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Rechtsprechung

Aktenzeichen: (2) 4 Ausl A 170/07 (88/09) OLG Hamm

Leitsatz: Zur verneinten Zulässigkeit der Auslieferung eines psy-chisch erkrankten Verfolgten, der auf Grund seiner Erkran-kung suizidgefährdet ist, an die Türkei insbesondere in Fäl-len, in denen die Suizidgefahr gerade auf die – drohende – Auslieferung zurückzuführen ist.

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungsverfahren

Stichworte: Auslieferung, Unzulässigkeit, Erkrankung, Suizidgefahr

Normen: IRG 73

Beschluss:

Auslieferungsverfahren
In pp.
hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 26. 03. 2009 beschlossen:
Die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei ist unzulässig.
Gründe
I.
Das Justizministerium der Republik Türkei ersucht mit Verbalnote vom 11. Oktober 2007( Aktenzeichen: 2007/Berlin BE/28926), gegründet auf das Auslieferungsersuchen der Oberstaatsanwaltschaft der Republik zu Diyarbakir vom 17. September 2007 (2000/1293 ilamat A.K.) um Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung in die Türkei. Der Verfolgte ist durch Urteil der 1. Kammer des staatlichen Sicherheitsgerichts zu Diyarbakir vom 08. Oktober 1999 (1998/24 und 1999/284) in Verbindung mit dem Urteil der 9. Strafkammer des Kassationsgerichthofes vom 01. Mai 2000 (2000/655 – Grundnummer – und 2000/1249) wegen der Begehung der Straftat "Anhängersein der illegalen Terrorvereinigung PKK und Beteiligung an den bewaffneten Taten dieser illegalen Terrorvereinigung" zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dem Verfolgten war unter anderem zur Last gelegt worden, im Jahre 1990 Mitglied der PKK geworden zu sein und bis Ende 1997 verschiedene politische und militärische Ausbildungslager besucht, Propaganda – und Organisationsaktivitäten durchgeführt sowie an mehreren bewaffneten Kampfhandlungen gegenüber staatlichen Einrichtungen und staatlichen Sicherheitskräften beteiligt gewesen zu sein.
Er wurde ausweislich der übersetzten Urteilsgründe des Urteils des staatlichen Sicherheitsgerichts zu Diyarbakir vom 08. Oktober 1999 am 11. Dezember 1997 durch türkische Sicherheitskräfte festgenommen und befand sich zunächst bis zum 29.Dezember 1997 in Polizeihaft der Antiterrorabteilungen der Polizeibehörden Istanbul, Hatay und Mardin und anschließend in Untersuchungs- beziehungsweise Strafhaft. Am 18. März 2003 wurde ihm aufgrund seines Gesundheitszustandes eine sechsmonatige Haftverschonung gewährt. Nach Ablehnung seines Antrages auf Verlängerung tauchte der Verfolgte unter und reiste am 28. Januar 2004 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 10. Dezember 2004 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Außenstelle Dortmund) erstmals einen Asylantrag (Aktenzeichen: 5080125 – 163), der abgelehnt wurde. Unter dem 09. Juli 2004 wurde ihm die Abschiebung angedroht. Das Verfahren ist seit dem 21. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen. Am 29. Mai 2007 stellte er sodann einen Asylfolgeantrag (Aktenzeichen: 523586 – 163), in dem er sich zur Begründung im Wesentlichen auf eine bei ihm bestehende posttraumatische Belastungsstörung aufgrund von Erlebnissen während seiner Inhaftierung unter Vorlage einer fachpsychologischen gutachterlichen Stellungnahme des Dipl.-Psych. X vom 23. Februar 2007 berief. Darin werden folgende Diagnosen gestellt:
- rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, ohne psychotische Symptome (ICD –10; F 33.2) und
- Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD – 10; F 62.0), als Folge einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung (ICD – 10; F 43.1).
Der Gutachter hält zudem eine medikamentöse Behandlung und vor allem eine therapeutische Bearbeitung der traumatisierenden Erinnerungen für dringend erforderlich.
Weiter ist unter anderem in der Stellungnahme ausgeführt: "Sollte eine Behandlung in der Heimat des Klienten stattfinden, so ist die Prognose einer erfolgversprechenden Therapie als ungünstig anzusehen, da die Pathogenese der Erkrankung in dem Land begründet liegt. Erst nachdem Herr E2 über einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland verfügt, kann er sich innerlich sicher genug fühlen, um sich ganz auf eine therapeutische Behandlung einzulassen. Ist dies nicht der Fall, so würde jeder Fortschritt der Therapie immer wieder herbe Rückschläge, (...), erleiden. In erster Linie müsste der Klient in einer Therapie psychisch und körperlich stabilisiert werden, bevor die traumatischen Inhalte exploriert werden können. Dies ist in seiner Heimat nicht möglich. Selbst kleinste Assoziationen, die in seiner Heimat unvermeidbar sind, können zu einer verheerenden Retraumatisierung führen und somit einer effektiven Behandlung im Wege stehen. Das Sehen von türkischen Militärfahrzeugen oder Polizisten, das Hören eines bestimmten Dialektes, wird bei dem Klienten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Verschlimmerung der Symptomatik führen. Auch wenn die Behandlung in einem weit vom Geschehen entfernten Ort stattfinden würde, kann aufgrund der Definition der Erkrankung in einem Land, welches vermehrte Assoziationen mit dem traumatischen Erlebnis auslöst, keine Verbesserung der Symptomatik erreicht werden. (...)
Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine zwangsweise Abschiebung eine Retraumatisierung auslösen wird und zu autoaggressiven Handlungen mit tödlichem Ausgang führen kann. Im Falle einer Ausweisung besteht ein Risiko einer akuten Suizidalität als "Kurzschlussreaktion".
Der Klient ist unter den aktuellen Umständen, der schweren Erkrankung, nicht reisefähig.
Die aktuelle Situation des Klienten würde ein Überleben in der Heimat nicht sicherstellen. Es besteht die erhöhte Gefahr, dass parasuizidale Handlungen als einziger Ausweg vor einer bevorstehenden, erneut erlebten Konfrontation mit der türkischen Polizei oder anderen Assoziationen, von dem Klienten begangen werden. Dabei beschränkt sich die Gefahr des Suizids nicht nur auf den Akt der Rückführung, sondern könnte schon antizipativ, (...), stattfinden. Auch wenn der Klient während der Rückführung medizinisch versorgt und beobachtet werden würde, so besteht nach der Ankunft in der Türkei weiterhin infolge erlebter Hilflosigkeit die akute Gefahr eines Suizids. (...)"
Aufgrund dieser Stellungnahme hob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch mittlerweile bestandskräftigen Bescheid vom 08. Oktober 2008 unter anderem die erlassene Abschiebungsandrohung auf und stellte ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes in die Türkei fest. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: "Dr. B gutachterliche Stellungnahme vom 23.02.2007 stellt schlüssig dar, dass der Antragsteller wegen seiner psychischen Erkrankung im Falle einer Rückkehr in die Türkei dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ernsthaft Schaden an Leib und Leben nimmt (Bl. 17 des Gutachtens). Ebenso wird in diesem Gutachten schlüssig ausgeführt, dass eine psychotherapeutische Behandlung in der Türkei für den Antragsteller nicht zumutbar ist (a.a.O., Bl. 16). (...)."

Auf entsprechende Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat der Verfolgte über seinen Beistand einen aktuellen ärztlichen Befundbericht des Arztes für Nervenheilkunde Y in C3 vom 09. März 2009 eingereicht. Daraus ergibt sich, dass der Verfolgte (weiterhin) an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer mittel- bis schwergradigen depressiven Episode im Rahmen der rezidivierenden depressiven Störung leidet. Weiter heißt es darin unter anderem: "Der Zustand des Patienten ist nicht stabil, eine Ausweisung in die Heimat wird mit größter Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Dekompensation führen. Bei bestehenden Todeswünschen ist von einer Ausweisung dringend abzuraten."
Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat unter dem 18. März 2009 Stellung genommen und beantragt wie beschlossen.
II.
Die Auslieferung des Verfolgten ist wegen der psychischen Erkrankung des Verfolgten derzeit im Hinblick auf den ordre public - Vorbehalt des § 73 IRG in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie unter Beachtung der gemäß Art. 25 GG auch im Auslieferungsverkehr nach dem EuAlÜbk verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards, der unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland und der elementaren rechtstaatlichen Garantien unzulässig.
Eine Verletzung solcher Mindeststandards und Elementargarantien sowie ein Verstoß gegen den ordre public - Vorbehalt ist vor allem angenommen worden, wenn der Verfolgte dauerhaft transport- und haftunfähig ist und schon die Unterbrechung der ärztlichen Kontrolle und Behandlung geeignet ist, Lebensgefahr zu begründen (Senatsbeschluss vom 27. Januar 2009 – (2) 4 Ausl. A 171/08 (22 – 25/09) –; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Juli 2002 – 3 Ausl 96/2000 -, zitiert nach juris Rn. 14 – jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Diese Grundsätze können nach Auffassung des Senats auf Konstellationen übertragen werden, in denen es – wie vorliegend – um die Auslieferung psychisch erkrankter Verfolgter geht, die aufgrund ihrer Erkrankung real suizidgefährdet sind (so auch: OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Juli 2002 – 3 Ausl 96/2000 -, zitiert nach juris Rn. 15), insbesondere wenn die Suizidgefahr beziehungsweise deren Erhöhung gerade auf die – drohende - Auslieferung zurückzuführen ist.
Vorliegend ist unter Berücksichtigung der ärztlichen Unterlagen zu besorgen, dass sich der Zustand des Verfolgten bis hin zur Lebensgefährdung destabilisiert, so dass einer Auslieferung in die Türkei sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entgegensteht. Gerade dieser Aspekt hat auch im Asylverfahren des Verfolgten zu der Feststellung eines Abschiebeverbots in die Türkei und die Aufhebung der Abschiebeandrohung geführt.
Soweit teilweise die Unzulässigkeit der Auslieferung psychisch kranker Verfolgter nur bei Vorliegen begründeter Anhaltspunkte dafür bejaht wird, dass sie in dem ersuchenden Staat nicht entsprechend der völkerrechtlichen Mindeststandards und der rechtstaatlichen Elementargarantien behandelt würden und dass deshalb eine Aktualisierung der Suizidgefahr drohte (so: OLG Stuttgart, Beschluss vom 04. Juli 2002 – 3 Ausl 96/2000 -, zitiert nach juris Rn. 15), führt dies vorliegend nicht zu einer anderen Entscheidung. Zum einen ist der vom OLG Stuttgart entschiedene Fall nicht ohne Weiteres mit dem hiesigen vergleichbar. Zum anderen besteht vorliegend die Besonderheit, dass die Krankheitsentstehung bei dem Verfolgten untrennbar mit den Erlebnissen in der Türkei verbunden ist, so dass allein die Möglichkeit der Rückführung dorthin zu einer erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und einer wesentlichen Erhöhung der Suizidgefahr führt, ohne dass es auf die dortige Behandlung und die dort konkret herrschenden Umstände ankäme.
Nach alledem war die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei zum Zwecke der Strafvollstreckung für unzulässig zu erklären.



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