Aktenzeichen: 1 Ws 412/10 OLG Hamm |
Leitsatz: Vor der Entscheidung über die Aussetzung eines Strafrests ist der Strafgefangene zwingend erneut anzuhören, wenn zwischen erster Anhörung und erneuter Entscheidung ein Zeitraum von 3 1/2 Monaten liegt und weitere Umstände gegeben sind, die eine erneute Anhörung gebieten. |
Senat: 1 |
Gegenstand: Beschwerde |
Stichworte: Anhörung, Strafaussetzung zur Bewährung, bedingte Entlassung |
Normen: StPO 454 |
Beschluss: Strafvollstreckungssache In pp. hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 03.08.2010 beschlossen: Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen, die auch über die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens zu befinden haben wird. Gründe I. Der seit Jahren heroinabhängige und mehrfach vorbestrafe Beschwerdeführer verbüßte als Erstverbüßer zunächst eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten wegen Diebstahls in zwei Fällen aus dem Urteil des Amtsgerichts E vom 22.01.2009 und eine Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung und Erschleichens von Leistungen aus dem Urteil des Amtsgerichts E vom 22.04.2008 (117 Js 505/07 StA Dortmund). Nachdem der Beschwerdeführer sich unter dem 04.02.2010 im Verfahren gem. § 57 StGB mit einer bedingten Strafaussetzung einverstanden erklärt hatte, beraumte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund Anhörungstermin auf den 18.03.2010 an, in welchem der Betroffene nach Erörterung der Sach- und Rechtslage seine Zustimmung zur Entlassung zurücknahm. Zwischenzeitlich war der Beschwerdeführer am 22.02.2010 durch das Amtsgericht E wegen Diebstahls in zwei Fällen unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe im Urteil des Amtsgerichts E vom 22.01.2009 und unter Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden (StA Dortmund 225 Js 2296/08). 2/3 der Strafen aus den Urteilen vom 22.04.2008 und vom 22.02.2010 waren am 07.07.2010 verbüßt. Mit Schreiben seines Verteidigers vom 10.06.2010 hat der Beschwerdeführer erneut die Aussetzung des Strafrests beantragt. Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafkammer die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers ohne erneute Anhörung abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen auf die Vorstrafen und die nicht bearbeitete Suchtproblematik verwiesen. Einer erneuten Anhörung habe es in Anbetracht der Anhörung vom 18.03.2010 nicht bedurft. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde vom 08.07.2010, mit der der Beschwerdeführer die Aussetzung des Strafrests weiter verfolgt. Der Generalstaatsanwalt hat die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde beantragt. II. Die gem. §§ 454 Abs. 3 S. 1, 311 Abs. 2 StPO zulässige, insbesondere form- und fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde hat vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund. Das Landgericht hat verfahrensfehlerhaft die gem. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO zwingende Anhörung des Beschwerdeführers vor der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrests gem. § 57 StGB unterlassen. Ein Ausnahmefall gem. § 454 Abs. 1 S. 4 StPO lag nicht vor. Zwar ist anerkannt, dass es in entsprechender Anwendung von § 454 Abs. 1 S. 4 StPO dem Sinn dieser Ausnahmevorschrift gemäß zulässig sein kann, auch in anderen als den im Gesetz genannten Fällen von einer mündlichen Anhörung des Verurteilten abzusehen (vgl. BGH B. v. 05.05.1995, 2 StE 1/94, BGHR StPO § 454 Anhörung 1; Meyer-Goßner § 454 Rdnrn 24ff, jew. m.w.N.). Von der mündlichen Anhörung kann dabei u.a. dann abgesehen werden, wenn eine Beeinflussung der Entscheidung durch sie von vornherein ausgeschlossen erscheint und ihre Durchführung daher zur inhaltslosen Formalie würde (BGH a.a.O. m.w.N.). Dies kann angenommen werden, wenn das entscheidende Gericht bereits zuvor in nahem zeitlichem Zusammenhang Gelegenheit hatte, sich einen persönlichen Eindruck vom Verurteilten zu verschaffen, dieser Eindruck bis zur Entscheidung über die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe fortwirkt und keine Umstände gegeben sind, die seine Ergänzung oder Auffrischung notwendig machen (vgl. BGH a.a.O.). Ein solcher Fall liegt aber nicht vor. Es ist schon zweifelhaft, ob überhaupt ein naher zeitlicher Zusammenhang zwischen der am 18.03.2010 erfolgten Anhörung und der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer angenommen werden könnte, da die inzwischen verstrichene Zeit einen Zeitraum von mehr als 3½ Monate umfasste. Dies kann aber letztlich offen bleiben. Denn es lagen vorliegend Umstände vor, die eine Auffrischung des persönlichen Eindrucks der Strafvollstreckungskammer notwendig machten. Der Beschwerdeführer, der als Erstverbüßer zum Zeitpunkt der ersten Anhörung erst drei Monate in Haft war, war zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung inzwischen insgesamt fast 7 Monate und damit mehr als doppelt so lange in Haft. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer durch die weitere Haft, wie er geltend macht, beeindruckt ist. Hiervon hätte sich die Kammer einen persönlichen Eindruck machen müssen. Der Verfahrensmangel der unterbliebenen Anhörung lässt eine Sachentscheidung des Senats nicht zu, sondern führt zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer, welche auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat (Vgl. BGH a.a.O.; OLG Köln NStZ-RR 2000, 317, JURIS Rdnr 17; Meyer-Goßner § 454 Rdnr 47, jew. m.w.N.). |
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