Aktenzeichen: 1 VAs 112/11 OLG Hamm |
Leitsatz: Die Staatsanwaltschaft ist hinsichtlich der Aufbewahrungsfristen für Schriftgut an die Rechtsver-ordnung über die Aufbewahrung von Schriftgut in der Justiz und Justizverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (AufbewahrungsVO NRW) gebunden. |
Senat: 1 |
Gegenstand: Justizverwaltungssache |
Stichworte: Aufbewahrungsfrist, Schriftgut |
Normen: JustG NRW 121 |
Beschluss: Justizverwaltungssache betreffend pp. wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden (hier: Vernichtung einer Akte vor Ablauf der normierten Aufbewahrungsfrist) Auf den Antrag des Betroffenen vom 05.11.2011 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Bonn vom 19.10.2011 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06.03.2012 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlan-desgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung des Generalstaatsan-walts in Hamm und des Betroffenen beschlossen: Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Verfahrens werden dem Betroffenen auferlegt. Der Geschäftswert wird auf 2.500,-- festgesetzt. Gründe: Der Betroffene wendet sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen einen Be-scheid der Staatsanwaltschaft Bonn vom 19.10.2011, mit dem sein Antrag auf Vernichtung der ihn betreffenden, bei der Staatsanwaltschaft Bonn in Papierform gelagerten Akte zurückgewiesen wurde. In dem Archiv der Staatsanwaltschaft Bonn wird derzeit die Akte eines gegen den Betroffenen geführten und mit Beschluss vom 22.02.2011 nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellten Ordnungs-widrigkeitsverfahrens 556 Js OWi 226/11 gelagert. Mit Antrag vom 27.08.2011 beantragte der Betroffene die Vernichtung der Akte, was die Staatsanwaltschaft Bonn mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.10.2011 abgelehnt hat. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Aufbewahrungsfristen für Ermittlungsakten ergäben sich aus der Verordnung über die Aufbewahrung von Schriftgut in der Justiz und Justizverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen. Diese Verordnung trage den in § 121 JustG aufgeführten Interessen der Verfahrensbeteiligten Rechnung, insbesondere seien die in der Aufbewahrungsverordnung differenziert aufgenommenen Fristbestimmungen bereits als Ausfluss der dort genannten Verhältnismäßigkeitsprüfung zu verstehen. Es seien auch keine Gründe ersichtlich, die eine gesetzlich nicht vorgesehene Verkürzung der Aufbewahrungsfristen erforderten. Gegen diesen Bescheid wendet sich der Betroffene mit seinem am 10.11.2011 bei dem Oberlandesgericht Hamm eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 05.11.2011. Zur Begründung führt der Betroffene im Wesentlichen aus, er sehe sich in seinem Recht auf infor-mationelle Selbstbestimmung verletzt. Die Staatsanwaltschaft Bonn habe versäumt, hinsichtlich der Erforderlichkeit der weiteren Aktenaufbewahrung eine gebotene Einzelfallprüfung vorzu-nehmen, um festzustellen, ob die Aufbewahrung der Verfahrensakten zur Erfüllung der rechtmäßigen Aufgaben einer Staatsanwaltschaft erforderlich sei. Des Weiteren sei ein Auffin-den der Akte ohnehin nicht möglich, da mit der am 17.06.2011 auf seinen Antrag verfügten Lö-schung seiner personenbezogenen Daten aus dem Vorgangsverwaltungssystem ein Auffinden der Akte nicht mehr möglich sei. Selbst wenn dies doch gelänge, sei es aufgrund der Be-sonderheiten des Einzelfalls, namentlich der geringen Bedeutung des Ausgangsverfahrens, der Inhaltsleere der Akte und des Umstandes, dass kein Geschädigter existiere, ausgeschlossen, dass aus einem der in § 121 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2-4 JustG NRW abschließend aufgezählten Gründen auf den Vorgang zurückgegriffen werde. Der Generalstaatsanwalt in Hamm hat beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen. II. Das Rechtsmittel des Betroffenen ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Betroffene begehrt die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zum Erlass bestimmter abgelehnter Justizverwaltungsakte auf dem Gebiet der Strafrechtspflege nach § 23 Abs. 2 EGGVG. Die Ablehnung der Vernichtung der Akte stellt eine Verfügung einer Justizbehörde zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege mit Maßnah-mecharakter dar (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 02.07.2002, 1 VAs 5/02). Mangels eines förmlichen Rechtsbehelfs bedarf es keines Vorschaltverfahrens nach § 24 Abs. 2 EGGVG. Die Antragsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG ist gewahrt. Der Antrag hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Staatsanwaltschaft Bonn ist zutreffend davon ausgegangen, dass sie hinsichtlich der Auf-bewahrungsfristen für Schriftgut an die Rechtsverordnung über die Aufbewahrung von Schriftgut in der Justiz und Justizverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (AufbewahrungsVO NRW) gebunden ist. Gegen die im Einklang mit § 121 Abs. 1 JustG NRW stehende AufbewahrungsVO NRW be-stehen auch in Ansehung des Rechtes des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung und effektiven Rechtsschutz keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Verordnung trägt den an den grundrechtlich geschützten Interessen der Beteiligten orientier-ten Vorgaben des § 120 Abs. 1 und § 121 Abs. 2 JustG NRW ausreichend Rechnung. Da-nach haben die Bestimmungen über die Aufbewahrungsfristen von Schriftgut das Interesse des Betroffenen daran, dass die zu seiner Person erhobenen Daten nicht länger als erforderlich ge-speichert werden, das Interesse der Verfahrensbeteiligten, auch nach Beendigung des Verfahrens Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften aus den Akten erhalten zu können, ein rechtli-ches Interesse nicht am Verfahren Beteiligter, Auskünfte aus den Akten erhalten zu können und das Interesse von Verfahrensbeteiligten, Gerichten und Justizbehörden, dass die Akten nach Beendigung des Verfahrens noch für Wiederaufnahmeverfahren, zur Wahrung der Rechtseinheit, zur Fortbildung des Rechts oder für sonstige verfahrensübergreifende Zwecke der Rechtspflege zur Verfügung stehen, zu beachten. Dem werden die in der AufbewahrungsVO NRW normierten Aufbewahrungsfristen insbesondere durch die Differenzierung der Länge der jeweiligen Aufbewahrungsfrist nach der Bedeutung der Sache und der Rechtsnatur der jeweiligen Angelegenheit gerecht. Unter Berücksichtigung der möglichen Interessen der Verfahrensbeteiligten am Rückgriff auf die archivierten Schriftstücke sind auch die normierten Mindestfristen für staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten und gerichtliche Entscheidungen nicht zu beanstanden, zumal die Verordnung insoweit hinsichtlich der Aufbewahrungsfristen auch nach einzelnen Aktenbestandteilen differenziert. Dabei ist offen-sichtlich, dass die Aufbewahrungsfristen im Interesse einer effektiven Strafrechtspflege auch in Ansehung des Rechtes eines Verfahrensbeteiligten auf informationelle Selbstbestimmung jedenfalls den Zeitraum abdecken müssen, in dem Erkenntnisse aus Ermittlungsverfahren oder Verurteilungen gegen einen Verfahrensbeteiligten in anderen Verfahren verwendet werden können. Aber auch über diesen Zeitraum hinaus ist eine zeitlich begrenzte Aufbewahrung von Schriftgut im Interesse anderer Verfahrensbeteiligter verfassungsrechtlich unbedenklich. Zum einen sind die Interessen anderer Verfahrensbeteiligter auf langfristigen Zugriff auf die Ermittlungsakten, beziehungsweise die in den Ermittlungsverfahren ergangenen Entscheidungen etwa zum Zwecke der Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen oder Rentenansprüchen nicht weniger schützenswert, als das Recht eines (ehemaligen) Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung. Zum anderen ist die Staatsanwaltschaft dazu in der Lage und verpflichtet, besondere Vorkehrungen zum Schutz missbräuchlicher Verwendung der Daten zu treffen und den Zugriff Dritter auf die in Papierform archivierten Akten oder Aktenbestandteile auf das erforderliche Mindestmaß zu beschränken, so dass auf diese Weise die Intensität des Eingriffs in die verfassungsmäßig geschützten Rechte eines Betroffenen minimiert wird. Vor diesem Hintergrund besteht keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit für eine Überprüfung der Angemessenheit der geregelten Aufbewahrungsfristen im Einzelfall durch die zur Aufbewahrung von Schriftgut verpflichteten Justizbehörden (vgl. Senatsbeschluss vom 30.07.2009 1 VAs 70/09 -; so-wie KG Berlin, Beschluss vom 17.02.2009 1 VAs 38/08-). Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung war daher als unbegründet zurückzuweisen. III. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO. |
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