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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 39/10 OLG Hamm

Leitsatz: Zur erforderlichen Anhörung des Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren, wenn dieser sich im Ausland aufhält.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: bedingte Entlassung, Anhörung, Ausnahme, Auslandsaufenthalt

Normen: StPO 454

Beschluss:

Strafsache
gegen pp.
wegen Totschlags
(hier: sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung).

Auf die sofortige Beschwerde der Verurteilten vom 17. Dezember 2009 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer 24a des Landgerichts Bielefeld vom 14. Dezember 2009 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23.02.2010 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Landgericht Dortmund verhängte am 28.08.2000 wegen Totschlags eine Freiheitsstrafe von 7 Jahren gegen die bis dahin unbestrafte Verurteilte. Diese hatte nach den zugrundeliegenden Urteilsfeststellungen im Verlaufe einer nachbarschaftlichen Auseinandersetzung das männliche Tatopfer mit einem einzigen mit Eventualvorsatz geführten und in die rechte Herzkammer eingedrungenen Messerstich getötet.

Im Zuge der Überprüfung einer bedingten Entlassung der Verurteilten zum Zwei- Drittel-Termin am 31.12.2004 verfasste der Leiter der Justizvollzugsanstalt Bielefeld- Brackwede 1 unter dem 23.08.2004 eine ausführliche Stellungnahme. Unter Hinweis auf eine während der Strafhaft diagnostizierte schizophrene Psychose wurde eine wechselhafte psychische Verfassung der Verurteilten beschrieben, die zu einer längeren stationären Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung geführt habe. Nachdem Vollzugslockerungen ab 2003 beanstandungsfrei abgewickelt worden seien, habe sich das Zustandsbild der Verurteilten nach einer Auseinandersetzung mit dem Ehemann und einem von ihm unternommenen Suizidversuch erneut verschlechtert. Die Verurteilte habe die regelmäßige Medikamenteneinnahme verweigert, was im Juli 2004 zur Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug geführt habe. Aufgrund der ungeklärten Entlassungssituation in familiärer und gesundheitlicher Hinsicht werde die vorzeitige Entlassung vollzuglicherseits nicht für befürwortbar gehalten.

Mit Beschluss vom 11.11.2004 lehnte die Strafvollstreckungskammer die bedingte Entlassung ab.

Am 01.08.2006 wurde die Verurteilte auf der Grundlage einer bestandskräftigen Ausweisungsverfügung nach Serbien/Montenegro abgeschoben. Am 03.08.2006 erließ die Staatsanwaltschaft Dortmund Haftbefehl gem. § 456 a StPO wegen der noch zu verbüßenden 275 Tage Restfreiheitsstrafe.

Im September 2009 beantragte die Verurteilte über ihren Verteidiger die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede 1 wies in seiner Stellungnahme vorn 16.10.2009 auf einen erneuten stationären Aufenthalt der Verurteilten in einer psychiatrischen Klinik im Dezember 2005, wechselhaftes vollzugliches Verhalten, aber auch auf mangelnde weitere Erkenntnisse seitens der Vollzugsanstalt hinsichtlich der Entwicklung der Verurteilten nach ihrer Abschiebung hin. Die Verurteilte hat demgegenüber über ihren Verteidiger vorgetragen, seit drei Jahren straffrei in geordneten Verhältnissen im Haushalt ihrer Mutter in Serbien zu leben und dort auf eine abgeschlossene ärztliche Behandlung zurückblicken zu können.

Nach Eingang einer ablehnenden Stellungnahme der Staatsanwaltschaft hielt die Strafvollstreckungskammer mit Verfügung vom 03.12.2009 fest, dass wegen des Aufenthalts der ausgewiesenen Verurteilten in Serbien und des für den Fall der Wiedereinreise erlassenen Haftbefehls nach § 456 a StPO von einer mündlichen Anhörung der Verurteilten abgesehen werden soll. Der Verteidiger wurde hierüber mit Verfügung vom selben Tag in Kenntnis gesetzt und erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von 2 Wochen. Am 08.12.2009 verwies der Verteidiger auf den gestellten Aussetzungsantrag samt Begründung.

Mit Beschluss vom 14.12.2009 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Verurteilten vom 17.12.2009, mit der sie die unterbliebene mündliche Anhörung sowie die auf veralteten
Erkenntnissen beruhende Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt beanstandet.

II.
Die nach §§ 454 Abs. 1, 3 StPO, 57 StGB statthafte und zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer kann keinen Bestand haben, weil er wegen der unterbliebenen mündlichen Anhörung der Verurteilten an einem wesentlichen Verfahrensfehler leidet.

Gem. § 454 Abs. 1 S. 2 StPO sind vor einer Aussetzungsentscheidung die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte und die Vollzugsanstalt zu hören, wobei der Verurteilte nach § 454 Abs. 1 S. 3 StPO mündlich zu hören ist, es sei denn, hiervon kann aus den in § 454 Abs. 1 S. 4 gesetzlich geregelten Fällen abgesehen werden. Ein derartiger gesetzlicher Grund liegt hier nicht vor.

Anerkannt in höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung ist, dass es in entsprechender Anwendung von § 454 Abs. 1 S. 4 StPO dem Sinn dieser Ausnahmevorschrift gemäß zulässig sein kann, auch in anderen als den im Gesetz genannten Fällen von einer mündlichen Anhörung des Verurteilten abzusehen.

Um einer Aushöhlung der Regelung über die mündliche Anhörung des Verurteilten vorzubeugen, ist jedoch Zurückhaltung geboten bei der Zulassung weiterer Ausnahmen außerhalb der gesetzlichen Fälle. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der die mündliche Anhörung vorschreibenden Vorschrift des § 454 Abs. 1 S. 3 StPO nicht nur um eine Verfahrensvorschrift handelt, die ausschließlich zugunsten des Verurteilten erlassen ist. Vielmehr soll durch die Regelung mit der Vermittlung eines aktuellen persönlichen Eindrucks vom Verurteilten zugleich eine zuverlässigere Entscheidungsgrundlage für das Gericht gewährleistet werden. Die Regelung dient dementsprechend der Sachaufklärung und damit dem Allgemeininteresse (vgl. BGH, NJW 2000, S. 1663; NStZ 1995, S. 610; Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 04.05.2009 - 2 Ws 80/09; OLG Köln, Beseh'. v. 09.01.2009 - 2 Ws 644-645/08; OLG Schleswig, SchlHA 2004, S. 243; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 454 Rdn. 30 ff. m.w.N.).

Von einer mündlichen Anhörung kann danach über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus unzweifelhaft dann abgesehen werden, wenn eine Beeinflussung der Entscheidung durch sie von vornherein ausgeschlossen erscheint und ihre Durchführung daher zur inhaltslosen Förmelei würde (BGH, NJW 2000, S. 1663; NStZ 1995, S. 610), oder wenn der Verurteilte ausdrücklich auf seine mündliche Anhörung verzichtet (BGH, NJW 2000, S. 1663; Meyer-Goßner, a.a.O., § 454 Rdn. 30).

Derartige Umstände sind hier nicht gegeben.

Der Sachaufklärungsbedarf ergibt sich allein aus der mehrjährigen Abwesenheit der Verurteilten im Ausland, infolge derer keine gesicherten Erkenntnisse über die aktuelle Entwicklung der Verurteilten vorliegen.

Eine ausdrückliche Verzichtserklärung liegt ebenfalls nicht vor.

Zum Teil wird - in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer - vom Erfordernis der mündlichen Anhörung darüber hinaus in Fällen abgesehen, in denen die Anhörung unmöglich oder dem Verurteilten unzumutbar ist, weil er infolge seiner Ausweisung nicht zu einer Anhörung in die Bundesrepublik Deutschland einreisen kann, ohne die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe gern. § 456 a Abs. 2 S. 1 StPO und eine Strafverfolgung wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz befürchten zu müssen (OLG Köln, Beschl. v. 09.01.2009 - 2 Ws 644 - 645; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, S. 223; OLG Düsseldorf, BeckRS 2000 30093436).

Diese Auffassung teilt der Senat in uneingeschränkter Form nicht.

Wie bereits ansatzweise mit Senatsbeschluss vom 12.02.2008 (3 Ws 61108) ausgeführt, ist angesichts des Umstands, dass die Anhörung nach der zugrundeliegenden gesetzgeberischen Konzeption in erster Linie dem Interesse des Verurteilten dient, seitens der Strafvollstreckungskammer eine Klärung darüber herbeizuführen, ob ein Verurteilter bereit ist, sich einer mündlichen Anhörung zu stellen und ggfs. das Risiko einer Verhaftung zu tragen.

In eine solche Prüfung ist die Strafvollstreckungskammer hier zwar eingetreten, hat sie jedoch nicht zu Ende geführt

Zum Zeitpunkt der Abfassung der angefochtenen Entscheidung lag keine Erklärung der Verurteilten vor. Da das Absehen von der mündlichen Anhörung in der hier in Rede stehenden Ausnahmekonstellation an das Kriterium der Zumutbarkeit anknüpft, bei der Frage der Zumutbarkeit allerdings das Dispositionsrecht eines Verurteilten hinsichtlich der Wahrnehmung seiner Rechte und Interessen nicht unberücksichtigt bleiben darf, hätte die Entscheidung notfalls bis zum Eingang einer Erklärung zurückgestellt werden müssen.

Eine derartige Mitwirkung an dem Prozess der Verfahrensbetreibung kann von einem Verurteilten grundsätzlich auch verlangt werden.

Inwieweit dabei zugleich Fragen einer Aussetzung des Vollstreckungshaftbefehls bzw. des freien Geleits und einer möglichen hierauf gerichteten Antragstellung berührt werden, obliegt grundsätzlich zunächst der Prüfung der Strafvollstreckungskammer. Ob es dabei Sache der Verurteilten ist, bei der Vollstreckungsbehörde die Aussetzung des Vollstreckungshaftbefehls für die Dauer der Durchführung des Verfahrens nach §§ 454 Abs. 1, 2 StPO, 57 Abs. 1, 2 StGB zu erwirken, sofern sie das Risiko ihrer Verhaftung bei der Einreise und die Aufnahme in den Strafvollzug nicht in Kauf nehmen will ( vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, S. 223), und inwieweit und nach welcher Maßgabe Fragen des freien Geleits zu prüfen und zu entscheiden sind (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2007, S. 243), wäre gleichsam im Einzelfall durch die Strafvollstreckungskammer zu klären.

Da der Verfahrensmangel der unterbliebenen Anhörung hier eine Entscheidung des Senats nicht zulässt, bedurfte es der Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld, die auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.



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