Aktenzeichen: 2 Ausl 54/14 OLG Hamm |
Leitsatz: Die Anordnung der Auslieferungshaft gegen einen jetzt 16 Jahre alten und zur Tatzeit 15-jährigen Jugendlichen wegen eines Ersuchens der Slowenischen Behörden um dessen Auslieferung zur Strafvollstreckung aus einem Urteil, durch das der Jugendliche wegen Bedrohung, Sachbeschädigung und Beleidigung zum Nachteil seiner Eltern, mit denen er inzwischen in Deutschland zusammenlebt, zu einer Freiheitsstrafe von 1 - 3 Jahren verurteilt worden ist, ist im Hinblick auf die wahrscheinliche Zulässigkeit der Auslieferung und das Fehlen eines Haftgrundes abzulehnen. |
Senat: 2 |
Gegenstand: Auslieferungsverfahren |
Stichworte: Auslieferungshindernis, unerträglich harte Strafe |
Normen: IRG 73 |
Beschluss: Auslieferungssache In pp. hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 16.04.2014 beschlossen: 1. Die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft wird abgelehnt. 2. Die Festhalteanordnung des Amtsgerichts Rheine vom 7. April 2014 (Az.: 33 Gs 131/14) wird aufgehoben. 3. Der Verfolgte ist unverzüglich aus der Auslieferungshaft zu entlassen. 4. Dem Verfolgten wird der Rechtsanwalt S in I als Beistand beigeordnet. (zu Zif. 3) und 4) Anordnung bzw. Entscheidung des mitunterzeichnenden Senatsvorsitzenden) Gründe I. Die slowenischen Behörden ersuchen um die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Landgerichts Maribor vom 28. Februar 2014 (Aktenzeichen: I KM 55524/2012). Diesem Europäischen Haftbefehl liegt das Urteil des Landgerichts Maribor vom 3 Juni 2013 (Aktenzeichen: I KM 55524/2012) zugrunde, durch das der Verfolgte wegen einer Straftat der Gewalt in der Familie gemäß Art. 191 Abs. 1 des slowenischen Strafgesetzbuches zu einer Freiheitsstrafe von "mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren" verurteilt worden ist. Diese Freiheitsstrafe hat der Verfolgte, soweit derzeit bekannt, noch vollständig zu verbüßen. In dem in Anwesenheit des Verfolgten verkündeten Urteil wird diesem zur Last gelegt, seine Eltern am 2. November 2012 - also nur wenige Tage nach seinem 15. Geburtstag - in deren Wohnung in N, C 11, bedroht und beleidigt sowie Einrichtungsgegenstände beschädigt zu haben. Der Verfolgte habe seine Eltern mit der Drohung eines unmittelbaren Angriffs auf ihr Leben aus der gemeinsamen Wohnung vertreiben wollen und habe am Tattage gegen 10:00 Uhr während eines Streites mit seinem Vater H diesen angeschrien und Stühle sowie andere Einrichtungsgegenstände in der Küche umgeworfen. Ein Mikrowellengerät habe er so geworfen, das dieses zu Bruch gegangen sei und darüber hinaus habe er zwei Türen zerstört. Ferner habe er eine Wandlampe zerstört und seinen Vater als "Macker, der nicht arbeiten würde" und "Stadtstreicher" beschimpft und erklärt, dass er "auf das Grab des Vaters pissen" würde. Dabei sei er seinen Vater die gesamte Zeit über körperlich angegangen und habe ihn herausgefordert, sich mit ihm zu prügeln. Ferner habe er seinen Eltern gedroht, dass er sie umbringen würde, wenn sie nicht aus der Wohnung verschwinden würden. Nachdem der Verfolgte am 6. April 2014 gegen 10:00 Uhr an seinem Wohnort in Deutschland, wo er zusammen mit seinen Eltern lebt, einen Nachbarn in das Gesicht geschlagen hatte, als sich dieser über die von der Wohnung der Familie des Verfolgten ausgehende Lärmbelästigung beschweren wollte, kam es zu einem Polizeieinsatz, in dessen Verlauf der Verfolgte aufgrund der zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ergangenen Ausschreibung im Schengener Informationssystem festgenommen wurde. Bei seiner Anhörung durch die Gs-Richterin des Amtsgerichts Rheine am 7. April 2014 (Az. 33 Gs 131/14) gab der Verfolgte zu seinen persönlichen Verhältnissen und sozialen Bindungen in der Bundesrepublik an, dass er sich seit neun Monaten in Deutschland aufhalte und hier mit seinen Eltern zusammen lebe. Er erhebe Einwendungen gegen seine Auslieferung: Er wolle Deutsch lernen und dann hier arbeiten. Zum Tatvorwurf äußerte sich der Verfolgte nicht. Allerdings erklärte er, der Vollstreckung im Ausland zuzustimmen. Das Amtsgericht Rheine hat daraufhin am 7. April 2014 eine Festhalteanordnung gegen den Verfolgten nach § 23 Abs. 3 IRG erlassen. Mit Schriftsatz seines Beistandes vom 10. April 2014 teilte der Verfolgte mit, dass er der Vollstreckung in Slowenien nicht zustimme und im Falle der Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion zum Zwecke der Vollstreckung in die Bundesrepublik Deutschland überstellt werden wolle. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat mit Zuschrift vom 10. April 2014 beantragt, gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen und ihm nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 IRG einen Beistand zu bestellen. II. Die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft war abzulehnen. Gemäß § 15 Abs. 2 IRG darf die Auslieferungshaft nicht angeordnet werden, wenn die Auslieferung von vornherein unzulässig erscheint. Nach derzeitigem Sachstand erscheint die Auslieferung des Verfolgten nach Slowenien zur Vollstreckung des oben genannten Urteils eher unzulässig, wenngleich der Senat darauf hinweist, dass dies derzeit nicht abschließend beurteilt werden kann. 1. Zwar liegen die Auslieferungsunterlagen vollständig vor und entsprechen den an ihren Inhalt zu stellenden Anforderungen gemäß § 83 a Zif. 1-6 IRG. Bedenken gegen die Annahme der beiderseitigen Strafbarkeit gemäß §§ 3, 81 Nr. 2 IRG bestehen nicht, da die Tat, derentwegen der Verfolgte verurteilt worden ist, sowohl nach slowenischen Recht als auch nach deutschem Recht jedenfalls als versuchte Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung, Beleidigung und Sachbeschädigung im Sinne der §§ 240, 241, 185, 303 22, 23 StGB strafbar ist. Strafvollstreckungsverjährung ist ersichtlich weder nach slowenischen noch nach deutschem Recht eingetreten. Auch steht der Umstand, dass der Verfolgte Jugendlicher ist, jedenfalls für sich genommen eine Auslieferung nicht entgegen; ein allgemeines Verbot der Auslieferung von Jugendlichen oder Heranwachsenden gibt es im Auslieferungsrecht nicht. 2. Die beantragte Auslieferung des Verfolgten nach Slowenien widerspricht jedoch jedenfalls nach derzeitigem Sachstand wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung (§ 73 IRG), da Gegenstand des Ersuchens um Auslieferung zur Strafvollstreckung eine möglicherweise unerträglich schwere Strafe ist. Da der Verfolgte zu einer Freiheitsstrafe von "mindestens einem Jahr bis zu drei Jahren" verurteilt worden ist, ist derzeit unklar, welche Dauer die zu vollstreckende Freiheitsstrafe innerhalb dieses Rahmens haben wird. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass der Verfolgte in Slowenien die Freiheitsstrafe in voller Höhe der "höchstens" verhängten drei Jahre zu verbüßen hat. Jedenfalls in diesem Fall wäre ein innerstaatliches Auslieferungsverbot nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. § 73 IRG wegen einer unerträglich schweren Strafe gegeben, da es zu dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört, dass die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der gesetzlich angedrohten oder der verhängten Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen. Eine Strafandrohung oder Verurteilung darf nach Art und Maß dem unter Strafe stehenden Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein. Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfGE 25, 269 (286) [BVerfG 26.02.1969 - 2 BvL 15/68]; 45, 187 (228); 50, 205 (214 f.), 75, 1 (9)). Der Kernbereich dieser Anforderungen zählt zu den unabdingbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und ist auch im Auslieferungsverkehr zu beachten (vgl. BVerfGE 63, 332 [BVerfG 09.03.1983 - 2 BvR 315/83] (337 ff.)). Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die gegen ihn im ersuchenden Staat verhängt wurde, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erscheint. Anderes gilt hingegen dann, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts bereits nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (Präambel, Art. 24 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten. Das bedeutet, dass die Auffassung der deutschen Rechtsordnung von maß- und sinnvollem Strafen im Auslieferungsverkehr nur insoweit zur Geltung zu bringen ist, als sie Bestandteil zwingender, unabdingbarer verfassungsrechtlicher Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland ist (BVerfG, Beschluss vom 31. März 1987 - 2 BvM 2/86 -, BVerfGE 75, 1-34). Bei Anwendung dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass es sich bei der von dem Verfolgten begangenen Straftat nach deutschem Recht um eine versuchte Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung, Beleidigung und Sachbeschädigung im Sinne der §§ 240, 241, 185, 303, 22, 23 StGB handelt. Nach deutschem (Erwachsenen-)Strafrecht werden Taten nach § 240 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von drei Jahren, solche nach § 241 StGB mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von einem Jahr und solche nach §§ 185 und 303 StGB mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von jeweils zwei Jahren geahndet. Hinsichtlich der von dem Verfolgten begangenen Nötigung ist dabei allerdings zu berücksichtigen, dass es sich lediglich um einen Versuch handelte, so dass gemäß §§ 23, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf höchstens drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden dürfte, was bedeutet, dass selbst bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht eine Freiheitsstrafe die Dauer von zwei Jahren drei Monaten nicht übersteigen dürfte. Da der Verfolgte zum Tatzeitpunkt gerade 15 Jahre alt war, also nach deutschem Recht Jugendlicher im Sinne von § 1 Abs. 2 JGG war, sind allerdings die besonderen Regelungen des deutschen Jugendstrafrechts zu berücksichtigen. Danach setzt die Verhängung von Jugendstrafe, also einer Freiheitsstrafe, gemäß § 17 Abs. 2 JGG voraus, dass wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wegen der Schwere der Schuld eine Jugendstrafe erforderlich ist. Auf der Grundlage des bisher bekannten Sachverhaltes dürfte die Annahme dieser besonderen Voraussetzungen nicht in Betracht kommen. Es kommt hinzu, dass nach deutschem Strafrecht bei der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren die Vollstreckung der Strafe in der Regel zur Bewährung auszusetzen ist, § 21 JGG, und dass selbst dann, wenn eine Strafaussetzung ausnahmsweise nicht erfolgt, dem Verfolgten bereits nach Verbüßung von mindestens einem Drittel der verhängten Strafe, jedenfalls aber nach Verbüßung der Hälfte, eine realistische Chance auf eine Reststrafenaussetzung nach § 88 JGG eröffnet wäre. Auf der bislang bekannten Grundlage des Sachverhalts, aus dem sich nicht entnehmen lässt, ob der Verfolgte bereits vor der Straftat, die zur Verurteilung durch das Landgericht Maribor geführt hat, strafrechtlich in Erscheinung getreten bzw. auffällig geworden ist, ist die Annahme der Verhängung von Jugendstrafe nach deutschem Recht fernliegend. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass als Sanktion gegen den Verfolgten Erziehungsmaßregeln (also Erteilung von Weisungen oder die Anordnung, Erziehungshilfe in Anspruch zu nehmen) oder Zuchtmittel (also Verwarnung, Erteilung von Auflagen und insbesondere der Jugendarrest) verhängt worden wären. Jugendarrest kann gemäß § 16 JGG verhängt werden als "Freizeitarrest" für die wöchentliche Freizeit des Jugendlichen, bemessen auf eine oder zwei Freizeiten, "Kurzarrest" für einige Tage oder "Dauerarrest" für mindestens eine Woche und höchstens vier Wochen. Da nicht zu erwarten ist, dass gegen den Verfolgten bei einer Bestrafung in Deutschland eine über einen Dauerarrest von vier Wochen hinausgehende Sanktion verhängt worden wäre, erscheint das durch das Landgericht Maribor verhängte Höchstmaß der Freiheitsstrafe von drei Jahren nicht nur als in hohem Maße hart, was noch hingenommen werden müsste, sondern unter jedem denkbaren Gesichtspunkt als unangemessen und unerträglich hart. Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass diese Bewertung derzeit nur vorläufig auf der Grundlage des bisher bekannten Sachstandes getroffen werden kann und dass im Fall ergänzender Angaben durch die slowenischen Behörden, z.B. zum Vorleben des Verfolgten, zur konkreten Strafhöhe, zu einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung sowie gegebenenfalls zu einer möglichen Reststrafenaussetzung, ein anderes Ergebnis nicht von vornherein ausgeschlossen scheint. Dies gilt auch im Hinblick auf die besondere Schutzbedürftigkeit des Verfolgten nach Art. 8 EMRK (vgl. hierzu OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. März 2014 - 2 Ausl A 30/14 - und OLG Stuttgart, Beschluss vom 15. April 2004 - 3 Ausl 109/01, bei [...]). Im Hinblick auf den derzeit zur Entscheidung anstehenden Antrag auf Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft jedenfalls ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass die Anordnung der Auslieferungshaft nach gegenwärtigem Sachstand mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar wäre. In dem Zusammenhang hat der Senat auch berücksichtigt, dass bei dem Verfolgten nur eine geringe Fluchtgefahr bestehen dürfte. Zwar bietet die drohende Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem bis zu drei Jahren schon für sich genommen einen hohen Fluchtanreiz. Auffallend ist auch, dass der Verfolgte, der sich nach eigenen Angaben seit August 2013 in Deutschland aufhält, Slowenien zusammen mit seinen Eltern nur kurze Zeit nach der Verurteilung durch das Landgericht Maribor im Juni 2013 verlassen hat, was ein Anzeichen dafür sein kann, dass er sich der drohenden Strafvollstreckung dort gezielt entzogen hat. Andererseits verfügt der noch immer minderjährige Verfolgte über einen festen Wohnsitz in der Wohnung seiner Eltern. Besondere Umstände, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren durch Flucht entziehen wird, sind gegenwärtig nicht ersichtlich, zumal entsprechend den vorstehenden Ausführungen derzeit nicht absehbar ist, ob es tatsächlich zu einer Strafvollstreckung in Slowenien kommen wird. III. (Alleinentscheidung des Senatsvorsitzenden) Die Entscheidung über die Beiordnung eines Pflichtbeistandes beruht auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 IRG. |
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