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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ausl 95/11OLG Hamm

Leitsatz: Eine Auslieferung nach Rumänien zum Zwecke der Strafvollstreckung ist unzulässig, wenn sie gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungssache

Stichworte: Auslieferung, Rumänien, Zulässigkeit

Normen: IREG 83

Beschluss:

Auslieferungssache
In pp.
hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 10.09.2013 beschlossen

Die Auslieferung der Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Kreisgerichts C vom 21. August 2009 (Aktenzeichen 10070/2002) in Verbindung mit dem Urteil des Amtsgerichts C vom 29. Juni 2004 (Strafurteil Nr. 915) in Verbindung mit dem Strafentscheid des Amtsgerichts W vom 10. November 2004 (Strafentscheid Nr. 387/A) ist unzulässig.

Gründe:

I.

Nachdem das Auslieferungsersuchen der rumänischen Behörden im Dezember 2010 bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm eingegangen war, ist mit Schreiben vom 15. März 2011 der Europäische Haftbefehl des Kreisgerichts C (Kreis W) vom 21. August 2009 (Az.: 10070/2002) übermittelt und um Festnahme und Auslieferung der Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung ersucht worden. Der Europäische Haftbefehl ist gestützt auf das Urteil des Amtsgerichts C vom 29. Juni 2004 (Strafurteil Nr. 915), mit dem die Verfolgte wegen Betruges in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist, von der unter Anrechnung erlittener Untersuchungshaft noch drei Jahre und sechs Monate zu vollstrecken sind.

Der Verfolgten war zur Last gelegt worden, in dem Zeitraum Dezember 1999 bis März 2001 in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin der Handelsgesellschaft SC. N W SRL C, zusammen mit dem Verurteilten H, Waren von fünf Handelsgesellschaften aus Rumänien gekauft zu haben, wobei sie Solawechsel ohne Bankguthaben ausgestellt haben soll.

Gegen das vorgenannte Urteil hat die Verfolgte fristgerecht Berufung eingelegt, welche durch Strafentscheid Nr. 387/A des Amtsgerichts W vom 10. November 2004 verworfen worden ist.

Der Senat hat mit Beschluss vom 23. August 2011 die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zurückgestellt, da noch weitere Ermittlungen bei den rumänischen Behörden erforderlich waren. Zum einen war aufklärungsbedürftig, ob der Verfolgten in dem der Auslieferung zugrundeliegenden Strafverfahren, welches mit Urteil des Amtsgerichts C 29. Juni 2004 und dem Berufungsurteil des Amtsgerichts W vom 10. November 2004 endete, ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden war und damit die Voraussetzungen des § IRG § 83 Nr. IRG § 83 Nummer 3 IRG erfüllt sind. Zudem sollten die rumänischen Behörden auf den Einwand der Verfolgten, dass die verhängte Strafe unerträglich hoch und schon deshalb die Auslieferung zur Strafvollstreckung unzulässig sei, Angaben zu den Haftbedingungen in der Zeit der erlittenen Untersuchungshaft und zu den heutigen Haftbedingungen machen sowie zur ärztlichen Versorgung von durch Haft traumatisierten Gefangenen in rumänischen Haftanstalten. Die rumänischen Behörden sollten darüber hinaus Angaben dazu machen, warum die Verfolgte zum einen am 23. Februar 2001 und zum anderen am 11. Juni 2003 aus der Untersuchungshaft entlassen worden war. Es wurde gebeten, mitzuteilen, ob die Verfolgte damals aufgrund der Haftsituation psychische Probleme hatte und daher im Hinblick auf eine etwaige Haftunfähigkeit aus der Untersuchungshaft entlassen wurde.

Mit Schreiben vom 30. Dezember 2011 hat das Amtsgericht C die Fragen des Senats zu den in Abwesenheit der Verfolgten ergangenen Urteilen des Amtsgerichts C vom 29. Juni 2004 und des Amtsgerichts W vom 10. November 2004 beantwortet. Zugleich sind die Urteile des Amtsgerichts C vom 29. Juli 2004 und des Amtsgerichts W vom 10. November 2004 übersandt worden. Aus diesen Urteilen ergibt sich, dass in die mit Urteil des Amtsgerichts C vom 29. Juni 2004 rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten insgesamt 6 Verurteilungen wegen Betrugs, Urkundenfälschung u. a. einbezogen worden sind.

Der Senat hat daraufhin nach Beratung durch eine Verfügung des Vorsitzenden vom 4. Juni 2012 ausgeführt, dass hinsichtlich des Abwesenheitsurteils des Amtsgerichts C vom 29. Juni 2004 von einem Fluchtfall auszugehen sei und daher die Voraussetzungen des § IRG § 83 Nr. IRG § 83 Nummer 3 IRG erfüllt seien. Klärungsbedürftig seien jedoch weiterhin die mit Senatsbeschluss vom 23. August 2011 aufgeworfenen Fragen zu den Haftbedingungen. In der Verfügung des Vorsitzenden ist des Weiteren ausgeführt, dass es noch ergänzender Angaben der rumänischen Behörden zu den Taten bedürfe, die Gegenstand der einbezogenen Urteile bzw. Strafen seien. Die rumänischen Behörden sollten im Hinblick auf § IRG § 83 Nr. IRG § 83 Nummer 3 IRG vorsorglich auch um Auskunft zu der Frage gebeten werden, ob die einbezogenen Urteile jeweils in Anwesenheit der Verfolgten ergangen sind und falls nein, ob die Verfolgte zu den jeweiligen Hauptverhandlungsterminen persönlich geladen wurde oder in sonstiger Weise nachweislich Kenntnis von dem jeweiligen Verhandlungstermin hatte, an dem Verfahren einschließlich der Hauptverhandlung ein Verteidiger mitgewirkt hat oder die Verfolgte in Kenntnis der gegen sie geführten Verfahren eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat.

Eine entsprechende Anfrage hat die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm nachfolgend dem Amtsgericht C übermittelt.

Daraufhin hat das Justizministerium, Landesverwaltung von Gefängnissen, in Rumänien allgemeine Ausführungen zu den Haftzeiten der Verfolgten sowie zu den Haftbedingungen in rumänischen Gefängnissen gemacht. Das Amtsgericht C hat die einbezogenen Urteile übersandt.

Da sich aus diesen übersandten Urteilen ergab, dass einige in Abwesenheit der Verfolgten ergangen waren, hat die Generalstaatsanwaltschaft nochmals bei dem Amtsgericht C nachgefragt, ob die Verfolgte in den jeweiligen Verfahren anwaltlich vertreten bzw. ob sie zu den jeweiligen Hauptverhandlungen ordnungsgemäß geladen worden war.

Das Amtsgericht C hat daraufhin Ausführungen zu den Abwesenheitsurteilen gemacht und hierbei teilweise - entgegen den Ausführungen in den betreffenden Urteilen - dargelegt, dass die Verfolgte ordnungsgemäß geladen und bei der Verhandlung anwesend gewesen sei.

Die Verfolgte hat sich mit mehreren Schriftsätzen ihres Beistandes gegen die Ausführungen der rumänischen Behörden gewandt und darüber hinaus weitere Einwendungen gegen ihre Auslieferung erhoben. U. a. hat sie ausgeführt, dass die in das Urteil des Amtsgerichts C vom 29. Juni 2004 u. a. einbezogene Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts W de Munte vom 30. Oktober 2000 (Nr. 342/2000), mit dem sie zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden war, nicht mehr existent sei. Dieses Urteil sei aufgehoben worden und sie sei stattdessen später zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden.

Im folgenden wurden die rumänischen Behörden auf die Einwände der Verfolgten hin von der Generalstaatsanwaltschaft wiederholt um Klärung der noch offenen Fragen gebeten.

Nachdem trotz dieser mehrfachen Anfragen einzelne Fragen offen geblieben waren, hat die Generalstaatsanwaltschaft unter dem 6. Mai 2013 bei dem Amtsgericht C nachgefragt, ob das dortige Auslieferungsersuchen und der Europäische Haftbefehl vom 21. August 2009 zurückgenommen werden. Dieses hat das Amtsgericht C mit Schreiben vom 12. August 2013 abgelehnt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat nunmehr mit Zuschrift vom 15. August 2013 beantragt, die Auslieferung der Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung für unzulässig zu erklären.

II.

Die Auslieferung der Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung ist wegen eines Verstoßes gegen die völkerrechtlich verbindlichen Mindestandards und den deutschen ordre public gemäß § IRG § 73 S.2 IRG unzulässig.

Ein Verstoß gegen grundrechtsgleiche und rechtsstaatliche Garantien kann wegen der grundsätzlichen, im vertraglichen Bereich bestehenden Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Auslieferung und der Achtung und dem Respekt vor fremden Rechtsordnungen nur beschränkt auf eine Verletzung ihres Kernbereichs zu einem Auslieferungshindernis führen, wobei hierfür maßgeblich ist, ob die Auslieferung und ihr zugrundliegende Akte gegen den nach Art GG Artikel 25 GG völkerrechtlich verbindlichen Mindestandard sowie gegen unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze der öffentlichen Ordnung verstoßen würde. Damit ist eine Auslieferung unzulässig, wenn diese fundamentalen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung oder dem völkerrechtlich verbindlichen Mindestandard auf dem Gebiet der Menschenrechte widerspricht (vgl. BVerfGE 75, BVERFGE Jahr 75 Seite 1 ff und Beschluss vom 17. Februar 2009, 2 BvR 257/09; OLG Karlsruhe, NStZ 2005, NSTZ Jahr 2005 Seite 351 und StraFo 2007, 477; OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 28. Dezember 2007 in StV 2008, STV Jahr 2008 Seite 648).

Die Auslieferung der Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung würde dem zum inländischen ordre public gehörenden verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen und ist daher unzulässig.

Dies ergibt sich aus folgendem:

Die der Verurteilung des Amtsgerichts C vom 29. Juni 2004 zugrundeliegenden Taten sind in den Jahren 1999 und 2000 begangen worden. Die Taten, die den in diesem Urteil einbezogenen Strafen/Urteilen zugrundeliegen, sind in den Jahren 1997 bis 2001 begangen worden, so dass die Taten nunmehr 12 bis 16 Jahre zurück liegen.

Die Verfolgte hat zudem einen Teil der Strafe - ca. 2 Jahre und 3 Monate - durch Untersuchungshaft verbüßt, durch die sie - nach ihren Angaben - traumatisiert ist und unter deren Folgen sie noch heute gesundheitlich leidet.

Das für die Verfolgte äußerst belastende Auslieferungsverfahren ist seit Dezember 2010 und damit nunmehr seit ca. 2 ¾ Jahren anhängig, ohne dass die aufklärungsbedürftigen Fragen bis heute umfassend und zweifelsfrei von den rumänischen Behörden beantwortet worden sind.

So ist weiterhin unklar, ob die Verfolgte bei den Verfahren, deren Strafen in dem Urteil des Amtsgerichts C vom 29. Juni 2004 einbezogen worden sind, jeweils ausreichend rechtliches Gehör i. S. v. § IRG § 83 Nr. IRG § 83 Nummer 3 IRG hatte. Trotz mehrfacher Nachfrage durch die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm bei den rumänischen Behörden sind insoweit Unklarheiten geblieben.

Aus den von den rumänischen Behörden übersandten Urteilen ergibt sich, dass das Berufungsurteil des Amtsgerichts W vom 14. Januar 2000 (Nr. 21/A), das Urteil des Amtsgerichts C vom 16. Dezember 2003 (Nr. 1533/03), das Urteil des Amtsgerichts C vom 2. Oktober 2001 (Nr. 1154/01) sowie das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 2. März 2001 (Bescheid Nr. 1122) in Abwesenheit der Verfolgten ergangen sind. Trotz detaillierter und an den Voraussetzungen des § IRG § 83 Nr. IRG § 83 Nummer 3 IRG orientierter Fragen, deren Beantwortung für die Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung unablässig ist, hat das Amtsgericht C zu den Urteilen des Amtsgerichts W vom 14. Januar 2000 (Nr. 21/A) und des Amtsgerichts C vom 2. Oktober 2001 (Nr. 1154/01) lediglich pauschal ausgeführt, dass die Verfolgte ordnungsgemäß geladen gewesen und anwesend gewesen sei. Angesichts des offensichtlichen Widerspruchs zu den diesbezüglichen Darlegungen in den Urteilen hätten die Ausführungen jedoch konkretisiert und mit Nachweisen (z. B. zur Ladung) versehen werden müssen.

Bezüglich des Urteils des Amtsgerichts C vom 16. Dezember 2003 (Nr. 1533/03) ist auch nach der erteilten Auskunft weiterhin unklar, ob die Verfolgte in Kenntnis dieses Verfahrens Rumänien verlassen hat und ob sie zum Zeitpunkt der Ladung zur Verhandlung bereits in Italien war.

Schließlich ergibt sich aus den übersandten Urteilen (Bl 139, 143, 147 d. A.), dass der Einwand der Verfolgten, das Urteil des Amtsgerichts W de Munte vom 30. Oktober 2000 (Nr. 342/2000) sei aufgehoben und diesbezüglich später eine geringere Strafe festgesetzt worden, so dass fehlerhaft eine zu hohe Strafe in das Urteil des Amtsgerichts C vom 29. Juni 2004 eingeflossen sei, berechtigt ist.

Das Urteil des Amtsgerichts W de Munte vom 30. Oktober 2000, mit der die Verfolgte zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden war, ist mit Urteil des Landgerichts Prahova vom 22. Februar 2001 (Nr. 151, Az.: 1326/01) aufgehoben worden. In dieser Sache ist die Verfolgte mit Urteil des Amtsgerichts W de Munte vom 11. März 2002 (Az.: 1247/01) sodann zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Die Gesamtstrafenbildung in dem Urteil des Amtsgerichts C vom 29. Juni 2004 ist aufgrund der Einbeziehung der fünfjährigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts W de Munte vom 30. Oktober 2000 daher fehlerhaft.

Schließlich sind auch die Fragen zu den Haftbedingungen, welche der Senat in seinem Beschluss vom 23. August 2011 aufgeworfen hat, noch nicht vollständig beantwortet. Es sollten auch Angaben zu der ärztlichen Versorgung von durch Haft traumatisierten Gefangenen und dazu gemacht werden, warum die Verfolgte zum einen am 23. Februar 2001 und zum anderen am 11. Juni 2003 aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist, insbesondere sollte mitgeteilt werden, ob die Verfolgte aufgrund der Haftsituation psychische Probleme hatte. Diese Fragen haben die rumänischen Behörden bis heute nicht beantwortet.

Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Gesamtumstände, insbesondere der bisherigen Sachbehandlung durch die rumänischen Behörden, der Tatsache, dass sich das Auslieferungsverfahren bei einer Klärung der noch offenen Fragen unabsehbar weiter hinziehen würde, der bisherigen Dauer des Auslieferungsverfahrens, der langen Zeitspanne von 12 bis 16 Jahren seit Tatbegehung bis heute, der Art der Straftaten und der näheren Tatumstände, der Dauer und den Umständen der erlittenen Untersuchungshaft sowie angesichts des Gesundheitszustandes der Verfolgten und der schweren Erkrankung ihres Lebensgefährten ist es jedenfalls nunmehr unverhältnismäßig und mit dem deutschen ordre public nicht zu vereinbaren, die Verfolgte noch zur Vollstreckung einer Reststrafe von 3 Jahren, 6 Monaten auszuliefern.

Die Auslieferung der Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung war mithin für unzulässig zu erklären.


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