ 2004, S. 274; OLG Rostock, BeckRS 02618; OLG Rostock, Beschl. v. 02.04.2003 - I Ws 118/03; KG Berlin, Beschl. v. 14.06.2007 - 1 AR 778/07 - 4 Ws 76/07).
Nach der gesetzlichen Regelung in § 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 StPO ist zu differenzieren zwischen der Erlaubnisanordnung als solcher und der Überwachung der angeordneten Maßnahmen. Wie alle grundrechtseinschränkenden Bestimmungen haben sich beide Vorschriften an den durch sie eingeschränkten Grundrechten zu messen.
Bereits die seitens des Gesetzgebers getroffene Aufteilung macht allerdings deutlich, dass Unterschiede hinsichtlich der Intensität des Eingriffscharakters bestehen.
Der Senat legt an Beschränkungen auf der Grundlage des § 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO insoweit einen geringeren Maßstab an als in Fällen nach § 119 Abs. 1 S. Nr. 2 StPO.
Um bei eindeutigem Bestehen einer Fluchtgefahr überhaupt eine zur Verfahrenssicherung erforderliche Kontrolle ausüben und prüfen zu können, ob ggfs. weitere Maßnahmen erforderlich sind, muss sich das Haftgericht - das mit dem haftbegründenden Sachverhalt vertraut ist - eine Mindestkenntnis vom generellen Stattfinden der Kontakte des Gefangenen nach außen verschaffen können.
Die Erlaubnisanordnung nach § 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO stellt danach den seiner Art nach niederschwelligsten aber zugleich gebotenen Eingriff dar, der den Untersuchungsgefangenen nur in einem geringfügigen und hinnehmbaren Umfang belastet, zumal die Erlaubnis in der Regel erteilt werden dürfte, sofern keine verfahrenssichernden Zwecke entgegenstehen. Auf weniger einschneidende und gleich geeignete Weise lässt sich der zu sichernden Abwehr einer Fluchtgefahr unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten nicht Rechnung tragen.
b)
Soweit mit der angegriffenen Verfügung gem. § 119 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 StPO die uneingeschränkte Überwachung der Besuche, der Telekommunikation und des Schriftverkehrs angeordnet worden ist, ist die Beschwerde begründet.
Einer Überprüfung stand hält lediglich die Anordnung einer optischen Überwachung der Besuche sowie des Paketverkehrs.
aa)
Die Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung stellt einen ganz erheblichen Eingriff in den persönlichen, durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich sowohl des Gefangenen als auch des Besuchers dar (Senatsbeschluss v. 22.01.2008 - 3 Ws 23/08; OLG Hamm, Beschl. v. 31.10.2006 - 1 Ws 734/06). Aus diesem Grunde hat der für die Haftentscheidung zuständige Richter stets zu prüfen, ob im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein nicht akustisch überwachter Besuch eine Gefährdung des Haftzwecks mit sich brächte (Senatsbeschluss vom 29.12.2009 - 3 Ws 506/09; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2003, S. 126). In Fällen des Haftgrundes der Fluchtgefahr müssen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass nicht akustisch überwachte Besuche der Vorbereitung oder Förderung von Fluchtplänen dienen könnten (OLG Hamm, Beschl. v. 15.07.2008 - 1 Ws 469 u. 472/08). Dabei hat sich die Überprüfung der
Notwendigkeit einer Gesprächsüberwachung auf alle Umstände des Einzelfalles zu erstrecken und neben der Person des Verhafteten, seinem sozialen Umfeld, der Art der ihm vorgeworfenen Straftaten, dem jeweiligen Verfahrensstand und dem Ausmaß der Fluchtgefahr auch die Person des Besuchers in Betracht zu ziehen. Bei Gesprächen mit Familienangehörigen bedarf es, um der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen wertentscheidenden Norm Rechnung zu tragen, einer besonders ernstlichen und eingehenden, auch die Dauer der erlittenen Untersuchungshaft einbeziehenden und am Kriterium der Zumutbarkeit orientierten Prüfung, ob eine solche Beschränkung unverzichtbar vom Zweck der Untersuchungshaft gefordert wird (BVerfG, NStZ 1994, S. 52). An diesen bereits für die frühere Rechtslage geltenden Entscheidungsmaßstäben wird auch bei der künftigen Überprüfung getroffener Anordnungen festzuhalten sein, umso mehr, als ausweislich der Begründung des Entwurfs eine im Vergleich zur früher geltenden Rechtslage restriktivere Handhabung nahegelegt ist.
Eine nach diesen Grundsätzen gebotene Einzelfallprüfung und Auseinandersetzung mit den hiernach zu beachtenden Voraussetzungen für die Anordnung einer akustischen Besuchsüberwachung - und insbesondere der nach der Person des Besuchers vorzunehmenden Differenzierung - läßt die angefochtene Verfügung vermissen. Zwar kommt dem Kammervorsitzenden in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium wie hier aufgrund der Tatsache, dass ihm die relevanten Tatsachen aus eigener Anschauung bekannt sind, bei der Bestimmung besuchsüberwachender Maßnahmen ein Beurteilungsspielraum zu mit der Folge, dass sich die Überprüfung dann darauf beschränkt, ob der Kammervorsitzende bei seiner Entscheidung von falschen Tatsachen ausgegangen ist oder ihr sachfremde Erwägungen zugrundeliegen (Senatsbeschluss v. 29.12.2009 - 3 Ws 506/09; OLG Hamm, NStZ-RR 2004, S. 154). Erforderlich ist hierfür aber jedenfalls, dass konkrete Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr nachvollziehbar dargelegt werden.
Dies ist hier indes nicht erfolgt.
In Fällen, in denen - wie hier - auch das schriftliche Urteil als mögliche Erkenntnisgrundlage für derartige Anhaltspunkte nicht herangezogen werden kann, fehlt es demnach an einer Entscheidungsgrundlage für eine Anordnung nach § 119 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 StPO.
bb)
Aus den gleichen Gründen konnten hier die Anordnungen der Überwachung der Telekommunikation sowie des Schriftverkehrs keinen Bestand haben.
Auch Eingriffe in die gesicherten Rechte des Untersuchungsgefangenen auf (fern-) mündliche und schriftliche Kontakthaltung zur Außenwelt (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 02.04.2003 -I Ws 118/03; KG Berlin, Beschl. 14.06.2007 - 1 AR 778/07 - 4 Ws 76/07) erfordern tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte Telefonate oder den Briefverkehr dazu missbrauchen könnte, seine Flucht aus der Haft zu planen und/oder vorzubereiten (OLG Rostock, BeckRS 2010 02618; siehe auch LG München I, Beschl. v. 01.03.2005 - 2 Qs 20/05).
Hierzu lässt die angefochtene Verfügung keine Ausführungen erkennen.
Der Senat verkennt nicht, dass insbesondere die Überwachung des Schriftverkehrs in den verschiedenen Verfahrensstadien, vor allem im Stadium vor Urteilsfällung, in besonderem Maße geeignet ist, Aufschluss über verfahrensbedeutsame Umstände zu geben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war allerdings gleichwohl bei der Abwägung zwischen dem Recht auf Briefwechsel und dem Sichern des Zwecks der Untersuchungshaft stets eine Einzelfallprüfung erforderlich (siehe auch OLG Celle, BeckRS 2009 28165). Vor dem Hintergrund der in § 119 Abs. 1 S. 1 StPO geregelten Anordnungszwecke und der in der Begründung zum Entwurf der Neuregelung mitgeteilten gesetzgeberischen Intention hat sich die hier in Rede stehende Anordnung nunmehr künftig allein und ausschließlich an den gesetzlich vorgegebenen Haftgründen und dem Vorhandensein konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte zu orientieren, die Maßnahmen zur Abwehr der hiervon erfaßten Gefahren erfordern.
Da die Verfügung zu derartigen Anhaltspunkten weder hinsichtlich des Telekommunikations- noch des Briefverkehrs Aussagen trifft, blieb vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage nur die insoweitige Aufhebung der Anordnungen.
cc)
Die Anordnung der optischen Besuchsüberwachung sowie des Paketverkehrs halten auf der Grundlage des § 119 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 StPO einer Überprüfung stand.
Der Senat versteht sowohl die optische Besuchsüberwachung wie auch die Überwachung des Paketverkehrs im Zusammenhang mit den nach Maßgabe des § 119 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 StPO zulässigen Anordnungen. Die rein optische Besuchsüberwachung, die die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes nicht berührt, greift in das dem Gefangenen zustehende und strafverfahrensrechtlich nach Maßgabe der vorgenannten Vorschrift zu beschränkende Recht, Besuche zu empfangen, nicht in mit der akustischen Überwachung vergleichbaren Weise ein.
Die optische Überwachung stellt vielmehr flankierend sicher, dass ein bei bestehender Fluchtgefahr erlaubter Besuch stattfindet, ohne dass dieser sichtbar als Gelegenheit zum Ergreifen verfahrensgefährdender Maßnahmen genutzt wird.
Diese Auffassung steht auch nicht im Widerspruch zu der ausweislich des Entwurfs zur Neuregelung beabsichtigten restriktiveren Handhabung der Beschränkungsanordnungen. Die optische Besuchsüberwachung ist im Falle einer korrespondierend vorhandenen Anordnung der Erlaubnispflicht der Besuche das mildeste Mittel zur angemessenen Sicherung des Untersuchungshaftzwecks.
Andererseits besteht bei dem Angeklagten angesichts der Höhe der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe und seiner Eingliederung in bandenmäßige Verbrechensstrukturen eine deutlich gesteigerte Fluchtgefahr.
Aus diesem Grunde ist hier auch die Überwachung des Paketverkehrs geboten.
Anders als bei der Überwachung des Briefverkehrs steht bei dem dem Gefangenen grundsätzlich zuzubilligenden Recht auf Paketverkehr nicht das Recht auf Wahrung der Vertraulichkeit des schriftlich fixierten Wortes, sondern die allgemeine Versorgung mit Gütern im Vordergrund. Diese stellt, ebenso wie das Stattfinden eines Besuchs, ein mögliches Forum für die Vornahme haftzweckgefährdender Handlungen dar. Ohne die Überwachung des Paketverkehrs bestünde bei bestehender Fluchtgefahr jederzeit die Gelegenheit zur Übermittlung von Gegenständen, die zur Gefährdung des Haftzwecks geeignet wären. Inwiefern eingehende Paketsendungen ohnehin der sich aus landesrechtlicher Regelung ergebenden Kontrolle der Haftanstalt unter vollzuglichen Gesichtspunkten unterliegen, ist für die Anordnung unter verfahrenssichernden Gesichtspunkten zunächst unbeachtlich. Solange angesichts der – wie hier – deutlich gesteigerten Fluchtgefahr nahe liegt, dass das Hineingelangen von Paketen und deren Inhalten den Haftzweck gefährdet, ist die Überwachung erforderlich.
c)
Die auf § 119 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 3 StPO gestützte Anordnung hinsichtlich der Erlaubnispflichtigkeit der Übergabe von Gegenständen aus anstaltseigenen Automaten war mit der Einschränkung, dass sich die Erlaubnisfreiheit auf sämtliche Waren aus den Anstaltsautomaten erstreckt, aufrechtzuerhalten.
Die Überprüfung dieser Anordnung erfolgt nach den gleichen Kriterien wie die der optischen Besuchs- und der Paketüberwachung. Auch insoweit gilt es, auf vergleichsweise wenig einschneidendem Eingriffswege vor dem Hintergrund bestehender Fluchtgefahr mögliche u.U. naheliegende Gefahrenquellen zu erfassen.
Waren aus anstaltseigenen Automaten bergen aufgrund ihrer vorherigen Überprüfung dieses Gefährdungspotential nicht.
Da sich in der hier betroffenen Justizvollzugsanstalt nach den dem Senat vorliegenden Informationen neben dem Süßwarenautomat auch noch ein Tabak- sowie ein Kaltgetränkeautomat befinden, und diese ausweislich der Mitteilung der Justizvollzugsanstalt sämtlich unter Aufsicht von festen Lieferanten befüllt werden, war die Erlaubnisfreiheit auf sämtliche Waren aus Anstaltsautomaten zu erstrecken.
d)
Die auf § 119 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 4 StPO gestützte Trennungsanordnung im Hinblick auf den Mitangeklagten D2 sowie den gesondert verfolgten Q hält, wenn auch mit gewissen Bedenken, einer Überprüfung im Ergebnis ebenfalls noch Stand.
Aus der Begründung des Entwurfs zur Neuregelung in Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 4 StPO geht hervor, dass die hiernach zu treffenden Anordnungen in erster Linie in Betracht kommen sollen, wenn Verdunkelungsgefahr besteht (vgl. BT-Drucksache 16/11644, S. 25). Zur Abwehr von Fluchtgefahr sollen diese erfolgen können, wenn die Gefahr besteht, dass ein Beschuldigter versuchen könnte, mit anderen Gefangenen zusammen ein Entweichen aus dem Vollzug vorzubereiten, wobei eine Trennungsanordnung in Fällen der Zugehörigkeit der Beteiligten zu einer organisierten Gruppe für naheliegend gehalten wird (vgl. BT-Drucksache 16/11644, S. 25, 26). Der mitangeklagte zwischenzeitlich ebenfalls nicht rechtskräftig verurteilte J Staatsangehörige D2 ist ebenfalls gestützt u.a. auf den Haftgrund der Fluchtgefahr in der JVA C2 inhaftiert. Auch Q befindet sich dort, wobei aus dem dem Senat vorliegenden Sonderheft "Haftanordnungen" bezüglich seiner Person kein Haftgrund hervorgeht. Angesichts der geringen Eingriffsintensität, die mit der Trennungsanordnung verbunden ist und der bei dem Angeklagten deutlich gesteigerten Fluchtgefahr, stellt diese Beschränkung in Vergegenwärtigung des Umstandes, dass auf Fluchtbestrebungen gerichtete Gesprächsinhalte bei Kontakten der Beteiligten der Tätergruppe nicht unwahrscheinlich sind, eine zur Abwehr einer Fluchtgefahr erforderliche Maßnahme dar. Konkreterer Anhaltspunkte bedarf es hier nicht, da aufgrund der vorgeworfenen gemeinsamen Beteiligung an Straftaten mit erheblichen Mindeststrafandrohungen das Vorhandensein und Artikulieren von Fluchtgedanken naheliegt.
e)
Die zutreffend nach § 119 Abs. 6 StPO bestimmte Erstreckung der Anordnungen auch für die Vollstreckung anderer freiheitsentziehender Maßnahmen gegen den Angeklagten war im Umgang der Aufhebung der angegriffenen Verfügung einzuschränken.
Der Senat weist abschließend darauf hin, dass es sich in Fällen, in denen dem Beschwerdegericht weder die schriftlichen Urteilsgründe noch die Verfahrensakten vorliegen, empfehlen dürfte, in den Beschränkungsanordnungen die konkreten Umstände des Einzelfalls zumindest in Ansätzen wiederzugeben, damit jedenfalls im Kern der umfassende Erkenntnisstand des Haftgerichts bei einer Überprüfung nutzbar gemacht werden kann.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, 4 StPO.




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