Aktenzeichen: 3 RBs 71/13 OLG Hamm |
Leitsatz: Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter in den Urteilsgründen zunächst diejenigen Feststellungen in einer geschlossenen Darstellung bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung dartut, aus welchen Gründen er die für einen Schuldspruch notwendigen zusätzlichen Feststellungen nicht treffen konnte. |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Freispruch, Anforderungen, Urteilsgründe |
Normen: StPO 267 |
Beschluss: Strafsache In pp. hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 22.10.2013 beschlossen: Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts xxx zurückverwiesen. Gründe I. Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten in ihrer zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage zur Last, er habe sich am 1. Januar 2012 gegen 8.47 Uhr im Eingangsbereich einer Gaststätte in der G-Straße in E aufgehalten. Dort sei es zu einer zunächst nur verbal geführten Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Nebenkläger gekommen. Im weiteren Verlauf dieser Auseinandersetzung habe der Angeklagte dem Nebenkläger dann ein Glas in das Gesicht geschlagen, wodurch der Nebenkläger mehrere Schnittwunden im Gesicht unterhalb des linken Auges, eine Nasenbeinfraktur, eine Hornhautverletzung des linken Auges und eine Prellung des linken Jochbogens erlitten habe. Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 27. November 2012 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Das Amtsgericht stellte fest, der Angeklagte habe die ganze Silvesternacht 2011 "durchgefeiert" und sich am Morgen des 1. Januar 2012 gegen 8.47 Uhr vor der Gaststätte in der G-Straße aufgehalten. Der Nebenkläger, der zuvor auch Gast in dieser Gaststätte gewesen sei, habe sich ebenfalls dort aufgehalten. Aus ungeklärtem Anlass habe der Angeklagte dem Nebenkläger ein Raki-Glas in das Gesicht geschlagen, wobei das Glas zerbrochen sei. Der Nebenkläger habe hierdurch die in der Anklage beschriebenen Verletzungen erlitten. Die Schnittverletzungen seien genäht worden, und der Nebenkläger sei zwei Tage in einem Krankenhaus stationär behandelt worden. Die Schmerzen hätten noch etwa zwei Monate angehalten. Der Nebenkläger sei noch immer wegen der Narbenbildung auf der Netzhaut in augenärztlicher Behandlung und nehme noch immer einen Schatten auf dem verletzten Auge wahr, wenn es sehr hell sei. Auf die Berufung des Angeklagten hob das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts auf und sprach den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei. In den Gründen seines Urteils führte das Landgericht aus, es habe sich aufgrund der Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte den Nebenkläger grundlos angegriffen und ihm dabei ein Raki-Glas in das Gesicht gedrückt habe. Mit ihren Revisionen gegen das Urteil des Landgerichts rügen die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger jeweils die Verletzung materiellen Rechts. II. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers haben Erfolg. 1. Der Freispruch des Angeklagten hält sachlich-rechtlicher Überprüfung bereits deshalb nicht stand, weil das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen hat. a) Nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen ergeben, dass der Angeklagte für nicht überführt erachtet worden ist. Diesem Erfordernis wird ein freisprechendes Urteil grundsätzlich nur dann gerecht, wenn in den Urteilsgründen zunächst diejenigen Feststellungen in einer geschlossenen Darstellung bezeichnet werden, die der Tatrichter für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung dartut, aus welchen Gründen er die für einen Schuldspruch notwendigen zusätzlichen Feststellungen nicht treffen konnte (BGH, NStZ-RR 2011, 275 [BGH 27.01.2011 - 4 StR 487/10]; NJW 1980, 2423 [BGH 10.07.1980 - 4 StR 303/80]; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. [2012], § 267 Rdnr. 33 m.w.N.). Diese Anforderungen sind kein Selbstzweck, sondern sollen dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob die den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freisprechende Entscheidung auf der Grundlage einer erschöpfenden Würdigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und aller hierbei feststellbaren und festgestellten Tatumstände erfolgt ist (BGH, a.a.O.). Jedenfalls in einem Fall, in dem sich - wie in der vorliegenden Sache - der Freispruch darauf gründet, dass dem Angeklagten bereits die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes einer Straftat nicht nachzuweisen sei, sind Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen und deren Mitteilung in den Urteilsgründen in aller Regel unerlässlich (BGH, NJW 1980, 2423 [BGH 10.07.1980 - 4 StR 303/80]). Lassen sich - ausnahmsweise - überhaupt keine Feststellungen zum Tatgeschehen treffen, so ist dies in den Urteilsgründen darzulegen und zu erläutern (BGH, a.a.O.). b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. aa) Das Landgericht hat in seinem Urteil allenfalls rudimentäre Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen getroffen. Die Strafkammer gibt in den Gründen des angefochtenen Urteils zunächst die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen wieder. Im Anschluss hieran teilt sie mit, dass sich der vom Amtsgericht festgestellte Sachverhalt in der Berufungshauptverhandlung nicht bestätigt habe. Die Kammer habe (lediglich) feststellen können, dass sich der Angeklagte, der Nebenkläger sowie die als Zeugen vernommenen C, H, D und X am Tattag in der Gaststätte "G" aufhielten. Sodann folgen in den Urteilsgründen die Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten, der Aussagen der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen sowie der Ausführungen des von der Strafkammer hinzugezogenen rechtsmedizinischen Sachverständigen und hiernach ein mit "Beweiswürdigung" überschriebener Abschnitt, in dem die Strafkammer - im Wesentlichen unter Hinweis auf inhaltliche Abweichungen zwischen den Angaben der vorbezeichneten Personen zum Geschehen am Morgen des Tattages - ausführt, sie habe sich aufgrund der Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte den Nebenkläger grundlos angegriffen und ihm dabei ein Raki-Glas in das Gesicht gedrückt habe. Dem Gesamtzusammenhang der letztgenannten Ausführungen lässt sich dabei (noch) entnehmen, dass das Landgericht davon ausging, dass der Nebenkläger die in der Anklage beschriebenen Verletzungen tatsächlich erlitten habe, dass der Zeuge X am Morgen des Tattages den Angeklagten verfolgt, diesen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers bezichtigt und die Polizei verständigt habe und dass es anschließend eine Aufnahme des Tatgeschehens durch Polizeibeamte gegeben habe. bb) Die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Ergebnisse der von der Strafkammer durchgeführten Beweisaufnahme legen indes nahe, dass neben diesen bruchstückhaften - und in den Gründen des angefochtenen Urteils nicht einmal in Form einer geschlossenen Darstellung mitgeteilten - Feststellungen durchaus noch weitergehende und detailliertere Feststellungen möglich gewesen wären, und zwar namentlich zu Umständen, die im Rahmen der Beweiswürdigung zum eigentlichen Kerngeschehen als Anknüpfungstatsachen eine besondere Bedeutung hätten gewinnen können. (1) Dies gilt zuvörderst für die Frage, welche Rückschlüsse das bei dem Nebenkläger festgestellte Verletzungsbild auf die Entstehung dieser Verletzungen zulässt. So hat der von der Strafkammer gehörte Sachverständige ausweislich der Urteilsgründe ausgeführt, bei den Gesichtsverletzungen des Nebenklägers handele es sich um Hautschnittwunden, die typischerweise durch das Drücken eines eher dünnwandigen Glases in das Gesicht verursacht würden und nicht durch einen Sturz. Warum die Strafkammer keine diesen sachverständigen Ausführungen entsprechende Feststellung treffen konnte, erläutert das angefochtene Urteil nicht. (2) Darüber hinaus haben sowohl der Angeklagte als auch die Zeugen C, H und X angegeben, dass es zu einer - in ihren Einzelheiten allerdings nicht einheitlich geschilderten - tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und einer weiteren Person im Bereich einer Säule auf dem Gaststättenvorplatz gekommen sei, wobei die Zeugen C und X diese weitere Person als den Nebenkläger identifiziert haben. Das angefochtene Urteil legt nicht in nachvollziehbarer Weise dar, warum das Landgericht keine entsprechende Feststellung treffen konnte. Der bloße Hinweis auf die Aussagen des Zeugen D und des Nebenklägers, die keine Angaben zu dieser tätlichen Auseinandersetzung gemacht haben, reicht insoweit jedenfalls nicht aus. Die Aussage des Zeugen D ist zum eigentlichen Kerngeschehen unergiebig. Der Nebenkläger hat - insofern abweichend von den Angaben des Angeklagten und der Zeugen C, H und X - angegeben, er habe die Gaststätte verlassen, sei dann in einen Hinterhof gegangen, um dort zu urinieren, habe dann plötzlich hinter sich ein Geräusch gehört und sodann noch ein Glas oder eine Flasche wahrgenommen. Er hat indes auch erklärt, am Neujahrsmorgen erheblich alkoholisiert gewesen zu sein und Erinnerungslücken zu haben. Seine in den Gründen des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Angaben zum Ablauf der Silvesternacht und des Neujahrsmorgens wirken auch eher schemenhaft. Warum die Strafkammer der Aussage des Nebenklägers vor diesem Hintergrund überhaupt einen Beweiswert beimisst, erläutert sie in den Gründen des angefochtenen Urteils nicht. (3) Schließlich lässt die Erwähnung des Umstandes, dass das Tatgeschehen durch Polizeibeamte aufgenommen wurde, es wahrscheinlich erscheinen, dass Feststellungen zur psychischen Verfassung und zum Grad der Alkoholisierung der einzelnen Beteiligten, zu etwaigen (Spontan-)Äußerungen gegenüber der Polizei und zu weiteren Einzelheiten des Tatnachgeschehens möglich gewesen wären. Auch für das Fehlen solcher Feststellungen enthält das angefochtene Urteil indes keine nachvollziehbare Begründung. 2. Angesichts der vorstehenden Erwägungen bedarf es keiner abschließenden Erörterung der Frage mehr, ob die Ausführungen des Landgerichts auch im Übrigen sachlich-rechtliche Mängel aufweisen. Der Senat weist insoweit lediglich darauf hin, dass der Zeuge X ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils in einer detailreichen und in sich schlüssigen Aussage erklärt hat, der Angeklagte habe dem Nebenkläger an der Säule auf dem Gaststättenvorplatz plötzlich ein Raki-Glas in das Gesicht geschoben. Vor dem Hintergrund der Angaben des rechtsmedizinischen Sachverständigen zur Ursache für die Verletzungen des Nebenklägers sowie der Angaben des Angeklagten sowie der Zeugen C und H - bei diesen beiden Zeugen handelte es sich um die Begleiter des Angeklagten zum Tatzeitpunkt -, die nahelegen, dass es tatsächlich ein Zusammentreffen zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger an der besagten Säule und hierbei auch eine tätliche Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Personen gab, hätte das Landgericht in den Gründen seines freisprechenden Urteils detailliert und vertieft darlegen müssen, warum es entweder eine irrtumsbedingte Falschaussage des Zeugen X oder sogar eine bewusste Falschbezichtigung des Angeklagten durch diesen Zeugen für möglich hält. Entsprechende Darlegungen lassen sich dem angefochtenen Urteil indes nicht entnehmen. 3. Wegen der aufgezeigten Mängel hebt der Senat das angefochtene Urteil nach § 353 StPO mit den Feststellungen auf und verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück. III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Für den Angeklagten ist ausweislich der vom Senat zum Zwecke der Vorbereitung der Revisionshauptverhandlung ausgewerteten Akten eine Betreuerin bestellt worden, weil er aufgrund einer "depressiven Störung bei zugrundeliegenden psychosozialen Belastungen mit Verdacht auf ein posttraumatisches Belastungssyndrom, aufgrund Alkohol- und Cannabismissbrauchs und aufgrund des Verdachts auf das Vorliegen einer Spielsucht" nicht in der Lage sein soll, die zu dem - weit gefassten - Aufgabenkreis der Betreuerin gehörenden Angelegenheiten selbst zu besorgen. Das angefochtene Urteil lässt Feststellungen zu einer eventuellen psychischen Erkrankung des Verurteilten indes vollständig vermissen, obwohl dieser Umstand für die Beurteilung des Tatvorwurfes durchaus bedeutsam sein könnte, könnte eine psychische Erkrankung doch eine Erklärung für das Verhalten des Angeklagten in der Tatnacht und hierbei insbesondere für sein von dem Zeugen X geschildertes latent-aggressives Vortatverhalten darstellen (vgl. zur Notwendigkeit von Feststellungen zum Werdegang und zur Persönlichkeit des Angeklagten in einem freisprechenden Urteil BGHSt 52, 314). Der neue Tatrichter wird jedenfalls Gelegenheit haben, den psychischen Gesundheitszustand des Angeklagten näher zu untersuchen. |
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