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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-5 Ws 142/10 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Erforderlichkeit der mündlichen Anhörung eines ausgewiesenen Verurteilten zur Frage der Reststrafenaussetzung.

Senat: 5

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Anhörung, mündliche, Strafaussetzung zur Bewährung, ausgewiesener Verurteilter

Normen: StPO 454; StPO 456a

Beschluss:

Strafvollstreckungssache
In pp.
hat der 5. Strafsenat des OLG Hamm am 04.05.2010 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Landgericht Lüneburg verurteilte den Beschwerdeführer am 29. September 1995 wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten. Zwei Drittel dieser Freiheitsstrafe waren unter Anrechnung von 780 Tagen Unter-suchungshaft am 29. April 1999 verbüßt. Eine bedingte Entlassung des seinerzeit in der Justizvollzugsanstalt X inhaftierten Verurteilten hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg mit Beschluss vom 17. Februar 1999 unter Hinweis darauf abgelehnt, dass ein Erprobungsversuch ein zu großes Wagnis darstelle. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten war vom Oberlandesgericht Hamm am 18. März 1999 als unbegründet verworfen worden.
Im Hinblick auf eine mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung verbundene und von dem Verurteilten nicht angefochtene Ausweisungsverfügung des Märkischen Kreises vom 08. Dezember 1997, in der die Wirkung der darin angeordneten Ausweisung des Verurteilten auf 10 Jahre, beginnend mit der Ausreise, befristet wurde, sah die Staatsanwaltschaft Lüneburg im Oktober 1999 nach § 456 a StPO von der weiteren Vollstreckung ab, worauf der Verurteilte am 19. Oktober 1999 aus dem Strafvollzug entlassen und in die Türkei abgeschoben wurde, wo er sich seitdem aufhält. Für den Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers ordnete die Staatsanwaltschaft die Nachholung der Vollstreckung an und erließ wegen der Restfreiheitsstrafe von 741 Tagen unter dem 10. November 1999 einen entsprechenden Voll-
streckungshaftbefehl.
Eine von dem Verurteilten mit Schreiben vom 05. Juli 2000 beantragte Reststrafenaussetzung lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg mit Beschluss vom 18. Juli 2000 unter Hinweis auf die fortdauernden Gründe der
Beschlüsse der Kammer und des Oberlandesgericht Hamm vom 17. Februar bzw.
18. März 1999 ab. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm – 1. Strafsenat – vom
09. April 2001 ohne nähere Ausführungen als unbegründet verworfen (1 Ws 61/01).
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30. Oktober 2009 hat der Beschwerdeführer nunmehr erneut die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung beantragt und zur Begründung, belegt durch beigefügte schriftliche Unterlagen, ausgeführt, er bestreite als in der Türkei selbständig tätiger Unternehmer seinen Lebensunterhalt auf legale Weise und sei seit seiner Abschiebung in die Türkei dort strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Nach ablehnender Stellungnahme der Staatsanwaltschaft
Lüneburg hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg – ohne weitere Anhörung des Beschwerdeführers – mit Beschluss vom 26. März 2010 eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt und zur Begründung zunächst auf die Beschlüsse der Kammer vom 18. Juli 2000 und des Oberlandesgerichts Hamm vom 09. April 2001 verwiesen. Der Umstand, dass der Verurteilte nach den eingereichten Unterlagen in der Türkei einer selbständigen Tätigkeit nachgehe, reiche im übrigen für die Begründung einer positiven Sozialprognose allein nicht aus. Im Übrigen hätte ein nicht gem. § 456 a StPO abgeschobener Verurteilter voraus-sichtlich mehr als zwei Drittel der Strafe verbüßen oder sich jedenfalls einer Begut-achtung nach § 454 Abs. 2 StPO unterziehen müssen.
Gegen diesen, seinem Verteidiger am 01. April 2010 zugestellten Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner am 07. April 2010 bei dem Landgericht Arnsberg eingegangenen sofortigen Beschwerde vom 06. April 2010, die trotz Ankündigung bislang nicht begründet worden ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Beschluss des Landgerichts Arnsberg aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Arnsberg zurückzuverweisen.
II.
Die gem. § 454 Abs. 3 StPO i. V. m. § 57 StGB statthafte und in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer. Die angefochtene Entscheidung leidet an einem Verfahrensmangel, der die Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer gebietet.
Die Strafvollstreckungskammer hat von der in § 454 Abs. 1 S. 3 StPO zwingend vorgeschriebenen mündlichen Anhörung des Verurteilten abgesehen, ohne hinreichend zu klären, ob von dieser mündlichen Anhörung ausnahmsweise abgesehen werden durfte. Zwar ist anerkannt, dass von der mündlichen Anhörung – über die in § 454 Abs. 1 S. 4 StPO ausdrücklich genannten Ausnahmefälle hinaus – dann abgesehen werden kann, wenn der Verurteilte ausdrücklich darauf verzichtet (vgl. BGH NJW 2000, 1663; KG, Beschluss vom 27. Januar 2000 – 5 Ws 698/99 -; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 454 Rdnr. 30) oder wenn diese unmöglich bzw. dem Verurteilten unzumutbar ist, weil er sich nach vorausgegangener Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO im Ausland aufhält und ihm im Falle der Wiedereinreise die Verhaftung und Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe gem. § 456 a Abs. 2 StPO und gegebenenfalls daneben (im hier zu beurteilenden Fall allerdings nicht) eine Strafverfolgung wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz bzw. das bis zum
31. Dezember 2004 geltende Ausländergesetz droht (zu vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 12. Februar 2009 – 5 Ws 453/08 -; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 3 Ws 61/08 -; OLG Karlsruhe, StV 2005, 677 = NStZ-RR 2005, 223; OLG Düsseldorf, StV 2000, 382; NStZ 2000, 333; JMBl NW 1996, 71; 1989, 69). Die Möglichkeit der Anhörung des Verurteilten durch ein ersuchtes türkisches Gericht scheidet vorliegend schon deshalb aus, weil der mit dem gesetzlichen Erfordernis der mündlichen Anhörung verfolgte Zweck, dem zur Entscheidung berufenen Gericht einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von dem Verurteilten zu verschaffen, auf diese Weise nicht erreicht werden kann. Die mündliche Anhörung liegt damit auch im Interesse des Verurteilten. Ob dieser unter den gegebenen Umständen auf eine mündliche Anhörung verzichtet oder ob er bereit ist, sich der mündlichen Anhörung in der Bundesrepublik Deutschland zu stellen und das Risiko der Verhaftung bei Wiedereinreise in das Bundesgebiet zu tragen, ist bislang ungeklärt. Auch steht nicht fest, ob der Verurteilte einen – möglichen – Antrag auf Aufhebung bzw. Aussetzung des gegen ihn erlassenen Vollstreckungshaftbefehl bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg stellen will (zu vgl. OLG Hamm und OLG Karlsruhe jeweils a.a.O.), und wie dieser Antrag letztlich beschieden würde. Die Strafvollstreckungskammer wird unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen aufklären und entscheiden müssen, ob eine mündliche Anhörung durchführbar ist oder davon ausnahmsweise abgesehen werden kann.
Soweit der früheren Beschwerdeentscheidung des hiesigen ersten Strafsenats vom 09. April 2001 die Auffassung zugrundelag, dass eine (erneute) persönliche Anhörung des Verurteilten im Hinblick auf die im Rahmen des ersten Aussetzungsverfahrens am 17. Februar 1999 erfolgte mündliche Anhörung und die zwischenzeitliche Abschiebung des Verurteilten in die Türkei in jedem Fall entbehrlich sei, vermag der Senat sich dieser Ansicht auch unter Berücksichtigung der zitierten neueren obergerichtlichen Rechtsprechung zur Frage der gesetzlich vorgeschriebenen mündlichen Anhörung (§ 454 Abs. 1 S. 3 StPO) eines nach § 456 a StPO ausgewiesenen Verurteilten nicht anzuschließen.
Die Kammer wird bei der erneuten Behandlung und Entscheidung weiter zu beachten haben – was sie vom Grundsatz her auch zutreffend erkannt hat –, dass die im Hinblick auf § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB entscheidende Frage, ob eine Reststrafenaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, aus heutiger Sicht nicht ohne Einholung eines Prognosegutachtens eines Sachverständigen nach § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO zu beantworten ist und daran weitere Verfahrensanforderungen (vgl. § 454 Abs. 2 S. 3 StPO) geknüpft sind. Die Voraussetzungen einer Begutachtungspflicht nach § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO sind vorliegend erfüllt, denn der Verurteilte ist vom Landgericht Lüneburg wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB bezeichneten Art, nämlich u. a. wegen eines Verbrechens nach § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a. F. zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Zudem liegt angesichts der seit der Tatbegehung und Haftentlassung jeweils verstrichenen erheblichen Zeitspanne weder ein Fall einer eindeutig negativen Sozialprognose vor, noch lassen die für die Prognoseentscheidung heranzuziehenden Umstände – umgekehrt – hier zweifelsfrei die Beurteilung zu, dass von dem Verurteilten praktisch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mehr ausgeht (zu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 454 Rdnr. 37 m. w. N.). Auch insoweit wäre von der Strafvollstreckungskammer zu klären, ob der Verurteilte bereit ist, sich der vorliegend gebotenen kriminalprognostischen Begutachtung im Inland zu stellen (vgl. auch hierzu den o.g. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2009).



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