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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III 2 Ws 32/10 OLG Hamm

Leitsatz: Die fehlende Schuldeinsicht und Schuldverarbeitung kann bei Affekttaten und bei Fortbestehen der Tatleugnung als Indiz für eine Tatwiederholung ungeeignet sein. Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn die mangelnde Tataufarbeitung ihre Ursache in einem fortbestehenden krankheits- oder emotional bedingten Persönlichkeitsdefizit hat.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: günstige Sozialprognose, Anfordeurngen, Feststellungen, Übeprüfung

Normen: StGB 57

Beschluss:

Strafvollstreckungssache
gegen pp.
zur Zeit in dieser Sache in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt B,
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern,
(hier: Ablehnung der bedingten Entlassung - § 57 Abs. 1 StGB).
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 14. November 2009 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 06. November 2009 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17.02.22010 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses auf Kosten des Verurteilten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.
Zusatz:
Die Bejahung einer günstigen Täterprognose nach der Verantwortungsklausel des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB verlangt eine überwiegende Erfolgswahrscheinlichkeit der Aussetzung der Vollstreckung, wobei - wie der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualstraftaten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I, 160) klargestellt hat - das erforderliche Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit vom bedrohten Rechtsgut abhängt. In diesem Sinne setzt das mit der Aussetzung verbundene Erprobungswagnis gleichwohl keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraus, es genügt, wenn eindeutig festzustellende positive Umstände die Erwartung im Sinne einer wirklichen Chance rechtfertigen, dass der Verurteilte im Falle seiner Freilassung nicht mehr straffällig und die Bewährungszeit durchstehen wird. Dies entspricht ebenso der ständigen Rechtsprechung des Senates wie die Einschränkung, dass nicht aufklärbare Unsicherheiten und Zweifel zulasten des Verurteilten gehen. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten, welche an die Prognose zu stellen sind, werden dabei desto strenger, je höher das Gewicht des bedrohten Rechtsgutes ist. Dies gilt insbesondere bei Verbrechen gegen das Leben und bei anderen Gewaltdelikten (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 57 Rdnr. 12). Aber auch sexuelle Straftaten zum Nachteil von Kindern stellen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erhöhte Anforderungen an die zu treffende Prognose, weshalb eine Aussetzung der Reststrafe dann nicht in Betracht kommt, wenn sich trotz einer Vielzahl günstiger Faktoren noch nicht durch eine therapeutische Behandlung behobene bzw. herabgeminderte und Rückschlüsse auf eine Tatwiederholung rechtfertigende Charaktermängel zeigen.
So liegt der Fall hier, wie die Strafvollstreckungskammer zu Recht festgestellt hat. Zwar spricht zugunsten des Verurteilten, dass er sich erstmals längere Zeit in Strafhaft befindet und er sich im Vollzug beanstandungsfrei geführt hat.
Diese Gesichtspunkte können indes den aus dem bisherigen Verhalten des Verurteilten sich ergebenden erheblichen, hier eindeutig im Vordergrund stehenden Bedenken hinsichtlich seiner künftigen Lebensführung nicht ausreichend entgegenwirken. Gerade bei Verurteilungen wegen Gewalttaten und Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung kommt eine Bewährungsaussetzung nur in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Die kritische Probe in Freiheit kann nur gewagt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte es wahrscheinlich machen, dass der Verurteilte sie besteht. An einer solchen überwiegend günstigen Beurteilung mangelt es aber vorliegend, weil sich der Verurteilte bislang noch nicht hinreichend mit seiner Tat, deren Ursachen und Folgen auseinander gesetzt hat.
Inwieweit eine unzureichende Tataufarbeitung einen kriminalprognostisch negativen Umstand darstellt, lässt sich nicht für alle Fallgestaltungen einheitlich beantworten, denn die Ursachen hierfür können mannigfaltig sein (ausführlich hierzu: Kröber R&P 1993, 140 ff.; Müller-Dietz StV 1990, 29 ff.; vgl. auch BVerfG, NStZ 1998, 2202, 2204). Manche Täter finden ihre Tat derart beschämend, dass sie allein deshalb nicht darüber reden wollen (Kröber, a. a. O.,S.142). Auch kann insbesondere bei Affekttaten und bei fortbestehender Tatleugnung (OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 251 ff.) eine fehlende Schuldeinsicht- und Schuldverarbeitung als Indiz für eine Tatwiederholung ungeeignet sein. Anders ist dies aber zu beurteilen, wenn die mangelnde Tataufarbeitung ihre Ursache in einem fortbestehenden krankheits- oder emotional bedingten Persönlichkeitsdefizit hat und sich hierauf die Besorgnis gründet, ohne eine Überwindung dieser Störung könne es zu erneuter Straffälligkeit nach Haftentlassung kommen. In solchen Fällen ist - ungeachtet einer erfolgten therapeutischen Aufarbeitung - grundsätzlich eine aktive Auseinandersetzung des Verurteilten mit der Tat erforderlich, wobei sich dieser u. a. damit beschäftigen muss, welche Charakterschwächen zu seinem Versagen geführt haben. Auch muss er Tatsachen schaffen, die für eine Behebung dieser Defizite sprechen und die es wahrscheinlich machen, dass er künftigen Tatanreizen zu widerstehen vermag.
Einen gewichtigen Hinweis auf eine kriminalprognostisch relevante Versagungshaltung stellt insbesondere die emotionale Haltung des Täters zur Tat dar. Ist er von dieser noch immer betroffen und erschüttert oder steht er dieser ruhig und distanziert gegenüber? Sucht er die Ursache seiner Straffälligkeit bei sich selber oder bagatellisiert er die Tat und weist die Schuld daran dem Opfer zu? Als prognostisch ungünstig sind dabei vor allem die Fälle anzusehen, in denen eine aggressive Handlungsbereitschaft durch eine gute Vollzugsanpassung verdeckt wird oder in denen der Gefangene - ohne dass über Jahre eine Veränderung festzustellen ist - in seiner egozentrischen Sichtweise befangen bleibt (Kröber, a. a. O., 143).
In der Einweisungsentschließung der Justizvollzugsanstalt Hagen vom 09. März 2006 heißt es hierzu u. a.:
„Herr Z. nimmt die Realität verzerrt war, da er sich von inneren Gefühlszuständen und Bedürfnissen leiten lässt, die er verleugnet. Daher ist er kaum dazu in der Lage, das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen und schreibt sich gute uneigennützige Absichten zu. Andere deutet er als feindselig und kann weder verstehen noch vorausschauend erkennen, dass die Umwelt sein Handeln als egoistisch wahrnimmt. Insgesamt stellt Herr Z. sich als narzisstische Persönlichkeit dar, die nur um die eigenen Bedürfnisse kreist und zwischenmenschliche Kontakte sowie Lebensereignisse ausschließlich auf finanzielle Motive reduziert. Auf emotionaler Ebene erscheint er lediglich zu egozentrischen Gefühlen fähig. Auch die Sexualität des Herrn Z. erweist sich als ausbeuterische, egozentrische Bedürfnisbefriedigung. Da die Missbrauchshandlungen an sehr jungen Opfern bis zu deren Eintritt in die Pubertät stattfanden, ist von einer pädophilen Neigung auszugehen. Umso mehr, da es Hinweise auf einen frühen Beginn einschlägiger Handlungen sowie auf Übergriffe zum Nachteil männlicher, teils fremder Kinder gibt.
All dies spricht gegen vollzugliche Lockerungen und für eine ausgeprägte, behandlungsbedürftige Sexualproblematik. Herr Z. imponiert jedoch mit Unschuldsäußerungen und Komplott-Theorien sowie einer enormen Empathielosigkeit gegenüber den Töchtern. Er wertet sie als umtriebig und/oder unehrlich ab, leugnet deren massive psychische Probleme. Er rechtfertigt und legitimiert seine Manipulation und Instrumentalisierung innerhalb der Familie. In früheren Geständnissen zeigte er tätertypische kognitive Verzerrungen und Bagatellisierungen. Angesichts dieser Leugnungshaltung ließen sich jedoch weder Problemeinsicht noch Veränderungsbereitschaft als Grundlage für eine Behandlungsmaßnahme erkennen.“
Vorstehende Ausführungen sprechen dafür, dass dem Verurteilten bislang noch keine ausreichende Tataufarbeitung gelungen ist. Eine solche ist nach Auffassung des Senats vorliegend aber zur Verhinderung künftiger Straftaten zum Nachteil von Kindern dringend geboten (vgl. BVerfG NStZ 2000, 502 ff.).
Auch wenn die Einweisungsentschließung aus März 2006 datiert, hat sie doch an Aktualität nichts eingebüßt, wie den zahlreichen Schreiben des Verurteilten, die sich in der Akte befinden, zu entnehmen ist.
Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht aus dem Leugnen der Tat auf eine fehlende Aufarbeitung der Persönlichkeitsproblematik und damit auf eine fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten geschlossen. Das Prognoseurteil enthält keinen Schuldvorwurf, sondern lediglich eine Einschätzung der künftigen Gefährlichkeit des Beschwerdeführers.
Soweit seitens der Verteidigung gerügt wird, es sei kein Sachverständigengutachten gemäß § 454 Abs. 2 StPO eingeholt worden, war die Einholung eines Sachverständigengutachtens seitens der Strafvollstreckungskammer entbehrlich, da ein solches nur einzuholen ist, wenn die Strafvollstreckungskammer erwägt, die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auszusetzen (vgl. OLG Jena, StV 2001, 26; OLG Karlsruhe, StV 1999, 385; OLG Hamburg, NJW 2000, 2758).
Da der Verurteilte sich anlässlich seiner Anhörung am 06. November 2009 mit einer Entscheidung gemäß § 57 Abs. 1 StGB einverstanden erklärt hat, konnte die Strafvollstreckungskammer entgegen der in der Beschwerdebegründung vom 08. Februar 2010 geäußerten Rechtsauffassung der Verteidigerin hierüber befinden.




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