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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-1 Ws 420/12 OLG Hamm

Leitsatz: Stellt die Maßregelvollzugsanstalt einen Antrag auf Erledigung der Maßregel (§ 67 d Abs. 5 StGB), so ist auch die Zeit, die der Verurteilte in der Maßregelvollzugsanstalt bis zur Rechtskraft der Erledigungsentscheidung verbringt, nur bis zu dem nach § 67 Abs. 4 StGB gebotenen Maß (und nicht darüber hinaus) auf die Strafe anzurechnen. Das gilt auch dann, wenn die Vollzugsgestaltung in dieser Zeit keine Therapieziele mehr verfolgt.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Strafzeitberechnung, Anrechnung, Aussichtlosigkeit, Entziehungsanstalt, Erledigung

Normen: StGB 67; StGB 67d, StPO 458

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 14.08.2012 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe
I. Der Verurteilte begehrt eine Überprüfung der Strafzeitberechnung.

Der Verurteilte verbüßt zur Zeit den Rest einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren, die das Landgericht Siegen wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung, wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs sowie wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr mit Urteil vom 02.04.2007 gegen ihn verhängt hat. Die in diesem Urteil gleichzeitig angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde bis zur (unter Berücksichtigung der erlittenen und anzurechnenden Untersuchungshaft berechneten) Höchstfrist am 22.06.2011 vollstreckt. Das Strafende ist auf den 01.10.2012 notiert.

Im Maßregelvollzug wurden dem Verurteilten zunächst Lockerungen gewährt. Am 07. Februar 2011 kam es zu einem Betäubungsmittelrückfall. Aufgrund dessen wurde der Verurteilte wieder einer geschlossenen Therapiestation zugeführt, auf der er nur noch beschränkt an der Gemeinschaft der Patienten teilnehmen durfte. Die Maßregeleinrichtung sah die Behandlung als gescheitert an und beantragte, die Maßregel für erledigt zu erklären. Nach Einholung eines Gutachtens erklärte die sei-nerzeit zuständige Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 14.06.2011 die Maßregel für erledigt und lehnte die Aussetzung der noch offenen Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ab. Der Beschluss wurde am 28.06.2011 rechtskräftig.

Bis zu seiner Aufnahme in den Strafvollzug am 22.06.2012 hat der Verurteilte – nach eigenen Angaben – an therapeutischen Angeboten nicht teilnehmen können. Er habe sich zwar außerhalb seines Zimmers frei bewegen dürfen, bei Gruppenveranstaltungen habe er diese aber verlassen müssen.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 20.03.2012 hat der Verurteilte die Überprüfung der Strafzeitberechnung beantragt, mit eigenem Schriftsatz vom 18.03.2012 hat er kon-kret beantragt, die Zeit in der Maßregeleinrichtung vom 05.02.2011 bis zum 23.06.2011 auf das letzte Strafdrittel der Freiheitsstrafe anzurechnen, weil er in die-ser Zeit praktisch im „Zimmereinschluss“ gewesen sei und nicht habe an Therapiemaßnahmen teilnehmen können.

Die Staatsanwaltschaft Siegen hat unter dem 30.04.2012 eine Anrechnung dieser Zeit und eine Neuberechnung der Strafzeit abgelehnt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Verurteilten zurückgewiesen. Für die Zeit vom 05. bis zum 07.02.2011 sei ein Anrechnungsgrund schon deswegen nicht ersichtlich, weil der Verurteilte erst seit dem 08.02.2011 wieder geschlossen untergebracht worden sei. Für die Zeit vom 08.02. bis 14.06.2011 sei eine Anrechnung des Maßregelvollzugs nur bis zur Grenze des § 67 Abs. 4 StGB möglich. Der Verurteilte habe sich frei bewegen können. Der Umstand, dass er nicht weiter an Therapiemaßnahmen teilnehmen konnte, ändere nichts daran, dass es sich um Maßregelvollzug gehandelt habe. Für die Zeit vom 14.06. bis 23.06.2011 gelte nichts anderes. Nach dem Erledigungsbeschluss sei die Maßregel bis zu dessen Rechtskraft (bzw. hier bis zum Erreichen der Maßregelhöchstdauer) weiter zu vollstrecken.

Gegen den am 13.06.2012 an die Verteidigerin abgesandten Beschluss hat der Ver-urteilte am 22.06.2012 sofortige Beschwerde eingelegt, die nicht weiter begründet wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die sofortige Beschwer-de als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 462 Abs. 3 StPO i.V.m. § 458 StPO). Sie ist auch zulässig. Zwar befindet sich ein Empfangsbekenntnis der Verteidigerin hinsichtlich des angefochtenen Beschlusses nicht bei den Akten. Allerdings ist es naheliegend, dass der erst am 13.06.2012 von der Geschäftsstelle zur Postbeförderung gegebene Beschluss angesichts des üblichen Umstandes, dass die Schriftstücke erst am darauf folgenden Tag zur Post gelangen und dann frühestens einen weiteren Tag später beim Empfänger sein können, der Beschluss frühestens am 15.06.2012 bei der Verteidigerin eingegangen ist, so dass die Wochenfrist nach § 311 Abs. 2 StPO mit Eingang des Rechtsmittels am 22.06.2012 gewahrt wurde.

2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Die bisherige Strafzeitberechnung trifft zu. Für eine Anrechnung, wie sie der Verurteilte begehrt, besteht kein Anlass.

a) Wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausführt, ist – selbst wenn man die vom Verurteilten vorgebachten Umstände für anrechnungsrelevant hielte – eine An-rechnung der Zeit vom 05. bis zum 07.02.2011 auf die Restfreiheitsstrafe über das Maß des § 67 Abs. 4 StGB hinaus ausgeschlossen, denn der Verurteilte ist ausweis-lich des Berichts der Maßregeleinrichtung vom 22.02.2011 erst ab dem 08.02.2011 den oben genannten Einschränkungen unterworfen gewesen. Daran ändert sich auch nichts durch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH Beschl. v. 17.04.2012 – 3 StR 65/12). Danach besteht keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht nach § 64 StGB, wenn die voraussichtlich notwendige Dauer der Be-handlung die Höchstfrist des § 67d Abs. 1 S. 1 StGB, überschreitet, wobei der BGH hier allein auf die Zweijahresgrenze abstellt. Diese Entscheidung bezieht sich aber allein auf den Prognosemaßstab des § 64 StGB, besagt aber nicht, dass ein längerer Vollzug als von zwei Jahren, wie er gesetzlich in § 67d Abs. 1 S. 2 StGB vorgesehen ist, unzulässig wäre.

b) Auch für die Zeit vom 08.02.2011 bis zum 14.06.2011 ist eine Anrechnung über das Maß des § 67 Abs. 4 StGB ausgeschlossen.

Zwar wird teilweise vertreten, dass Zeiten, in denen der im Maßregelvollzug befindli-che Verurteilte nach Stellung eines Antrages auf Erledigung wegen Aussichtslosigkeit weiterer Therapie nicht mehr therapiert wird und er sich in einer geschlossenen Abteilung befindet (wie hier), ähnlich Zeiten der Organisationshaft auf die Freiheits-strafe anzurechnen seien. Dem gerichtlich angeordneten Maßregelvollzug sei sein „ausschließlich sinngebender Bestandteil – die Therapie – tatsächlich entzogen“ worden, wenn keine Teilnahme an Therapiemaßnahmen mehr stattfinde. Um keine übermäßige Freiheitsentziehung herbeizuführen, sei hier eine umfängliche Anrech-nung erforderlich (Ullenbruch NStZ 2000, 287, 293; vgl. auch ähnlich für den Zeit-raum vom Erlass des Erledigungsbeschlusses bis zu dessen Rechtskraft: OLG Celle NStZ 2007, 407).

Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen. Das Gesetz sieht nur eine Anrechnung von Zeiten im Maßregelvollzug bis zwei Drittel der verhängten Freiheits-strafe vor (§ 67 Abs. 4 StGB). Der Verurteilte befand sich formal im Maßregelvollzug. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Vollzugsgestaltung ggf. keine Therapieziele mehr verfolgte, nachdem der Antrag auf Erledigung der Maßregel gestellt worden war. Wie sich der Vollzug gestaltet, richtet sich nach den Maßregelvollzugsgesetzen der Länder. Nach § 18 Abs. 1 MRVG richten sich Dauer und Umfang des Freiheitsentzuges nach dem Erfolg der Therapie. Sie sind nach Maßgabe des Therapie- und Eingliederungsplanes zu überprüfen und anzupassen. Gewährte Vollzugslockerungen können nach § 18 Abs. 5 MRVG ggf. wieder aufgehoben werden. Es ist also nach dem Gesetz möglich, dass – wie hier – Lockerungen aufgehoben und zeitweilig auch keine Therapiemaßnahmen durchgeführt werden. Gleichwohl handelt es sich – wie das Vorhandensein solcher Möglichkeiten zeigt – um Maßregelvollzug. Eine gesetzliche Norm, die eine „Umwidmung“ solcher Zeiten (in geschlossener Unterbringung ohne Teilnahme an Therapieveranstaltungen) zur Strafe vorsähe, existiert nicht. Meint der Verurteilte, er wäre zu Unrecht nicht weiter therapiert worden, so kann er sich dagegen nach § 138 Abs. 3 StVollzG i.V.m. §§ 109 ff. StVollzG wehren. Eine womöglich falsche Vollzugsgestaltung ändert aber noch nichts an der Art der Freiheitsentziehung.

Die Fallgestaltung ist nicht vergleichbar der sog. Organisationshaft. Bei der Organisationshaft ist eine vollständige Anrechnung geboten, weil es sich um ein „regelwidriges“ Institut der Freiheitsentziehung handelt (vgl. BVerfG NStZ 1998, 77). Der Maßregelvollzug bis zu seiner rechtskräftigen Erledigungserklärung (vgl. §§ 462 Abs. 3 S. 2, 463 Abs. 6 StPO) erfolgt (hinsichtlich des „Obs“) indes regelgerecht aufgrund des rechtskräftigen Urteils (OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 387 f.; OLG Zweibrücken Beschl. v. 19.11.2008 – 1 Ws 368/08 – juris; LG Freiburg NStZ 2000, 336; Schöch in: Leipz. Komm. z. StGB § 67 Rdn. 40; für den Zeitraum ab Erlass des Erledigungsbeschlusses bis zu dessen Rechtskraft ebenso auch: BVerfG Beschl. v. 08.11.2007 - 2 BvR 2069/07 - juris).

c) Auch für die Zeit vom 15.06. (nach Erlass des Erledigungsbeschlusses) bis zum 23.06.2011 kann eine Anrechnung nur bis zur Grenze des § 67 Abs. 4 StGB erfol-gen. Auch hier vermag sich der Senat der gegenteiligen Ansicht, die darauf abstellt, dass diese Konstellation, in der der Freiheitsentzug wegen des Erledigungsbeschlusses, „eigentlich“ bereits als Strafe zu verbüßen wäre, wenn der Beschluss später rechtskräftig wird, der Organisationshaft vergleichbar ist (OLG Celle NStZ 2007, 407), aus den bereits oben erwähnten Gründen nicht anzuschließen. Sie ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. BVerfG a.a.O.).

d) Die Strafzeit berechnet sich danach wie folgt:

2/3 der vierjährigen Freiheitsstrafe reduziert um 191 Tage U-Haft (§ 39 Abs. 4 StVollstrO) ergeben 783 Tage, um die die Maßregelhöchstdauer verlängert werden konnte. Von dem restlichen Drittel (487 Tage) waren 19 Tage Organisationshaft ab-zuziehen, verbleiben mithin 468 Tage. Gerechnet ab dem 22.06.2012 ist damit das Strafende am 01.10.2012 erreicht. Dies ist auch das notierte Strafende.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.



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