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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss OWi 140/06 OLG Hamm

Leitsatz: Zu den Anforderungen an ein Absehen vom Fahrverbot aus beruflichen Gründen.

Senat: 3

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Absehen vom Fahrverbot; berufliche Gründe; Begründung; Kreditaufnahme

Normen: BKatV 4; StPO 267

Beschluss:

Bußgeldsache
gegen B.M.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 30.11.2005 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 12. 04. 2006 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin (§ 80 Abs. 1 OWiG) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bottrop zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen durch Urteil vom 30.11.2005 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 58 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft zu einer Geldbuße von 350,- € verurteilt.

Nach den Urteilsfeststellungen überschritt der Betroffene am 29.05.2005 gegen 09.25 Uhr mit dem von ihm geführten Dienstwagen der Firma M. auf der BAB A 42 in Fahrtrichtung Dortmund außerhalb geschlossener Ortschaft die im Bereich der Messstelle durch Verkehrszeichen 274 auf 80 km/h beschränkte Geschwindigkeit um 58 km/h. Der Messstelle gingen mehrere Geschwindigkeitsbegrenzungen voraus. Bei Kilometer 25,000 ist die Geschwindigkeit durch beidseitig aufgestellte Schilder auf 120 km/h, bei Kilometer 25,401 auf 100 km/h und bei Kilometer 25,856 nochmals durch beidseitig aufgestellte Verkehrsschilder auf 100 km/h begrenzt. Bei Kilometer 26,200 und 26,515 folgen jeweils beidseitig aufgestellte Schilder, mit denen die Geschwindigkeit auf 80 km/h herabgesetzt wird.

Zu den persönlichen Verhältnissen hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Betroffene als Abteilungsdirektor bei der M. tätig ist und dass seine Einkommensverhältnisse geregelt sind.

Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

"Der Bußgeldkatalog sieht bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 58 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft eine Geldbuße von 150,- € und ein Fahrverbot von einem Monat vor.

Die Verhängung eines Fahrverbotes wäre eine Härte ganz außergewöhnlicher Art. Der Betroffene ist Abteilungsleiter bei der M.AG. Die Privatbank betreut Kunden in ganz Deutschland und im benachbarten Ausland in Sachen Vermögensanlage. Sie unterhält Niederlassungen in Düsseldorf, Köln, Münster und Bielefeld. Der Betroffene pendelt zwischen den einzelnen Niederlassungen, wo er im bestimmten Umfang Präsenz zeigen muss. Ganz überweigend muss der Betroffene jedoch Beratungstermine bei Kunden vor Ort wahrnehmen. Diese Termine werden vom Sekretariat der Bank vereinbart und sodann vom Betroffenen wahrgenommen. In der letzten Novemberwoche hat der Betroffene Kundengespräche in Köln, Frankfurt und Stuttgart wahrgenommen. In der ersten Dezemberwoche wird der Betroffene zwei Tage zu Kundengesprächen in den Niederlanden sein. Ein zusammenhängender Urlaubsanspruch von einem Monat besteht nicht.

Der Betroffene, der die Fahrerlaubnis seit nunmehr 15 Jahren besitzt, hat nach der letzten Bußgeldentscheidung ein Seminar mit dem Ziel des Punkteabbaus erfolgreich durchgeführt.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist von der Verhängung eines Fahrverbotes unter deutliche Anhebung der Geldbuße abgesehen worden."

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird und die sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes richtet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Rechtsbeschwerde unter ergänzenden Ausführungen angeschlossen.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist bei zutreffender Auslegung ausweislich ihrer Begründung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden. Sie ist zulässig und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsentscheidungen vom 04.03.05 - 3 Ss OWi 3/05 -; vom 04.03.2004
- 3 Ss OWi 769/03 - ; 04.07.2002 - 3 Ss OWi 339/02 - ; 06.06.2000 - 3 Ss OWi 237/00 -; 20.03.1997 - 3 Ss 0Wi 52/97 -; 06.02.1997 - 3 Ss OWi 13/97).

Nach der obergerichtlichen Rechtssprechung hat der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. Senatsbeschlüsse vom 04.03.2005 - 3 Ss OWi 3/05 -, 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -, 11.05.2004
- 3 Ss OWi 239/04 -, 26.02.2002 - 3 Ss OWi 1065/01, 06.06.2000 - 3 Ss OWi
237/00 -, 25.05.1999 - 3 Ss OWi 195/99 -; OLG Hamm VRS 90, 210; DAR 1996, 325; NZV 1995, 366; BayObLG NZV 2002, 143; Frankfurt a.M. NStZ-RR 2000, 312; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 25 StVG Rdz. 25 m.w.N.). Dass die Verhängung des Fahrverbotes vorliegend mit derart schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbunden ist, hat das Amtsgericht nicht festgestellt. Aus den Urteilsgründen ergeben sich keine konkreten Tatsachen, die den Rückschluss zulassen, dass der Betroffene auch für den Fall, dass er alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Auswirkungen des Fahrverbotes gering zu halten (vgl. BVerfG, NJW 1995, 1541), der ernsthaften Gefahr ausgesetzt ist, dass er seinen Arbeitsplatz verliert. Das Amtsgericht hätte sich mit der Frage befassen müssen, welche zumutbaren Maßnahmen dem Betroffenen zur Abwendung erheblicher beruflicher Nachteile infolge der Verhängung eines Fahrverbotes zur Verfügung stehen. So hätten die Möglichkeit einer zumindest teilweisen Überbrückung der Dauer des Fahrverbotes durch die Inanspruchnahme von Urlaub sowie die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, von Taxen oder die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers während der Vollstreckung des Fahrverbotes oder eine Kombination dieser Maßnahmen erörtert werden müssen. Die Heranziehung derartiger Maßnahmen ist dem Betroffenen grundsätzlich zuzumuten. Für hierdurch auftretende finanzielle Belastungen muss er notfalls einen Kredit aufnehmen (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 312; OLG Karlsruhe NZV 2004, 653; BayObLG NZV 2002, 143; KG, Beschluss vom 10.12.2003 - 2 Ss 210/03 -, 3 Ws (B) 500/03, www.strafverteidiger-berlin.de).

Es liegen auch keine sonstigen Umstände vor, die das Fehlverhalten des Betroffenen in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten und daher ein Absehen vom Fahrverbot hier rechtfertigen könnten. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 02.03.2006 zutreffend ausgeführt hat, fällt, vielmehr erschwerend ins Gewicht, dass der Betroffene nach den Feststellungen des Amtsgerichts insgesamt fünf beidseitig aufgestellte Zeichen mit Geschwindigkeitsbeschränkungen in Form eines Geschwindigkeitstrichters von 120 km/h auf 80 km/h passiert hat, wobei die zuletzt genannte Beschränkung auf 80 km/h innerhalb von 315 m zwei Mal wiederholt worden ist. Die von dem Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit lag darüber hinaus weit oberhalb jeder der genannten Geschwindigkeitsbegrenzungen. Hinzu kommt, worauf auch die Staatsanwaltschaft Essen in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend hingewiesen hat, dass der Betroffene nicht nur nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Nr. 11.3.8 BKatV, sondern auch nach § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV ein Fahrverbot verwirkt hat, wobei der wiederholte Verstoß nur einen Tag nach Rechtskraft der letzten einschlägigen Vorbelastung erfolgt ist.

Wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot ist der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung des Senats gemäß § 79 Abs. 6 OWiG kommt nicht Betracht, da noch weitere tatsächliche Feststellungen getroffen werden müssen. Die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bottrop zurückzuverweisen.]



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