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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 1007/08 OLG Hamm

Leitsatz: Zu den Anforderungen an die Begründung der Entscheidung, mit der Vollzugslockerungen abgelehnt werden.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Vollzugslockerungen, Verweigerung, Tatleugnung

Normen: StVollzG 11

Beschluss:

In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 27.11.2008 beschlossen:
1. Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
2. Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.
3. Der Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Willich I vom 7. Mai 2008 wird aufgehoben. Die Vollzugsbehörde wird angewiesen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
4. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Das Landgericht Mönchengladbach hat den Betroffenen am 25. April 2006 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Er hat sich am 27. April 2007 zum Strafantritt selbst gestellt und befindet sich seitdem ununterbrochen im Vollzug dieser Haftstrafe. Von dieser werden am 25. Dezember 2009 2/3 verbüßt sein; das Strafende datiert auf den 26. April 2011. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Betroffene, der zuvor strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten war, zwischen Frühjahr 1997 und Frühjahr 2000 mit seiner damals 11- bis 13-jährigen älteren Tochter aus erster Ehe mehrfach Geschlechtsverkehr. Darüber hinaus hatte er vor seiner jüngeren Tochter - ebenfalls aus der ersten Ehe des Betroffenen - masturbiert. Der Betroffene hatte in der Hauptverhandlung diese sexuellen Übergriffe eingestanden, bestreitet aber seitdem die ihm vorgeworfenen Taten.

Mit Entschließung vom 7. Mai 2008 lehnte der Leiter der Justizvollzugsanstalt Willich einen Antrag des Betroffenen ab, ihm einen Begleitausgang mit dem Anstaltsgeistlichen und seiner auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesenen Ehefrau zum Grab der Schwiegermutter zu gewähren. Er verwies darauf, dass die Hintergründe der von dem Betroffenen begangenen Sexualdelikte nicht eruiert werden könnten, weil der Betroffene seine Sexualdelinquenz leugne. Eine zuverlässige Diagnose wie auch Prognose könne nicht erstellt werden, weil weder die Motive noch die lebensgeschichtliche Verankerung des devianten Verhaltens des Betroffenen aufgezeigt werden könnten. Eine Opferempathie sei nicht vorhanden. Insgesamt sei der Betroffene deshalb gegenwärtig für Lockerungen ungeeignet. Eine alternative Ausführung mit der Hamburger Fesselung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die personellen Mittel dafür nicht zur Verfügung stehen würden.

Die Strafvollstreckungskammer hat den dagegen gerichteten Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Sie ist der Auffassung, dass der Leiter der Justizvollzugsanstalt von einem zutreffend und umfassend ermittelten Sachverhalt ausgegangen sei. Zu Recht sei dem Leugnen der Sexualdelinquenz eine besondere Bedeutung beigemessen worden, denn dies belege, dass der Betroffene behandlungsresistent sei und keine Bereitschaft zeige, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken. Der Betroffene selbst verhindere durch sein Verhalten, dass eine zuverlässige Prognose betreffend sein künftiges Legalverhalten erstellt werden könne. Ohne eine solche Prognose könnten aber die besonderen Begründungsanforderungen, die bei der Lockerung eines Sexualstraftäters zu beachten seien, nicht erfüllt werden.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die der Senat zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat, führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sowie des Bescheides der Vollzugsbehörde und zu deren Verpflichtung, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG dürfen Lockerungen des Strafvollzuges gewährt werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entzieht oder Lockerungen des Vollzuges durch Straftaten missbrauchen wird. Das Gesetz räumt der Vollzugsbehörde damit bei der Gewährung von Lockerungen ein Ermessen ein, macht dessen Ausübung aber zunächst davon abhängig, dass der zwingende Versagungsgrund der Flucht- oder Missbrauchsgefahr fehlt. Hinsichtlich dieser Versagungsgründe ist der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum eröffnet, in dessen Rahmen sie mehrere Entscheidungen treffen kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind (BGHSt 30, S. 320). Damit soll vor allem dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Vollzugsbehörde wegen ihrer Nähe zu dem Gefangenen besser als die Gerichte in der Lage ist, diese Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände zu treffen. Versagt deshalb die Vollzugsbehörde die Gewährung von Lockerungen, so hat die Strafvollstreckungskammer nur zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt hat und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat (BGH a.a.O.).

Dass die Entscheidung der Vollzugsbehörde diesen Anforderungen genügt, ist im vorliegenden Fall nicht festzustellen. Die Vollzugsbehörde hat ihre Entscheidung ersichtlich allein darauf gestützt, dass der Betroffene seine Taten inzwischen bestreitet und deshalb therapeutischen Maßnahmen nicht zugänglich sei. Aus diesem Verhalten haben die in der Justizvollzugsanstalt bislang mit dem Betroffenen befassten Psychologen den Schluss gezogen, dass Art und Umfang der sexuellen Fehlentwicklung des Betroffenen nicht festgestellt werden könnten und das Risiko weiterer sexueller Auffälligkeiten mit strafrechtlicher Relevanz sich möglicherweise nicht verringert habe.

Diese Begründung der Ablehnung von Lockerungen jeder Art hält rechtlicher Überprüfung durch den Senat nicht Stand. Die Vollzugsbehörde hat ihrer Entscheidung ersichtlich - nur - den Versagungsgrund der Missbrauchsgefahr zugrunde gelegt. Zwar stellt in diesem Fall - insbesondere wenn es die Gewährung von Lockerungen für einen rechtskräftig verurteilten Sexualstraftäter betrifft - die nachhaltige Tatleugnung stets ein ungünstiges prognostisches Kriterium für die Beurteilung der Missbrauchsgefahr dar. Die Tatleugnung allein begründet aber eine solche Annahme dann nicht, wenn andere - gewichtige - Umstände dem entgegenstehen. Um das Gewicht der Tatleugnung für die Missbrauchsgefahr beurteilen zu können, müssen deshalb im konkreten Fall weitere Prognosegesichtspunkte herangezogen werden, die die aus der Tatleugnung hergeleitete fehlende Unrechtseinsicht und mangelnde Tataufarbeitung zu stützen vermögen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Persönlichkeit des Strafgefangenen und seine Entwicklung bis zur Tat, die Art und Weise sowie Motive der Tatbegehung, mögliche oder erkennbare Motive für das Leugnen der Tat sowie die Entwicklung und das Verhalten im Vollzug und die Eignung für eine Therapie bei der Beurteilung der Missbrauchsgefahr zu beachten (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2004 - 1 Vollz (Ws) 153/04 -; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2000, S. 251).

Im vorliegenden Fall ist von besonderem Gewicht, dass sich die Straffälligkeit des Betroffenen, die zu seiner bisher einzigen Verurteilung geführt hat, in einem familiären Umfeld ereignet hat, das in dieser Form nicht mehr besteht. Die damaligen Tatopfer, die inzwischen volljährigen ehelichen Töchter des Betroffenen, stehen in keinem Kontakt mehr zu ihm. Ihnen droht deshalb im Falle einer Bewilligung des beantragten Begleitausgangs - jedenfalls soweit ersichtlich - keine von dem Betroffenen ausgehende Gefahr. Für eine Gefährdung Dritter lässt aber weder das gegen den Betroffenen ergangene Strafurteil noch sein Vorleben oder sein Vollzugsverhalten irgendwelche Anhaltspunkte erkennen. Unter diesen Umständen vermag der Senat - jedenfalls nach den bisher getroffenen Feststellungen - nicht zu erkennen, warum der Betroffene den von ihm beantragten Begleitausgang zum Grab der Schwiegermutter im Beisein des Anstaltsgeistlichen und seiner körperbehinderten Ehefrau zur Begehung zu Straftaten missbrauchen könnte. An einer ausreichenden Auseinandersetzung mit diesen für die Prognoseentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkten fehlt es. Deshalb waren sowohl die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer als auch der Bescheid der Vollzugsbehörde aufzuheben. Auf eine Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer war nicht zu erkennen, da die Sache in Ansehung der von ihr zu treffenden Entscheidung gemäß § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG spruchreif ist. Insoweit kommt nämlich wegen der Fehlerhaftigkeit des Bescheides der Vollzugsbehörde allein dessen Aufhebung in Betracht. Spruchreife bezüglich der Entscheidung der Vollzugsbehörde liegt allerdings nicht vor. Diese war deshalb anzuweisen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden (§ 115 Abs. 4 S. 2 StVollzG).
III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. einer entsprechenden Anwendung der §§ 467, 473 StPO.



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