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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-3 RVs 4/12 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn sich die Feststellungen zum Schuldspruch (teilweise) auf die Wiedergabe eines Tatbestandsmerkmals (Besitz von Betäubungsmitteln) beschränken, Ausführungen zum konkreten Tatgeschehen und zur subjektiven Tatseite aber weitgehend fehlen.
2. Zu den Mindestfeststellungen bei der Verurteilung wegen Leistungserschleichung.
3. Zur Bemessung der Tagessatzhöhe bei nahe am Existenzminimum lebenden Angeklagten.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Berufungsbeschränkung, Mindestfeststellungen, Besitz, Betäubungsmittel, Leistungserschleichung, Geldstrafe, Nettoprinzip

Normen: StPO 318, StGB 40

Beschluss:

In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 2. 2. 2012 beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht Bielefeld verurteilte den Angeklagten durch Urteil vom 29. Juni 2011 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 20,- €. Darüber hinaus verhängte es gegen ihn unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Bielefeld vom 24.09.2010 – 35 Cs 1371/10 – wegen Leistungserschleichung eine Gesamtgeldstrafe von weiteren 50 Tagessätzen zu je 20,- €. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten, die dieser mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19. September 2011 vor der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, hat die 12. kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld durch Urteil vom 11. Oktober 2011 das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 29. Juni 2011 aufgehoben und neu gefasst. Danach ist der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 24. September 2010 (Az.: 35 Cs 14 Js 1391/10 – 1371/10) wegen Erschleichens von Leistungen zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,- € und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer weiteren Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,- € verurteilt worden.

Das Landgericht hat die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch für wirksam angesehen und folgende Feststellungen des Amtsgerichts für bindend erachtet:
"
1.
Am 19.10.2010 hielt sich der Angeklagte im Bereich der I-Straße in C auf. Dabei war er im Besitz von 1,67 Gramm Heroin.
2.
Am 07.09.2010 benutzte er ein Verkehrsmittel der Linie 3 des Verkehrsunternehmens N GmbH ohne im Besitze eines gültigen Fahrausweises zu sein."

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Revision, die er durch seinen Verteidiger mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts bezogen auf den Rechtsfolgenausspruch begründet hat.

II.
Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Sie führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bielefeld.

Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch durch den Angeklagten ist nicht wirksam. Voraussetzung einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist, dass das angefochtene Urteil seine Prüfung ermöglicht. Die Beschränkung ist unwirksam, wenn die tatrichterlichen Feststellungen unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und daher keine geeignete Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfolgenentscheidung bieten; sie müssen erkennen lassen, durch welche erwiesenen Tatsachen die gesetzlichen Merkmale der Straftat als verwirklicht angesehen worden sind. Dies gilt sowohl für die Merkmale der äußeren als auch der inneren Tatseite. Auch Letztere müssen, sofern sie sich nicht von selbst aus der Sachverhaltsschilderung ergeben, durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. KK-Paul, 6. Aufl., § 318 Rdnr. 7 m.w.N.; Meyer-Goßner, § 318 Rdnr. 16 m.w.N.; BGH NStZ 94, 130; BGH NStZ-RR 2003, 310; OLG Hamm, NStZ-RR 2001, 300).

Diesen Anforderungen werden die Feststellungen des Amtsgerichts, die die Strafkammer für bindend erachtet hat, nicht gerecht. Hinsichtlich des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz beschränken sich die Feststellungen darauf, einen Teil des gesetzlichen Tatbestandes, nämlich den "Besitz" von 1,67 g Heroin, darzulegen. Es fehlt hingegen an jeglicher näherer Feststellung zu Tatumständen, die eine Subsumtion unter das objektive Tatbestandsmerkmal des Besitzes nachvollziehbar erscheinen lassen. Unter "Besitz" i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG ist kein Zustand zu verstehen, sondern ein Dauerdelikt, ein kausales Verhalten, nämlich die Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses (vgl. Körner, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 13 Rdnr. 16 m. zahlr. N.). Darzulegen ist, inwieweit der Angeklagte die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit und den ungehinderten Zugang zu dem Betäubungsmittel hatte, etwa, ob er mittelbaren oder unmittelbaren Gewahrsam an dem Betäubungsmittel innehatte, und aus welchen Umständen seine tatsächliche Sachherrschaft folgt.

Zudem sind die subjektiven Voraussetzungen des Tatbestandes nachvollziehbar aufgrund von Tatsachen darzulegen. Erforderlich ist der Besitzwille des Täters, sich den ungehinderten Zugang zu dem Betäubungsmittel zu verschaffen oder die Sachherrschaft hierüber für sich zu erhalten (vgl. Körner, a.a.O., § 29 Tei 13 Rdnr. 50 f. m. zahlr. w.N.).

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils zum strafbaren Besitz von Betäubungsmitteln genügen diesen Anforderungen in keiner Weise; sie sind so lückenhaft und dürftig, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Verurteilung darzustellen vermögen.

Für die Feststellungen der Leistungserschleichung fehlt es ebenfalls an den notwenigen Feststellungen sowohl zu den objektiven als auch zu den subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 265 a StGB. Die getroffenen Feststellungen ergeben nicht, dass der Angeklagte eine Beförderung erschlichen hat. Insoweit ist zumindest die Feststellung unter näherer Angabe der angewandten Tatsachen erforderlich, dass der Angeklagte sich (vertragswidrig) "mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit" umgeben hat (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., Rdnr. 21 zu § 265 a m.w.N.; BGHSt 53, 122). Wie der Angeklagte sich konkret verhalten hat, was für eine Art von Verkehrsmittel er benutzt hat, ob er einen ungültigen Fahrausweis oder gar keinen bei sich führte und welches Element einer Täuschung oder Manipulation sich in seinem Verhalten gezeigt hat, ist nicht näher dargetan. Zur subjektiven Tatbestandsseite lassen die Feststellungen zudem jegliche Ausführungen vermissen. Erforderlich ist, dass der Täter mit mindestens bedingtem Vorsatz gehandelt hat, der die Entgeltlichkeit der Leistung umfasst und ebenso die Tathandlung des Er-schleichens (vgl. Fischer, a.a.O., § 265 a Rdnr. 26). Der Vorsatz fehlt jedoch, wenn der Täter beim Einsteigen in ein Verkehrsmittel annimmt, er sei im Besitz eines gültigen Fahrausweises (vgl. Fischer, a.a.O., wie vor; Koblenz NJW 2000, 86 f).

Aufgrund des Fehlens jeglicher Feststellungen zu den näheren Umständen der Tat sind auch diese Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht geeignet, eine tragfähige Grundlage für die Verurteilung des Angeklagten zu bilden.

Zu Unrecht hat die Strafkammer daher die Berufungsbeschränkung des Angeklagten als wirksam angesehen.

Auf die – damit als unbeschränkt erhoben geltende – Sachrüge des Angeklagten war das Berufungsurteil nach §§ 353, 354 Abs. 2 S. 1 StPO mit den Feststellungen insgesamt aufzuheben und an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückzuverweisen.

Die Strafkammer wird im Zuge der erneuten Verhandlung und Entscheidung der Sache neue – tragfähige – Feststellungen im Falle der Verurteilung treffen müssen.

Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs merkt der Senat zur Höhe der verhängten Tagessätze Folgendes an:

Bei einkommensschwachen, nahe am Existenzminimum lebenden Personen wirkt sich das Nettoeinkommensprinzip gemäß § 40 Abs. 2 S. 2 StGB systembedingt stärker aus als bei Normalverdienern. Aus Gründen der Angemessenheit kann es geboten sein, diesem Umstand durch Senkung der Tagessatzhöhe Rechnung zu tragen. Übersteigt das Nettoeinkommen des Täters nicht oder nicht wesentlich das Existenzminimum, so kann als Tagessatz auch ein Betrag, der unter dem Dreißigstel des Monatseinkommens liegt, in Betracht kommen (vgl. OLG Hamm NJW 1980, 1534; OLG Köln NJW 1976, 636; OLG Hamburg NStZ 2001, 655). Zudem kann es geboten sein, Zahlungserleichterungen gemäß § 42 StGB anzuordnen (vgl. OLG Hamburg, NStZ 2001, 655; OLG Köln, Beschluss vom 10.06.2011 – 1 RVs 96/11, veröffentlicht bei BeckRS 2011, 18142).

Im Rahmen der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden sein.




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