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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 RVs 102/13 OLG Hamm

Leitsatz: 1. In einer Konstellation, in der eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung wegen vollständiger Vollstreckung einer früher verhängten Strafe ausscheidet, ist ein Härteausgleich vorzunehmen ist.
2. Zur Bewertung der Härte und des vorzunehmenden Ausgleichs ist zu betrachten, wie eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung, wäre sie in dem jetzigen Urteil möglich gewesen, ausgesehen hätte.
3. Zur eigenen Entscheidung des Revisionsgerichts analog § 354 Abs. 1 StPO.
4. Zu den Grenzen der Vornahme eines Härteausgleichs im Wege des sog. "Vollstreckungsmodells".

Senat: 1

Gegenstand: Revision

Stichworte: Gesamtstrafenbildung, nachträgliche

Normen: StGB 55

Beschluss:

Strafsache
In p..
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 21.01.2014 beschlossen

Die Revision wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe des einzelnen Tagessatzes (bzgl. Einzelstrafen und Gesamtstrafe) auf 14 Euro festgesetzt wird.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Angeklagte.


Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Die zu Grunde gelegten Einzelstrafen beliefen sich auf 120 sowie 90 und 90 Tagessätze. Auf die Berufung der Angeklagten, die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden war, hat das Landgericht die Strafverfolgung bzgl. einer der Taten, die mit 90 Tagessätzen Einzelstrafe bedacht worden war, vorläufig nach § 154 StPO eingestellt und die Angeklagte im Übrigen unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils wegen Betruges zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt, wobei es Einzelstrafen von 90 und 80 Tagessätzen festgesetzt hat.

In der Strafzumessung des angefochtenen Urteils führt die Strafkammer aus, dass eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit den Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 16.01.2012 (25 Tagessätze zu je 10 Euro) und dem Urteil des Amtsgerichts Herne vom 08.08.2012 (90 Tagessätze zu je 5 Euro), die ihrerseits in einem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Herne vom 12.11.2012 zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Euro zu je 5 Euro zusammengefasst worden waren, ausscheide. Deswegen habe das Landgericht bei der Gesamtstrafenbildung einen Härteausgleich vorgenommen. Statt der an sich für angemessen erachteten 140 Tagessätze habe es nur auf 110 Tagesätze erkannt. Wäre eine Gesamtstrafenbildung möglich gewesen, so wäre sie nicht auf die Tagessatzhöhe aus den früheren Erkenntnissen beschränkt gewesen. Der Nachteil, der durch die fehlende Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung entstanden sei, würde durch die nunmehr vorgenommene Reduzierung merklich, wenn auch nicht gänzlich, aufgewogen.

Gegen das Urteil wendet sich die Angeklagte mit der Revision, mit der sie eine Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie meint, die Urteilsfeststellungen erster Instanz in Verbindung mit den ergänzenden Feststellungen des Landgerichts ergäben nicht die Voraussetzungen des Betruges. Sie hält eines Tagessatzzahl von 80 für die zweite Tat für überhöht und meint, der Härteausgleich sei unzutreffend vorgenommen worden. Die Tagessatzhöhe für die nicht einbezogenen Strafen sei in den früheren Entscheidungen rechtskräftig festgelegt worden. Außerdem seien diese zu 110 Tagessätzen zusammengezogen worden. Nunmehr weitere 110 Tagessätze Gesamtgeldstrafe zu verhängen, führe zu einer derartigen Erhöhung der höchsten Geldstrafe, die einer besonderen Begründung bedürfe.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen - geringfügigen - Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

1.

Der vom Landgericht vorgenommene Härteausgleich weist einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht noch davon aus, dass eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen, die dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Herne zu Grunde lagen, zwar an sich geboten gewesen wäre, hier aber ausschied, da die in dem genannten Beschluss verhängte Gesamtstrafe bereits vollständig bezahlt war. Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist aber nur möglich, bevor die früher erkannten Strafen vollständig vollstreckt sind (§ 55 Abs. 1 S. 1 StGB). Zutreffend geht das Berufungsgericht auch davon aus, dass in einer solchen Konstellation, in der eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung ausscheidet, ein Härteausgleich vorzunehmen ist. Scheitert eine nach § 55 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung, so erfordert die darin liegende Härte, nämlich dass nun an sich zwei isolierte (Gesamt-)Strafen, die nicht nach den §§ 54, 55 StGB in einer den Täter begünstigenden Weise auf eine einheitliche Gesamtstrafe zurückgeführt werden konnten, einen angemessenen Ausgleich (BGH NJW 2011, 868 [BGH 09.11.2010 - 4 StR 441/10] m.w.N.). Dieser Ausgleich ist - in den Urteilsgründen erkennbar - grds. bei der Bildung der (neuen) Gesamtstrafe vorzunehmen (BGH a.a.O.).

b) Insoweit ist auch noch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht für die hier abgeurteilten Taten auf eine Tagessatzzahl von 110 bei der gebildeten Gesamtstrafe erkannt hat, womit es der Angeklagten (unter Berücksichtigung der vollstreckten Gesamtstrafe von 110 Tagessätzen) ein Gesamtstrafübel von 220 Tagessätzen auferlegt hat. Dieses Gesamtstrafübel liegt im Rahmen dessen, was auch bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung aus den vier o.g. Einzelstrafen möglich gewesen wäre.

c) Rechtlich bedenklich ist jedoch die Festsetzung der Tagessatzhöhe auf 15 Euro je Tagessatz.

Dabei ist zunächst zu klären, was der Vergleichsmaßstab für die Feststellung einer Härte ist. Insoweit kommt in Betracht, den Zeitpunkt zu wählen, in dem erstmals eine Gesamtstrafenbildung möglich gewesen wäre, also hier auf den Zeitpunkt der ersten Aburteilung durch das Amtsgericht Dortmund vom 16.01.2012 abzustellen. Dafür könnte eine Orientierung an dem Zweck des § 55 StGB sprechen. Grundgedanke dieser Vorschrift ist, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen, so dass der Täter im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären (BGH a.a.O.). Ziel des Härteausgleichs ist es aber, "den Angeklagten so zu stellen, wie er bei einer Gesamtstrafenbildung gestanden hätte" (BGH, Beschl. v. 17.08.2011 - 5 StR 301/11 = BeckRS 2011, 22411). Diese Berechnungsweise hätte zudem den Vorteil, dass sie vergleichsweise leicht durch den Tatrichter zu handhaben wäre.

Wären alle Taten bereits zum frühest möglichen Zeitpunkt abgeurteilt worden, nämlich zum Zeitpunkt der Aburteilung durch das Amtsgericht Dortmund am 16.01.2012, so wären Einzelstrafen von 25, 90, 90 und 80 Tagessätzen auf eine Gesamtgeldstrafe zurückzuführen gewesen. Die Gesamtgeldstrafe hätte dann nach § 54 StGB mehr als 90 Tagessätze und weniger als 285 Tagessätze (bei einer damaligen Tagessatzhöhe von 10 Euro) betragen. Die Angeklagte hätte dann höchstens 2840 Euro als Gesamtgeldstrafe zu zahlen gehabt. Nunmehr hat sie 550 Euro (gem. Gesamtstrafenbeschluss des AG Herne vom 28.11.2012) bereits gezahlt und aufgrund des vorliegenden Erkenntnisses 1.650,- noch zu zahlen, insgesamt also 2.200 Euro. Das bewegt sich in dem Rahmen der auch seinerzeit bestand (dort im oberen mittleren Bereich) und wäre daher nicht zu beanstanden.

Nach Auffassung des Senats ist hingegen als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, wie eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung, wäre sie in dem jetzt zu überprüfenden Urteil möglich gewesen, ausgesehen hätte. Die neue Strafe ist danach entsprechend §§ 53, 54 StGB zu bilden. Sie darf nicht höher sein als die Differenz zwischen einer nachträglichen Gesamtstrafe, wie sie bei Anwendung des § 55 StGB zu bilden gewesen wäre, und der früheren (jetzt erledigten) Strafe (von Heintschel-Heinegg in: MK-StGB, 2. Aufl., § 55 Rdn. 25; Stree/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 55 Rdn. 28). Hierfür spricht insbesondere, dass diese Berechnungsmethode es meist eher ermöglicht, den in § 40 Abs. 2 StGB normierten Grundsatz zu verwirklichen, dass die aktuellen, zum Zeitpunkt der Aburteilung herrschenden wirtschaftlichen Verhältnisse für die Bemessung des einzelnen Tagessatzes maßgeblich sind, wie dies auch das Bestreben in der höchstrichterlichen Rechtsprechung für den Fall einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung aus Geldstrafen mit unterschiedlicher Tagessatzhöhe ist (BGH NJW 1979, 2523 [BGH 27.03.1979 - 1 StR 503/78]). Der Unterschied zur oben genannten Berechnungsmethode, die den frühest möglichen Zeitpunkt für die Bildung einer originären Gesamtstrafe als Bezugspunkt wählt, wird insbesondere augenfällig bei einer starken Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Täters zwischen erster Aburteilung und dem Zeitpunkt der Vornahme des Härteausgleichs. Ein weiterer Vorteil dieser Berechnungsweise ist zudem, dass es nicht zu (möglicherweise als ungerecht empfundenden) unterschiedlichen Behandlungen kommt von Fällen, in denen die frühere Geldstrafe weitgehend, aber noch nicht vollständig bezahlt wurde (in denen also eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden wäre), und solchen, in denen eine Gesamtstrafenbildung wegen vollständiger Bezahlung der früheren Geldstrafe ausscheidet und nur die Vornahme eines Härteausgleichs möglich bleibt.

Wählt man die - aufgrund der vollständigen Vollstreckung der Zahlung - an sich gebotene nachträgliche Gesamtstrafenbildung als Vergleichsmaßstab, so wären die in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.03.1979 - 1 StR 503/78 (NJW 1979, 2523) niedergelegten Grundsätze heranzuziehen. Danach findet die Geldstrafe ihren Ausdruck nicht ausschließlich in der Anzahl der Tagessätze, sondern wird auch durch ihren jeweiligen Gesamtstrafenendbetrag gekennzeichnet. Deswegen muss unter Beachtung des § 54 Abs. 2 S. 1 StGB auch die Endsumme der Geldstrafe hinter dem Gesamtbetrag der Einzelstrafen zurückbleiben (vgl.: Rissing-van Saan, LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rdn. 40). Unter Heranziehung dieser Grundsätze wäre der Vergleichsmaßstab für den Härteausgleich wie folgt zu berechnen:

Die Angeklagte hat die mit dem Gesamtstrafenbeschluss des AG Herne verhängte Gesamtgeldstrafe in Höhe von 550 Euro bereits bezahlt. Die in dem vorliegenden Urteil verhängten Einzelstrafen von 80 und 90 Tagessätzen zu je 15 Euro ergeben zusammen 2.550 Euro. Die Summenobergrenze beträgt also insgesamt 3.100 Euro. Bei insgesamt verhängten 220 Tagessätzen (110 aus dem Gesamtstrafenbeschluss, 110 aus der vorliegenden Verurteilung) ergäbe sich dann ein Tagessatz von gerundet 14 Euro (3.100 geteilt durch 220 ergibt 14,09 Euro). Da 110 Tagessätze bereits vollstreckt sind, dürfte der Summenbetrag für die verbleibenden 110 Tagessätze unter Anwendung der Grundsätze aus dem o.g. Urteil des Bundesgerichtshofs dementsprechend höchstens 1.540 Euro betragen. Tatsächlich liegt die Summe des hier zu überprüfenden Urteils aber bei 1.650 Euro (110 Tagessätze zu 15 Euro).

2.

Im Übrigen weist das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Die Rechtsmittelbeschränkung im Berufungsverfahren ist wirksam, so dass Angriffe gegen den Schuldspruch nicht mehr erhoben werden können. Die Ausführungen der Revision zu dem angeblich geschlossenen arbeitsgerichtlichen Vergleich sind urteilsfremd und daher schon aus diesem Grunde für den Senat unbeachtlich. Die Bemessung der Tagessatzzahl der Einzelstrafen ist ebenso wenig rechtlich zu beanstanden, wie die der Gesamtstrafe. Die insoweit angestellten Strafzumessungserwägungen halten rechtlicher Überprüfung stand.

3.

Entsprechend § 354 Abs. 1 StPO konnte der Senat die Tagessatzhöhe selbst herabsetzen. Einer Teilaufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung bedurfte es insoweit nicht. § 354 Abs. 1 StPO wird entsprechend angewendet, wenn die Verfahrenslage jedes Ermessen über Art und Höhe der Rechtsfolge ausschließt (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 354 Rdn. 27). Nach dem Urteil ist offensichtlich, dass der Tatrichter an sich eine den gegenwärtigen Einkommensverhältnissen der Angeklagten entsprechende Tagessatzhöhe verhängen wollte. Hätte er den Härteausgleich in der nach Auffassung des Senats zutreffenden Weise vorgenommen, so hätte er unter Anwendung der dargelegten Grundsätze auf die höchstmögliche, den aktuellen Einkommensverhältnissen nahekommende Tagessatzhöhe erkennen müssen. Dies hat der Senat nunmehr nachgeholt.

Eine Fallkonstellation, in der der Härteausgleich im Wege des Vollstreckungsmodells hätte vorgenommen werden können, wie es die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung für bestimmte Gestaltungen nahe legt (BGH NStZ 2010, 387) bzw. für "vorzugswürdig" erachtet (BGH, Beschl. v. 17.08.2011 - 5 StR 301/11 = BeckRS 2011, 22411; str. a.A.: BGH NJW 2011, 868 [BGH 09.11.2010 - 4 StR 441/10]) ist hier nicht gegeben. Der Rechtsfehler des Landgerichts liegt allein bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe. Da aber die Strafe nicht als Geldsummenstrafe tenoriert wird, sondern nach Tagessatzzahl und Tagessatzhöhe, ist es hier nicht möglich, zu tenorieren, dass der überschießende Teil der Geldstrafensumme nach Berechnung des Landgerichts als vollstreckt zu gelten hat. Dies könnte zudem auch bei einer etwaigen späteren erneuten nachträglichen Gesamtstrafenbildung zu Verwerfungen führen.

III.

Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels rechtfertigt keine Kostenquotelung, so dass seine Kosten der Angeklagten nach § 473 StPO aufzuerlegen waren.



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