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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-3 Ws 5/13 OLG Hamm

Leitsatz: 1. § 100a StPO erfordert nur einen einfachen Tatverdacht, der allerdings auf bestimmten Tatsachen beruhen bzw. durch schlüssiges Tatsachenmaterial ein gewisses Maß an Verdichtung erreicht haben muss: Es müssen Umstände vorliegen, die nach der Lebenserfahrung, auch der kriminalistischen Erfahrung, in erheblichem Maße darauf hindeuten, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Tat begangen hat.
2. Der Tatverdacht des Versuchs der Beteiligung an einem Tötungsdelikt (Ehrenmord) kann sich aus hinreichend differenzierten Angaben eines in seiner Identität geschützten Zeugen ergeben.
3. Auch bei einer zu Unrecht angeordneten Maßnahme nach § 100 a StPO scheidet ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der so gewonnenen Erkenntnisse aus, wenn die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation rechtmäßig auf die präventiv-polizeiliche Eingriffsgrundlage des § 17 Abs. 1 Nr. 2 Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen (PolG) hätte gestützt werden können.


Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Telefonüberwachtung, Tatverdacht, Beweisverwertungsverbot

Normen: StPO 100a

Beschluss:

Strafsache
In pp.

hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 15.01.2013 beschlossen:

Die Haftbeschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs.1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.
1. Dem Angeklagten N wird zur Last gelegt, gemeinsam mit dem Mitangeklagten X und dem derzeit flüchtigen G einen Mordanschlag auf den Nebenkläger verübt zu haben. Der Angeklagte X und G hätten am 8. Februar 2012 in Bielefeld nach dem Nebenkläger gesucht, ihn in einem Café schließlich gefunden und sodann auf offener Straße in der Innenstadt überfallen. Sie hätten ihn mit einem Messer in Rumpf, Hals und Kopf gestochen, um ihn zu töten. Ein zufällig den Tatort passierender Arzt habe das Leben des schwerverletzten Nebenklägers gerettet. Der Angeklagte N, Z-s Vater und G-s Halbbruder, habe die Tat mit X und G geplant und wenige Minuten vorher per Telefon die beiden zur Tat aufgefordert und das Zeichen zum Losschlagen gegeben. Gemeinsames Ziel des Angriffs sei es gewesen, den Tod des N zu rächen. Dieser, ein Sohn des Angeklagten N und Bruder Z, war seinerseits am 12. Juni 2011 in C2 bei einem Hochzeitsfest mutmaßlich von zwei Söhnen des Nebenklägers ermordet worden.

2. Der Angeklagte N wurde am 9. Februar 2012 festgenommen und befindet sich seither aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 9. Februar 2012 ununterbrochen in Untersuchungshaft.

3. Die Staatsanwaltschaft erhob am 30. Mai 2012 Anklage gegen ihn und X wegen versuchten Mordes zum Landgericht Bielefeld. Das Schwurgericht eröffnete mit Beschluss vom 28. Juni 2012 das Hauptverfahren, ließ die Anklage zur Hauptverhandlung zu und ordnete die Haftfortdauer an.

Die Hauptverhandlung begann am 3. August 2012 und wurde nach Unterbrechung am 14. August 2012 fortgesetzt. Am 20. August 2012 beschloss das Schwurgericht außerhalb der Hauptverhandlung, die Hauptverhandlung auszusetzen, da die Kammer nicht vorschriftsmäßig besetzt sei. Mit weiterem Beschluss vom 20. August 2012 stellte das Schwurgericht fest, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sei erforderlich.

Am 21. August 2012 begann die Hauptverhandlung erneut und wurde abermals ausgesetzt, da eine Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten N nicht auszuschließen sei. Die Hauptverhandlung begann schließlich am 31. August 2012 erneut.

4. Der Angeklagte N hat mit Schriftsätzen seiner Verteidiger vom 10. und 17. Dezember 2012 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. Er bringt im Wesentlichen vor, ein dringender Tatverdacht bestehe nicht. Die Anklage stütze sich ausschließlich auf eine Aufzeichnung seiner abgehörten Telefongespräche vom 8. Februar 2012, die jedoch einem Beweisverwertungsverbot unterlägen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Haftbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Haftbeschwerde ist nicht begründet, da die Voraussetzungen der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten N gemäß § 112 StPO erfüllt sind:

1. Der Angeklagte N ist des versuchten Mordes gemäß §§ 211, 22, 23 StGB dringend verdächtig:

a) Der Angeklagte N hat sich im bisherigen Verfahrensverlauf allerdings ebenso wenig zur Sache eingelassen wie der Angeklagte X, während G flüchtig ist und daher bislang nicht vernommen werden konnte. Unmittelbare Zeugen der Tat des Angeklagten N stehen nicht zur Verfügung. Die Zeugen am Tatort in Bielefeld – vorwiegend Passanten und Personal umliegender Geschäfte – können zu seiner Beteiligung nichts aussagen, da er auch nach dem Anklagevorwurf nicht selbst dort zugegen gewesen sein soll.

Der dringende Tatverdacht ergibt sich indes aus einer polizeilichen Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation des Angeklagten N unmittelbar vor und nach der Tat am 8. Februar 2012. Die Telekommunikationsüberwachung resultierte aus einem anderen, damals bereits laufenden Ermittlungsverfahren gegen N, das sich auf den Verdacht einer Straftat gemäß § 30 StGB bezog (Az. 70 Js 555/11 Staatsanwaltschaft Essen) (siehe näher sogleich). Danach sprechen insbesondere zwei Telefongespräche T für eine Beteiligung an dem Angriff auf den Nebenkläger:

Der Angeklagte N führte – bei vorläufiger Würdigung des Beweismittels – am Tattag, 8. Februar 2012, von seinem überwachten Mobilfunkanschluss aus ein Gespräch mit dem Angeklagten X. X teilte wenige Minuten vor dem Messerangriff um 17:27 Uhr mit, er und eine weitere Person seien in Bielefeld. Man habe „ihn“ – mutmaßlich den Nebenkläger – in einem Café sitzen gesehen. Dem folgenden Wortwechsel lässt sich zwanglos entnehmen, dass N nunmehr X zur Tat aufforderte und nähere Anweisungen zur Ausführung gab, die mit dem Satz enden: „Er darf nicht am Leben bleiben.“ In einem weiteren Telefonat um 20:58 Uhr, also nach dem Angriff, sprach N – ebenfalls bei vorläufiger Würdigung – mit seiner Ehefrau, die sich in der Ehewohnung in C2 aufhielt. Er forderte sie auf „zu jubilieren“. Dies rechtfertigt den Schluss, er habe nun den Vollzug der Tat melden wollen.

b) Das Beweismittel der Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf entgegen der Auffassung der Verteidigung in den Prozess eingeführt und gegen den Angeklagten N verwertet werden:

(1) Der Beschluss, mit dem das Amtsgericht Essen am 7. Dezember 2012 im Verfahren Az. 70 Js 555/11 der Staatsanwaltschaft Essen die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation der Anschlüsse des Angeklagten N anordnete, war rechtmäßig. Er konnte sich auf § 100a Abs. 1 StPO stützen, dessen Voraussetzungen erfüllt waren:

aa) Danach mussten bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass der Angeklagte N eine Katalogtat des § 100a Abs. 2 StPO, nämlich einen Mord gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 1 h), durch eine Straftat des Versuchs der Beteiligung gemäß § 30 StGB vorbereitet hatte (vgl. zu § 30 StGB i. V. m. § 211 StGB als Katalogtat BGHSt 32, 10). Insoweit bestand bei der Anordnung der Telefonüberwachung ein Beurteilungsspielraum (vgl. BGHSt 41, 30), der nicht überschritten ist. Die Annahme eines Tatverdachts war vielmehr vertretbar:

Der damalige Ermittlungs- und Erkenntnisstand im Verfahren Az. 70 Js 555/11 der Staatsanwaltschaft Essen stellte sich im Wesentlichen wie folgt dar: Am 5. Dezember 2011 erschien im Polizeipräsidium Recklinghausen auf eigene Veranlassung eine Person, die mit dem polizeilichen Decknamen „Mario“ versehen und der Vertraulichkeit zugesichert wurde. Der Zeuge „Mario“ erstattete eine Strafanzeige gegen den Angeklagten N. „Mario“ bezog sich dabei auf einen Vorfall am 12. Juni 2011 bei einer Hochzeitsfeier in C2. Hier war der 32jährige X, ein Sohn des Angeklagten N, durch einen Messerstich in den Rücken getötet worden. Gegen die mutmaßlichen Täter D und C D1 sowie gegen eine dritte mutmaßlich beteiligte Person hatte die Staatsanwaltschaft Essen am 19. August 2011 Anklage wegen gemeinschaftlichen Mordes erhoben (Az. 70 Js 292/11). X und Y. befanden sich in Untersuchungshaft; das Hauptverfahren gegen sie war noch nicht abgeschlossen. „Mario“ gab nun zusammengefasst an, der Angeklagte N habe in seiner Familie wiederholt darauf hingewiesen, der Mord an seinem Sohn müsse auf jeden Fall gesühnt werden und man wolle der Familie der Gegenseite einen gleichwertigen Verlust zufügen. Er, „Mario“, sei sich ziemlich sicher, dass N etwas sehr Schlimmes plane und auch die Möglichkeit dazu habe. Er wisse, dass die Familie über Schusswaffen verfüge und diese sorgsam versteckt halte.

Hieraus konnte vertretbar ein Tatverdacht im Sinne des § 100a Abs. 1 StPO abgeleitet werden. Die Vorschrift setzt keinen bestimmten Verdachtsgrad voraus. Der Tatverdacht muss weder hinreichend im Sinne des § 203 StPO noch dringend im Sinne des § 112 Abs. 1 S. 1 StPO sein. § 100a StPO erfordert nur einen einfachen Tatverdacht, der allerdings auf bestimmten Tatsachen beruhen muss. Daher müssen Umstände vorliegen, die nach der Lebenserfahrung, auch der kriminalistischen Erfahrung, in erheblichem Maße darauf hindeuten, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Tat begangen hat. Durch schlüssiges Tatsachenmaterial muss der Tatverdacht ein gewisses Maß an Verdichtung erreicht haben (vgl. BGH, Beschluss vom 11.03.2010, StB 16/09 = NStZ 2010, 711). Diese Voraussetzungen waren erfüllt:

Der Angeklagte N war sowohl verdächtig versucht zu haben, einen anderen zu bestimmen, ein Verbrechen zu begehen, als auch verdächtig, sich bereit erklärt zu haben, ein Verbrechen zu begehen (§ 30 Abs. 1 Var. 1 bzw. Abs. 2 Var. 1 StGB). Nach § 30 Abs. 1 Var. 1 StGB sind für die versuchte Anstiftung objektiv eine Bestimmungshandlung und subjektiv ein doppelter Anstiftervorsatz erforderlich; der Anstifter muss wollen, dass der Anzustiftende den Tatvorsatz fasst und auch er die vollendete Tat will, wobei jeweils bedingter Vorsatz ausreicht (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 30 Rz. 9). Sich Bereiterklären nach § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB ist eine an eine andere Person gerichtete Erklärung, ein Verbrechen begehen zu wollen (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 30 Rz. 10).

Die Aussage des Zeugen „Mario“ ließ darauf schließen, dass der Angeklagte N seiner Familie durch kommunikatives Handeln dazu hatte bewegen wollen, ein Mitglied der Familie des Nebenklägers zu töten, und/oder dass er in der Familie erklärt hatte, ein solches Verbrechen als Täter zu begehen. Dabei handelte es sich nicht um bloße Vermutungen oder vage Anhaltspunkte. Denn „Mario“ hatte nach seiner Aussage näheren und längerfristigen Kontakt zu verschiedenen libanesischen Familien, zu denen auch die Familie des Angeklagten N gehörte, so dass er in der Lage war, die behaupteten Wahrnehmungen zu machen. Dabei differenzierte er: Im betreffenden Kulturkreis sei der Ruf nach Vergeltung für die Tötung eines Angehörigen als normal anzusehen und auf den Schmerz der Eltern zurückzuführen. Hier jedoch sei dieser Ruf nach Vergeltung in den vergangenen Monaten nicht abgeklungen. Der Angeklagte N habe weiterhin und wiederholt innerhalb der Familie darauf hingewiesen, die Tat müsse gesühnt werden. Der Zeuge grenzte damit kulturtypische, aber in der Regel folgenlose verbale Aggressionen von Redeweisen ab, die nicht mehr sozialadäquat waren und potentiell auf die Begehung schwerer Straftaten zielten. Hier lag die Linie, deren Überschreiten die Annahme eines Verdachts und folglich das Tätigwerden der Ermittlungsbehörden rechtfertigte. Hinzu kam, dass der Angeklagte N als Oberhaupt einer anscheinend traditionellen Vorstellungen verhafteten Familie über die nötige Autorität verfügte, sein Ansinnen durchzusetzen. Vertretbar konnte mithin angenommen werden, dass der Angeklagte N eine Tat der versuchten Anstiftung bzw. des Sich Bereiterklärens nach § 30 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB schon begangen hatte. Demgegenüber war es für die Beurteilung des Vorliegens eines Tatverdachts nicht entscheidend, ob sich die genannten Tatbestandsmerkmale der beiden Varianten des § 30 Abs. 1 bzw. 2 StGB in der Aussage des Zeugen „Mario“ bereits vollständig wiederfanden; diese Merkmale mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festzustellen oder auszuschließen war erst das Ziel des Ermittlungsverfahrens.

Das angeblich geplante Verbrechen war auch, wie § 30 StGB in allen Varianten voraussetzt, hinreichend konkretisiert. Die Vorschrift setzt nicht die Festlegung aller Einzelheiten der in Aussicht genommenen Tat, sondern nur voraus, dass diese in ihren wesentlichen Grundzügen konkretisiert ist (BGH NStZ 2007, 697). Das war hier der Fall:

Entgegen der Auffassung der Verteidigung gab es zunächst zureichende Anhaltspunkt, welcher Art das Verbrechen sein sollte: Da ein Mord „gesühnt“ werden sollte, konnte der Familie des Nebenklägers ein – wie Angeklagte N forderte – gleichwertiger Verlust nur durch ein entsprechendes Tötungsdelikt zugefügt werden.

Auch gab es hinreichende Anhaltspunkte, zu wessen Nachteil die Tat begangen werden sollte: Der genauen Bestimmung einer einzelnen Person als Tatopfer bedarf es dabei nicht, wenn dessen Person unwesentlich ist (vgl. BGH NStZ 2007, 697). Vorliegend war das mögliche Tatopfer durch den Angeklagten N bereits in mehreren Punkten und damit hinreichend konkret bestimmt: Da es um eine Tat aus Rache ging, musste es der Familie des Nebenklägers angehören. Um dieser Familie einen gleichwertigen Verlust zuzufügen, bedurfte es der Tötung eines erwachsenen männlichen Familienangehörigen von vergleichbarer sozialer Stellung im Gefüge der Familie. Da sich die mutmaßlichen Täter des Tötungsdeliktes an N in Untersuchungshaft befanden und damit als Opfer ausschieden, sie ihrerseits aber noch keine erwachsenen Kinder hatten, reduzierte sich der Kreis möglicher Opfer erheblich. In Betracht kamen praktisch nur noch weitere nahe Verwandte, namentlich der Nebenkläger.

Einer näheren Individualisierung der anzustiftenden Person bzw. des Adressaten des Sich Bereiterklärens bedurfte es ebenfalls nicht. Insoweit reichte es aus, dass der Angeklagte N sich an Familienmitglieder wendete (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 30 Rz. 9f.).

Im Übrigen ist es für den Verdacht im Sinne des § 100a Abs. 1 StPO aber ohnehin nicht erforderlich, dass die vom Bundesgerichtshof genannten „wesentlichen Grundzüge der Tat“ zum Zeitpunkt der Anordnung der Telefonüberwachung bereits bekannt sein müssen. Hier gilt ebenfalls, dass sie gerade erst durch das Ermittlungsverfahren aufgedeckt werden sollen.

bb) Die Tat der versuchten Beteiligung an einem Mord wog auch im Einzelfall schwer (§ 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Auch wäre die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise als durch die Telefonüberwachung wesentlich erschwert gewesen (§ 100a Abs. 1 Nr. 3 StPO). Denn es handelte sich um ein Delikt, das gerade durch die Kommunikation des Angeklagten N mit seinen Familienangehörigen verwirklicht wurde, so dass nichts für die Existenz von Sachbeweisen sprach. Die Vernehmung der Familienangehörigen wiederum wäre wenig erfolgversprechend gewesen, da sie – abgesehen von möglichen Zeugnisverweigerungsrechten – mutmaßlich nicht gegen ihr Familienoberhaupt hätten aussagen wollen.

(2) Selbst wenn man jedoch den Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 7. Dezember 2012 entgegen der Auffassung des Senats für rechtswidrig erachten sollte, weil es an einem Tatverdacht für eine Katalogtat fehle, ergibt sich nichts anderes. Denn die Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung führt nicht stets zu einem Verwertungsverbot. Die vorzunehmende Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an der Strafverfolgung und dem Interesse des Betroffenen an der Wahrung seiner Individualrechtsgüter (Nachweise aus der Rechtsprechung bei Wolter, SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 100a Rz. 66) fällt hier zugunsten der Verwertbarkeit aus, und zwar im Wesentlichen unter zwei Gesichtspunkten:

Erstens wäre für einen bewussten oder willkürlichen Rechtsverstoß des Ermittlungsrichters nichts ersichtlich. Zweitens hätte die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation rechtmäßig auf die präventiv-polizeiliche Eingriffsgrundlage des § 17 Abs. 1 Nr. 2 Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen (PolG) gestützt werden können, wenngleich für die Anordnung nicht der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Essen, sondern ein nach § 17 Abs. 2 PolG zu bestimmender Richter zuständig gewesen wäre. Die materiellen Voraussetzungen der Vorschrift sind erfüllt, da die Aussage des Zeugen „Mario“ die Annahme rechtfertigte, der Angeklagte N wolle eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen. Dem Gesichtspunkt hypothetisch rechtmäßiger Ermittlungsverläufe kommt zwar bei einer Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zu, da er andernfalls stets unterlaufen werden könnte (vgl. BGHSt 51, 285). So liegt der Fall hier aber nicht. Die Ermittlungsbehörden haben den Richtervorbehalt beachtet und lediglich – unter der vom Senat nicht geteilten Prämisse, dass § 100a Abs. 1 StPO nicht erfüllt sei – unzutreffend eine strafprozessuale Eingriffsmaßnahme beantragt und bewilligt erhalten.

2. Ein Haftgrund besteht gemäß § 112 Abs. 3 StPO. Dabei geht der Senat im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung dieses Tatbestands (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 112 Rz. 37) mit Blick auf das zu erwartende Strafmaß von Fluchtgefahr aus, zumal ein mutmaßlicher Mittäter bereits flüchtig ist.

3. Die Untersuchungshaft steht zur Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Strafe trotz ihrer Dauer von nunmehr fast einem Jahr noch nicht außer Verhältnis: Der Angeklagte N ist des versuchten Mordes dringend verdächtig und hat mit einer ganz erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Der Strafrahmen des § 211 StGB sieht selbst bei einer Milderung nach §§ 22, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren vor.


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