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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-2 Ws 323/09 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Auch eine plakative und heftige Beleidigung von Teilen der Bevölkerung erfüllt nicht ohne weiteres die Voraussetzungen eines besonders qualifizierten, die Menschenwürde verletzenden Angriffs auf die Persönlichkeit.
2. Ein Angriff gegen die Menschenwürde setzt voraus, dass die feindselige Haltung den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, dass das „Menschtum” des Angegriffenen bestritten, in Frage gestellt oder relativiert wird, dass das Recht des Angegriffenen bestritten wird, als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft zu leben.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Volksverhetzug, Menschenwürde

Normen: StGB 130

Beschluss:

Strafsache
gegen ...,
wegen Volksverhetzung,
(hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens).
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom 13. Oktober 2009 gegen den Beschluss der 6. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 7. Oktober 2009 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11.02.2010 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeschuldigten bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 26. März 2009 33 Js 271/08 - wird mit der Maßgabe zur Hauptverhandlung zugelassen, dass der Angeschuldigte hinreichend verdächtig ist am 25. Oktober 2008 in Bochum in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufgestachelt zu haben (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative StGB).
Das Hauptverfahren wird vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Bochum eröffnet.
Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft Bochum wirft dem Angeschuldigten mit Anklageschrift vom 26. März 2009 vor, am 25. Oktober 2008 in B. in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufgestachelt und die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen zu haben, dass er Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht und verleumdet hat (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 StGB). Der Anklagesatz enthält u. a. folgende Ausführungen:
„Dem Angeschuldigten wird folgendes zur Last gelegt:
Am Tattag fand in B. in der Zeit zwischen 13.00 und 17.00 Uhr ein vom Landesverband NRW der NPD angemeldeter Aufzug statt, an dem etwa 250 Personen teilnahmen. Das Motto dieses Aufzugs war: „Deutsche wehrt Euch - Gegen Befremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität!“ ...... Am Rande des Aufzugs ..... kandierten Gegendemonstranten .....: „Nazis raus!“.
Der Angeschuldigte kandierte während des Aufzugs über die Lautsprecheranlage des Lkw’s wiederholt: „Hoch die nationale Solidarität!“ Weiterhin äußerte er: „Ist der Ali kriminell, in die Heimat, aber schnell!“ und außerdem: „Denn Multikulti ist kein Himmelsgesetz. Multikulti und Masseneinwanderung sind nicht vom deutschen Volk gewollt, sondern von einer kleinen politischen Minderheit gegen die Interessen. .....“. Weiterhin führte er aus, in Deutschland werde eine Politik gegen die deutsche Bevölkerung betrieben, die „noch“ in der Mehrheit sei. „Parallelgesellschaften“ machten sich „breit“ und drängten die „deutsche Bevölkerung“ zurück. Schließlich skandierte er auch (mehrfach): „Wir kämpfen frei, sozial und national!“.
Die Videoaufzeichnung des Aufzugs ergibt, dass der Angeschuldigte während des Aufzugs zudem äußerte:“Wir lassen es nicht zu, dass z. B. Ausländer hier sich uns in Weg stellen (Anmerkung Senat: gemeint dem Aufzug) und so tun, als wäre dies ihre Stadt. Wir haben als Deutsche das Recht, und darin haben sich auch die Fremden aus ihren Herrenländer zu gewöhnen, dass wir als Deutsche hier auf die Straße gehen können, um zu demonstrieren, dass Deutschland auch weiterhin das Land der Deutschen bleiben muss.“
In der Konkretisierung der Anklageschrift heißt es weiter:
„Auf der K-Allee hielt der Angeschuldigte gegen 15.00 Uhr eine Rede, wobei er auf der Ladefläche des mitgeführten LKWs stand und sich der Lautsprecheranlage bediente. Am Rednerpult war ein Plakat angebracht. In der Mitte des Plakats war ein Foto, dass 3 männliche Personen im Nachtlicht zeigt, die Kapuzen über den Kopf gezogen haben und Sonnenbrillen tragen, zu sehen. Eine der abgebildeten Personen hielt einen Schlagstock in seiner Hand. Das Bild war überschrieben mit „Deutsche wehrt Euch!“ und unter dem Bild stand: „Gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität!“ Unter dem Plakat stand: www.A.xxxxde.
Die Zeugen S. und Herr Y. traten während der Rede des Angeschuldigten - wie mit ihm vereinbart - vor die Rednerbühne und entfalteten ein Transparent mit der Aufschrift „Multikulti ist Völkermord“.
Der Angeschuldigte äußerte im Zuge seiner Rede insbesondere Folgendes:
„Kameraden, deutsche Männer und Frauen! Wir haben die Medien dazu gezwungen, darüber zu berichten, dass es auch etwas anderes als den Multikulti-Wahnsinn der etablierten Einheitsparteien gibt. Wir haben sie gezwungen, sich eindeutig klar hinzustellen, ob sie auf der Seite des Volkes stehen oder auf der Seite der Multikulturellen, Multikriminellen Massenpsychose, der sie unser Volk aussetzen. Wie weit das geht, dass der Multikulti-Wahnsinn gegen die Deutschen schlägt, haben wir heute am eigenen Leib spüren müssen …. Wir haben als Deutsche das Recht, in die Öffentlichkeit zu gehen, Öffentlichkeit herzustellen, um damit zu dokumentieren, dass wir als Deutsche nicht bereit sind, widerspruchslos zur Minderheit im eigenen Land zu werden. …. Sie stehen dort, sie nicken uns zu …. Manchmal auch ein Klatschen will uns hier eines ganz deutlich zeigen: Wir hier unten sind das Volk, wir sind die, die das wagen, was die schweigende Mehrheit der Deutschen inzwischen denkt:“Multikulti“ ist gescheitert. „Multikulti“ zerstört die gewachsenen Strukturen unseres Volkes. …. Wir sind Deutsche und wir haben es nicht vergessen und wir werden es nicht vergessen, was das ewige Recht unseres Volkes ist, das Recht sein Überleben zu sichern, sowie es das Recht eines jeden anderen Volkes auf dieser Welt ist (nicht in der Anklageschrift aufgeführt, aber in der Originalrede enthalten (vgl. Bl. 19 d. A.): und so sehen wir uns eins mit den nationalistischen Befreiungsbewegungen … überall in der Welt. ….
Wir stehen jetzt gerade in stürmischen Zeiten und während wir hier heute demonstrieren, geht das liberal-kapitalistische „Anti-Menschtum“ einem großen Exodus entgegen. Sie zerbrechen gerade ihre aufgepumpte, falsche Welt. Geprägt von den niedersten Instinkten der Menschen, von Habgier, Neid, Egoismus, sie zerbricht wie eine große Seifenblase. … Eine falsche Welt mit falschen Werten. Multikulti ist nur die andere Seite des Globalismus. Und jetzt gerade erleben wir wie in Deutschland die „Links Partei“ versucht mit sozialen Themen als Bauernfänger die Menschen wieder einmal für „dumm“ zu verkaufen. Die Links Partei, die heute hier gemeinsam für Multikulti, für Masseneinwanderung und somit auch für die Zerstörung des Sozialsystems unseres Volkes steht. … Wir wissen als nationale Kämpfer: sozial geht nur national. …
Soziale Gerechtigkeit werden die in Amerika sich niemals erkämpfen können. Amerika wird immer in der Hand internationalistischer Großmächte stehen, weil es dort kein gewachsenes Volk mehr gibt, welches geschlossen soziale Errungenschaften erkämpfen könnte. Hier in Deutschland haben wir in der Zukunft mit massiven Einbrüchen unseres Sozialsystems zu kämpfen. Wir werden es mit einer massiven Verelendung in Teilen unseres Volkes zu tun bekommen. Alles das, was jetzt noch hier in Flitter und Glanz und Schein zu funktionieren scheint, wird langsam aber sicher zusammenbrechen. Parallelgesellschaften werden dazu übergehen, sich ihr Recht zu nehmen, wenn sie es denn nicht mehr bekommen. Auswüchse wie in Frankreich, in den Vororten von Paris oder in den Vororten von London und ganzen Städten in England, werden auch Deutschland erreichen. Ganze Stadtteile sind inzwischen von der Polizei in Berlin für nicht mehr handhabbar erklärt worden. Dort hat die Polizei offen erklärt, dass man den Banden dem multikulturellen Abgrund dort nicht mehr Herr werden kann. Mafiastrukturen aus dem Ausland haben sich in unserer Gesellschaft hineingefressen, es fängt ganz klein an in den Ortsämtern, bei den Sozialämtern, wo die Leute unter Druck gesetzt werden, wenn sie vielleicht einer Großfamilie nicht mehr das Geld zugestehen, welches diese Großfamilie beansprucht. Ganz klein fangen die Mafiastrukturen an, aber sie fressen sich seit Jahrzehnten in die Gesellschaft hinein, bis hoch in höchste politische Ämter. Wir müssen davon ausgehen, dass dieses System langsam und sicher am Ende ist und krepiert. Wir sind die letzte Chance für unser Volk, wir, die noch Deutsche sein wollen in Deutschland, werden schon bald von den Deutschen in diesem Lande, die Unterstützung erfahren in der Masse, für die wir seit Jahren auf die Straße gehen, denn der programmierte Untergang, dessen was sich multikulturelle Gesellschaft nennt, ist vorprogrammiert. …“
Die Videoaufzeichnung zeigt, dass der Angeschuldigte in uniformähnlicher Kleidung auftrat: Er trug einen Mantel, welcher an einen Uniformmantel „Mannschaftenwaffen-SS“ erinnert und eine Mütze, die militärisch aussieht. Der Angeschuldigte führt, was allgemein bekannt ist, den Aliasnamen „Steiner“, nach einem Obergruppenführer der Waffen-SS (Felix Steiner), und wird so genannt.
In der Anklageschrift steht im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, dass der Angeschuldigte Mitglied der NPD ist, und dass er wiederholt strafrechtlich - auch einschlägig - in Erscheinung getreten ist. Der Angeschuldigte ist seit den 1980iger Jahren in der rechtsextremen Szene politisch aktiv und seit April 2009 Mitglied des Parteivorstands (Beisitzer) der Bundes-NPD.
Zur Sache ist im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift u. a. noch Folgendes ausgeführt:
„Der Landesverband der NPD in Nordrhein-Westfalen rief für den 25. Oktober 2008 zu einer Kampagnendemonstration auf:
„1. Aufruf zur Kampagnendemonstration am 25.10.2008 in B.
Für ein lebenswertes NRW
Eine lebenswerte Umgebung ist die Grundlage für Wertevermittlung und Volksgemeinschaft. Nur gelebte Traditionen, gemeinsame Werte und gemeinsame Kultur können Heimat schaffen.
Parallelgesellschaften zerstören......
NEIN zur Islamisierung und Überfremdung Deutschlands!
Überfremdung stoppen .....
Um zu verhindern, dass Deutsche in absehbarer Zeit zu Fremden im eigenen Land werden, fordert die nationale Opposition aus NPD, DVU und freie Nationalisten die Ausländerrückführung, statt einer weiteren Einwanderung. .....
Gegen all diese Zustände heißt es Widerstand zu leisten!
Im Zuge der landesweiten Kampagne unter dem Motto „Deutsche wehrt Euch gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität“„ .....
Nachdem bekannt geworden war, dass die NPD diese Versammlung angemeldet hatte, wurden zahlreiche Gegenveranstaltungen in Bochum geplant und zu ihnen aufgerufen. .....“
Die Gegenveranstaltungen wurden am 25. Oktober 2008 durchgeführt.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 07. Oktober 2009 hat die 6. Strafkammer des Landgerichts Bochum die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen abgelehnt. Nach Auffassung der Strafkammer sind die von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Äußerungen und Verhaltensweisen des Angeschuldigten nicht strafbar, sondern noch vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gem. § Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt. Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung mehrdeutiger Äußerungen hat das Landgericht die zur Bewertung herangezogenen Äußerungen im Einzelnen und die konkrete Verhaltens- und Ausdrucksweise des Angeschuldigten mit ausführlicher Begründung als straflos beurteilt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom 13. Oktober 2009, die mit näheren Ausführungen unter dem
06. November 2009 begründet worden ist. Die Staatsanwaltschaft ist u. a. der Auffassung, dass das Landgericht den Anklagesatz nicht vollständig ausgeschöpft, die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zur Tatbestandsmäßigkeit von Äußerungen gem. § 130 Abs. 1 StGB überdehnt und hierbei den Kontext und die Begleitumstände der Äußerungen nicht hinreichend berücksichtigt habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Bochum beigetreten und hat wie erkannt beantragt.
Der Angeschuldigte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. Januar 2010 beantragt, die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen und hierzu nähere Ausführungen gemacht.
II.
Die gem. § 210 Abs. 2 StPO statthafte, sowie in zulässiger Weise form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum hat in der Sache Erfolg.
1.
Die Anklage ist - unter teilweiser abweichender rechtlicher Würdigung - zur Hauptverhandlung zuzulassen.
a)
Der Angeschuldigte ist einer Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative StGB hinreichend verdächtig.
aa)
Es besteht hinreichender Tatverdacht dafür, dass der Angeschuldigte durch seine im Anklagesatz dargestellten und durch Bild- und Tonträger aufgezeichneten Äußerungen in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufgestachelt hat (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative StGB).
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG, dessen Schutzbereich unabhängig davon eröffnet ist, ob eine Meinung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung geäußert wird (BVerfG, NJW 2001, 61; NJW 2003, 660, 661). § 130 StGB ist ein allgemeines, die Meinungsfreiheit beschränkendes Gesetz i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG, dessen Auslegung und Anwendung im Lichte der Meinungsfreiheit zu erfolgen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind daher mehrdeutige Aussagen nur dann strafbar, wenn strafrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten, die nicht völlig fern liegen, mit schlüssigen Argumenten ausgeschlossen werden können (BVerfG, NJW 2001, 61, 62; NJW 2003, 660, 661; NJW 2008, 2907, 2908 m. w. N.).
(1)
Die Äußerungen des Angeschuldigten können vernünftigerweise nur so gedeutet werden, dass er seine Angriffe auch unmittelbar gegen die in Deutschland lebenden Ausländer, und damit gegen ein Teil der Bevölkerung i. S. v. § 130 Abs. 1 StGB gerichtet hat (vgl. OLG Hamm, NStZ 1995, 136, 137; BGHR StGB § 130 Nr. 1 - Bevölkerungsteil 2, zitiert nach Juris).
Die Deutung des Landgerichts, dass die Äußerungen des Angeschuldigten nicht notwendigerweise als gegen „die Ausländer“ gerichtet zu verstehen seien, sondern auch als Äußerung einer ablehnenden Haltung gegen eine bestimmte Ausländerpolitik zu verstehen seien, ist nur bei der vom Landgericht vorgenommenen isolierten Betrachtung der einzelnen Aussagen nachvollziehbar. Geboten ist indes eine Gesamtbetrachtung, worauf die Staatsanwaltschaft zu Recht hingewiesen hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs sind bei der Deutung von Äußerungen neben dem Wortlaut und dem sprachlichen Kontext, in welchem die umstrittenen Äußerungen stehen, auch die für die Zuhörer erkennbaren äußeren Begleitumstände zu beachten, unter denen die Äußerungen gefallen sind (BVerfG, NJW 2001, 61, 62; NJW 2003, 660, 661;
NJW 2008, 2907, 2908; BVerfG, Beschluss vom 24. September 2009, 2 BVR 2179/09, zitiert nach Juris; LG Bochum, Urteil vom 09. September 2005, 1 KLs 33 Js 248/04, zitiert nach Juris), denn diese Umstände können Hinweise darauf geben, wie der durchschnittliche Zuhörer die Äußerungen auffassen wird (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005, 4 StR 283/05, zitiert nach Juris). Ob bei der Auslegung, wie der Bundesgerichtshof meint, zu berücksichtigen ist, dass es sich um einen mehrheitlich gleichgesinnten dem Rechtsextremen politischen Spektrum zuzurechnenden Zuhörerkreis handelt (BGH, a. a. O.) oder ob auf das Verständnis des unvoreingenommenen verständigen Zuhörers abzustellen ist (BVerfG, NJW 2008, 2907), kann dahinstehen, da vorliegend auch nach dem Verständnis eines objektiven, unvoreingenommenen Zuhörers nur eine Deutung der Äußerungen in Betracht kommt, die den Straftatbestand erfüllt.
Bei einer Gesamtbetrachtung sämtlicher Äußerungen des Angeschuldigten aus der Sicht eines objektiven Empfängers ergibt sich eindeutig, dass sich seine Angriffe nicht allein gegen die politischen Entscheidungsträger oder die Politik als solche, sondern auch unmittelbar gegen die in Deutschland lebenden Ausländer richten.
Zu berücksichtigen sind dabei die folgenden, vom Landgericht nicht berücksichtigten Begleitumstände der Äußerungen:
Der Aufzug der NPD stand unter dem Motto „Deutsche wehrt Euch“ gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität!“, welches auch auf dem an dem LKW angebrachten Plakat abgedruckt war, der dem Angeschuldigten als Podium diente. In großer Schrift war auch die Internetadresse www.a...de zu lesen. In dieser Atmosphäre trat der Angeschuldigte in uniformähnlicher Kleidung auf. Der Mantel erinnert an Mäntel der SS und seine Mütze erweckt einen militärischen Eindruck. Der Angeschuldigte führt den Aliasnamen „Steiner“, nach einem Obergruppenführer der Waffen-SS, und wird so genannt. Dies macht deutlich, dass er sich mit der Ideologie des Nationalsozialismus identifiziert.
Die Äußerungen des Angeschuldigten sind unter Beachtung dieser Begleitumstände zu bewerten. Das Landgericht hat weder den Wortlaut noch den Sinngehalt der Rede des Angeschuldigten voll ausgeschöpft, sondern bei seiner Prüfung einzelne Aussagen des Angeschuldigten gar nicht oder die Aussagen nur isoliert bewertet.
Dass der Angeschuldigte nicht nur die Ausländerpolitik, sondern auch die Ausländer selbst angreift, wird an folgendem deutlich:
Er grenzt das deutsche Volk nach der Abstammung von anderen Völkern ab. Während des gesamten Aufzugs und der Kundgebung spricht er von den Deutschen oder dem deutschen Volk und im Gegensatz dazu von anderen Völkern, Ausländern, Fremden oder „Parallelgesellschaften“. Das deutsche Volk sei bedroht durch Überfremdung, da sich „Parallelgesellschaften“ in Deutschland breit machten und die deutsche Bevölkerung, die noch in der Mehrheit sei, zurückdrängten. Das deutsche Volk habe ein Recht, das Überleben im eigenen Land zu sichern und so sehe er sich und seine Gesinnungsgenossen eins mit nationalistischen Befreiungsbewegungen in aller Welt. Deutsche müssten nicht widerspruchslos hinnehmen, eine Minderheit im eigenen Land zu werden.
Die sich breit machenden Parallelgesellschaften sind nicht die Entscheidungsträger, die die von ihm abgelehnte Ausländerpolitik zulassen, sondern die in Deutschland lebenden Ausländer. Mit dem Ausdruck „Parallelgesellschaften“ spricht er auch nicht etwa Intregationsprobleme an, sondern er verwendet den Ausdruck synonym für Ausländer insgesamt. Das macht er dadurch deutlich, dass er davon spricht, dass diese sich breit machen und die noch in der Mehrheit vorhandene deutsche Bevölkerung zurückdrängen. Damit stellt er allein auf die Mehrheitsverhältnisse der Volkszugehörigkeit ab, meint also die Ausländer insgesamt und nicht nur „Intregationsunwillige“.
Den Ausländern wirft er ein aktives „Sich-breit-machen“ vor, was zeigt, dass er sich gerade nicht darauf beschränkt, eine Politik zu kritisieren, die einen seiner Meinung nach zu hohen Ausländeranteil in der deutschen Bevölkerung zur Folge hat. Er behauptet, dass die Ausländer, die bald die Mehrheit in Deutschland bilden würden, das soziale System unterwandern, es damit zum Einsturz bringen und dadurch eine „massive Verelendung“ in Teilen des deutschen Volkes drohe. Er sagt: „Parallelgesellschaften werden dazu übergehen, sich ihr Recht zu nehmen, wenn sie es denn nicht mehr bekommen“ und beschreibt dazu einen Fall, den er als den typischen darstellt: „Es fängt ganz klein an in den Ortsämtern, bei den Sozialämtern, wo die Leute unter Druck gesetzt werden, wenn sie vielleicht einer Großfamilie nicht mehr das Geld zugestehen, welches diese Großfamilie beansprucht“. Im gleichen Atemzug spricht er von „Mafiastrukturen aus dem Ausland“, die sich in die deutsche Gesellschaft „hineingefressen“ haben. Er beschränkt sich jedoch nicht darauf, Mafiastrukturen anzuprangern, sondern er stellt gerade diesen angeblich typischen Fall der ausländischen Großfamilie als den Anfang von Mafiastrukturen aus dem Ausland dar („Es fängt ganz klein an“).
Diese Aussagen sind sprachlich eingebettet in seine Parolen „sozial geht nur national!“ und „hoch die nationale Solidarität!“ sowie die Wortschöpfung „multikriminell“ und das mit seinem Einverständnis während seiner Rede von ihm hochgehaltene Plakat „Multikulti ist Völkermord“, gemeint: am deutschen Volk.
Dass der Angeschuldigte neben den Ausländern auch die Ausländerpolitik mit anderen Äußerungen angreift, wie z. B. dem allgemeinen Vorwurf, dass in Deutschland eine Multikulti-Politik gegen die deutsche Bevölkerung betrieben werde, ändert an dieser Bewertung nichts. Das Nebeneinander dieser verschiedenen Erklärungen führt nicht zur Straflosigkeit des Angriffs auf die Ausländer.
(2)
Der Angeschuldigte ist auch dringend verdächtig, durch seine Äußerungen zum Hass gegen die in Deutschland lebenden Ausländer aufgestachelt zu haben. Unter Aufstachelung zum Hass ist ein Verhalten zu verstehen, dass auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotionale gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende, feindselige Haltung gegen den betreffende Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken (BGH, NJW 1994, 1421, 1422; NJW 2001, 624, 626; BGH, Urteil vom 03. April 2008, 3 StR 394/07, zitiert nach Juris).
Zwar ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass die Äußerungen des Angeschuldigten nicht zwingend so auszulegen sind, dass er seine Zuhörer zu gewalttätigen oder militanten Widerstandsleisten aufrufen will. Dies ist aber auch für die Aufstachelung i. S. v. § 130 Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative StGB nicht erforderlich (OLG Brandenburg, NJW 2002, 1440).
Die Äußerungen des Angeschuldigten, insbesondere die Behauptung, dass die Ausländer mit kriminellen Methoden das Sozialsystem unterwandern, sind geeignet und bestimmt, eine emotional feindselige Haltung hervorzurufen.
Sein Hinweis auf die drohende Verelendung von Teilen des deutschen Volkes durch die Unterwanderung des Sozialsystems durch die Ausländer ist geeignet, Angst und Wut bei denen hervorzurufen, die davon betroffen sein sollen. Auf diesem Nährboden vor dem Hintergrund des Plakats „Deutsche wehrt Euch!“ spricht er von „Kampf“, „nationalen Kämpfern“ sowie von „nationalistischen Befreiungsbewegungen“ und skandiert Parolen wie „sozial geht nur national!“ und „hoch die nationale Solidarität!“. Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft auf die Parallele zur Parole „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ aus dem Jahr 1933 hin. Unter „Befreiungsbewegungen“ versteht man Gruppen, die von besonders unterdrückten Bevölkerungsteilen getragen werden und sich meistens mit Waffengewalt gegen die Unterdrücker zur Wehr setzen. Wehren und befreien muss man sich gegen einen bzw. von einem Feind. Als Feindbild präsentiert der Angeschuldigte die Ausländer.
Die Eignung seiner Worte, eine feindselige Haltung gegen Ausländer zu überzeugen oder zu verstärken, wird durch weitere prägende Begleitumstände verstärkt:
Das Plakat „Deutsche wehrt Euch!“ zeigt 3 männliche Personen, von denen einer einen Schlagstock hält. Unabhängig davon, ob ihm das Plakat als eigene Aussage zuzurechnen ist, ist es jedenfalls als Begleitumstand bei der Ermittlung des Sinngehalts seiner Aussage zu berücksichtigen. Aus dem Plakat wird eine aggressive Haltung deutlich. Das - auch vom Angeschuldigten - oft beschworene „Wehren“ wird hier bildlich anhand des Schlagstocks mit körperlicher Gewalt assoziiert.
Auch sein uniformähnlicher Kleidungsstil unterstützt den Gesamteindruck, dass der sich mit der nationalsozialistischen Ideologie identifizierende Angeschuldigte derart durch Inhalt, Art und äußere Umstände seiner Rede auf Gefühl und Intellekt der Zuhörer einwirkt.
(3)
Die Aufstachelung ist auch in einer Weise erfolgt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Ausreichend ist eine nach Inhalt, Art und Ort oder anderen Umständen konkrete Eignung zur Friedensstörung (Lenkner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, 27. Aufl., § 130 StGB Rdnr. 11). Der öffentliche Friede braucht weder gestört noch konkret gefährdet zu sein. Der tatbestandliche Erfolg ist die konkrete Eignung, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das Klima aufzuhetzen (BGH NJW 2001, 624, 626 m. w. N.). Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form, Umfeld der Äußerung, Stimmungslage der Bevölkerung und politischer Situation an (Fischer, 57. Aufl., § 130 StGB Rdnr. 13).
Die Äußerungen des Angeschuldigten waren im gegebenen Rahmen der Veranstaltung geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Denn der Angeschuldigte hielt seine Rede auf einer öffentlichen Veranstaltung der NPD mit etwa 250 Teilnehmern, die im Rahmen einer landesweiten Kampagne stattfand. Parallel fanden zahlreiche Gegendemonstrationen statt. Seine Äußerungen waren durch Verwendung der Lautsprecheranlage auch für unbeteiligte Passanten und Anwohner vernehmbar.
bb)
Es besteht auch hinreichender Tatverdacht dafür, dass der Angeschuldigte sich des objektiven Sinngehalts seiner Äußerungen und deren Eignung, eine feindselige Haltung gegen die in Deutschland lebenden Ausländer hervorzurufen und den öffentlichen Frieden zu stören, bewusst war und dies auch wollte.
b)
Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft liegt aus rechtlichen Gründen kein hinreichender Tatverdacht dafür vor, dass der Angeschuldigte durch seine Äußerungen zugleich die Tatbestandsvariante des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht hat. Es kann dahinstehen, ob in den Äußerungen ein Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden liegt, da jedenfalls kein Angriff auf die Menschenwürde gegeben ist. Im Lichte der Meinungsfreiheit ist dieses Tatbestandsmerkmal eng auszulegen, da die Menschenwürde unantastbar und nicht abwägungsfähig ist. Ein Angriff auf die Menschenwürde ist daher nicht schon immer dann anzunehmen, wenn durch eine Äußerung die Ehre oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines anderen tangiert ist. Selbst eine plakative und heftige Beleidigung von Teilen der Bevölkerung erfüllt nicht ohne weiteres die Voraussetzungen eines besonders qualifizierten, die Menschenwürde verletzenden Angriffs auf die Persönlichkeit, wie er von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorausgesetzt wird (BVerfG, NJW 2008, 2907, 2909; KG NJW 2003, 685, 686). Ein Angriff gegen die Menschenwürde setzt voraus, dass die feindselige Haltung dem Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, dass „Menschtum“ der Angegriffenen bestritten, in Frage gestellt oder relativiert wird (BVerfG NJW 2001, 61, 63; BGH, Urteil vom 3. April 2008, 3 StR 394/07, zitiert nach juris; KG, NJW 2003, 685, 686), dass das Recht der Angegriffenen bestritten wird, als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft zu leben (Fischer, a. a. O., § 130 StGB Randziffer 12 a).
Der Angeschuldigte bringt zwar eine starke Verachtung gegen Ausländer zum Ausdruck, er geht aber nicht so weit, ihr Menschsein und damit den Kern ihrer Persönlichkeit zu treffen. Zwar macht er deutlich, dass er eine Gesellschaft bevorzugt, in der die deutsche Bevölkerung mit möglichst wenigen bzw. keinen Ausländern lebt, aber er spricht den Ausländern nicht das Lebensrecht ab.
2.
Das Hauptverfahren ist gemäß §§ 74 Abs. 1 S. 1, 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG vor der zuständigen 6. Strafkammer des Landgerichts Bochum zu eröffnen. Es handelt sich um einen Fall von besonderer Bedeutung, wie die Staatsanwaltschaft, wenn auch mit anderer Begründung aber im Ergebnis zu Recht, annimmt.
Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, wegen besonderer Bedeutung beim Landgericht anzuklagen, unterliegt in vollem Umfang gerichtlicher Überprüfung (BVerfG, NJW 1959, 871, 872; OLG Hamburg, NStZ 1995, 252; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 215; Meyer-Goßner, 52. Aufl., § 24 GVG Randziffer 9). Von besonderer Bedeutung ist eine Sache, die sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen aus der Masse der durchschnittlichen Strafsachen nach oben heraushebt (BGH, NJW 2001, 2984; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 115). Nach der Rechtsprechung kann das Interesse der Öffentlichkeit im Einzelfall - etwa aufgrund der bedeutenden Stellung eines Beteiligten im öffentlichen Leben - maßgeblich sein, was insbesondere dann die Annahme der besonderen Bedeutung rechtfertigt, wenn dadurch der Unrechtsgehalt der Tat erhöht wird (OLG Hamburg, NStZ 1952, 252, 253; BGH NJW 2001, 2984, 2985). Vorliegend heben die Wirkung in der Öffentlichkeit und das besondere öffentliche Interesse die Tat aus der Masse der durchschnittlichen Strafsachen heraus, die in die Zuständigkeiten der Amtsgerichte fallen. Der Angeschuldigte ist seit den 1980er-Jahren in der rechtsextremen Szene politisch aktiv und seit April 2009 Mitglied des Parteivorstands (Beisitzer) der Bundes-NPD. Er nimmt daher eine durchaus bedeutende Stellung im politischen Leben ein. Die Erregung eines besonderen öffentlichen und medialen Interesses war auch gerade das Ziel des Angeschuldigten (vgl. BGH, NJW 1998, 2149, 2150), wie er während seiner Rede mehrfach zu verstehen gegeben hat. Dies erhöht auch den Unrechtsgehalt seiner Tat, nicht zuletzt deshalb, weil die Tat schon im Rahmen einer überdurchschnittlichen Öffentlichkeit stattfand.


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