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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws 562/13 OLG Hamm

Leitsatz:
Die Entscheidung des für Anordnungen nach § 119 StPO unzuständigen Kollegialgerichts (anstelle des nach § 126 Abs. 2 S. 3 StPO zuständigen Vorsitzenden) führt im Fall der Einlegung einer Beschwerde zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses bei gleichzeitiger eigener Sachentscheidung des Beschwerdegerichts gemäß § 309 Abs. 2 StPO.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Zustädnigkeit, Vorsitzender, Haftentscheidung

Normen: StPO 119; StPO 126

Beschluss:

Strafsache
In pp.

hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 10.12.2013 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Der Antrag des Angeklagten vom 02. September 2013 auf Aufhebung der Besuchs- und Briefkontrolle wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse; die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden jedoch nicht erstattet.


Gründe

I.

Der bereits vielfach vorbestrafte Angeklagte befindet sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Siegen vom 05. April 2013 (450 Gs 559/13) seit dem 10. April 2013 in Untersuchungshaft, und zwar zur Zeit in der JVA Dortmund. Ihm wird mit dem Haftbefehl vorgeworfen, gemeinschaftlich handelnd mit Gewalt gegen eine Person eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sache sich rechtswidrig zuzueignen, wobei eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet wurde, sowie tateinheitlich eine andere Person körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben, wobei die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs und mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wurde.

Konkret wird ihm zur Last gelegt, er sei am 27. März 2013 mit zwei weiteren Mittätern in die verschlossene Wohnung des C K in T, die sie für die Wohnung einer Bekannten namens E T gehalten hatten, eingedrungen und hätten auf den Zeugen K eingeschlagen, wobei der Angeklagte einen Schlagring und ein weiterer Mittäter ein Messer benutzt habe. Der Angeklagte habe dem Geschädigten mit dem Schlagring mehrere Schläge ins Gesicht versetzt, so dass dieser zu Boden gefallen sei. Sodann habe einer der Mittäter mit seinen Springerstiefeln auf den am Boden liegenden Geschädigten eingetretenen und ihm im Verlauf des Geschehens auch einen Messerstich in den Bauch versetzt. Anschließend hätten sie den Geschädigten aus der Wohnung gezerrt und ihn die Treppe hinuntergeworfen, um ihn sodann aufzufordern, sein Portmonee und sein Handy herauszugeben. Bei Durchsuchung des Geschädigten hätten der Angeklagte und seine Mittäter das Portmonee des Zeugen mit ca. 130 € Bargeld gefunden und an sich genommen. Der Geschädigte erlitt durch die Tat einen Nasenbeinbruch, diverse Prellungen, eine Gehirnerschütterung und eine Stichwunde am Bauch.

Die Anordnung der Untersuchungshaft war hinsichtlich des Angeklagten sowohl auf den Gesichtspunkt der Fluchtgefahr, als auch auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gestützt. Hierzu ist ausgeführt, der Angeklagte und einer seiner Mittäter hätten versucht auf einen Zeugen einzuwirken, um diesen an einer Aussage zu hindern. Sie seien am 03. April 2013 in die Wohnung des Zeugen F eingedrungen und hätten ihn gewarnt, im Hinblick auf die Tat vom 27. März 2013 "Scheiße über sie zu erzählen", wobei dem Zeugen durch den Begleiter des Angeklagten ein Faustschlag ins Gesicht versetzt worden sei.

Durch weiteren Beschluss vom 17. April 2013 ordnete das Amtsgericht Siegen an, dass der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfe und Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sein.

Mit Urteil des Landgerichts Siegen vom 02. September 2013 (21 KLs 15/13) wurde der Angeklagte wegen gemeinschaftlichen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt. Darüber hinaus wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie die Bestimmung getroffen, dass noch 7 Monate Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sein. Gleichzeitig wurde die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Der Verurteilung lag neben anderen dem Angeklagten zur Last gelegten Delikten auch der Vorwurf des Haftbefehls vom 05. April 2013 zu Grunde.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 09. September 2013 Revision eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 02. September 2013 hat der Angeklagte beantragt, die Besuchs- und Briefkontrolle aufzuheben. Dieser Antrag wurde durch den angefochtenen Beschluss der Strafkammer vom 08. Oktober 2013 zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 20. Oktober 2013, mit welcher er geltend macht, dass aus seiner Sicht keine Verdunkelungsgefahr mehr bestehe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Begehren des Angeklagten auf Aufhebung der Besuchs- und Briefkontrolle führt zwar zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, da dieser unter Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften ergangen ist, hat jedoch im Ergebnis keinen Erfolg.

1.

Die 1. große Strafkammer des Landgerichts Siegen als Kollegialgericht war für den Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht zuständig, so dass der Beschluss aufzuheben war.

Funktionell zuständig für die Anordnung einzelner Maßnahmen gemäß § 119 Abs. 1 StPO ist gemäß § 119 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 126 Abs. 2 S. 3 StPO allein der Vorsitzende der Strafkammer. Dies gilt auch nach der Neufassung des § 119 Abs. 1 StPO mit Wirkung vom 1. Januar 2010 unverändert fort. Diese Anordnungskompetenz erstreckt sich konsequenterweise auch auf die etwaige Aufhebung zuvor angeordneter Maßnahmen.

Soweit anstelle des funktional allein zuständigen Vorsitzenden das Kollegialgericht entscheidet, wird teilweise vertreten, dies sei unschädlich (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Januar 1985, 1 Ws 38/85 zitiert nach [...]) bzw. rechtlich unbedenklich, da sich der Vorsitzende bei Entscheidung durch das Kollegium seiner Entscheidungsmöglichkeit nicht begebe (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10. Februar 2010 - 2 Ws 77/10, zitiert nach [...]).

Nach wohl herrschender Meinung führt die Entscheidung des unzuständigen Kollegialgerichts im Fall der Einlegung einer Beschwerde zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses bei gleichzeitiger eigener Sachentscheidung des Beschwerdegerichts gemäß § 309 Abs. 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 126 Rn. 10 m.N., KK-Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 126 Rn. 12 m.N, OLG Rostock, Beschluss vom 19. April 2005 - I Ws 158 / 05 -, zitiert nach [...]).

Nach Auffassung des Senats ist die Entscheidung des Kollegialgerichts anstelle einer Beschlussfassung durch den Vorsitzenden angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht als rechtlich unschädlich anzusehen. Anders als etwa mit der Regelung des § 238 Abs. 2 StPO in den Fällen verfahrensleitender Anordnungen des Vorsitzenden ist für die gemäß § 119 Abs. 1 StPO zu treffenden Entscheidungen gerade keine "Auffangzuständigkeit" des gesamten Spruchkörpers vorgesehen. Die Erwägung, der Vorsitzende begebe sich auch im Fall einer Entscheidung des Kollegialgerichts seiner eigenen Entscheidungszuständigkeit nicht (vgl. OLG Köln a.a.O.), greift nach Auffassung des Senats bereits deshalb nicht durch, weil ungeachtet denkbarer Differenzen innerhalb der Spruchkörpers zur inhaltlichen Ausgestaltung der Beschlussfassung allein durch die Existenz des Beschlusses des gesamten Gerichts nicht einmal ersichtlich ist, ob die Annahme einer Zuständigkeit der gesamten Strafkammer überhaupt mit Billigung des Vorsitzenden erfolgt ist.

2.

Eine Zurückverweisung der Sache an den Vorsitzenden der Strafkammer ist allerdings nicht geboten.

Gemäß § 309 Abs. 2 StPO erlässt das Beschwerdegericht die in der Sache erforderliche Entscheidung, wenn es die Beschwerde für begründet erachtet. Eine Ausnahme vom Grundsatz der eigenen Sachentscheidung des Beschwerdegerichts ist lediglich unter Umständen dann anzunehmen, wenn der angefochtenen Entscheidung ersichtlich Willkür oder anderes grobes prozessuales Unrecht zu Grunde liegt (vgl. OLG Rostock a.a.O.) oder dem Beschwerdeführer durch die eigene Sachentscheidung des Beschwerdegerichts in rechtlich bedenklicher Weise eine zusätzliche Instanz genommen wird, was vorliegend ersichtlich nicht der Fall ist.

Dem Angeklagten ist der gesetzliche Richter nicht willkürlich vollkommen entzogen worden. Es hat nämlich nicht etwa in Gänze ein unzuständiges Gericht entschieden, sondern vielmehr hat der zuständige Vorsitzende an der Entscheidung der Kammer mitgewirkt. Andererseits wäre der Senat auch im Falle einer Alleinentscheidung des Vorsitzenden zur Entscheidung über die Beschwerde berufen.

In der Sache besteht zu einer Aufhebung der angeordneten Überwachungsmaßnahmen keine Veranlassung. Der Zweck der Untersuchungshaft besteht in der Gewährleistung der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens, wobei die Haftanordnung neben einer Sicherung der Anwesenheit des jeweiligen Angeklagten im Strafverfahren unter anderem auch dem Ziel dient, eine Störung der Tatsachenermittlungen durch Beweisvereitelung oder -erschwerung zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund sind die angeordneten Überwachungsmaßnahmen aufgrund bestehender Verdunkelungsgefahr nach wie vor gerechtfertigt. Der Angeklagte hat nach dem Inhalt des Urteils vom 02. September 2013 das der Haftanordnung zu Grunde liegende Tatgeschehen in der Hauptverhandlung nicht eingeräumt, sondern sich für die fragliche Tatzeit auf eine Gedächtnislücke infolge Alkohol- und Drogenkonsums berufen und darauf hingewiesen, dass die abgegebene Personenbeschreibung des Geschädigten gar nicht auf ihm passe.

Nach den Ausführungen im Haftbefehl vom 05. April 2013 sowie den insoweit zu Grunde liegenden Angaben des Zeugen F hat der Angeklagte gemeinschaftlich mit einem der Mittäter noch am 03. April 2013 versucht, in aggressiver Form und unter Anwendung körperlicher Gewalt durch den Mittäter auf diesen Zeugen einzuwirken, keine belastenden Angaben zu machen. Diesen Angaben des Zeugen F ist die Strafkammer auch nach Durchführung der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung insoweit gefolgt, als im Urteil festgestellt worden ist, der Angeklagte habe seinen Mittäter bei der Einschüchterung des Zeugen F verbal aggressiv unterstützt, nachdem dieser ins Gesicht geschlagen worden war.

Da der Angeklagte gegen das Urteil der Strafkammer Revision eingelegt hat und die Beweisaufnahme im Falle eines Erfolges der Revision zum Schuldspruch erneut durchzuführen wäre, ist für diesen Fall weiterhin zu besorgen, dass der Angeklagte, dem das Gewicht des Tatvorwurfes betreffend das Geschehen vom 27. März 2013 nunmehr spätestens infolge der hierfür erfolgten Verhängung einer Einzelstrafe von 5 Jahren bewusst geworden ist, erneut versuchen würde, auf Belastungszeugen einzuwirken, um einer Bestrafung zu entgehen.

Der Hinweis des Angeklagten im Antrag vom 02. September 2013, er habe im Rahmen der bisher verbüßten Untersuchungshaft "nicht mal ansatzweise versucht irgendwelche Zeugen zu beeinflussen", vermag keine andere Beurteilung zu rechtfertigen, da die Ausgestaltung der Untersuchungshaft gerade auch durch die angeordneten Überwachungsmaßnahmen bestimmt worden ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO. Da das vom Angeklagten eingelegte Rechtsmittel aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses geführt hat, war es sachgerecht, die Kosten des Verfahrens der Landeskasse aufzuerlegen. Eine auch nur teilweise Erstattung der notwendigen Auslagen des Angeklagten war demgegenüber nicht angezeigt, weil das Rechtsmittel des Angeklagten im Ergebnis vollständig erfolglos geblieben ist.



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