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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-5 RBs 53/11 OLG Hamm

Leitsatz: Zum rechtzeitigen Zugang eines Schriftsatzes, mit dem Entbindung von der Erscheinenspflicht beantragt wird.

Senat: 5

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte:

Normen: OWiG 74; OWiG 73

Beschluss:

Bußgeldsache
In pp.
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm am 22.06.2011 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird wegen Versagung des rechtlichen Gehörs
zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bottrop zurückverwiesen.

Gründe:
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat Folgendes ausgeführt:
" I.
Mit Bußgeldbescheid vom 16.04.2010 hat der Oberbürgermeister der Stadt C3 gegen den Betroffenen wegen Unterschreitens des Mindestabstandes eine Geldbuße von 105,00 EUR festgesetzt (Bl. 21 – 22 d.A.). Das Amtsgericht Bottrop hat den dagegen gerichteten Einspruch vom 01.05.2010 (Bl. 25 d.A.) mit Urteil vom 07.01.2011 gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen (Bl. 58a d.A.). Gegen dieses seinem Verteidiger am 13.01.2011 zugestellte (BI. 61 d.A.) Urteil hat der Betroffene mit am 14.01.2011 bei dem Amtsgericht Bottrop eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 13.01.2011 (BI. 63 d.A.) die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und diese mit weiterem, am 07.02.2011 bei dem Amtsgericht Bottrop eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 04.02.2011 (BI. 67 — 105 d.A.) mit der Verletzung rechtlichen Gehörs begründet.

II.
Der form- und fristgerecht gestellte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist begründet.

Die Rechtsbeschwerde ist wegen der Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.

Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Verletzung des § 73 Abs. 2 OWiG und die Gesetzeswidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht, genügt den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Danach muss bei einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, falls das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.03. 2009 — 4 Ss OWi 173/09 — m.w.N.). Zur Erfüllung dieser Voraussetzungen muss der Betroffene darlegen, aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung unter keinen Umständen hätte erwarten dürfen. Hierzu ist es erforderlich, den im Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf und die konkrete Beweislage im Einzelnen vorzutragen. In diesem Zusammenhang ist in aller Regel auch darzulegen, wann und mit welcher Begründung der Antrag auf Entbindung von der Erscheinenspflicht gestellt worden ist und wie das Gericht diesen Antrag beschieden hat. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör zudem nur dann verletzt ist, wenn die erlassene Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages einer Partei hat, müssen in der Begründungsschrift konkret die Tatsachen dargelegt werden, anhand derer die Beruhensfrage geprüft werden kann. Ferner muss der Rechtsbeschwerdebegründung zu entnehmen sein, ob der Verteidiger durch den Betroffenen ausreichend bevollmächtigt gewesen ist, den Entbindungsantrag für ihn zu stellen (zu vgl. OLG Hamm, VRS 107, 124 – 126; OLG Hamm, Beschluss vom 19.11.2008 – 4 Ss OWi 456/08 – m.w.N.).

Das Rügevorbringen des Betroffenen genügt diesen Anforderungen. Insbesondere hat er unter Wiedergabe des Gutachtens der Sachverständigen Dr. C dargelegt, dass auf den Beweisfotos aufgrund der starken Spiegelung der Frontscheibe das Gesicht des Fahrers nicht zu erkennen ist und daher auch durch seine bloße Anwesenheit in der Hauptverhandlung zur Inaugenscheinnahme und Vergleich mit den Beweisfotos ein Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung nicht zu erwarten ist. Der Begründungsschrift ist ferner zu entnehmen, dass das Amtsgericht Bottrop über das als Entbindungsantrag auszulegende Schreiben vom 06.01.2011 nicht entschieden hat.

Der formgerecht begründete Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg, da durch das angefochtene Urteil der Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden ist.

Das Gericht hat weder über den Antrag des Betroffenen, ihn von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, entschieden noch hat es sich im Urteil mit den Gründen, die der Betroffene für seinen Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen geltend gemacht hat, befasst. Der Tatrichter hat aber einem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn der Betroffene sich zur Sache geäußert hat und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts in der Hauptverhandlung nicht erforderlich ist. Daher ist der Anspruch des Betroffenen auf die Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, wenn der Tatrichter den Entbindungsantrag ablehnt, ohne nachvollziehbare Gründe dafür anzuführen und sich auch im Urteil nicht mit den für eine Entbindung geltend gemachten Gründen auseinandersetzt (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2003 - 2 Ss OWi 257/03 -; BayObLG, DAR 2000, 578 m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat das Gericht den Antrag des Betroffenen gar nicht beschieden. Aufgrund dieses Mangels ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht in der Lage zu prüfen, ob das Amtsgericht das ihm vom Gesetz eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07.04.2003, a.a.O.)."

Diesen im Grunde zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Senat an. Ergänzend ist anzumerken, dass seitens des Senats zwar Bedenken bestehen, ob der den Entbindungsantrag des Betroffenen nach § 73 Abs. 2 OWiG beinhaltende Schriftsatz des Verteidigers vom 6. Januar 2011, der dem Amtsgericht erst am Terminstag, dem 7. Januar 2011, um 09.00 Uhr und damit nur ca. eineinhalb Stunden vor der angesetzten Terminsstunde per Fax übermittelt wurde, überhaupt zur Kenntnis des zuständigen Dezernenten gelangt ist.

Der Senat teilt insoweit nicht die Auffassung des OLG Bamberg in dem vom Verteidiger des Betroffenen überreichten Beschluss vom 25. März 2008 im Verfahren 3 Ss OWi 1326/2008. Danach soll es einem ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb entsprechen, dass ein erst 30 Minuten vor dem Beginn der Hauptverhandlung per Fax übermittelter Schriftsatz mit einem Antrag des Betroffenen auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen dem zuständigen Tatrichter noch zur Kenntnisnahme vorgelegt wird und der Antrag damit rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist.

Diese Ansicht erscheint lebensfremd, sie entspricht nicht der Realität des Gerichtsalltags. Es ist gerichtsbekannt, dass es schon seit Jahren sowohl in Zivil- als auch Strafverfahren gängige Praxis der Prozess- bzw. Verfahrensbevollmächtigten der jeweiligen Beteiligten ist, Schriftsätze und sonstige Eingaben zunächst vorab per Fax - sogar mit den jeweils erforderlichen Abschriften – und sodann im Original bei Gericht einzureichen. In vielen Fällen werden aus Kostengründen Originale überhaupt nicht mehr übersandt. Angesichts dieser gerichtsbekannten alltäglichen Handhabung mutet es schon weltfremd an, einem per Fax übersandten Schreiben bereits aufgrund der gewählten Übermittlungsform eine wesensimmanente grundsätzliche Eilbedürftigkeit beizumessen.

Auch hier enthält der Schriftsatz des Verteidigers vom 6. Januar 2011 den Zusatz: "nur per Fax", allerdings mit dem weiteren Hinweis: "Bitte sofort dem Richter vorlegen! Hauptverhandlung am Freitag, den 07.01.2011, 10:40 Uhr, 1. Etage, Sitzungssaal 14!".

Vorliegend kommt jedoch hinzu, dass sich dem Senat angesichts der Zusendung des Schriftsatzes am Terminstag per Fax, seiner Formulierung sowie seines Aufbaus und des hierdurch erzielten optischen Eindrucks die Vermutung aufdrängt, dem Tatrichter habe die Kenntnisnahme vom Entbindungsantrag des Betroffenen möglichst erschwert werden sollen. So ist es schon recht befremdlich, weshalb dieser doch eilige Schriftsatz zwar unter dem 6. Januar 2011 gefertigt, aber erst am nächsten Tag, dem Terminstag, per Fax dem Gericht übersandt wird. Der Entbindungsantrag wird zudem in keiner Weise optisch hervorgehoben und auch nicht seitens des Verteidigers selbst gestellt. Er findet sich vielmehr versteckt in einer längeren gesperrt geschriebenen eigenen Einlassung des Betroffenen, die der Verteidiger innerhalb seines Schriftsatzes wiedergibt. Es fehlt auch an einer konkreten Antragstellung auf Entbindung, verwendet wird nur die eher schwammige Formulierung: "An der Hauptverhandlung will ich nicht teilnehmen."

Ob bei einem eineinhalb Stunden vor dem Hauptverhandlungstermin per Fax gestellten Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG noch von einem rechtzeitigen Eingang bei Gericht gesprochen werden kann, kann vorliegend aber dahingestellt bleiben. Der Senat würde zwar angesichts der dargelegten Umstände sowie des bekanntermaßen heutzutage nicht unerheblichen allgemeinen Geschäftsbetriebs dazu neigen, den Antrag als nicht mehr rechtzeitig zu werten. Ausweislich der in der Akte befindlichen Abschrift des amtsgerichtlichen Urteils kann aber jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass dem zuständigen Dezernenten vor seiner Entscheidung der Schriftsatz vom 6. Januar 2011 mit dem Entbindungsantrag des Betroffenen tatsächlich noch vorgelegen hat. In der Urteilsabschrift heißt es nämlich in den Gründen: "Der Betroffene, der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Termin nicht entbunden wurde, …" Diese Formulierung von der nicht erfolgten Entbindung des Betroffenen, die auf eine rechtzeitige Vorlage des per Fax übermittelten Schriftsatzes hindeutet, findet sich allerdings in dem im Terminsprotokoll enthaltenen verkündeten Urteilstext nicht. Welcher Urteilstext den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, ist jedoch nicht erkennbar. Festzustellen ist jedenfalls, dass das unterschriebene und mit Gründen in der Hauptverhandlung verkündete Urteil einerseits und die Gründe der bei den Akten befindlichen Urteilsabschrift andererseits nicht übereinstimmen.

Da somit die Möglichkeit besteht, dass der zuständige Dezernent Kenntnis vom Schriftsatz vom 6. Januar 2011 hatte, ist die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zutreffend und dem Rechtsmittel des Betroffenen ein jedenfalls vorläufiger Erfolg beschieden.




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