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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 VAs 12/11 OLG Hamm

Leitsatz: Zum Abshen von der Strafvollstreckung bei Ausweisung und Abschiebung des Verurteilten.

Senat: 1

Gegenstand: Justizverwaltungssache

Stichworte: Ausländer, Abschieben, Ausweisung, Absehen,

Normen: StPO 456a

Beschluss:

Beschluss
Justizverwaltungssache

In pp. hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21.04.2011 beschlossen:

Der Antrag wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.
Der Gegenstandswert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Verurteilte ist G Staatsbürger. Das Landgericht Wuppertal hat den Verurteilten mit Urteil vom 07.03.2007 wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt (25 KLs 12/06). Zuvor ist der Verurteilte mit Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 12.02.2007 wegen 4 Diebstählen in besonders schwerem Fall, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden (26b Ls 27/06). Mit Beschluss vom 28.05.2008 in Verbindung mit weiterem Beschluss vom 21.07.2008 hat das Landgericht Wuppertal die vorgenannten Verurteilungen unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafen zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren und 6 Monaten zurückgeführt. Die Freiheitsstrafe wird zur Zeit in der JVA X2 vollstreckt. Die Hälfte der Strafe wird am 23.10.2011 verbüßt sein, 2/3 der Strafe am 23.07.2013. Das Strafende ist auf den 23.01.2017 notiert.
Aufgrund der begangenen Straftaten wies die Stadt Y mit inzwischen bestandskräftiger Ordnungsverfügung vom 08.06.2009 den Verurteilten aus dem Bundesgebiet aus.
Nachfolgend begehrte der Verurteilte mehrfach erfolglos seine Abschiebung gem. § 456a StPO vor Ablauf des 2/3 Termins. Ein entsprechendes Gnadengesuch vom 07.06.2010 wies die Gnadenstelle des Landgerichts Wuppertal zurück.
Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 30.11.2010 hat der Verurteilte nunmehr seine Abschiebung und das Absehen von weiterer Vollstreckung der Freiheitsstrafe bereits vor Erreichen des Halbstrafenzeitpunktes beantragt. Zur Begründung hat er auf besondere Umstände in der Person des Verurteilten verwiesen, welche in seiner persönlichen Situation sowie seinem positiven Vollzugsverhalten begründet seien. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat den Antrag mit Bescheid vom 08.12.2010 zurückgewiesen und u.a. ausgeführt, eine über den Halbstrafenzeitpunkt hinausgehende Vollstreckung sei vorliegend schon aufgrund seiner mehrfachen -teils einschlägigen- Vorverurteilungen und langjährigen Haftstrafen in G geboten. Das positive Vollzugsverhalten trete dahinter zurück. Eine Entscheidung gem. § 456a StPO komme erst kurz vor Erreichen des 2/3-Zeitpunktes in Betracht.
Die gegen diesen Bescheid u.a. mit der Begründung eingelegte Beschwerde, das Vollzugsverhalten des Verurteilten, der in mehreren Projekten vorbildlich mitgewirkt habe, sei unzureichend berücksichtigt worden, hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf mit Bescheid vom 07.01.2011 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, ein Absehen von der weiteren Vollstreckung vor dem 2/3-Zeitpunkt komme vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil aufgrund der Schwere der Schuld die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe jedenfalls bis kurz vor Vollstreckung von zwei Dritteln der Strafe zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar geboten sei. Gründe in der Person des Verurteilten, insbesondere eine besondere Haftempfindlichkeit seien schon deshalb nicht gegeben, weil dieser fließend Deutsch rede und sprachlich und sozial im Vollzug voll integriert sei.
Gegen diese, dem Verfahrensbevollmächtigten des Verurteilten am 26.01.2011 zugestellte Entscheidung richtet sich der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung vom gleichen Tag, eingegangen am 07.02.2011, mit welchem er sein Begehr unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Sachvortrages vollumfänglich weiter verfolgt. Insbesondere seien die Resozialisierungsbemühungen des Verurteilten nicht hinreichend gewürdigt worden. Diese, so seine Ansicht, führten vorliegend zu einer Ermessensreduktion auf Null im Sinne der begehrten Entscheidung.
Der Generalstaatsanwalt in Hamm tritt dem Antrag entgegen. Die Gegenerklärung ist dem Verurteilten bekannt gemacht worden. Auf das wechselseitige Vorbringen wird Bezug genommen.

II.
Der Antrag ist gemäß den §§ 23ff EGGVG zulässig, aber nicht begründet.
Die angefochtene Entscheidung unterliegt nicht unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der Vollstreckung abzusehen, liegt gemäß § 456a Abs. 1 StPO in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung fehlerfrei verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zwecke der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Vgl. Senat B. v. 25.10.2006, 1 VAs 79/06; Senat B. v. 08.11.2005, 1 VAs 53/05; KG B. v. 21.05.2001, 4 VAs 15/01, zit. bei JURIS Rdnr 2; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 28 EGGVG Rdnr 10, jew. m.w.N.) Um die gerichtliche Nachprüfung der Ermessensausübung zu ermöglichen, müssen die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die dafür wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Absehen von der weiteren Vollstreckung sprechenden Umstände erkennen lassen (Senat a.a.O.; Meyer-Goßner a.a.O., m.w.N.).
Diese eingeschränkte Überprüfung ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Verurteilten.
Zutreffend hat die Strafvollstreckungsbehörde vorliegend auf den hohen Unrechtsgehalt der abgeurteilten Straftaten abgestellt, der sich in der Höhe der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren und 6 Monaten niederschlägt. Nach den Feststellungen des Urteils des Landgerichts Wuppertal hat der Verurteilte z.B. bei dem Überfall auf die Sparkasse in Y die Sparkassenangestellte mit vorgehaltener Scheinwaffe zur Herausgabe von Bargeld genötigt und dabei in erhebliche Furcht versetzt. Bei der Tat handelte es sich nach den Feststellungen der Kammer auch nicht um eine Spontantat, sondern die Verwirklichung eines im einzelnen geplanten und überlegt ausgeführten Tatplans. Dabei hat die Strafvollstreckungsbehörde zutreffend auch die erheblichen, teilweise einschlägigen Vorstrafen des Verurteilten und den Umstand seiner langjährigen Hafterfahrungen, welche ihn von den vorliegenden Taten nicht haben abhalten können, bei der Entscheidung berücksichtigt.
Es ist weiter nichts dafür ersichtlich, dass der Verurteilte durch den Vollzug der Freiheitsstrafe in Deutschland in besonderer Weise Beeinträchtigungen hinnehmen müsste. Vielmehr hat auch hier die Strafvollstreckungsbehörde zutreffend erkannt, dass der Verurteilte fließend Deutsch spricht, Kontakt zu seiner Familie hält und im Vollzug integriert ist. Dass die Vollstreckungsbehörde vor diesem Hintergrund dem positiven und engagierten Vollzugsverhalten des Verurteilten kein derartiges Gewicht beigemessen hat, dass dieses das Absehen von weiterer Strafvollstreckung bereits vor Erreichen des Halbstrafenzeitpunktes rechtfertigt, ist vor dem Hintergrund der erheblichen Straftaten und Vorstrafen des Verurteilten nicht zu beanstanden.
Entgegen der Ansicht des Verurteilten hat die Vollstreckungsbehörde bei der Entschließung auch nicht gegen zwingende Verwaltungsvorschriften verstoßen.
Nach der RV d. JM vom 20.08.1985 zum Absehen von der Vollstreckung bei Auslieferung und Ausweisung (§ 456a StPO) -9174 - III A. 2- ist bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass die allgemeinen Ziele des Strafrechts nicht in unvertretbarer Weise beeinträchtigt werden. Dies gilt vor allem für Tätergruppen, bei denen das öffentliche Interesse eine nachhaltige Strafverfolgung und Strafvollstreckung gebietet. Nach Abschnitt I Nr. 3 der RV kommt dabei eine über den Halbstrafenzeitpunkt hinausgehende Vollstreckung nur dann in Betracht, wenn dies aus besonderen, in der Tat oder der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar geboten ist. Vorliegend ist schon aufgrund der abgeurteilten räuberischen Erpressung ein erhebliches öffentliches Interesse an einer nachhaltigen Strafvollstreckung i.S.d. RV gegeben. Die Voraussetzungen, an welche die Verwaltungsvorschriften gem. Abschnitt I Nr. 3 der RV eine Vollstreckung über den Halbstrafenzeitpunkt hinaus knüpfen, sind nach dem Ausgeführten ebenfalls unzweifelhaft gegeben. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit, bei ausländischen Straftätern von der Strafvollstreckung abzusehen, nicht im Interesse dieses Täterkreises, sondern im Interesse der Bundesrepublik Deutschland geschaffen hat, um diese in einem vertretbaren Rahmen von der Last der Strafverfolgung zu befreien (vgl. Senatsbeschluss vom 06.11.2005 - 1 VAs 53/05). Insofern hat der Verurteilte kein Recht auf ein Absehen der weiteren Strafvollstreckung, sondern nur einen Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch der Vollstreckungsbehörde. Dem ist hier entsprochen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 30 Abs. 1 S. 1 EGGVG, 130 Abs. 1 KostO, die Wertfestsetzung beruht auf §§ 30 EGGVG, 30 KostO.




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