Aktenzeichen: 1 VAs 5/13 OLG Hamm |
Leitsatz: Meint der Betroffene, ihm - als Ausländer - seien Lockerungen zu Unrecht vorenthalten worden, so muss er hiergegen vorgehen. Es steht - auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des EGMR vom 22.03.2012, Beschwerde-Nr. 5123/07 - nicht in seinem Ermessen, statt dessen eine Lösung über § 456a StPO zu "wählen". |
Senat: 1 |
Gegenstand: Antrag auf gerichtliche Entscheidung |
Stichworte: Absehen; weitere Vollstreckung |
Normen: StPO 456a |
Beschluss: In pp. hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 19.03.2013 beschlossen Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen. Der Geschäftswert wird auf 3.000 Euro festgesetzt. Gründe I. Der Betroffene - ein türkischer Staatsangehöriger, der inzwischen bestandskräftig ausgewiesen ist - verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes, die das Landgericht Wuppertal mit Urteil vom 25.01.2002 gegen ihn verhängt hat. 15 Jahre der erkannten Strafe wird er am 25.02.2016 verbüßt haben. Der Verurteilung lag Folgendes zu Grunde: Das spätere Opfer war eine Zeit lang die Lebensgefährtin des Betroffenen. Die Beziehung war Konflikt geladen. Die Lebensgefährtin beendete darauf hin die Beziehung. Kurz vor dem Termin, an dem der Betroffene aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen sollte, erstach der Betroffene sie im Schlaf aus Wut. Dazu schlich er sich in das Schlafzimmer seines Opfers, welches sich beim Schlafengehen keines Angriffs versah, und stach ihr mit einem Messer von 24 cm Klingenlänge zunächst in den Rücken. Dann drehte er sein Opfer um und stach ihm in den Brustkorb. Sodann würgte er es. Das Opfer verstarb nach einigen Minuten. Der Betroffene hat wiederholt bei der Staatsanwaltschaft beantragt, von der Vollstreckung gem. § 456a StPO nach Vollstreckung von (mehr als) 10 Jahren der erkannten Freiheitsstrafe abzusehen. Die Staatsanwaltschaft hat dem Betroffenen mitgeteilt, dass ein Absehen von der weiteren Vollstreckung gem. § 456a StPO vor dem 20.02.2015 nicht beabsichtigt ist. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Antrag vom 20.08.2012. Diesen haben die Staatsanwaltschaft und - auf die Beschwerde nach § 21 StVollstrO - der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf mit den angefochtenen Bescheiden abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Zur Begründung führt er aus, dass er als türkischer Staatsangehöriger nicht in den Genuss von Lockerungen käme, weil ihm immer Fluchtgefahr entgegengehalten werde. Er habe daher inzwischen 12 Jahre geschlossenen Vollzuges über sich ergehen lassen müssen, während einem deutschen Strafgefangenen in vergleichbarer Situation unter Berücksichtigung der Vollzugsziele des § 2 StVollzG Lockerungen gewährt würden. Im Vollzug habe er sich bewährt. Er sei schon über zwei Jahre länger in Haft, als in der Rundverfügung des Justizministeriums NRW zu § 456 a StPO für den Fall der Abschiebung vorgesehen sei. Es liege ein Verstoß gegen Art. 14 EMRK vor, weil der Betroffene im Vollzug ohne vernünftigen Grund ungleich gegenüber einem Deutschen behandelt werde. Für zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Ausländer müsse der Verzicht auf Lockerungen, die deutsche Strafgefangene erhalten würden, durch ein Absehen von der weiteren Vollstreckung nach § 456a StPO kompensiert werden. Der Generalstaatsanwalt in Hamm hat beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen. II. Der Antrag ist gemäß §§ 23 ff. EGGVG zulässig, aber unbegründet. Die angefochtene Entscheidung unterliegt nicht unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem aus dem Inland auszuweisenden Verurteilten von der weiteren Vollstreckung abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung rechtsfehlerfrei verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Um die gerichtliche Nachprüfung der Ermessensausübung zu ermöglichen, müssen die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die dafür wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Absehen von der weiteren Vollstreckung sprechenden Umstände erkennen lassen (OLG Hamm Beschl. v. 13.10.2011 - 1 VAs 58/11 = BeckRS 2012, 08399 m.w.N.; OLG Hamm NStZ 1983, 524; KG Berlin StraFo 2012, 337). Diese eingeschränkte Überprüfung ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen. Der Zweck der Ermächtigung des § 456a StPO liegt in der Entlastung des Vollzugs bei Straftätern, die das Bundesgebiet aufgrund hoheitlicher Anordnung verlassen müssen und denen gegenüber die weitere Vollstreckung weder unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung noch unter dem der Prävention sinnvoll wäre (OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 126; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 456a Rdn. 1; Klein in: Graf, StPO, 2. Aufl., § 456a Rdn. 1; Graalmann-Scheerer in: LR-StPO, 26. Aufl., § 456a Rdn. 1). Die Regelung wurde also aus fiskalischen Erwägungen im Interesse der Bundesrepublik geschaffen, um diese in vertretbaren Rahmen von der Last der Strafvollstreckung zu befreien (OLG Hamm Beschl. v. 13.10.2011 - 1 VAs 58/11 = BeckRS 2012, 08399 m.w.N.). Die genannten gesetzgeberischen Motive schließen zwar nicht aus, die persönlichen Verhältnisse und Belange eines Verurteilten, wenn dies geboten erscheint, bei der zu treffenden Entscheidung angemessen zu berücksichtigen. Diese stehen aber nicht im Vordergrund. Mögliche Abwägungsfaktoren sind insbesondere die Umstände der Tat, die Schwere der Schuld, die bisherige Vollstreckungsdauer, die familiäre und persönliche Situation des Verurteilten und das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Strafvollstreckung (KG Berlin StraFo 2012, 338; OLG Hamm Beschl. v. 21.04.2011 - 1 VAs 12/11; OLG Hamm NStZ 1983, 524; OLG Karlsruhe StraFo 2009, 83, 84; OLG Karlsruhe Beschl. v. 09.06.2010 - 2 VAs 19/10; Graalmann-Scheerer in: LR-StPO, 26. Aufl., § 456a Rdn. 14). Gemessen daran, sind die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und des Generalstaatsanwalts nicht zu beanstanden. Die Strafvollstreckungsbehörde hat zwar in dem angefochtenen Bescheid selbst keine Ermessenserwägungen mehr angestellt. Sie hat sich aber auf den früheren Bescheid vom 04.06.2010 und auf den Beschluss des Petitionsausschusses des Landtages vom 26.06.2012 berufen und sich damit die darin enthaltenen Gründe zu eigen gemacht. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat dann im Einzelnen zutreffend auf den hohen Unrechtsgehalt der abgeurteilten Tat und ihre Brutalität und die eigensüchtige Motivation abgestellt. Sie hat auch (im Rahmen der Beurteilung seiner Haftempfindlichkeit) berücksichtigt, dass der Betroffene seit 1991 seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat. Er habe keine sprachlichen Probleme. Die weiteren vom Betroffenen angeführten persönlichen Umstände, etwa dass er im Vollzug erheblich gealtert sei und seine Kinder keinen Kontakt zu ihm halten würden, könnten das öffentliche Interesse an einer weiteren Vollstreckung der Strafe nicht wesentlich schwächen. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass - ausweislich der Feststellungen im zu Grunde liegenden Strafurteil - der Betroffene schon vor der Tat nur begrenzt Interesse am Umgang mit seinen Kindern aus der (geschiedenen) früheren Ehe gezeigt hat. Entgegen der Auffassung des Betroffenen ist durch die Ablehnung des Absehens von der weiteren Vollstreckung auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Hinblick auf die Anwendung der RV des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20.08.1985 (9174 - III A 2) zu sehen. Nach Ziffer I.5. der Rundverfügung des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20.08.1985 kommt bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe ein Absehen von der weiteren Vollstreckung vor Ablauf von 10 Jahren nicht in Betracht. Ein Absehen erst nach längerer Vollstreckungsdauer ist damit nicht ausgeschlossen, vielmehr handelt es sich um die regelmäßige Mindestverbüßungsdauer vor einer Entscheidung nach § 456a StPO. Entsprechend den Grundsätzen für die zeitige Freiheitsstrafe in Ziff. 1.3. der RV kommt eine weitergehende Vollstreckung jedenfalls dann in Betracht, wenn dies aus besonderen in der Tat oder in der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar geboten ist (OLG Hamm, Beschl. v. 06.11.2012 - III - 1 VAs 104/12). Diese Voraussetzungen liegen hier (vgl. oben) vor. Auch ansonsten liegt keine Ungleichbehandlung (i.S.v. Art. 3 GG oder Art. 14 EMRK) vor. Auch bei Strafgefangenen deutscher Staatsangehörigkeit kann die Gewährung von Lockerungen bei Flucht- oder Missbrauchsgefahr versagt werden (vgl. u.a. § 11 Abs. 2 StVollzG). Meint der Betroffene, ihm würden Lockerungen zu Unrecht vorenthalten, so kann er sich gegen die Versagung derselben nach §§ 109 ff. StVollzG gerichtlich wehren. Dass dies erfolglos geschehen ist, ist nicht ersichtlich. Bei der Entscheidung über die Gewährung von Lockerungen kann zudem der Umstand der Fluchtgefahr z.B. auch durch entsprechende Vorkehrungen (z.B. Ausführung statt Ausgang) Rechnung getragen werden. Wie bereits ausgeführt hat aber § 456a StPO nicht die Funktion, etwaige - zutreffende oder unzutreffende - Lockerungsverweigerungen zu kompensieren. Es steht nicht im Ermessen des Betroffenen, statt der gerichtlichen Durchsetzung von Lockerungen eine Lösung über § 456a StPO zu "wählen". Dass de facto - nach Auffassung des EGMR (Urt. v. 22.03.2012, Beschwerde-Nr. 5123/07) - eine Maßnahme nach § 456a StPO bestimmte vorhergehende rechtswidrige Ungleichbehandlungen kompensieren kann, ist vorliegend nicht relevant. Zum einen würde dies nicht zu einem Anspruch auf ein Vorgehen nach § 456a StPO führen, da eine Kompensation auch anderweitig denkbar wäre. Zum anderen steht hier (s.o.) gar nicht fest, dass eine rechtswidrige Ungleichbehandlung vorliegt. III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 30 Abs. 1 S. 1 EGGVG, 130 Abs. 1 KostO, die Wertfestsetzung beruht auf §§ 30 EGGVG, 30 KostO. |
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