Aktenzeichen: 2 Ws 158/13 OLG Hamm |
Leitsatz: Sind in dem Urteilsausspruch über die Entschädigung des freigesprochenen Angeklagten weitere, entschädigungsfähige Strafverfolgungsmaßnahmen unberücksichtigt geblieben, ohne dass insoweit Hindernisse einer abschließenden Entschädigungsentscheidung im Urteil entgegenstehen, so ist die Geltendmachung einer weitergehenden Entschädigungspflicht durch Erhebung der sofortigen Bechwerde gegen die im Urteil enthaltene Entschädigungsentscheidung möglich. |
Senat: 2 |
Gegenstand: Beschwerde |
Stichworte: Entschädigung, Beschwerde, Statthaftigkeit |
Normen: StrEG 8; |
Beschluss: Strafsache In pp. hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 18.06.2013 beschlossen: 1.Der Beschwerdeführerin wird auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gewährt. 2. Die angefochtene Entscheidung über die Entschädigungspflicht nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) wird dahingehend ergänzt, dass die ehemalige Angeklagte auch für die von ihr erlittene Durchsuchungsmaßnahme vom 20. März 2012 aus der Landeskasse zu entschädigen ist. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin werden der Staatskasse auferlegt. Gründe I. Die Beschwerdeführerin ist mit rechtskräftigem Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 5. Oktober 2012 von sämtlichen Anklagevorwürfen freigesprochen worden. Im vorangegangenen Ermittlungsverfahren war die Beschwerdeführerin am 20. März 2012 in Untersuchungshaft genommen und ihre Wohnung am selben Tat durchsucht worden. Dabei wurden Wertgegenstände sichergestellt und Bargeld beschlagnahmt. Im Tenor des am 5. Oktober 2012 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und ihres Verteidigers verkündeten Urteils hatte die Strafkammer nach § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG die Entschädigungspflicht nur für die erlittene Untersuchungshaft festgestellt. Eine Belehrung über das Rechtsmittel gegen diese Entscheidung erfolgte nicht. Mit am 6. Februar 2013 bei dem Landgericht Bochum eingegangenem Schriftsatz ihres Verteidigers vom selben Tag beantragte die Beschwerdeführerin, die Entscheidung über die Entschädigungspflicht wegen der erlittenen Durchsuchungsmaßnahme nachzuholen. Mit weiterem Schriftsatz vom 23. April 2013 ließ die Beschwerdeführerin klarstellen, dass der Antrag vom 6. Februar 2013 hilfsweise als sofortige Beschwerde zu verstehen sei. Zudem sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren, da die Frist mangels Rechtsmittelbelehrung offenkundig unverschuldet versäumt worden sei. Das Landgericht Bochum hat mit Beschluss vom 2. Mai 2013 eine eigene Entscheidung abgelehnt und die Sache dem Senat zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt. In den Gründen führt die Kammer aus, sie habe es im Urteil vom 5. Oktober 2012 lediglich versehentlich unterlassen, auch die Durchsuchungsmaßnahme in die Entscheidung zur Entschädigungspflicht aufzunehmen. Für eine nachträgliche Ergänzung der Entschädigungsentscheidung im Beschlusswege nach § 8 Abs. 1 S. 2 StrEG sei kein Raum. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat mit Zuschrift vom 28. Mai 2013 beantragt, wie beschlossen. II. Die (hilfsweise) erhobene sofortige Beschwerde ist statthaft und nach Wiedereinsetzung auch im Übrigen zulässig. 1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG statthaft. a) Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, auf welchem Wege der Entschädigungsberechtigte bei versehentlich unterbliebener oder unvollständiger Grundentscheidung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG seine Rechte verfolgen muss. Die wohl überwiegende Ansicht will § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG entgegen dem Wortlaut auch auf diese Fälle anwenden, so dass der Entschädigungsberechtigte bei dem für die Entscheidung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG zuständigen Gericht eine Nachholung bzw. Ergänzung der Entscheidung beantragen könnte, ohne einer anderen Fristbindung als der Verjährung des Entschädigungsanspruchs zu unterliegen (KG v. 21.11.2008, 4 Ws 24/08, NStZ 2010, 284 [KG Berlin 21.11.2008 - 1 AR 382/08 - 4 Ws 24/08]; OLG Stuttgart v. 24.04.2001, 2 Ws 61/01, Rn. 7, 11; OLG Düsseldorf v. 07.11.2000, 1 Ws 532/00, NStZ-RR 2001, 159 für den Fall, dass überhaupt nicht oder nicht über alle Strafverfolgungsmaßnahmen entschieden wurde; OLG München v. 13.09.1977, 1 Ws 988/77, [...], Rn. 4 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 8 StrEG, Rn. 7; Kunz, StrEG, 4. Aufl., § 8, Rn. 28 ff.; 48 ff.). Dagegen sei für das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG kein Raum, weil das versehentliche vollständige oder teilweise Schweigen zur Entschädigungspflicht keine Versagung der Entschädigung bedeute (Meyer-Goßner, a.a.O.). Die Gegenmeinung hält am Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 1 StrEG fest und verweist den Entschädigungsberechtigten auf das Verfahren der sofortigen Beschwerde nach § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG (KG v. 10.03.2009, 2 Ws 9/08, [...], Rn. 15 ff.; OLG München vom 03.12.1996, 2 Ws 536/96; OLG Düsseldorf v. 07.11.2000, 1 Ws 532/00, a.a.O. für den Fall, dass über einen Teilzeitraum der Dauer der Strafverfolgungsmaßnahme nicht entschieden wurde; Meyer, Strafrechtsentschädigung, 8. Aufl., § 8 StrEG, Rn. 18 ff.). Eine vermittelnde Auffassung sieht schließlich jedenfalls bei versehentlich unvollständigen Entscheidungen zwar die sofortige Beschwerde als statthaft an, lässt alternativ aber auch die Nachholung der Entscheidung entsprechend § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG zu, so dass der Entschädigungsberechtigte sich wahlweise im Wege der Anregung an das Erstgericht oder im Wege der sofortigen Beschwerde (ggf. in Verbindung mit einem Wiedereinsetzungsantrag) an das Beschwerdegericht wenden kann (OLG Düsseldorf v. 04.02.1987, 3 Ws 22/87, MDR 1988, 164; Kunz, a.a.O., Rn. 50). b) Der Senat hält jedenfalls bei - wie hier - Vorliegen einer Teilentscheidung die sofortige Beschwerde für statthaft. Ob daneben auch eine Nachholung der unterbliebenen Teile der Entschädigungsentscheidung - welche das Landgericht Bochum vorliegend abgelehnt hat - möglich wäre, kann offen bleiben. Ebenso wenig braucht entschieden zu werden, ob es an einem Beschwerdegegenstand fehlt, wenn eine zusprechende oder ablehnende Grundentscheidung über die Entschädigungspflicht vollständig unterblieben ist, oder ob die Beschwerde sich auch gegen das gesetzwidrige vollständige Unterlassen einer Entscheidung richten kann (so: BVerfG v. 27.01.1999, 2 BvR 609/96, [...], Rn. 3; Meyer-Goßner, a.a.O., § 311, Rn. 1). Die sofortige Beschwerde ist das vom Gesetz vorgesehene Rechtsmittel gegen Grundentscheidungen über den Entschädigungsanspruch (§ 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG). Von der wohl h.M. wird zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass das Schweigen zu den übersehenen Strafverfolgungsmaßnahmen keine ablehnende Grundentscheidung über diese Maßnahmen darstelle. Jedoch bedarf es einer solchen ablehnenden Teilentscheidung für die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde auch nicht. Denn wenn eine zusprechende Grundentscheidung erfolgt, welche die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen nicht sämtlich oder einzelne nicht mit ihrem vollen Umfang aufführt, ist der Entschädigungsberechtigte durch diese Entscheidung auch dann beschwert, wenn sie hinsichtlich des fehlenden Teils keine ausdrückliche Ablehnung enthält. Der Entschädigungsberechtigte hat nämlich Anspruch darauf, dass ihm von Amts wegen in der verfahrensabschließenden Entscheidung für sämtliche erlittenen Verfolgungsmaßnahmen dem Grunde nach eine Entschädigung in jeweils vollem Umfang zugesprochen wird. Nur eine vollständige Grundentscheidung kann ihm im nachfolgenden zivilgerichtlichen Betragsverfahren zur vollen Entschädigung verhelfen. Deshalb ist es in den Auswirkungen für den Entschädigungsberechtigten ohne jeden Unterschied, ob die objektiv nur teilweise zusprechende Entscheidung hinsichtlich des restlichen Teils der Strafverfolgungsmaßnahmen (versehentlich) schweigt oder eine Entschädigung für diesen Teil ausdrücklich ablehnt. In beiden Fällen liegt bereits in dem die Entschädigungspflicht nur teilweise feststellenden Tenor eine ihn beschwerende und damit anfechtbare Entscheidung. Es erscheint auch nicht unbillig, von dem Entschädigungsberechtigten zu verlangen, eine tatsächlich ergangene und ihm verkündete bzw. zugestellte Entscheidung darauf zu überprüfen, ob sie sein Begehren vollständig befriedigt. War die Entscheidung mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, ist es ebenso wenig unbillig, wenn dem Entschädigungsberechtigten dafür nur die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO zur Verfügung steht. Fehlte eine solche Rechtsmittelbelehrung (wie regelmäßig, wenn das Gericht den Charakter der bloßen Teilfeststellung versehentlich nicht erkennt und also annimmt, dem Begehren des Entschädigungsberechtigten voll entsprochen zu haben), steht dem Entschädigungsberechtigten über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein Weg offen, die Anfechtung auch noch nach Ablauf der Wochenfrist durchzuführen (dazu sogleich). 2. Der Beschwerdeführerin ist wegen der Versäumung der Beschwerdefrist des § 311 Abs. 2 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Fristversäumung mangels Rechtsmittelbelehrung als schuldlos anzusehen ist (§ 44 Satz 2 StPO); im Schriftsatz vom 23. April ist in hinreichender Weise dargelegt, dass die Frist infolge des Fehlens der Belehrung versäumt wurde. III. Die auf die erlittene Durchsuchungsmaßnahme beschränkte sofortige Beschwerde ist auch begründet, da sich die Grundentscheidung der Strafkammer in dem Urteil vom 5. Oktober 2012 nicht über diese Strafverfolgungsmaßnahmen verhält, ohne dass insoweit eine Entscheidung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG unmöglich gewesen wäre. IV. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Wiedereinsetzung aus § 473 Abs. 7 StPO und hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens aus §§ 467, 473 StPO analog. |
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