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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 RBs 128/13 OLG Hamm

Leitsatz: Hat der Tatrichter für materiell-rechtlich im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander stehende Taten, die in prozessualer Hinsicht gleichwohl noch eine einheitliche Tat bilden, mehrere Geldbußen verhängt, sind diese - soweit sie vom Rechtsmittelangriff erfasst sind - für die Prüfung, ob die in § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG genannte Wertgrenze überschritten ist, zusammenzurechnen.Ob eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne vorliegt, hat das Rechtsbeschwerdegericht aufgrund der tatrichterlichen Feststellungen zu prüfen. Kann diese Frage anhand der tatrichterlichen Feststellungen nicht beantwortet werden, ist zu Gunsten des Betroffenen vom Vorliegen einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne auszugehen.

Senat: 3

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Rechtsbeschwerde, Zulassung, Wertgrenze, mehrere Taten

Normen: OWiG 80

Beschluss:

Bußgeldsache
In pp.
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm am 01.08.2013 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.

G r ü n d e
I.
Das Amtsgericht verhängte gegen den Betroffenen im Verfahren nach § 72 OWiG mit Beschluss vom 12. Februar 2013 wegen zweier Fälle der „vorsätzlichen Beschäftigung von Arbeitnehmern, welche von einem Verleiher ohne hierfür erforderliche Erlaubnis überlassen wurden“ (Ordnungswidrigkeiten nach § 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG), Geldbußen von 200 € und von 100 €. Die Gründe des Beschlusses enthalten folgende Feststellungen zum Tatgeschehen:

„Der Betroffene entlieh als Geschäftsführer der Firma L GmbH & Co. KG

• 1
in der Zeit vom 25. Mai 2009 bis zum 13. Juni 2009 die Arbeitnehmer D und D2 und
• 2
im Juni 2009 den Arbeitnehmer G

von der Firma E in I. Dabei wusste der Betroffene, dass der Firma E die nach § 1 Abs. 1 AÜG erforderliche Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung durch die Bundesagentur für Arbeit nicht erteilt worden war.“

Von einer weiteren Darstellung des Tatgeschehens in den Beschlussgründen sah das Amtsgericht ab und verwies stattdessen unter Hinweis auf § 72 Abs. 6 OWiG auf den Inhalt des Bußgeldbescheides.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.

II.
Das Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaft. Zur Prüfung, ob die in dieser Vorschrift genannte Wertgrenze überschritten ist, sind die beiden vom Amtsgericht verhängten Geldbußen hier zu addieren.

Aus § 79 Abs. 2 OWiG folgt, dass Geldbußen, die für mehrere Taten im prozessualen Sinne (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 264 Abs. 1 StPO) verhängt worden sind, zum Zwecke der Prüfung, ob die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG überschritten ist, nicht zusammengerechnet werden dürfen. Hat das Amtsgericht indes für materiell-rechtlich im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 20 OWiG) zueinander stehende Taten, die in prozessualer Hinsicht gleichwohl noch eine einheitliche Tat bilden, mehrere Geldbußen verhängt, sind diese – soweit sie vom Rechtsmittelangriff erfasst sind – für die Prüfung der Voraussetzungen des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG zusammenzurechnen (BayObLG, Beschlüsse vom 28. Januar 1994 – 3 ObOWi 4/94 und vom 21. Oktober 1993 – 3 ObOWi 95/93 - ; Göhler, OWiG, 16. Aufl. [2012], § 79 Rdnr. 23). Ob eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne vorliegt, hat das Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung aufgrund der tatrichterlichen Feststellungen zu prüfen (BayObLG, a.a.O.; Göhler, a.a.O., Rdnr. 21). Kann diese Frage anhand der Feststellungen nicht beantwortet werden, ist zu Gunsten des Betroffenen vom Vorliegen einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne auszugehen (BayObLG, a.a.O.; Göhler, a.a.O., Rdnr. 21). So liegt der Fall hier.

Eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne ist ein nach der natürlichen Lebensauffassung einheitlicher geschichtlicher Vorgang, dessen Einzelbestandteile innerlich so miteinander verknüpft sind, dass ihre getrennte Würdigung und Ahndung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges empfunden würde (Göhler, a.a.O., vor § 59 Rdnr. 50a m.w.N.). Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ist es nicht ausgeschlossen – und auch nicht von vornherein unwahrscheinlich – dass es sich bei dem hier zu beurteilenden Geschehen um einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang in dem oben dargestellten Sinne handelt. So ist es insbesondere nicht ausgeschlossen, dass der Einsatz aller drei entliehenen Arbeitnehmer auf einer einheitlichen Anforderung durch den Betroffenen beruhte und zumindest zeitweise alle drei Arbeitnehmer gleichzeitig in dem von dem Betroffenen geführten Unternehmen eingesetzt waren. Jedenfalls in dieser Konstellation wäre von einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne auszugehen.

Der Inhalt des Bußgeldbescheides kann vom Senat zur Beurteilung des Tatgeschehens nicht herangezogen werden. Der vom Amtsgericht in den Gründen seines Beschlusses ausgesprochene Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheides ist unbeachtlich. Nach § 72 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 OWiG kann das Amtsgericht nur dann von eigenen Ausführungen in den Gründen seines Beschlusses absehen und auf den Inhalt des Bußgeldbescheides verweisen, wenn die am Verfahren Beteiligten nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG auf eine Begründung des amtsgerichtlichen Beschlusses verzichtet haben. Einen solchen Verzicht haben weder der Betroffene noch sein Verteidiger erklärt. Das von dem Verteidiger in seinem Schriftsatz vom 12. Februar 2013 erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren stellt nicht zugleich einen Verzicht auf eine Begründung des Beschlusses dar.

2. Der Schuldspruch hält materiell-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die namentlich zu den konkreten Tathandlungen des Betroffenen und zu den von den drei entliehenen Arbeitnehmern verrichteten Tätigkeiten – äußerst knappen Feststellungen des Amtsgerichts stellen keine hinreichende Grundlage für eine Verurteilung des Betroffenen dar.

3. Der Senat hebt den angefochtenen Beschluss daher nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO mit den Feststellungen auf und verweist die Sache nach § 79 Abs. 6 OWiG zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurück




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