Aktenzeichen: 3 Ss 546/06 OLG Hamm |
Leitsatz: Die Anordnung einer sehr langen Sperrfrist, insbesondere der Höchstfrist, bedarf, wenn nicht außergewöhnliche Tatumstände vorliegen, einer besonderen Begründung. |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Verkehrsdelikt; Gesamtstrafenbildung; Sperrfrist; Entziehung der Fahrerlaubnis; Begründung |
Normen: StGB 55; StGB 69; StPO 267 |
Beschluss: Strafsache gegen J.M. wegen wegen Straßenverkehrsgefährdung u.a. Auf den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil der VIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 25.08.2005 sowie auf die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 04. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft bzw. auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO bzw. gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen: 1. Dem Angeklagten wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. 2. Der Beschluss der VIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 08.11.2005 ist damit gegenstandslos. 3. Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten für die Tat unter Ziffer 6 des landgerichtlichen Urteils sowie hinsichtlich der beiden verhängten Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und vier Monaten und von neun Monaten sowie im Maßregelausspruch aufgehoben. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen. 5. Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Gründe: I. Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 04.04.2005 unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 02.02.2004 - 51 Ls 14 Js 261/03 - 684/03 - wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, wegen Straßenverkehrsgefährdung und wegen Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten sowie unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Norden vom 22.07.2004 bzw. dem Verwerfungsurteil vom 02.11.2004 - 8 b Ds 122 Js 26089/03 (17/04) - wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in zwei Fällen und wegen Nötigung in drei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Beide Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Dem Angeklagten wurde außerdem die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und angeordnet, dass ihm die Verwaltungsbehörde vor Ablauf von fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung, die der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, ist mit dem angefochtenen Urteil, das dem Verteidiger des Angeklagten am 26.09.2005 zugestellt worden ist, als unbegründet verworfen worden. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten vom 30.08.2005 ist durch Beschluss des Landgerichts Essen vom 08.11.2005 mangels einer frist- und formgerechten Rechtsmittelbegründung als unzulässig verworfen worden. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.11.2005 hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt und gleichzeitig die Revision mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. II. Dem Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten war gemäß §§ 44, 45 StPO stattzugeben. Zur näheren Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 11.01.2001 zu dem Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten, denen sich der Senat anschließt, zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. III. Die somit zulässige Revision hat in der Sache nur in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg. 1. Das Landgericht Essen hat zu Recht eine wirksame Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch des Urteils des Amtsgerichts Essen vom 04.04.2005 angenommen. Der Schuldausspruch des amtsgerichtlichen Urteils sowie die ihm zugrunde liegenden Feststellungen sind infolge der Rechtsmittelbeschränkung für die Strafkammer bindend geworden. Davon ist ersichtlich auch das Landgericht ausgegangen. Zwar hat die Strafkammer abweichend von dem amtsgerichtlichen Schuldausspruch - das Amtsgericht hat die Tat unter Ziffer 7 (in dem amtsgerichtlichen Urteil als "Ausbremsvorgang zu Lasten des Zeugen S." bezeichnet) als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, die weiteren drei gegen den Zeugen S. gerichteten Taten (Taten unter Ziffer 6, 8 und 9) als Nötigung gewertet - die Tat unter Ziffer 6 als Straftat nach § 315 b StGB und die Tat unter Ziffer 7 als Nötigung gewürdigt. Diese rechtliche Würdigung beruhte aber ersichtlich darauf, dass das Landgericht die Schuldaussprüche des Amtsgerichts hinsichtlich der Taten unter Ziffer 6 und 7 versehentlich verwechselt hat. Dafür spricht, dass das Landgericht in entsprechender Weise bei der Verhängung der Einzelstrafen für diese Taten (vier Monate für die Tat unter Ziffer 6 und zwei Monate für die Tat unter Ziffer 7) von der Einzelstrafenfestsetzung des Amtsgerichts (dieses hat die Tat unter Ziffer 6 mit zwei Monaten und die Tat unter Ziffer 7 mit vier Monaten Freiheitsstrafe geahndet) abgewichen ist, gleichwohl aber weder den Schuldausspruch des amtsgerichtlichen Urteils hinsichtlich der Taten unter Ziffer 6 und 7 noch den Strafausspruch dieses Urteils abgeändert hat, sondern vielmehr die Berufung des Angeklagten uneingeschränkt verworfen worden hat. Im Einklang mit der Annahme, dass das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 04.04.2005 weder im Schuldausspruch noch im Rechtsfolgenausspruch abändern wollte, steht, dass in den Urteilsgründen zusätzlich ausdrücklich ausgeführt wird, dass die Berufung keinen Erfolg habe. Gleichwohl konnte die durch das Landgericht für die Tat unter Ziffer 6 verhängte Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten keinen Bestand haben, da diese Einzelstrafe über die durch das Amtsgericht für die Tat unter Ziffer 6 verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Monaten hinausgeht. Damit verstieß die Einzelstrafenfestsetzung des Landgerichts gegen das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO, wonach das Urteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten verändert werden darf, wenn lediglich der Angeklagte, wie es hier der Fall ist, Berufung eingelegt hat. 2. Infolge der Aufhebung der für die Tat unter Ziffer 6 verhängten Einzelfreiheitsstrafe konnte auch die unter Heranziehung dieser Einzelfreiheitsstrafe gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten nicht bestehen bleiben. Darüber hinaus ist sowohl die Bildung dieser als auch der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten nicht rechtsfehlerfrei erfolgt, so dass im Ergebnis beide Gesamtfreiheitsstrafen der Aufhebung unterliegen. Das Landgericht hat hinsichtlich der Taten zu Ziffer 1 bis 4 (Tatzeit: 14.10.2003) unter Einbeziehung der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 02.02.2004 eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten und aus den Einzelstrafen hinsichtlich der Taten unter Ziffer 5 (Tatzeit: 27.01.2004) und unter Ziffer 6 bis 9 (Tatzeit: 22.05.2004) und der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Norden vom 13.07.2004 eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten gebildet. Zunächst ist anzumerken, dass neben den Taten unter Ziffer 1 bis 4 auch die Tat unter Ziffer 5 (Tatzeit: 27.01.2004) vor der ersten hier relevanten Vorverurteilung vom 02.02.2004 liegt. Die für diese Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe hätte daher bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe mit diesem Urteil mit einbezogen werden müssen. Die Strafkammer hat außerdem sowohl der ersten hier relevanten Vorverurteilung durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 02.02.2004 als auch der nachfolgenden Vorverurteilung durch Strafbefehl des Amtsgerichts Norden vom 13.07.2004 jeweils eine Zäsurwirkung beigemessen. Die dem vorgenannten Strafbefehl zugrunde liegende Tat wurde aber nach den Gründen des angefochtenen Urteils am 10.11.2003 und damit vor der Verurteilung durch das Amtsgericht Essen vom 02.02.2004 begangen und war daher mit dieser Verurteilung gesamtstrafenfähig. Es kommt daher nur der ersten hier in Rede stehenden Vorverurteilung vom 02.02.2004 eine Zäsurwirkung zu mit der Folge, dass die Strafe aus der zweiten Vorverurteilung (Strafbefehl vom 13.07.2004) und Einzelstrafen, die im anhängigen Verfahren für Taten ausgesprochen worden sind, die zwischen den beiden vorgenannten Vorverurteilungen begangen worden sind, nicht mehr Gegenstand einer Gesamtstrafenbildung sein können (vgl. BGH NStZ 2003, 200, 201). Das Landgericht durfte daher aus der durch Strafbefehl des Amtsgerichts Norden vom 13.07.2004 verhängten Geldstrafe und den Einzelstrafen für die im anhängigen Verfahren abgeurteilten Taten unter Ziffer 5 - 9 keine Gesamtfreiheitsstrafe bilden. Als Gegenstand einer Gesamtstrafenbildung kamen vielmehr die Strafen aus den beiden Vorverurteilungen vom 02.02.2004 und 13.07.2004 sowie aus den im anhängigen Verfahren jedenfalls für die Taten unter Ziffer 1 - 5 verhängten Einzelfreiheitsstrafen in Betracht. Als frühere Verurteilung i.S.d. § 55 Abs. 1 S. 2 StPO gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Das letzte tatrichterliche Urteil kann daher auch ein Berufungsurteil sein, sofern dieses eine Sachentscheidung enthält (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 55 Rdnr. 7). Da in dem angefochtenen Urteil bezüglich der Vorverurteilung vom 02.02.2004 nicht mitgeteilt wird, wann in dem dieser Verurteilung zugrunde liegenden Verfahren die letzte Tatsacheninstanz stattgefunden hat - für eine weitere Tatsacheninstanz könnte das in den Urteilsgründen angegebene Datum des Ablaufes der Bewährungszeit (20.09.2007) sprechen, wenn man davon ausgeht, dass die Bewährungszeit in der Regel auf drei Jahre festgesetzt wird und mit der Rechtskraft der sie aussprechenden Verurteilung beginnt - vermag der Senat anhand der Gründe des angefochtenen Urteils nicht zu beurteilen, ob auch die Taten unter Ziffer 6 - 9 (Tatzeit: 22.05.2004) mit dem Urteil vom 02.02.2004 gesamtstrafenfähig waren, oder ob aus diesen Einzelfreiheitsstrafen eine weitere gesonderte Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden war. Wurden die Taten unter Ziffer 6 - 9 nach der früheren Verurteilung vom 02.02.2004 begangen, käme ggf. eine Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Bergheim vom 12.04.2005, durch das der Angeklagte wegen Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 75,- verurteilt worden sowie mit einer Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 03.11.2005 belegt worden ist, in Betracht, falls die Tatzeiten der dieser Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten nach der ersten hier relevanten Vorverurteilung vom 02.02.2004 liegen. Bei einer Einbeziehung dieser Vorverurteilung in eine Gesamtstrafenbildung müsste unter Berücksichtigung der durch dieses Urteil festgesetzten Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis eine neue Sperrfrist festgesetzt werden, wobei diese neue einheitliche Sperrfrist die zeitliche Höchstdauer von fünf Jahre nicht übersteigen dürfte (vgl. BGH NJW 2003, 1613, 1615; NJW 2000, 3654, 3655; BGHSt 24, 205). 3. Schon aus den vorgenannten Gründen konnte die hier verhängte Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis keinen Bestand haben. Die Anordnung einer sehr langen Sperrfrist, insbesondere der Höchstfrist, bedarf außerdem, wenn nicht außergewöhnliche Tatumstände vorliegen, einer besonderen Begründung (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 69 a Rdnr. 21), die das angefochtene Urteil aber vermissen lässt. Denn dieses befasst sich weder mit dem Umstand, dass die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten bereits längere Zeit zurückliegen, noch mit der Tatsache, dass dem Angeklagten durch Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 09.07.2004 die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden ist. Darüber hinaus hätte die Verhängung der Höchstfrist auch insofern einer näheren Begründung bedurft, als die gegen den Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt worden sind, dem Angeklagten also in Bezug auf die Begehung weiterer Straftaten eine günstige Prognose gestellt worden ist. Angesichts dessen hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, dass von dem Angeklagten weitere Verletzungen der Kraftfahrerpflichten zu erwarten sind, also gerade aus der Belassung der Fahrerlaubnis Gefahren für die Allgemeinheit erwachsen, und zwar für einen Zeitraum von fünf Jahren. 4. Im Übrigen war die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.] |
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