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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 93/14 OLG Hamm

Leitsatz: Steht einem Sicherungsverwahrtem durchschnittlich etwa 1 Stunde pro Tag für Telefonate zur Verfügung, so ist den Anforderungen des § 26 Abs. 1 SVVollzG NW grds. hinreichend Rechnung getragen, wenn dem Untergebrachten das jeweilige Telefonat grds. zeitnah vermittelt wird. Als zeitnah sieht der Senat grundsätzlichen eine Zeitdauer von 2 Stunden zwischen Antragstellung und Vermittlung an.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Sicherungsverwahrung, Telefonerlaubnis, zeitnahe Vermittlung

Normen: SVVollzG NW 26.

Beschluss:

In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 01.04.2014 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Betroffenen zur Last (§ 121 Abs. 2 StVollzG).


Gründe

I.

Der Betroffene befindet sich in der Unterbringung der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt X. Nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluss wollte er am 11.07.2013 um 17.50 Uhr ein Telefonat mittels eines der beiden auf der für ihn zuständigen Abteilung für Sicherungsverwahrte vorhandenen Telefone führen. Das Telefonat kam zu dem o.g. Zeitpunkt nicht zustande, weil offenbar kein Abteilungsbeamter zur Vermittlung des Telefonats verfügbar war. Pro Abteilung für Sicherungsverwahrte stehen für etwa je 15 Untergebrachte zwei Telefone zur Verfügung. Die Telefonate erfolgen wegen der Gebührenerfassung durch Vermittlung der Abteilungsbeamten.

Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrt der Betroffene die Feststellung, dass es rechtswidrig gewesen sei, dass er zu dem o.g. Zeitpunkt nicht habe telefonieren können.

Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer zurückgewiesen, weil der Betroffene am 11.07.2013 um 12.23 Uhr und 18.51 Uhr zwei Telefonate habe führen können. Dass ihm darüber hinaus ein Anspruch auf Durchführung weiterer Telefonate zu bestimmten Zeitpunkten zustehe, sei § 26 Abs. 1 SVVollzG nicht zu entnehmen. Das sich daraus ergebende Recht des Untergebrachten erstrecke sich darauf, überhaupt Telefonate durchführen zu können, nicht aber darauf, dies zu ganz bestimmten Zeiten tun zu können. Dass der Betroffene das Telefonat nicht habe später führen können sei von ihm ebensowenig dargelegt worden wie eine Unaufschiebbarkeit.

Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts in allgemeiner Form rügt.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat beantragt, die Rechtsbeschwerde in Ermangelung eines Zulassungsgrundes als unzulässig zu verwerfen. Ergänzend führt es aus, dass die Rechtsbeschwerde auch unbegründet wäre. Es sei ausreichend, wenn die Gestaltung des äußeren Vollzugsrahmens einen deutlichen Abstand zum Strafvollzug erkennen lasse. Die Anstalt sei aber nicht gehalten, unmögliche oder unzumutbare Maßnahmen zu ergreifen, um die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen, soweit die Maßnahmen insgesamt ausreichen, dem gesetzlichen Anspruch gerecht zu werden.

II.

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 116 Abs. 1 StVollzG), da der Fall Anlass gibt, Leitsätze für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften aufzustellen. Bei der entscheidungsrelevanten Norm des § 26 SVVollzG handelt es sich um eine erst im vergangenen Jahr eingeführte Vorschrift, zu der noch keine obergerichtliche Rechtsprechung existiert und die von der dieselbe Materie regelnden Vorläufervorschrift des § 32 StVollzG deutlich abweicht.

Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Auch fehlt es nicht an der Verfahrensvoraussetzung eines zulässigen Antrages auf gerichtliche Entscheidung. Die Fristenregelung des § 112 Abs. 1 StVollzG gilt nicht für den - über die gesetzlich aufgeführten Antragsarten hinaus grds. anerkannten (vgl. nur: KG Berlin NStZ-RR 2008, 92, 93) - Feststellungsantrag (Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 112 Rdn. 2). Der Betroffene hat für das hiesige konkrete Begehren (Unmöglichkeit eines Telefonats zu einem bestimmten, von ihm gewünschten Termin) auch das analog § 115 Abs. 3 StVollzG erforderliche Feststellungsinteresse, denn es besteht - da die personelle Ausstattung der Abteilung die jederzeitige Ermöglichung eines Telefonats nicht erlaubt - Wiederholungsgefahr. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung scheitert auch nicht an der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Verpflichtungsklage (vgl. dazu KG a.a.O.). Diese müsste hier daran scheitern, dass die generelle Ermöglichung von Telefonaten zu beliebiger Zeit (auf welche eine Verpflichtungsklage gerichtet sein müsste) auf eine unmögliche Leistung gerichtet wäre, da nach dem Gesetz die Telefonate durch Vermittlung der Anstalt zu führen sind und damit zwangsläufig immer eine, wenn auch regelmäßig zeitlich geringfügige - Verzögerung eintritt. Weitere Verzögerungen können sich aus der Prüfung der Überwachung nach § 26 Abs. 2 S. 1 SVVollzG und der Mitteilung nach § 26 Abs. 2 S. 2 SVVollzG ergeben.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

Durch die (faktische) Unmöglichkeit der Durchführung eines Telefonats zu dem o.g. bestimmten Zeitpunkt ist der Betroffene nicht in seinen Rechten verletzt.

Nach § 26 Abs. 1 S. 1 SVVollzG sind den Untergebrachten Telefonate durch Vermittlung der Anstalt zu ermöglichen. Beschränkungen sind lediglich zur Nachtzeit (§ 26 Abs. 1 S. 2 SVVollzG) oder - nach begonnenem Gespräch - aus Gründen der Sicherheit und Ordnung (§§ 26 Abs. 4, 22 Abs. 2 S. 3 und 4 SVVollzG) zulässig.

Die Regelung des § 26 Abs. 1 S. 1 SVVollzG regelt allerdings nur den Anspruch auf die Telefonate (das "Ob"), nicht aber (abgesehen davon, dass sie durch Vermittlung der Anstalt zu führen sind) die Modalitäten der Abwicklung der Telefonate (das "Wie"). Schon aus dem Wortlaut ergibt sich kein jederzeitiger und sofortiger Anspruch auf das Führen von Telefonaten außerhalb der Nachtruhe. Allein schon die Voraussetzung "durch Vermittlung der Anstalt" beinhaltet eine zwangsläufige Verzögerung. Auch die systematische Auslegung zeigt, dass das Gesetz gerade nicht davon ausgeht, der Untergebrachte habe im Rahmen des § 26 Abs. 1 S. 1 SVVollzG einen jederzeitigen und sofortigen Anspruch auf Telefonate außerhalb der Nachtruhe. So beinhaltet die Möglichkeit der Anordnung der Überwachung von Telefonaten nach § 26 Abs. 2 SVVollzG zwangsläufig auch die Einräumung eines bestimmten Prüfungszeitraums, denn ansonsten wäre möglicherweise nur die Alternative, dass jedes Gespräch überwacht würde, was aber gegen den Verhältnismäßigkeitsgrund-satz verstoßen könnte. Auch der Unterschied zu § 26 Abs. 3 SVVollzG zeigt, dass das Gesetz durch § 26 Abs. 1 S. 1 SVVollzG keinen jederzeitigen und sofortigen Zugang zum Telefon regelt. Nur die Teilnahme an einem ggf. eingerichteten Telefon-system gibt dem Untergebrachten die Möglichkeit "unmittelbar" mit Außenstehenden - und damit jederzeit und sofort - in Kontakt zu treten, denn der Gesetzgeber geht hier davon aus, dass hier zufällige und unbemerkte Gesprächskontrollen notwendig sind, weil "im Vorhinein unbekannt ist, wann welcher Untergebrachte mit welcher Person aus seiner Telefonliste in Kontakt treten wird" (vgl. LT-Drs. 16/1435 S. 80).

Auch wenn der Untergebrachte grds. keinen Anspruch auf Telefonate zu einem von ihm festgesetzten beliebigen Zeitpunkt hat, muss aber die Praxis der Vermittlung der Telefonate nach § 26 Abs. 1 S. 1 SVVollzG darauf ausgerichtet sein, dem "hohen Stellenwert von Telefongesprächen für die Kommunikation des Untergebrachten mit der Außenwelt" (LT-Drs. 16/1435 S. 80) gerecht zu werden. Eine Praxis oder personelle oder sächliche Ausstattung, die keine oder nur vereinzelte Telefonate oder nur Telefonate zu Zeitpunkten, zu denen sich das mit ihnen verfolgte Anliegen des Untergebrachten bereits erledigt hat, zuließe, wäre damit nicht vereinbar. Dafür ist hier allerdings nichts erkennbar. So stehen auf der Abteilung des Betroffenen 15 Unterge-brachten zwei Telefone zur Verfügung. Damit entfallen auf jeden Sicherungsver-wahrten außerhalb der von 22 Uhr bis 6 Uhr andauernden Nachtruhe (vgl. LT-Drs. 16/1435 S. 75) durschnittlich potentiell über zwei Stunden Telefonierzeit/Tag. Selbst wenn sich diese potentielle Zeit durch Abwesenheiten aufgrund von Arbeit etc., Inan-spruchnahme der Telefone durch andere Untergebrachte o.ä. verkürzt, erscheint jedenfalls eine durchschnittliche potentielle Kommunikationszeit von einer Stunde pro Tag als ausreichend. Wenn dann grundsätzlich Vollzugsbeamte in einer Zahl zur Verfügung stehen, die zeitnah zur Erklärung des Wunsches des Untergebrachten nach einem Telefonat dessen Vermittlung ermöglichen, ist dem gesetzlichen Anliegen hinreichend genüge getan. Als zeitnah sieht der Senat - unter Berück-sichtigung der oben genannten durchschnittlichen potentiellen Kommunikationszeit jedes Untergebrachten auf der Abteilung und der damit verbundenen Möglichkeit, dass auch schon einmal beide Telefone besetzt sein können, sowie der Zeit für eine Prüfung der Überwachung (s.o.) - jedenfalls eine Vermittlung innerhalb von zwei Stunden nach Äußerung des Wunsches nach einem Telefonat als ausreichend an, wenn daneben grds. gewährleistet ist, dass in nachgewiesenen besonderen Eilfällen auch eine kurzfristigere Nutzung des Telefons möglich ist.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der Betroffene hier nicht in seinen Rechten verletzt. Zwar ist ihm am 11.07.2013 um 17.50 Uhr kein Telefonat ermöglicht worden, wohl aber um 18.51 Uhr, also nur eine Stunde später. Außerdem hatte er auch bereits um 12.23 Uhr die Möglichkeit, zu telefonieren. Dass es sich um einen besonderen Eilfall gehandelt hat, ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.



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