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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 71/06 OLG Hamm

Leitsatz: Ab Blutalkoholkon¬zentrationswerten von 2,00 o/oo ist in den Urteilsgründen die Frage der vermin¬derten Schuldfähigkeit stets zu erörtern.


Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: fahrlässige Tötung; Strafzumessung; Rückrechnung; verminderte Schuldfähigkeit; Urteilsgründe, Anforderungen

Normen: StGB 21; StGB 46

Beschluss:

Strafsache
gegen N.M.
wegen fahrlässiger Tötung

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der V. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 5. Oktober 2005 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesge¬richts Hamm am 03. 04. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht Warnke nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeklagten sowie seines Ver¬teidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde lie¬genden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision einschließlich der Nebenklage, an eine andere kleine Strafkammer des Landge¬richts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 6. Juni 2005 wurde der Angeklagte we¬gen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Ferner wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und sein Führerschein eingezogen. Die Straßenver¬kehrsbehörde wurde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat die V. kleine Straf¬kammer des Landgerichts Bielefeld durch das angefochtene Urteil vom 05.10.2005 mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 3. Juni 2004 - Az.: 844 Cs
369 Js 50275/03 - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Mo¬naten verurteilt worden ist. Seine Berufung hatte der Angeklagte zuvor im Verlaufe der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Gegen das Berufungsurteil wendet sich der Angeklagte durch seinen Verteidiger mit der Revision, die er unter näheren Ausführungen mit der Rüge der Verletzung mate¬riellen Rechts begründet hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft und der Vertreter des Nebenklägers haben beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Er¬folg. Sie führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenaus¬spruch mit den insoweit zugrunde liegenden Feststellungen.

Die auf die Sachrüge von Amts wegen vorzunehmende Überprüfung, ob die Straf¬kammer zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist, ergibt, dass die Urteilsfeststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung tragen; die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils zur Tat bieten eine hinreichende Grundlage für die Nachprüfung der Rechts¬folgenentscheidung. Zwar fehlen in den Urteilsfeststellungen nähere Angaben zu den Umständen der Alkoholaufnahme, beispielsweise dem Beginn und dem Trinkende, jedoch hindert dies eine wirksame Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nicht.

Der Rechtsfolgenausspruch hält indes der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht Stand. Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revi¬sionsgericht kann im Allgemeinen nur eingreifen, wenn die Erwägungen, mit denen der Tatrichter Strafart und Strafmaß begründet hat, in sich rechtsfehlerhaft sind, wenn er rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht lässt oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 24, 132). Auch begründen die Strafzumessungserwägungen dann die Revision, wenn von einem falschen Strafrahmen ausgegangen wird oder die für das Strafmaß materiell-rechtlich maßgeblichen Leitgesichtspunkte (§ 46 StGB) nicht richtig gesehen oder nicht zugrunde gelegt worden sind. So liegt der Fall hier, denn die Kammer hat sich mit der sich aufdrängenden Möglichkeit einer Strafmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB im Hinblick auf eine verminderte Schuldfähigkeit des Ange¬klagten nicht auseinandergesetzt. Nach den Urteilsfeststellungen ergab eine dem Angeklagten um 11.10 Uhr entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkon¬zentration von 1,77 o/oo. Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit ergibt sich hingegen aus den Urteilsgründen nicht. Bereits die Höhe der gut zwei Stunden nach der Tat festge¬stellten Blutalkoholkonzentration hätte für die Kammer Anlass sein müssen, die Frage einer verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB zu erörtern und die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit durch Rückrechnung festzustellen. Dies gilt umso mehr, als sich aus den Urteilsfeststellungen weiter ergibt, dass bei dem Ange¬klagten eine langjährige Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit bestand und er trotz mehrmaliger Entgiftungen und einer durchgeführten Langzeittherapie weiter¬hin ein Alkoholproblem besaß.
Unter Zugrundelegung der nach der Rechtsprechung anerkannten Rückrechnungs¬regeln ist zur Prüfung der Schuldfähigkeit des Täters von einem maximalen Abbau¬wert auszugehen, der sich aus einem stündlichen Abbauwert von 0,2 o/oo und einem einmaligen Sicherheitszuschlag von 0,2 o/oo ergibt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB,
43. Aufl., Rdnr. 13 zu § 20 m.w.N.). Zugunsten des Angeklagten ist angesichts eines Zeitraumes von zwei Stunden zwischen der Tatzeit und der Blutentnahme von einer Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,37 o/oo auszugehen. Ab Blutalkoholkon¬zentrationswerten von 2,00 o/oo ist aber in den Urteilsgründen die Frage der vermin¬derten Schuldfähigkeit stets zu erörtern (vgl. BGH NStZ 1997, 383; Senatsbeschluss vom 14.05.1998 - 3 Ss 242/98 - m.w.N.). Zwar ist zu berücksichtigen, dass die mil¬dernde Wirkung einer verminderten Schuldfähigkeit durch die - ebenfalls alkoholbe¬dingte - erhöhte objektive Gefährlichkeit der Trunkenheitsfahrt kompensiert werden mag, jedoch lässt sich zugunsten des Angeklagten letztlich nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei erschöpfender und fehlerfreier Abwägung der Voraussetzungen und Anwendung der §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu einer milderen Strafe gefunden hätte.
Dies gilt umso mehr, als massive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Ange¬klagte aufgrund seines langjährigen Alkoholkonsums und mehrfacher erfolgter Ent¬giftungen und Langzeitbehandlungen als alkoholkrank einzustufen sein könnte. Feh¬lerhaft dürfte in diesem Fall sein, dass die Kammer gewichtig zu Ungunsten des An¬geklagten berücksichtigt hat, dass es für den Alkoholrückfall am Abend des 26.04.2004 keinerlei nachvollziehbare Gründe aus einer familiären oder beruflichen Krise gegeben hatte. Das Wesen einer Alkoholabhängigkeit bzw. Alkoholerkrankung besteht gerade im Kontrollverlust, so dass das Nichtvorliegen familiärer oder berufli¬cher Krisen als Auslöser gerade keinen Anknüpfungspunkt für ein zusätzliches Ver¬schulden darstellen muss. Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB bedarf es einer umfassenden Gesamtwürdigung der bei dem Angeklagten vor¬liegenden komplexen Alkohol- und Medikamentenproblematik, bei der von der Kammer zu erwägen ist, ob nicht die Einholung fachkundiger, d.h. sachverständiger Hilfe geboten erscheint. Soweit die Kammer den behandelnden Arzt Dr. Reker als sachverständigen Zeugen vernommen hat, betraf dies nach den Ausführungen der Urteilsgründe im Wesentli¬chen die nach der Tat erfolgte medizinisch-therapeutische Behandlung des Ange¬klagten, weniger die bereits vor der Tat und zum Tatzeitpunkt bestehende akute Al¬koholproblematik.

Auch die weiteren Ausführungen der Kammer zur Strafzumessung sind nicht frei von Rechtsfehlern. So leiden die Ausführungen insoweit an einem Wi¬derspruch, als die Kammer mildernde Umstände, insbesondere das Ruhen der Approbation, in ihrem Gewicht dadurch eingeschränkt hat, dass der Angeklagte selbst - im Gegensatz zum Nebenkläger - keine weiteren dauerhaften negativen Folgen des Unfalls zu tragen habe. Der von der Kammer festgestellte Verlust eines Teils des Darmes, den sie im Rahmen der Strafzumessung als nicht erheblich ansieht, führt allerdings nach den Feststellungen zum Tatgeschehen (vgl. III. B, 1. Absatz, S. 5 der Urteilsgründe) dazu, dass bei dem Angeklagten Beein¬trächtigungen durch Durchfall und Blutarmut vorliegen. Diese - offenbar dauerhaften - Folgen sind nicht so gering¬fügig, dass davon ausgegangen werden kann, dass der Angeklagte selbst, wie die Kammer ausführt, "keine weiteren dauerhaften negativen Folgen des Unfalls zu tra¬gen" habe. Die Urteilsgründe sind insoweit widersprüchlich.
Darüber hinaus hat die Kammer "gravierend zu Ungunsten des Angeklagten" be¬rücksichtigt, dass er es allein schon aus seiner ärztlichen Verantwortung heraus hätte unterlassen müssen, sich in alkoholisiertem Zustand als Arzt zum ärztlichen Dienst zu begeben. Die berufliche Stellung des Angeklagten darf nur dann zu seinen Lasten berücksichtigt werden, wenn eine innere Beziehung zwischen den Berufspflichten und der Straftat besteht. (BGH 3 StR 575/96 - Urteil vom 28.01.1998; BGH 3 StR 383/97 - Beschluss vom 12. Dezember 1997; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., Rdnr. 44 zu § 46 m.w.N.). Zwar befand sich der Angeklagte bei Begehung der Tat auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz als Arzt; die dem Angeklagten angelastete Tat ist jedoch außerhalb des Berufs begangen. Die Tatsache, dass der Angeklagte sich auf dem Weg zur Ausführung seines Berufs be¬fand, ist nicht ausreichend, um einen inneren, das Maß der Pflichtwidrigkeit erhöhen¬den Zusammenhang herzustellen. Die Kammer hat damit die berufliche Stellung des Angeklagten zu Unrecht zu seinen Lasten als Strafzumessungsgesichtspunkt ver¬wertet.
Da der seit der Tat verstrichene Zeitraum zum Zeitpunkt der erneuten Berufungsver¬handlung über zwei Jahre betragen wird, wird die Strafkammer auch diesen Strafzu¬messungsgesichtspunkt, der regelmäßig mildernd wirkt, im Rahmen der neuen Hauptverhandlung berücksichtigen müssen.

Bei der Abwägung, ob im Rahmen des § 56 II StGB besondere Umstände vorliegen, die die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ermöglichen, hat die Kam¬mer zutreffend gesehen, dass vorhandene Milderungsgründe und ihr Zusammen¬treffen im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind. Sofern die Berufungskammer bei der erneuten Strafzumessung zu einer Strafmilderung ge¬langt, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass ggf. die Ermessensvorschrift des
§ 53 Abs. 2 S. 2 ermöglicht, auf Geldstrafe auch gesondert neben einer Freiheits¬strafe zu erkennen; ggf. kann die Anwendung dieser Ermessensvorschrift auch dazu füh¬ren, dass eine Strafaussetzung nicht nur nach § 56 Abs. 2, sondern bereits nach § 56 Abs. 1 StGB zu erwägen ist.

Die dargestellten Rechtsfehler bei der Strafzumessung führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch und zur Zurückverweisung zur er¬neuten Verhandlung und Entscheidung im genannten Umfang an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld, welche auch über die Kosten der Revision einschließlich der Nebenklage zu entscheiden haben wird.



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