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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ausl. 34/12 OLG Hamm

Leitsatz: Die Auslieferung eines Verfolgten zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Anstiftung zum Mord, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist, in die Ukraine ist jedenfalls dann unzulässig, wenn trotz diesbezüglicher Zusicherung der ukrainischen Behörden zweifelhaft bleibt, ob die dortigen Haftbedingungen für den Verfolgten den Grundsätzen der EMRK entsprechen.

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungssache

Stichworte: Unzulässigkeit, Auslieferung, Ukraine, Haftbedingungen

Normen: IRG 73

Beschluss:

Auslieferungssache
In pp.
hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 19.03.2013 beschlossen:
1. Die Auslieferung des Verfolgten in die Ukraine zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der in dem Ersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine in Kiew vom 28. Februar 2012 in Verbindung mit dem Beschluss des Bezirksgerichts Leninskij, Stadt Kirowograd, vom 18. Januar 2012 (Gz.: Nr. 4/111/32/12) über die Anordnung der Untersuchungshaft bezeichneten Tat ist unzulässig.
2. Der förmliche Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 11. April 2012 wird aufgehoben.
3. Der Verfolgte ist unverzüglich aus der Auslieferungshaft zu entlassen (Anordnung des Vorsitzenden).

Gründe:
I.
Die ukrainischen Behörden ersuchen mit Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine in Kiew vom 28. Februar 2012 um die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung wegen Mordes. Dem Auslieferungsbegehren liegt der Beschluss des Bezirksgerichts Leninskij, Stadt Kirowograd, vom 18. Januar 2012 über die Anordnung der Untersuchungshaft gegen den Verfolgten zugrunde.

Der Senat hat mit Beschluss vom 11. April 2012 gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft angeordnet. Der Verfolgte ist am 24. Mai 2012 festgenommen worden und befindet sich seitdem in Auslieferungshaft. Mit weiterem Beschluss vom 19. Juli 2012 hat der Senat die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten in die Ukraine zur Strafverfolgung wegen Mordes festgestellt und die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.

Nachdem der Verfolgte beantragt hatte, erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden und die Auslieferung für unzulässig zu erklären und dies u. a. unter Beifügung von Berichten von Amnesty International damit begründet hatte, dass er im Falle seiner Auslieferung nicht in Haftanstalten untergebracht würde, welche den Europäischen Menschenrechtskonventionen entsprechen würden, hat der Senat mit Beschluss vom 14. August 2012 festgestellt, dass über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten in die Ukraine erneut entschieden werden soll und die neue Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung gleichzeitig zurückgestellt. Zur Begründung hat der Senat in dem vorgenannten Beschluss ausgeführt, dass im Hinblick auf die Ausführungen des Verfolgten und die Vorlage der Berichte von Amnesty International von Herbst 2011 und Mai 2012 sowie des Amnesty-Jahresberichtes 2011 klärungsbedürftig sei, ob die Haftbedingungen in den Haftanstalten der Ukraine der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und den europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entsprechen würden.

Der Senat hat daher mit dem vorgenannten Beschluss das Justizministerium der Ukraine um die Beantwortung folgender Fragen ersucht:

- In welcher Haftanstalt wird der Verfolgte nach seiner Auslieferung untergebracht werden?
- In welcher Haftanstalt wird er im Falle einer Verurteilung seine Strafhaft verbüßen?
- Entsprechen diese Haftanstalten der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 (EMRK) und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen – Neufassung der Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen - vom 11. Januar 2006?
- Dürfen Angehörige einer deutschen konsularischen Vertretung im Falle einer Auslieferung des Verfolgten Haftbesuche bei ihm durchführen?
- Wie wird die medizinische Versorgung des Verfolgten, der nach seinen Angaben unter einer latenten Herzerkrankung leidet, in den jeweiligen Haftanstalten, in denen er untergebracht werden wird, gewährleistet?

Zudem hat der Senat mit dem vorgenannten Beschluss das Auswärtige Amt in Berlin um eine Stellungnahme zu folgenden Fragen gebeten:
a) Entsprechen die Haftbedingungen für Untersuchungshäftlingen und Strafgefangene in den Haftanstalten der Ukraine generell der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 (EMRK) und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen – Neufassung der Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen – vom 11. Januar 2006?
b) Falls die Frage unter a) nicht bejaht werden kann oder eine zweifelsfreie Bejahung nicht möglich ist:
Können Haftanstalten in der Ukraine – ggf. welche – benannt werden, bei denen die Gewähr besteht, dass, falls der Verfolgte als Untersuchungshäftling oder Strafgefangener dort untergebracht würde, seine Verwahrung in der Haftanstalt entsprechend der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 (EMRK) und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen – Neufassung der Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen – vom 11. Januar 2006 erfolgen würde?

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Senatsbeschluss vom 14. August 2012 Bezug genommen.

Das Auswärtige Amt in Berlin hat über das Bundesamt für Justiz und das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 02. Oktober 2012 zu den mit Senatsbeschluss vom 14. August 2012 aufgeworfenen Fragen u. a. ausgeführt, dass nach Einschätzung der Botschaft in Kiew die Haftbedingungen in der Ukraine grundsätzlich nicht den Europäischen Mindeststandards entsprechen würden. Die Situation im ukrainischen Strafvollzug sei weiterhin mangelhaft, insbesondere was die Untersuchungshaftanstalten angehe. Die Untersuchungshaftanstalt der Stadt Kiew sei als unsicher für die Gesundheit der Insassen wie auch des Personals eingestuft worden. In der Untersuchungshaftanstalt der Stadt Kirowograd, welche wohl die zuständige Untersuchungshaftanstalt für den Verfolgten sei, seien die Haftbedingungen noch angemessen. Was die Bestimmung einer Strafvollzugsanstalt zur Verbüßung von Strafhaft nach rechtskräftiger Verurteilung betreffe, erfolge die Zuordnung zu einer bestimmten Haftanstalt erst nach Urteilserlass durch eine spezielle Kommission. Es sei generell zu bedenken, dass die Untersuchungshaft und Strafvollstreckung bei Kapitalverbrechen, wie es dem Verfolgten vorgeworfen werde, nach einem verschärften Verfahren erfolge. Auch sei nicht abschließend zu beurteilen, wie sich die unterschiedlichen Sicherheitsstufen bei den Gefängniskolonien minimaler, mittlerer und höchster Sicherheitsstufe auf den Gefängnisalltag auswirken würden.

Die Belastbarkeit ukrainischer Zusicherungen sei in dem Fall J. zumindest in Frage gestellt worden. Erst auf massiven Druck der Botschaft sei es gelungen, die Einhaltung der Zusicherungen doch noch durchzusetzen.

Abschließend hat das Auswärtige Amt angeregt, nach Beantwortung der Fragen zu den Haftbedingungen durch das ukrainische Justizministerium und Benennung konkreter Haftanstalten eine ergänzende Stellungnahme der deutschen Botschaft in Kiew einzuholen.

Mit Beschluss vom 11. Oktober 2012 hat der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.

Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine hat mit Schreiben vom 10. Oktober 2012 hinsichtlich der vom Senat aufgeworfenen Fragen mitgeteilt, dass der Verfolgte zunächst in den Untersuchungsgefängnissen des staatlichen Strafvollzugsdienstes der Ukraine untergebracht werde und im Falle der Verhängung einer Freiheitsstrafe diese in einer Strafhaftkolonie verbüßen müsse. Darüber hinaus hat die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine nochmals die mit dem Auslieferungsersuchen vom 28. Februar 2012 gegebenen Zusicherungen/Garantien u. a. im Hinblick auf die Einhaltung der Regeln der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 wiederholt.

Mit weiterem Schreiben vom 30. November 2012 hat die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine mitgeteilt, dass der Verfolgte nach seiner Auslieferung zunächst in das Kyjiwer Untersuchungsgefängnis käme. Hinsichtlich der Vollzugsanstalt, in welcher der Verfolgte im Falle seiner Verurteilung untergebracht werde, hat die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine mitgeteilt, dass diese Strafvollzugsanstalt erst nach dem Inkrafttreten des Urteils unter Berücksichtigung der Schwere des begangenen Verbrechens, einer möglichen Vorstrafe und anderer Umstände bestimmt werde. Darüber hinaus hat die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine noch die vom Senat aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der Möglichkeit der Begnadigung gem. Art. 151 des ukrainischen Strafvollzugsgesetzbuches bei Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe beantwortet.

Mit Beschluss vom 11. Dezember 2012 hat der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet und u. a. das Auswärtige Amt in Berlin entsprechend der Anregung in dem Schreiben vom 02. Oktober 2012 gebeten, dazu Stellung zu nehmen, ob die von der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine im Auslieferungsersuchen vom 28. Februar 2012 und im Schreiben vom 10. Oktober 2012 abgegebenen Garantien/Zusicherungen in Bezug auf näher ausgeführte folgende Einzelpunkte (Einhaltung der Regeln der Europäischen Menschenrechtskonvention im Kyjiwer Untersuchungsgefängnis und in einer Strafkolonie mit mittlerem oder höchsten Sicherheitsniveau gem. Art. 150 Ziff. 1 des ukrainischen Strafvollzugsgesetzbuches, Gewährung der erforderlichen medizinischen Versorgung in den jeweiligen Haftanstalten und Einhaltung der Zusicherungen in Bezug auf Rechte der Amtspersonen der diplomatischen Vertretung und des Konsulates der Bundesrepublik Deutschland) in dem Sinne belastbar seien, dass aufgrund der bisherigen Erfahrungen im Auslieferungsverkehr mit der Ukraine mit der Einhaltung der Zusicherungen im vorliegenden Fall gerechnet werden könne.

Mit weiterem Beschluss vom 07. Februar 2013 hat der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.

Das Auswärtige Amt in Berlin hat mit Schreiben vom 01. Februar 2013, welches über das Bundesamt für Justiz an das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und sodann an die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm weitergeleitet wurde, die im Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2012 aufgeworfenen Fragen wie folgt beantwortet:

Hinsichtlich der EMRK-Konformität der Untersuchungshaftanstalt in Kiew sowie der für die Strafhaft in Frage kommenden Haftanstalten hat das Auswärtige Amt auf seine Stellungnahme vom 02. Oktober 2012 verwiesen. Diese habe auch hinsichtlich der Untersuchungshaftanstalt in Kiew und in Kirowograd unverändert Gültigkeit. Sodann folgen noch Ausführungen zur medizinischen Versorgung in den Haftanstalten in der Ukraine. Weiter wird ausgeführt, dass die von der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine in Auslieferungsverfahren abgegebenen Garantien hinsichtlich der Besuchswünsche deutscher Konsularbeamter etc. eingehalten worden seien. Lediglich in einem Auslieferungsverfahren habe es anfänglich Schwierigkeiten gegeben. Diese seien jedoch, wie schon in der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 02. Oktober 2012 ausgeführt, nach Intervention der deutschen Botschaft beseitigt worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat nunmehr mit Zuschrift vom 04. März 2013 beantragt, die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten in die Ukraine zur Strafverfolgung festzustellen und die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.

Der Beistand des Verfolgten Rechtsanwalt S hat hierzu unter dem 11. März 201 schriftsätzlich Stellung genommen und beantragt, die Auslieferung des Verfolgten in die Ukraine für unzulässig zu eklären sowie den Auslieferungshaftbefehl des Senats aufzuheben, hilfsweise diesen außer Vollzug zu setzen.

II.
Die Auslieferung des Verfolgten in die Ukraine zur Strafverfolgung wegen Mordes ist unzulässig, da nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes in Berlin mit Schreiben vom 02. Oktober 2012 und 01. Februar 2013 davon auszugehen ist, dass in dem Kyjiwer Untersuchungsgefängnis die Regeln der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 nicht eingehalten werden und unter Berücksichtigung der Auskünfte des Auswärtigen Amtes zur Frage der Einhaltung der Regeln der Europäischen Menschenrechtskonvention in einer Strafanstalt nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe ungeklärt geblieben ist, ob den Verfolgten im Falle der ihm drohenden Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe menschenrechtskonforme Strafhaftbedingungen erwarten.

Nach Art. 3 EMRK und § 73 IRG ist die Auslieferung unzulässig, wenn begründete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dem Verfolgten im ersuchenden Staat die Gefahr droht, dort gefoltert oder in anderer Weise menschenrechtswidrig behandelt zu werden (vgl. BVerfG Beschluss vom 08. April 2004 - 2 BvR 253/04 - , BeckRS 2004, 21967; NStZ 2001, 100 f.; OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 06. September 2011, Az. III – 2 Ausl. 69/11; Senatsbeschluss vom 12. Juli 2004 - (2) 4 Ausl. A 29/03 - , BeckRS 2007, 17072; KG, Beschlüsse vom 04. September 2000 und 22. Januar 2001 - (4) Ausl. A. 855/99 (158/99). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 08. April 2004 - 2 BvR 253/04 - m. w. N.) sind die deutschen Gerichte bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung von Verfassungs wegen gehalten zu prüfen, ob die Auslieferung und der ihr zugrunde liegende Akt mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind. § 73 IRG nimmt dieses verfassungsrechtliche Gebot auf der Ebene des einfachen Rechts auf, indem er ausdrücklich bestimmt, dass die Leistung von Rechtshilfe unzulässig ist, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Gegen den ordre public verstößt eine Rechtshilfehandlung, mit der der ersuchte Staat dazu beitragen würde, dass der Ausgelieferte der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde. Die Ächtung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gehört inzwischen zum festen Bestand des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes (vgl. Art. 3 EMRK und Art. 7 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte). Auch die Auslieferung zur Verhängung oder Vollstreckung einer an sich zulässigen Strafe kann gegen den ordre public verstoßen und unzulässig sein, wenn zu besorgen ist, dass die zu erwartende oder verhängte Strafe im ersuchenden Staat in einer den Erfordernissen des Art. 3 EMRK nicht entsprechenden Weise vollstreckt werden würde (vgl. BVerfG a.a.O.)

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Auslieferung des Verfolgten in die Ukraine schon deshalb unzulässig, weil der Verfolgte nach seiner Auslieferung nach Auskunft der ukrainischen Behörden im Kyjiwer Untersuchungsgefängnis untergebracht werden würde und dieses Untersuchungsgefängnis nach Mitteilung des Auswärtigen Amtes in seiner Stellungnahme vom 02. Oktober 2012, an der das Auswärtige Amt insoweit in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 1. Februar 2013 festgehalten hat, nicht der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 und den Europäischen Strafvollzugs-grundsätzen vom 11. Januar 2006 entspricht, da es als unsicher für die Gesundheit der Insassen eingestuft wird. Eine andere Untersuchungshaftanstalt, welche möglicherweise den Grundsätzen der EMRK entsprechen würde, hat die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine nicht benannt.

Auch soweit dem Verfolgten in der Ukraine eine rechtskräftige Verurteilung - gegebenenfalls zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe – droht und er diese Freiheitsstrafe in einer gemäß Art 150 Ziffer 1 des ukrainischen Strafvollzuggesetzbuches vorgesehenen Strafanstalt - entweder in einer Strafkolonie mit mittlerem oder in einer Strafkolonie mit höchstem Sicherheitsniveau und dort jeweils in einem Sektor mit höchstem Sicherheitsniveau – verbüßen muss, ist nicht hinreichend sichergestellt, dass eine derartige Strafkolonie den Mindestgrundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention entspricht.

Das Auswärtige Amt in Berlin hat zu dieser Frage keine konkrete Stellungnahme abgegeben, es vielmehr offen gelassen, ob solche Strafkolonien in der Ukraine den Regeln der Europäischen Menschenrechtskonventionen entsprechen. Nach Mitteilung des Auswärtigen Amtes kann gerade nicht abschließend beurteilt werden, wie sich die unterschiedlichen Sicherheitsstufen auf den Gefängnisalltag auswirken. Zwar wird die Strafkolonie „Shytomir“ von dem Auswärtigen Amt als „noch angemessen“ eingeschätzt, jedoch ist unklar, ob der Verfolgte dort eine Strafhaft verbüssen würde, da die ukrainischen Behörden sich diesbezüglich nicht festgelegt sondern darauf verwiesen haben, dass die Festlegung der Strafanstalt bzw. Strafkolonie erst nach rechtskräftiger Verurteilung erfolge.

Weitere Haftanstalten, sei es für den Vollzug der Untersuchungshaft oder den Vollzug der Strafhaft, welche den Mindestgrundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechen würden, sind von dem Auswärtigen Amt nicht benannt worden, obwohl der Senat mit seinem Beschluss vom 14. August 2012 unter Ziffer 6 b) gerade darum gebeten hatte und es Hinweise darauf gibt, dass in der Ukraine solche Haftanstalten unterhalten werden. So ergibt sich aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 9. November 2012 (Az.: 3 A 1170/11; veröffentlicht bei iuris), dass das Bundesamt für Justiz in einer Mitteilung vom 26. Juni 2008 dem Niedersächsischen Justizministerium Haftanstalten in der Ukraine benannt hat, in denen (jedenfalls aus damaliger Sicht) ein menschenrechtskonformer Strafvollzug gesichert scheint. Nach dem genannten verwaltungsgerichtlichen Urteil und der darin wiedergegebenen Auskunft des Bundesamtes für Justiz hatten Konsularbeamte der deutschen Botschaft Kiew sowie eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung verschiedene Justizvollzugsanstalten der Ukraine besucht und dabei festgestellt, dass die Unterbringung der Strafgefangenen in den besuchten Haftanstalten in Übereinstimmung mit der EMRK erfolgte und den in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen/ Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen vom 12. Februar 1987 festgelegten europäischen Mindeststandards entsprach.

Die danach trotz der Aufklärungsbemühungen des Senats verbliebenen, auch durch die Jahresberichte 2011 und 2012 von Amnesty International gestützten Zweifel, ob der Verfolgte nach seiner Auslieferung in die Ukraine dort menschenrechtskonforme Haftbedingungen antreffen wird, konnten auch nicht durch die von der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine in dem Auslieferungsersuchen vom 28. Februar 2012 und dem Schreiben vom 10. Oktober 2012 abgegebenen Zusicherungen,dass die Regeln der Europäischen Menschenrechtskonvention in der jeweiligen Untersuchungshaft – und Strafhaftanstalt, in der der Verfolgte verwahrt wird, eingehalten werden, ausgeräumt werden. Die diesbezüglich mit Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2012 an das Auswärtige Amt in Berlin gerichtete Bitte, dazu Stellung zu nehmen, ob die von der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine abgegebenen Garantien/Zusicherungen im Hinblick auf konkrete im Senatsbeschluss aufgelistete Einzelpunkte in dem Sinne belastbar sind, dass aufgrund der bisherigen Erfahrungen im Auslieferungsverkehr mit der Ukraine mit der Einhaltung der Zusicherungen im vorliegenden Fall gerechnet werden kann, hat das Auswärtige Amt nicht bzw. nicht hinreichend deutlich beantwortet.

In seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2013 hat das Auswärtige Amt lediglich zur Frage der Belastbarkeit von Zusicherungen in Bezug auf Rechte der Amtspersonen der diplomatischen Vertretung und des Konsulats (Haftbesuche etc) Ausführungen gemacht. In seiner vorherigen Stellungnahme vom 2. Oktober 2012 hat das Auswärtige Amt lediglich allgemein ausgeführt, dass die Belastbarkeit ukrainischer Zusicherungen zumindest in einem Fall infrage gestellt worden seien, wobei unklar ist, worauf sich diese Zusicherungen bezogen haben sollen. Aufgrund der allgemeinen Formulierung wird nicht deutlich, ob sich die Belastbarkeit der ukrainischen Zusicherungen auf die Einhaltung der Regeln der Europäischen Menschenrechtskonvention hinsichtlich der Haftbedingungen in den jeweiligen Haftanstalten oder aber auf Besuche von Konsularvertretern bezog. Da das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2013 jedoch auf diese Ausführungen Bezug nimmt, ist es naheliegender, dass sich die Ausführungen zur Belastbarkeit ukrainischer Zusicherungen lediglich auf die Einhaltung der Rechte der Amtspersonen der diplomatischen Vertretung und des Konsulats bezogen, nicht hingegen auf die Einhaltung der Regeln der EMRK in den Haftanstalten.

Jedenfalls in Bezug auf die von den ukrainischen Behörden angekündigte Vollstreckung der Untersuchungshaft in der Untersuchungshaftanstalt Kiew, die nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. Oktober 2012 als unsicher für die Gesundheit der Insassen einzustufen ist, verbleiben beim Senat durchgreifende Zweifel an der Belastbarkeit der Zusicherungen.

Da der Verfolgte sich nunmehr seit dem 24. Mai 2012 in Auslieferungshaft befindet und trotz intensiver Aufklärungsbemühungen bis heute ungeklärt ist, ob der Verfolgte menschenrechtskonforme Haftbedingungen antreffen wird, waren weitere Nach-fragen bei dem Auswärtigen Amt in Berlin oder dem Bundesamt für Justiz angesichts der dann durch den weiteren Zeitverzug eintretenden Unverhältnismäßigkeit der Auslieferungshaft und der in den vorgenannten Senatsbeschlüssen bereits eindeutig formulierten Fragen nicht veranlasst. Die Frage der Zulässigkeit der Auslieferung ist vielmehr entscheidungsreif.

Die Auslieferung des Verfolgten in die Ukraine zur Strafverfolgung wegen Mordes war nunmehr für unzulässig zu erklären und der förmliche Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 11. April 2012 deshalb aufzuheben.



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