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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III - 5 Ws 353/12 OLG Hamm

Leitsatz: Ein Haftfortdauerbeschluss nach § 268b StPO bedarf jedenfalls dann, wenn die Verurteilung deutlich von den Vorwürfen des ursprünglichen Haftbefehls abweicht, einer Begründung, aus der hervorgehen muss, welcher Taten der Angeklagte dringend verdächtig ist und worauf die richterliche Überzeugungsbildung beruht.

Das Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe ersetzt das Erfordernis der Neufassung des Haftbefehls grundsätzlich nicht.

Senat: 5

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Haftbefehl, Haftfortdauer, Hauptverhandlung, Anforderungen

Normen: StPO 268b, StPO 114

Beschluss:

III - 5 Ws 353/12 OLG Hamm
Strafsache
gegen pp.
wegen Betruges u.a.
(hier: Haftbeschwerde).

Auf die (Haft-)Beschwerde des Angeklagten vom 30. Oktober 2012 gegen den Haftfortdauerbeschluss der XVII. großen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 23. März 2012 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. Dezember 2012 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Auf die Haftbeschwerde des Angeklagten werden der Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Essen vom 23. März 2012 sowie der Haftbefehl des Amtsgerichts Gladbeck vom 29. September 2011 —6 Gs 174/11 — aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe:
Das Amtsgericht Gladbeck erließ am 29. September 2011 — 6 Gs 174/11 — gegen den Angeklagten Haftbefehl wegen einer tateinheitlich begangenen Tat des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen, des Betruges und der Urkundenfälschung. .In dem Haftbefehl wurde dem — bereits wegen gleichgelagerter Straftaten vorbestraften — Angeklagten zur Last gelegt, sich Anfang April 2011 unter Vorlage einer gefälschten Approbationsurkunde bei der Firma XX. eine Anstellung als Betriebsarzt erschlichen zu haben. Der Angeklagte befand sich vom 29. September bis 29. November 2011 in Untersuchungshaft. Seit dem 30. November 2011 verbüßt er nach erfolgter Unterbrechung der Untersuchungshaft Strafhaft für die Staatsanwaltschaften Siegen und Frankfurt/Main. Voraussichtliches Strafende ist der 28. Mai 2014. Für den Haftbefehl in dieser Sache ist Überhaft notiert.

Das Landgericht Essen — 52 KLs 51/11 — verurteilte den Angeklagten am 23. März 2012 wegen Betruges in Tateinheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen sowie wegen Fälschung von Gesundheitszeugnissen in Tateinheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen und wegen gefährlicher Körperverletzung in 91 Fällen, jeweils tateinheitlich mit unbefugter Ausübung der Heilkunde und Missbrauch von Berufsbezeichnungen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Über die Vorwürfe des Haftbefehls des Amtsgerichts Gladbeck vom 29. September 2011 hinausgehend hatte der Angeklagte nach den Feststellungen des Urteils auch in 4 Fällen als vermeintlicher Arzt Gesundheitszeugnisse ausgestellt sowie in 91 Fällen als vermeintlicher Betriebsarzt im Auftrag xxxxx. Blutentnahmen und Impfungen bei xxxxxx durchgeführt.

Das Landgericht verhängte für die Tat des Betruges in Tateinheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen eine Einzelstrafe von einem Jahr, für die Tat der Fälschung von Gesundheitszeugnissen in Tateinheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen eine Einzelstrafe von sechs Monaten und für die 91 Fälle der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit unbefugter Ausübung der Heilkunde und Missbrauch von Berufsbezeichnungen jeweils Einzelstrafen von sechs Monaten.

Mit dem angefochtenen Beschluss erhielt das Landgericht Essen im Anschluss an die Urteilsverkündung den Haftbefehl vom 29. September 2011 „aus den Gründen seiner Anordnung und des heute verkündeten Urteils" aufrecht.

Gegen das Urteil des Landgerichts Essen hat der Angeklagte Revision eingelegt. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs liegt bisher noch nicht vor.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30. Oktober 2012 hat der Angeklagte Antrag auf mündliche Haftprüfung gestellt. Das Landgericht Essen hat den Antrag als Haftbeschwerde aufgefasst und dieser mit Beschluss vom 16. November 2012 nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss der Strafkammer als unbegründet zu verwerfen.

II.
Das zulässige Rechtsmittel des Angeklagten hat Erfolg.

Das Landgericht hat den mit Schriftsatz seiess Verteidigers vom 30. Oktober 2012 gestellten Antrag auf mündliche Haftprüfung zu Recht gemäß § 300 StPO als Beschwerde (§ 304 Abs. 1 StPO) gegen die Entscheidung über die Haftfortdauer vom 23. März 2012 ausgelegt. Ein Haftprüfungsantrag wäre nur zulässig ist, wenn gegen den Angeklagten Untersuchungshaft vollzogen würde(Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 117, Rn. 4 m.N.). Dies ist seit dem 30. November 2011 aber nicht mehr der Fall.

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte und zulässige Haftbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Haftentscheidung.

Der angefochtene Beschluss der Strafkammer zur Fortdauer der Untersuchungshaft vom 23. März 2012 genügt — auch unter Berücksichtigung der Nichtabhilfeentscheidung vom 16. November 2012 sowie der schriftlichen Urteilsgründe — nicht den Anforderungen, die an eine Haftentscheidung zu stellen sind.

Gemäß § 114 Abs. 2 Nr. 2 und 4 StPO sind im Haftbefehl die Taten, derer der Angeklagte dringend verdächtig ist, sowie die den dringenden Tatverdacht begründenden Tatsachen anzuführen. Auch der Haftfortdauerbeschluss bedarf grundsätzlich einer Begründung nach § 34 StPO (Meyer-Goßner, a.a.O., § 268b, Rn. 3). Der Umstand der Verurteilung ist regelmäßig schon ein wichtiges Indiz für das Vorliegen des dringenden Tatverdachts, so dass es in der Regel ausreichend ist, wenn die Grundzüge der Überzeugungsbildung in dem Beschluss dargelegt werden, damit dem Beschwerdegericht eine Überprüfung ermöglicht wird (BGH NStZ 2006, 297; OLG Hamm NStZ 2008, 649; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Januar 2012, Az. 111-3 Ws 14/12). Ein Haftfortdauerbeschluss nach § 268b StPO bedarf jedoch jedenfalls dann, wenn die Verurteilung deutlich von den Vorwürfen des ursprünglichen Haftbefehls abweicht, einer Begründung, aus der hervorgehen muss, welcher Taten der Angeklagte dringend verdächtig ist und worauf die richterliche Überzeugungsbildung beruht. In diesen Fällen reicht der bloße Verweis auf das zugleich verkündete Urteil nicht aus und der Haftbefehl muss der Verurteilung angeglichen werden (OLG Hamm, Beschluss vom 5. Juli 2012, Az. 111-3 Ws 159/12, zitiert nach juris; Meyer-Goßner, a. a. 0., § 268b, Rdnr. 2 m. w. N.).

Das Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe ersetzt das Erfordernis der Neufassung des Haftbefehls grundsätzlich nicht. Es ermöglicht allerdings dem Beschwerdegericht die Überprüfung, inwieweit der Gegenstand der Verurteilung mit den Vorwürfen des Haftbefehls identisch ist. Die Urteilsgründe geben — bei Fehlen eines neu gefassten Haftbefehls — zudem Aufschluss zu der Frage, aus welchen Gründen die Strafkammer von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt ist, woraus die entsprechenden Schlüsse für einen dringen'den Tatverdacht bezüglich der im Haftbefehl genannten Taten — soweit mit der Aburteilung identisch — gezogen werden können (vgl. Senat, Beschluss vom 8. November 2011, Az. III - 5 Ws 32.6/11).

Grundlage der angeordneten Haftfortdauer können mangels hinreichender Neufassung der Haftentscheidung daher vorliegend nur die Taten sein, welche sowohl Gegenstand des Haftbefehls vom 29. September 2011 als auch der anschließend erfolgten Verurteilung vom 23. März 2012 geworden sind (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 05. Juli 2012, a.a.O.).
Vorliegend geht die Verurteilung weit über die dem Angeklagten im Haftbefehl zur Last gelegten Taten hinaus. Der Angeklagte ist über den ursprünglich lediglich erhobenen Vorwurf des Betruges in Tateinheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen und Urkundenfälschung hinausgehend wegen Fälschung von Gesundheitszeugnissen sowie insbesondere auch wegen gefährlicher Körperverletzung in 91 Fällen verurteilt worden. Tatidentität besteht lediglich im Hinblick auf den Vorwurf des Betruges in Tateinheit mit Missbrauch von Berufsbezeichnungen. Dies allein ist Gegenstand der Überprüfung der Haftfortdauer im Beschwerdeverfahren.

Bezogen darauf fehlt es an einem Haftgrund. Der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO ist nicht gegeben.

Für die Betrugstat, die dem Angeklagten bereits im Haftbefehl vorgeworfen worden ist, hat die Strafkammer eine Einzelstrafe von — lediglich — einem Jahr verhängt. Erst die Aburteilung zahlreicher weiterer Taten führte zu der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten.

Eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe ist ohne Hinzutreten besonderer Umstände für sich genommen im Regelfall grundsätzlich nicht geeignet, eine Fluchtgefahr zu begründen.

Auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO liegt zumindest derzeit nicht vor. Der Angeklagte befindet sich voraussichtlich noch bis zum 28. Mai 2014 in Strafhaft. Dass er ungeachtet der Frage etwaiger Lockerungen aus der Haft heraus wiederum einer Tätigkeit als „falscher" Arzt nachgehen könnte, erscheint nach Bewertung des Senats eher fernliegend.

Der Senat hat davon abgesehen, der Strafkammer Gelegenheit zu geben, den Haftbefehl entsprechend der Verurteilung nachträglich anzupassen.

Es ist nämlich zweifelhaft, ob sich der Angeklagte überhaupt wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht hat und insoweit dringender Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 S. 1 StPO zu bejahen ist. Eine Überprüfung des dringenden Tatverdachts ist dem Senat im Umfang der Verurteilung anhand der schriftlichen Urteilsgründe möglich.

Danach ist zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Angeklagte durch die Vornahme von intravenösen Blutabnahmen und Impfungen als „falscher" Arzt infolge täuschungsbedingt unwirksamer Einwilligung der Patienten rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand der Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB verwirklicht hat (vgl. dazu Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 223, Rn. 9 ff.; § 228, Rn. 12a). Die bisher getroffenen Feststellungen vermögen indes . aber nicht den Qualifikationstatbestand der gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu begründen. Die Urteilsgründe verhalten sich nicht hinreichend zu der Frage, ob die verwendeten Nadeln und Spritzen nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer konkreten Verwendung im Einzelfall geeignet waren, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Die Strafkammer weist vielmehr im Rahmen der Strafzumessung selbst darauf hin, dass die Eingriffsintensität durch die Blutabnahmen und Impfungen in allen Fällen gering war und es zu keinerlei körperlichen Schäden bei den Betroffenen gekommen ist. Aus den Feststellungen des Urteils ist nicht ersichtlich, dass die körperlichen Eingriffe nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt worden sind.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.



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