Aktenzeichen: 3 RVs 49/13 OLG Hamm |
Leitsatz: 1. Es verstößt weder gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens noch verletzt es den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör, wenn die Berufung nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO ohne Verhandlung zur Sache verworfen wird, obwohl ein verteidigungsbereiter Wahlverteidiger in der Berufungshauptverhandlung anwesend war. (amtlicher Leitsatz) 2. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO kann nicht entgegen seinem eindeutigen Wortlaut konventionskonform zu Art. 6 Abs. 3c EMRK ausgelegt werden, denn die Möglichkeiten einer solchen Auslegung enden dort, wo der Wille des nationalen Gesetzgebers in der Gestalt von bestehendem Gesetzesrecht entgegensteht. (amtlicher Leitsatz) |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: |
Normen: StPO 329; EMRK 6 |
Beschluss: Strafsache In p.. hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 23.07.2013 beschlossen: Die Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO). Gründe: I. Das Amtsgericht Lemgo hat den Angeklagten mit Urteil vom 10. Dezember 2012 wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen in Höhe von je 40,- verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Detmold den Angeklagten zur Hauptverhandlung am 27. März 2013 geladen, die Ladung ist dem Angeklagten am 5. März 2013 zugestellt worden. In der Hauptverhandlung vor der 1. kleinen Strafkammer II des Landgerichts Detmold am 27. März 2013 ist der Angeklagte nicht erschienen. Das Landgericht hat daraufhin die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 StPO verworfen. Gegen dieses Urteil, das dem Verteidiger des Angeklagten am 3. April 2013 zugestellt worden ist, hat der Angeklagte Revision für den Fall, dass sein gleichzeitig gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung verworfen werde, mit Schreiben seines Verteidigers vom 10.04.2013, eingegangen beim Landgericht Detmold am selben Tage, eingelegt. Durch Beschluss des Landgerichts Detmold vom 17. April 2013, rechtskräftig seit dem 30. April 2013, ist der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung als unzulässig verworfen worden. Seine Revision hat der Angeklagte daraufhin mit Schreiben seines Verteidigers vom 3. Mai 2013, eingegangen beim Landgericht Detmold am selben Tag, mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. II. Die in zulässiger Weise eingelegte und begründete Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. 1. Die in zulässiger Weise erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO i. V. m. Art. 6 Abs. 3 c EMRK greift nicht durch. Das Landgericht Detmold hat weder gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen noch den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör verletzt, indem es die Berufung nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO ohne Verhandlung zur Sache verworfen hat, obwohl ein verteidigungsbereiter Wahlverteidiger anwesend war. a) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mit Beschluss vom 27.12.2006, Az.: 2 BvR 534/04 Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Anwesenheit des Angeklagten stellen diesen als selbstverantwortlichen Menschen mit eigenen Verteidigungsrechten in den Mittelpunkt der Hauptverhandlung. Sie sind auf dem Rechtsgedanken aufgebaut, dass das Gericht seiner Pflicht zur Erforschung der Wahrheit und zu einer gerechten Zumessung der Rechtsfolgen nur dann genügt, wenn es den Angeklagten vor sich sieht und ihn mit seiner Verteidigung hört. Damit wird Art. 103 Abs. 1 GG und dem darin enthaltenen Recht auf Selbstbehauptung in der bestmöglichen Form genügt. Auch die Menschenrechtskonventionen erfassen mit dem Verteidigungsrecht das Recht auf Anwesenheit: Art. 14 Abs. 3 Buchstabe d IPBPR sieht es ausdrücklich vor; für die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte folgt es aus dem Recht, sich selbst zu verteidigen (vgl. Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand: 1. April 1997, § 230 Rn. 1). Die Anwesenheit des Angeklagten als ein den Strafprozess beherrschender Grundsatz dient auch dazu, dem Angeklagten die Möglichkeit allseitiger und uneingeschränkter Verteidigung zu sichern (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 1952 - 3 StR 83/52 - BGHSt 3, 187, 190 f.). Die Anwesenheitspflicht soll aber auch der Wahrheitsfindung dienen, wie die Vorbehalte in §§ 231 Abs. 2, 231 a Abs. 1 StPO bestätigen. Schon die Möglichkeit eines persönlichen Eindrucks vom Angeklagten - seines Auftretens und seiner Einlassung - kann der Urteilsfindung des Gerichts dienlich sein, selbst in Fällen, in denen der Angeklagte schweigt und jede aktive Mitwirkung verweigert (vgl. BGH a. a. O.). Aus der Zielsetzung des § 230 Abs. 1 StPO folgt, dass anwesend nur ein Angeklagter ist, der das Geschehen der Hauptverhandlung selbst in allen Einzelheiten sicher wahrnehmen und auf den Gang der Hauptverhandlung durch Fragen, Anträge und Erklärungen einwirken kann (vgl. Gollwitzer a. a. O.). Zwar kennt die Strafprozessordnung Ausnahmen von dem Verbot, in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln (vgl. §§ 231 Abs. 2, 231 a, 231 b, 231 c, 232, 233, 247, 329 Abs. 2, 350 Abs. 2, 387 Abs. 1, 411 Abs. 2). Sie sind aber nur dort und nur insoweit am Platze, als sie das Gesetz ausdrücklich zulässt. Eine echte Hauptverhandlung gegen Abwesende im Sinne von § 276 StPO findet nicht statt. Das Anwesenheitsrecht und die ihm korrespondierende Anwesenheitspflicht sind auf die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit des Verfahrens (vgl. hierzu Rieß, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand: 1. August 1998, EinI. Abschn. H, Rn. 50 ff.) bezogene Strukturprinzipien der Strafprozessordnung, die zum einen eine möglichst sichere Entscheidungsgrundlage herstellen sollen, zugleich aber auch eine Ausprägung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten (Art. 103 Abs. 1 GG) darstellen. Wegen der nicht allein seiner Rechtsposition dienenden Funktion der Anwesenheit kann dem unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten auch keine Dispositionsbefugnis über die erwähnten Verfahrensprinzipien in dem Sinne zuerkannt werden, dass er seine Anwesenheit auf den Verteidiger gleichsam delegieren könnte, um Unmittelbarkeit und Mündlichkeit sowie rechtliches Gehör zu gewährleisten. Wie sich aus § 338 Nr. 5 StPO ergibt, handelt es sich um zwingende Vorschriften, auf die der Angeklagte nicht verzichten und von deren Einhaltung das Gericht nicht befreien kann (BGHSt 3, 187, 191). Dies belegt auch ein Blick auf das Recht der Beweisaufnahme: Hat der Verteidiger für den Angeklagten in einem während des Ermittlungsverfahrens abgegebenen Schriftsatz Angaben zum Tatgeschehen gemacht, so verstößt dessen Verlesung in der Hauptverhandlung regelmäßig gegen den in § 250 Satz 2 StPO niedergelegten Grundsatz der Unmittelbarkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2001 - 4 StR 506/01 - NStZ 2002, S. 555). Die Verwertbarkeit von Erklärungen des Verteidigers in der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten, der selbst keine Erklärung zur Sache abgibt, setzt voraus, dass der Angeklagte den Verteidiger zu dieser Erklärung ausdrücklich bevollmächtigt oder die Erklärung nachträglich genehmigt hat (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 - 3 StR 176/05 - NStZ 2005, S. 703 f.). Selbst für die sich praeter legem entwickelnden Absprachen im Strafverfahren, die in erster Linie eine Vereinbarung zwischen den professionellen Verfahrensbeteiligten (Richter, Staatsanwalt und Verteidiger) darstellen, hat die Rechtsprechung stets daran festgehalten, dass der Angeklagte an dem Aushandlungsprozess zu beteiligen ist. Ohne einen persönlichen Eindruck von dem Angeklagten soll das Gericht auch hier nicht über Tatbestand und Rechtsfolgen entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 28. August 1997 - 4 StR 240/97 - BGHSt 43, 195, 206; Beschluss des Großen Senats vom 3. März 2005 - GSSt 1/04 - NJW 2005, S. 1440, 1441 f.). Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO angesichts der auch in den Prozessprinzipien der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit des Verfahrens zum Ausdruck kommenden Grundsatzentscheidung gegen ein Abwesenheitsverfahren das Recht des Beschuldigten, über die Art und Weise der Ausübung seines rechtlichen Gehörs und seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 GG (Recht auf Verteidigerbeistand) zu bestimmen, jedenfalls für den Fall des unentschuldigten Fernbleibens in verhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens folgt unter Berücksichtigung der Strukturprinzipien des deutschen Strafprozesses nicht, dass der Gesetzgeber und der die Strafprozessordnung anwendende Richter gehalten wären, für die hier zu beurteilende Konstellation eine Vertretung des unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten durch seinen Verteidiger vorzusehen oder zuzulassen. Das Bundesverfassungsgericht hat unter Berücksichtigung der - bis zum Jahr 2006 ergangenen - Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ferner dargelegt, dass § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht gegen die Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK verstößt, wonach jede angeklagte Person mindestens das Recht hat, sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder bei Mittellosigkeit unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Dazu heißt es in dem Beschluss vom 27. Dezember 2006: § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO betrifft allein Fälle des unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung. Durch sein Prozessverhalten hat es der Angeklagte in der Hand, seine Rechte in der zweiten Tatsacheninstanz ein weiteres Mal wahrzunehmen. In seiner Disposition darüber, das Rechtsmittel der Berufung wirksam wahrzunehmen, wird er als Prozesssubjekt anerkannt. Es kann keine Rede davon sein, dass der Angeklagte bei einem Ausbleiben gleichsam bestraft werde. Dass über seine Sache nicht erneut verhandelt wird, ist Folge seiner eigenen Entscheidung. Bleibt er der Berufungsverhandlung ohne hinreichenden Grund fern, bedeutet dies - wenn, wie im Regelfall, eine Hauptverhandlung in seiner Anwesenheit vorausgegangen ist - keinen Verstoß gegen die Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c EMRK. Es ist nicht geboten, ihm diese Entscheidung unter Verstoß gegen Strukturprinzipien der Strafprozessordnung dadurch abzunehmen, dass sich der Angeklagte in der von ihm herbeigeführten zweiten Tatsacheninstanz durch seinen Verteidiger vertreten lassen könnte. [ ] Der Beistand des Verteidigers im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c EMRK wird dem Angeklagten durch die Regelung des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht vorenthalten. Der Verteidiger kann für den Angeklagten geltend machen, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift nicht gegeben seien. Die Berücksichtigung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Grundsätze gibt unter Beachtung der durch die Strafprozessordnung vorgegebenen Prozessstruktur und des in ihr angelegten Rechtsmittelsystems keine Veranlassung, ein Abwesenheitsverfahren gleichsam durch die Hintertür einzuführen. Angesichts der Bedeutung, die die Anwesenheit des Angeklagten vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Unmittelbarkeit im deutschen Strafprozess hat, ist eine Vertretung des Angeklagten zur Ermöglichung einer Verhandlung zur Sache von Verfassungs wegen nicht geboten. b) Das in der Revisionsbegründung angeführte Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 08.11.2012 (Az.: 30804/07 Eine konventionskonforme Auslegung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dahingehend, dass aufgrund der Berufung des Angeklagten bereits aufgrund der Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers eine Verhandlung zur Sache stattzufinden habe, kommt aber nicht in Betracht. Eine entsprechende Auslegung würde nämlich dem nicht auslegungsfähigem Wortlaut der Vorschrift des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO widersprechen, zu deren Anwendung auch der Senat aufgrund seiner Bindung an die geltenden Gesetze (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG) verpflichtet ist. Die Europäische Menschenrechtskonvention steht innerstaatlich im Rang eines Bundesgesetzes (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG) und ist als Auslegungshilfe bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes sowie des einfachen Rechtes heranzuziehen (vgl. OLG München, StV 2013, 301). Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden aber dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheinen (BVerfG, Urteil vom 04.05.2011, 2 BvR 2333/08) oder der Wille des nationalen Gesetzgebers in der Gestalt von bestehendem Gesetzesrecht entgegensteht (BGH, Beschluss vom 09.11.2010, 5 StR 394/10; BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004, 2 BvR 1481/04). Auch der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit ihre Schranken findet und daher nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen darf (EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009, C-12/08 (Mono Car Styling, Rdnr. 61). c) Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall bedeutet, dass § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht entgegen seinem eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden kann (vgl. ebenso OLG München a. a. O.; OLG Düsseldorf, StV 2013, 299; OLG Hamm, III-1 RVs 41/12, zitiert bei juris). Eine hinreichende Verteidigung wird dem Angeklagten im Übrigen auch bei Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO zuteil, denn sein anwesender Verteidiger kann die Umstände geltend machen, die ggf. gegen ein Vorgehen nach dieser Vorschrift sprechen (vgl. Peglau, juris-PR-StrafR 5/2013 Anmerkung 3). Eine Vertretung des Angeklagten durch den Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung war daher nicht möglich. 2. Die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge vermag die Revision ebenfalls nicht zu begründen. Da ein Verwerfungsurteil nach § 329 StPO ausschließlich aufgrund verfahrensrechtlicher Vorschriften ergeht und keinen materiell-rechtlichen Inhalt hat, kann der Schuldspruch nicht gerügt werden. Die insoweit allein gebotene Überprüfung der allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen bzw. hinsichtlich des Vorliegens etwaiger Verfahrenshindernisse (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 329 Randziffer 49) lässt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen. Das Landgericht hat somit die Berufung des Angeklagten zutreffend nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO. |
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