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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 RVs 29/10 OLG Hamm

Leitsatz: Ein Beschuldigter muss alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, dass er von einer zu erwartenden Zustellung Kenntnis erlangt, wenn er dazu Anlass hat und dazu in der Lage ist (hier: mehrwöchige Abwesenheit wegen einer Wehrübung).

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Verschulden, vorübergehende Abwesenheit

Normen: StPO 44; StPO 346;

Beschluss:

Strafsache
gegen pp.
wegen Körperverletzung u.a., (hier: Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung des Antrages auf Entscheidung des Revisionsgerichts und Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO).

Auf den Antrag des Angeklagten vom 08. Februar 2010 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung des Antrages auf Entscheidung des Revisionsgerichts sowie auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am
11.05.2010 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung des Antrages auf Entscheidung des Revisionsgerichts wird als unbegründet verworfen.
2. Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO wird als unzulässig verworfen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Bochum hat den Angeklagten mit Urteil vom 26. August 2009 (32 Ds 51 Js 109/09-364/09) wegen vorsätzlicher Körperverletzung sowie Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 20,- Euro verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bochum mit Urteil vom 03. November 2009 (II-4 Ns-51 Js 209/09-95/09) verworfen.

Gegen dieses ihm am 04. Dezember 2009 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit am 06. November 2009 bei dem Landgericht Bochum eingegangenen Schreiben vom 05. November 2009 Revision eingelegt, die er mit an das Oberlandesgericht Hamm gerichtetem, dort am 28. Dezember 2009 und bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamm am 04. Januar 2010 eingegangenen Schreiben vom 23. Dezember 2009 wiederholte und begründete. Das Landgericht Bochum hat die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 07. Januar 2010 als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, dass innerhalb der Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO keine Revisionsbegründung eingegangen sei. Dieser Beschluss wurde dem Angeklagten am 15. Januar 2010 zugestellt.

Mit am 09. Februar 2010 bei dem Landgericht Bochum eingegangenen Schreiben vom 08. Februar 2010 hat der Angeklagte „Widerspruch“ gegen den Beschluss vom 07. Januar 2010 erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung beantragt, er habe in der Zeit vom 11. Januar 2010 bis zum 05. Februar 2010 an einer Wehrübung teilgenommen, so dass ihn das Schreiben vom 07. Januar 2010 nicht rechtzeitig erreicht habe.

II.
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung des Antrages auf Entscheidung des Revisionsgerichts hat keinen Erfolg. Der Antrag ist zwar zulässig, er ist jedoch unbegründet.

Nach § 44 Abs. 1 StPO ist bei Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Antragsteller „ohne Verschulden“ gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Maßgebend dafür ist die dem Antragsteller mögliche und zumutbare Sorgfalt (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 44 Rdnr. 11 m.w.N.). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat der Angeklagte die Frist zur Anbringung des Antrages auf Entscheidung des Revisionsgerichts schuldhaft versäumt. Die Verhinderung zur Einhaltung der Frist beruht auf einem Verschulden des Antragstellers, wenn er mit Zustellungen rechnen und daher besondere Vorkehrungen treffen musste, um rechtzeitig von Zustellungen Kenntnis zu erlangen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 44 Rdnr. 14). Zwar dürfen die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und damit zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs im Strafverfahren nicht überspannt werden (vgl. BVerfG NJW 1969, 1103). Auch braucht derjenige, der eine ständige Wohnung hat und diese nur vorübergehend nicht benutzt, für die Zeit seiner Abwesenheit grundsätzlich keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn kein besonderer Anlass für die Annahme besteht, dass während der Abwesenheit von der Wohnung eine Zustellung erfolgen könnte (vgl. BVerfG NJW 1969, 1531). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Betroffene der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit gegenübersteht. Der Betroffene muss alle zumutbaren Anstrengungen zum „Wegfall des Hindernisses“ – hier Unkenntnis von der Zustellung – unternehmen, wenn er dazu Anlass hat und in der Lage ist (vgl. BVerfG NJW 1993, 847).
Der Angeklagte hätte vorliegend bei Antritt seiner Wehrübung dafür Vorsorge treffen müssen, dass er rechtzeitig von Zustellungen Kenntnis erlangt, da er seine Wohnung für mehrere Wochen verlassen hat, obwohl Zustellungen oder eine Übersendung von Schriftstücken in dem von ihm selbst in Gang gebrachten Rechtsmittelverfahren nicht nur entfernt liegend abstrakt möglich, sondern mit Sicherheit zu erwarten waren (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 44 Rdnr. 14). Dazu war er auch in der Lage, denn er hätte für eine unverzügliche Nachsendung oder eine anderweitige Unterrichtung über den Inhalt der Schriftstücke durch von ihm zu beauftragende Personen Sorge tragen können. Dass er das nicht getan hat, begründet ein eigenes Verschulden des Angeklagten an der Fristversäumung.

2. Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO kann in der Sache ebenfalls keinen Erfolg haben. Der Antrag ist – nachdem das Wiedereinsetzungsgesuch erfolglos war – nicht rechtzeitig eingelegt worden, so dass er unzulässig ist.

Der Beschluss vom 07. Januar 2010 ist dem Angeklagten mit Rechtsmittelbelehrung ausweislich der Akten am 15. Januar 2010 zugestellt worden. Der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts, der gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO innerhalb einer Woche seit der Zustellung einzulegen gewesen wäre, hätte daher nach § 43 Abs. 1 StPO spätestens bis zum 22. Januar 2010 bei dem Landgericht Bochum eingehen müssen. Er ist aber tatsächlich erst am 09. Februar 2010, mithin verspätet, bei dem Landgericht Bochum eingegangen.

Im Übrigen wäre der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts auch unbegründet. Das Landgericht Bochum hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 03. November 2009 zu Recht gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, da die Revisionsbegründung – ungeachtet der Frage des rechtzeitigen Eingangs - nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO entspricht. Gemäß § 345 Abs. 2 StPO kann der Angeklagte die Revision nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle begründen.



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