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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ausl. 65/10 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Zulässigkeit der Auslieferung eines Deutschen nach Polen zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Fahnenflucht.

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungsverfahren

Stichworte: Auslieferung, Unzulässigkeit, Polen Fahnenflucht.

Normen: IRG 73

Beschluss:

Auslieferungsverfahren
In pp.
hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 11.05.2010 beschlossen:
Die Auslieferung des Verfolgten nach Polen ist unzulässig.
Gründe
Die polnischen Behörden begehren die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Fahnenflucht. Gestützt wird das Auslieferungsersuchen auf den bereits vorliegenden Europäischen Haftbefehl des Militärbezirksgerichts in Warschau vom 26. November 2009 – Aktenzeichen: Kp 70/09 – und den zugrunde liegenden Gerichtsbeschluss vom selben Tage.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären und diesen Antrag wie folgt begründet:
"I.
Das Militärbezirksgericht in Warschau hat mit an das Bundesministerium der Justiz gerichtetem Schreiben vom 02.12.2009 (Bl. 2 d. A.) seinen den Anforderungen gem. § 83 a Abs. 1 IRG genügenden Europäischen Haftbefehl vom 26.11.2009 - Aktenzeichen: Kp 70/09 - (BI. 7- 11 d. A.) und den zugrunde liegenden Gerichtsbeschluss vom selben Tage (BI. 3 - 6 d. A.) in polnischer Sprache und deutscher Übersetzung übersandt. Darin wird dem Verfolgten zur Last gelegt, während seines Wehrdienstes in Polen nach einem ihm bis zum 27.09.1990 gewährten Urlaub nicht zu seiner Truppe zurückgekehrt, sondern sich in der Absicht, sich dauerhaft dem Wehrdienst zu entziehen, am 14.09.1990 in die Bundesrepublik Deutschland begeben zu haben, wo er sich seither aufhalte (BI. 10 d. A.).
Der Verfolgte ist ausweislich des Registrierscheins Nr. … des Bundesverwaltungsamtes vom 24.09.1990 und des durch die Stadt Z1 am 14.01.1991 ausgestellten Ausweises für Vertriebene und Flüchtlinge - Nr.: … - (BI. 69 - 71 d. A.) von Geburt an deutscher Staatsangehöriger und seit dem 15.09.1990 im Bundesgebiet aufhältig.
II.
Bei diesem Sachverhalt kann dahinstehen, ob eine Auslieferung bereits deshalb mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland bzw. den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen unvereinbar wäre (§ 73 IRG), weil der Europäische Haftbefehl und die nach polnischem Recht zugrunde liegende innerstaatliche Haftanordnung (allein) durch einen Major bzw. Oberst als Militärrichter ausgestellt wurden, der als Soldat Befehlen Gehorsam schuldet, in die militärische Disziplin eingebunden und deshalb nicht hinreichend unabhängig und unparteiisch gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK ist (zu vgl. OLG Stuttgart, NStZ-RR 2007, 273 ff.).
Die Auslieferung erweist sich jedenfalls als unzulässig, weil es an der beiderseitigen Strafbarkeit gem. §§ 81 Nr. 1, 3 Abs. 1 IRG fehlt. Danach ist die Auslieferung nur dann zulässig, wenn die Tat auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder wenn sie bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre.
Vorliegend fehlt es an einer unmittelbaren Strafbarkeit wegen Fahnenflucht (§ 16 Abs. 1 WStG), weil das deutsche Wehrstrafgesetz gem. § 1 Abs. 1 WStG ausschließlich für Soldaten der Bundeswehr Anwendung findet. Ebenso wenig ließe sich eine Strafbarkeit nach deutschem Recht durch sinngemäße Umstellung des Sachverhalts begründen. Die Verpflichtung eines Deutschen, Wehrdienst in einer fremden Armee zu leisten, ist mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar. Gem. Art. 12 a Abs. 1 GG können Männer unter den näher bezeichneten Voraussetzungen zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden, wobei sich sowohl aus der Verwendung des bestimmten Artikels in der Norm, als auch aus dem Geltungsanspruch des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland zwanglos erschließt, dass ausschließlich eine Dienstpflicht in den deutschen Streitkräften - der Bundeswehr - zulässig ist. Mit dieser verfassungsrechtlichen Wertung im Einklang sind der Eintritt in die Streitkräfte eines ausländischen Staates (§ 28 StAG) bzw. schon das Anwerben eines Deutschen zum Wehrdienst in einer militärischen Einrichtung einer ausländischen Macht (§ 109 h StGB) durch die Rechtsordnung negativ sanktioniert. Demgemäß liefe die in der Auslieferung zur Strafverfolgung liegende Anerkennung einer ausländischen Wehrpflicht eines Deutschen wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung zuwider.
Somit ist die Auslieferung zur Strafverfolgung in die Republik Polen für unzulässig zu erklären."
Diese in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen macht sich der Senat nach eigener Sachprüfung zu eigen und zum Gegenstand seiner Entscheidung, so dass die Auslieferung des Verfolgten nach Polen auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Militärbezirksgerichts in Warschau vom 26. November 2009 – Aktenzeichen: Kp 70/09 – für unzulässig zu erklären war.



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